«Blätterrauschen und Vogelgezwitscher vermitteln Zuversicht»: Das neue Kinderspital von Herzog & de Meuron in Zürich setzt auf viel Grün und Holz. Das hat einen wissenschaftlichen Hintergrund

Naturnähe soll Patienten Heilung und Beruhigung schenken.

Caroline von Loewenich 4 min
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Holzelemente und Tageslicht sollen im neuen Kinderspital für eine warme, wohnliche Atmosphäre sorgen.

Holzelemente und Tageslicht sollen im neuen Kinderspital für eine warme, wohnliche Atmosphäre sorgen.

Visualisierung Kinderspital Zürich

Die Natur tut dem Menschen gut. Das sagt uns der gesunde Menschenverstand, ist aber auch wissenschaftlich bewiesen: In den achtziger Jahren präsentierte der amerikanische Arzt Roger Ulrich eine Untersuchung, aus der hervorgeht, dass der Blick ins Grüne den Heilungsprozess von Patienten positiv beeinflusst und die Zeit ihres Aufenthaltes in einem Spital reduziert.

Ulrichs Studie fiel in eine Zeit, in der sich Krankenhäuser weltweit in die Höhe streckten und funktional orientiert waren. Abgelöst wurde dieser Trend in den letzten Jahren von einer horizontalen Bauweise, mit dem Wunsch, mehr Natur zum Patienten zu bringen – über Holzelemente, den Blick in die Natur, möglichst viel Tageslicht und den Zugang zu grünen Aussen- und Innenräumen.

Als Spezialisten dieser neuen Art der Spitalbauten gelten die Basler Architekten Herzog & de Meuron. Das von ihnen entworfene neue Kinderspital in Zürich orientiert sich stark an den Erkenntnissen Ulrichs. Zurzeit wird eifrig daran gebaut; im November 2024 soll es bezugsbereit sein.

735 Millionen Franken kostet das Projekt, das ein Gebäude für Lehre und Forschung sowie das eigentliche Akutspital mit 200 Betten umfasst. Herzog & de Meuron wählten dafür eine flache, naturbezogene Bauweise mit Holz, weichen Linien und viel, viel Grün.

Panoramafenster ermöglichen für die Patienten den Blick ins Grüne.

Panoramafenster ermöglichen für die Patienten den Blick ins Grüne.

Visualisierung Kinderspital Zürich

Fast überall Tageslicht

Ein wesentlicher Punkt sei es, erläutert Mark Bähr, Projektleiter bei Herzog & de Meuron, viel Tageslicht in die Räume zu bringen und «naturnahe Inseln» zu schaffen. Die Architekten knüpften dabei an die Bauweise ihrer Rehabilitationsklinik in Basel an, die sie im Jahr 2002 fertigstellten. Ihr Entwurf entsprach dem Wunsch des Kinderspitals Zürich, seinen Patienten eine Umgebung zu schaffen, die ihrem Gesamtwohl zugutekommt und ihre Heilung bestmöglich unterstützt.

Wie die Rehabilitationsklinik in Basel umfasst das quaderförmige, flache Spitalgebäude im Zürcher Quartier Lengg mehrere Innenhöfe, und seine nach innen gerundete Fassade ist mit Holz verkleidet. Böden und Treppen aus Eichenholz, Wand- und Deckenvertäfelungen sollen Naturnähe vermitteln und eine warme, wohnliche Atmosphäre.

In den Patientenzimmern auf der obersten Etage ermöglichen Panoramafenster den Blick ins Grüne, über eine Balustrade mit Gräsern und Rundkieseln. Die Hanglage lässt es zu, dass auch Zimmer im Untergeschoss Tageslicht haben. Das sei ein wichtiges Anliegen der Architekten gewesen, erläutert Bähr. «Es ist ein Privileg, dass wir so bauen können.» Der Projektleiter berichtet von Spitälern, in denen einzig simulierende Lampen die Tageszeit vermittelten.

Das Kinderspital im Lengg-Quartier wird von einem weitläufigen Garten umgeben sein.

Das Kinderspital im Lengg-Quartier wird von einem weitläufigen Garten umgeben sein.

