Mit dem neuen Thermalbad von Mario Botta soll das Bäderquartier in Baden zu neuem Leben erwachen. Vorerst wird gebaut – an ziemlich genau der Stelle, wo einst ein Grand Hotel stand.
Sie kamen aus ganz Europa und Übersee. Auch im Winter. Denn das 1876 eröffnete Grand Hotel Baden verfügte über eine Zentralheizung. Mit einem der ersten in der Schweiz installierten Fahrstuhl gelangten die Gäste ins Souterrain. Dort befanden sich über 100 Einzelbäder, ausgestattet waren sie mit Sitz-, Regen- und Strahlduschen. Und es gab Lichtbäder mit Glühbirnen und Spiegeln, um möglichst rasch einen Schweissausbruch auszulösen. Patentiert hatte die seltsame Holzkonstruktion John Harvey Kellogg, ein berühmter amerikanischer Arzt, der zusammen mit seinem Bruder die Cornflakes entwickelte.
Zur Badekur gehörte aber vor allem Zerstreuung in angemessener Gesellschaft. Das Luxushotel bot deshalb grosszügige Konversations-, Damen-, Rauch- und Billardsalons, auch in den ausgedehnten Gartenanlagen mit kleinen Wäldchen und schattigen Alleen ergaben sich Gelegenheiten für gepflegte Gespräche. Das Prunkstück bildete jedoch der Speisesaal, in dem 300 Personen tafeln konnten. 1879 tauschten hier Bundesrat Emil Welti, ein italienischer und ein deutscher Gesandter Ratifikationsurkunden zur Finanzierung der Gotthardbahn. Zu den Hotelgästen gehörten Frankreichs letzte Monarchin, Eugénie de Montijo, der Filmpionier Louis Lumière oder Gottfried Keller und Arnold Böcklin.
Der Erste Weltkrieg besiegelte europaweit das abrupte Ende des Bädertourismus. Auch Baden, dessen heisse Quellen bereits die Römer fassten, das Mitte des 19. Jahrhunderts zum international gefragten Kurort mit Kursaal und Kurpark, Kurorchester und Theater aufgestiegen war, versank in der Bedeutungslosigkeit. Im verblassenden Glanz der Belle-Epoque-Kulisse wandelten zunehmend Patienten, die von den Sozialversicherungen zur Kur geschickt wurden. Am 18. August 1944 wurde das Grand Hotel gesprengt. Zuvor hatten es militärische Truppen als Übungsobjekt genutzt. Seither befindet sich dort ein Park, darunter ein Parkhaus. Ziemlich genau auf dem historischen Grund entsteht nun die von Mario Botta entworfene Therme. Sie ersetzt das in den 1960er Jahren erbaute öffentliche Thermalbad am Kurplatz, das 2012 geschlossen wurde.
Nach einer epischen Planungsgeschichte ist es am Dienstag zum offiziellen Spatenstich auf der riesigen Brache westlich des Kurplatzes gekommen. Mario Botta war aus dem Tessin angereist und gab sich in seiner charmanten Rede bescheiden: «Wir schreiben ein winziges Kapitel in der über 2000-jährigen Geschichte des Bäderviertels, dieses Stück Geschichte gehört allen», sagte der 75-jährige Architekt.
In den nächsten Monaten realisiert nun die HRS Real Estate AG einen rund 160 Meter langen schmalen Baukörper, der es volumenmässig mit dem einstigen Grand Hotel nicht aufnehmen kann. Vorgelagert ist ein flacher Bau mit einer Natursteinfassade, aus dem fingerartige Öffnungen in den Himmel ragen werden. Vorgesehen sind diverse Innen- und Aussenbecken, Dampfbäder sowie eine Saunalandschaft. Neben der Therme entsteht ein ebenfalls von Mario Botta entworfenes Ärzte- und Wohnhaus samt Diagnostikzentrum. Entlang der Limmat ist eine Promenade sowie ein Steg zwischen Baden und Ennetbaden geplant. Die Eröffnung der Therme ist auf Herbst 2020 terminiert.