Visualisierung Herzog & De Meuron

Umgeben sein wird das neue Kinderspital von einem weitläufigen Garten, der vom Baumbestand der anderen Spitäler im Lengg-Quartier umrahmt ist und sich nach Süden hin zum See orientiert, mit dem Burghölzliwald in nächster Nähe.

Die noch heute sichtbaren Spuren der Moränenlandschaft inspirierten die Landschaftsarchitektin Margrith Künzel, die Umgebung als naturnahe harmonische Landschaft zu gestalten, mit kurvig gezeichneten Spazierwegen und ohne Zäune.

Die ehemalige Kulturlandschaft des Areals, die dem Anbau von Obstbäumen diente, gab ihr die Idee, auf dem nördlichen Teil der Fläche alte Pro-Specie-Rara-Apfel- und -Birnensorten zu pflanzen und eine wilde Wiese mit Blumen wachsen zu lassen. Für die nach Süden ausgerichtete Zugangsfläche vor dem Eingangsbereich wählte sie Holzapfelbäume, die zu allen Jahreszeiten eine liebliche Färbung haben. Dazwischen setzt Künzel selten gewordene Wildrosen wie die Hechtrose, Rosa glauca, mit metallisch graublauen Blättern und ungefüllten Blüten.

Künzel zeichnete schon verantwortlich für die Gartengestaltung in der Rehabilitationsklinik Basel, in der sie mit Birken, Farnen und einem kleinen See auch im Innenbereich ein Naturerleben schuf. «Ich finde es wichtig, dass die Natur allgegenwärtig ist im Spital», sagt Künzel. «Es sollte ein Bezug da sein, so dass Natur physisch erlebbar ist durch Berühren, Sehen und Riechen.»

Auch den Patienten, die das Bett nicht verlassen könnten, vermittelten Blätterrauschen und Vogelgezwitscher Zuversicht, sagt Künzel. Die Nähe zur Natur schaffe Vertrautheit und helfe damit dem Heilungsprozess.

«Wir sprechen beim Kinderspital Zürich von einem Akutspital», erläutert Künzel. «Aber es gibt auch chronisch Kranke, die immer wieder kommen müssen und die die Veränderungen in der Natur wahrnehmen und für sich selbst Hoffnung schöpfen.» Nach ihrer Erfahrung lebten viele Patienten in ihrer eigenen Welt mit Sorgen und Schmerzen. Die Natur könne ihnen eine andere Welt vermitteln – «die des Wachsens und Gedeihens».

Das von Herzog & de Meuron entworfene neue Kinderspital in Zürich (im Hintergrund).

Das von Herzog & de Meuron entworfene neue Kinderspital in Zürich (im Hintergrund).

Visualisierung Raumgleiter

Immer mehr Demenzgärten

Neben einer naturnahen Bauweise gewann in den letzten Jahren eine Therapieform an Bedeutung, die gar nicht so neu ist: die Gartentherapie, auch Gartenagogik genannt. Die Fachhochschule Wädenswil bietet dazu seit 2013 eine Weiterbildung an, aus der sich dann die Fortbildung für die Gestaltung von Therapie- und Demenzgärten entwickelte. Beide Lehrgänge, so die Studienleiterin Martina Föhn, verzeichneten zunehmendes Interesse.

Im Kanton Zürich gibt es mittlerweile mehrere Alterszentren, deren Bewohner Zugang zu speziell angelegten Gärten haben, die auf die Erfordernisse demenzkranker Menschen abgestimmt sind. Erst kürzlich wurde beispielsweise in Küsnacht im Alterszentrum Tägerhalde ein Demenzgarten eingerichtet. Der Leiter Anselm Töngi hat erfahren, dass Patienten durch den Aufenthalt im Garten lebhaft und gesprächig werden. «Pflanzen berühren die Emotionen der Menschen», sagt er.

Um den Bewohnern die Natur nahezubringen, wurden stark duftende Pflanzen und Kräuter gepflanzt und die Blumen nach Farbgruppen geordnet. Rundwege, grosszügige Beschattung und Sitzgelegenheiten laden zum Aufenthalt ein. Auch hier zeigt sich: Die Natur tut dem Menschen gut. Diese Erkenntnis ist mittlerweile im Gesundheitswesen angekommen.