Ein grosses Teilprojekt ist die Neugestaltung des Verenahof-Gevierts mit den drei alten Bäderhotels Verenahof, Bären und Ochsen. Der Umgang mit den zum Teil denkmalgeschützten Altbauten bot jahrzehntelangen Konfliktstoff zwischen der Stadt und der Verenahof AG, der Besitzerin des ganzen Gebiets. Inzwischen konnte die Stiftung Gesundheitsförderung Bad Zurzach und Baden, die als Aktionärin bereits 2007 in die Planung eingestiegen war, den gordischen Knoten lösen. Letztes Jahr wurde sie Mehrheitsaktionärin der Verenahof AG und übernahm das Verwaltungsratspräsidium von Investor Benno Zehnder, der sich mit viel Herzblut für das Botta-Projekt eingesetzt hatte. Die Investorin beauftragte die Villa Nova Architekten AG mit dem Umbau des Verenahof-Gevierts in eine Präventions- und Rehabilitationsklinik. Das Basler Büro ist spezialisiert auf die Sanierung denkmalgeschützter Gebäude wie des Grand-Hotels Les Trois Rois in Basel. Vorgesehen ist ein sanfter Umbau der Bäderhotels, die Investoren erwarten demnächst die Baubewilligung.
Am Dienstag zeigte sich Stephan Güntensperger, der frühere Direktor der Stiftung Gesundheitsförderung und heutige Vorsitzende des Leitungsausschusses «Bäderprojekte Baden» sehr erfreut über den Startschuss zum 150-Millionen-Projekt. Und er dankte Zehnder für dessen Zähigkeit und Weitsicht. Stadtammann Markus Schneider schloss sich dem Dank an. Es sei höchste Zeit, Baden in Baden wieder zu ermöglichen. Die Stadt habe lange von der Industrie profitiert und Baden Nord entwickelt – derweil sei das Bäderquartier leider etwas in Vergessenheit geraten, sagte Schneider.
Diesen Prozess hatte ausgerechnet der Besitzer des damaligen Badener Flaggschiffs initiiert. 1885 war die Aktiengesellschaft, die das Grand Hotel noch in den letzten Hochkonjunkturjahren für die damals horrende Summe von drei Millionen Franken erbaut hatte, ein Opfer der Wirtschaftskrise geworden. Der ehemalige Aktionär und Verwaltungsrat Rudolf Bruno Saft ersteigerte das Haus für eine Million Franken. Zunächst plante er auf dem oberhalb des Hotels gelegenen Haselfeld einen monumentalen Hoteltrakt, den eine Seilbahn mit den Thermalbädern verbunden hätte. Es kam anders: 1891 verkaufte der Hotelier anderthalb Hektaren Ackerland auf dem Haselfeld an den Ingenieur Walter Boveri. Fünf Wochen später kam es zur Gründung der Brown, Boveri & Cie. (BBC).
Am Spatenstich vom Dienstag war man sich einig, dass sich nun die Chance eröffnet, die schweizweit einzigartige Tradition der Bäderstadt am Limmatknie ins Bewusstsein zu rücken. «Das Bäderquartier soll auch zur touristischen Attraktion werden», hielt Güntensperger fest. Dazu gehört die Frage, wie sich das historische Erbe zugänglich machen liesse. So befinden sich in den Untergeschossen der historischen Hotels Überreste von alten Bädern, darunter ein aus dem 13. Jahrhundert stammendes Bad im Hotel Ochsen.
Quellen: Florian Müller: Das vergessene Grand Hotel, Verlag Hier und Jetzt, Baden 2016. Fabian Furter, Bruno Meier, Andrea Schaer, Ruth Wiederkehr: Stadtgeschichte Baden, Verlag Hier und Jetzt, 2015.