Ein Steinmetz und Autodidakt aus dem Vorarlberg hat die barocke Klosteranlage in Einsiedeln gebaut

Caspar Moosbrugger gilt als Baumeister des Benediktinerklosters. Er kam als Handwerker, wurde nach wenigen Jahren Laienbruder und übernahm alsbald den Neubau.

Hubertus Adam 6 min
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Blick über den Klosterplatz auf die Fassade der Klosterkirche Einsiedeln mit den beidseitig angrenzenden Konventbauten.

Blick über den Klosterplatz auf die Fassade der Klosterkirche Einsiedeln mit den beidseitig angrenzenden Konventbauten.

Stefan Huwiler / Imagebroker / Getty

Einsiedeln gilt zu Recht als die imposanteste Klosteranlage der Schweiz. Der barocke Gebäudekomplex, in dem Reste der Vorgängerbauten aufgegangen sind, entstand in seiner noch heute prägenden Gestalt zum grössten Teil im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts. Aufgrund seiner Monumentalität und der klaren geometrischen Gliederung wird das Benediktinerkloster bisweilen mit der fünfzig Jahre älteren und deutlich grösseren Klosterburg El Escorial bei Madrid verglichen.

In jüngster Zeit machte das Kloster durch zeitgenössische Interventionen von sich reden: durch den Anbau des ebenso klar proportionierten wie zurückhaltenden Musikhauses von Diener & Diener (2006–2010) sowie durch die subtile, allerdings nur zum Teil umgesetzte Neugestaltung des Klosterplatzes von Günther Vogt.

Das Kloster Einsiedeln geht zurück auf den Eremiten Meinrad, der nach einigen Jahren auf dem Etzelpass etwas weiter entfernt «im finstern Wald», wie es in der Legende heisst, eine neue Klause samt Kapelle errichtet habe. An deren Stelle erhebt sich heute die Gnadenkapelle im Oktogon der Klosterkirche. Vom «finstern Wald» ist zwar nichts mehr zu spüren, wenn man sich auf den Weg nach Einsiedeln begibt, aber die landschaftliche Situation fasziniert bis heute: Der Ort mündet im Westen in den Klosterplatz, der leicht ansteigend auf das Kloster zuführt. Das Ensemble von Dorf und Klosteranlage ist eingebettet in die Hügel der Voralpenlandschaft mit den Bergen in der Ferne.

Die Geschichte des Klosters war freilich wechselhaft. 1480 zählte es gerade noch drei Mönche. Die Konsolidierung gelingt erst im 17. Jahrhundert, und da die Zahl der Konventualen sukzessive zunimmt, wird 1674 bis 1681 ein neuer Chor errichtet. Massgeblich verantwortlich dafür ist der aus Bregenz stammende Baumeister Johann Georg Kuen, der auf Plänen seines Vaters Michael aufbauen kann. Auf den Chorneubau folgen die rechtwinklig dazu stehende Beichtkirche mit Sakristei im ersten Obergeschoss sowie die anschliessende Magdalenenkapelle.

Baumeister aus dem Vorarlberg

Vater und Sohn Kuen sind Vertreter der Vorarlberger Barockbaumeister, die während der zweiten Hälfte des 17. und bis weit ins 18. Jahrhundert das – vorwiegend sakrale – Baugeschehen in Süddeutschland, der Schweiz und im Elsass dominieren. Es können ihnen insgesamt 800 Bauten zugeschrieben werden. Jeweils im Frühjahr schwärmen die Baumeister und Handwerker in Trupps zu den Baustellen aus und kehren im Winter in ihre Heimat zurück.

Typisch sind Familienclans, häufig trifft man auf die Namen Beer, Moosbrugger oder Thumb. Zentrum ist Au im Bregenzerwald, wo Michael Beer 1657 die Auer Zunft gründet. Es ist halb berufsständische Organisation, halb kirchliche Bruderschaft. Der Wissensvermittlung dienen Musterbücher, in die auch Vorlagen aus italienischen Architekturtraktaten einfliessen.

Bekannt werden die Vorarlberger durch eine Sakralbaukonzeption, die vielen ihrer Kirchen zugrunde liegt und die später in der Architekturgeschichte als «Vorarlberger Münsterschema» bekannt wird. Idealtypisch handelt es sich um eine Wandpfeilerkirche mit tonnengewölbtem Langhaus, seitlichen Kapellen mit darüber befindlichen Emporen, einem wenig ausgreifenden Querhaus und einem Chor, welcher die räumliche Organisation des Langhauses aufgreift.

Die Vorarlberger haben diese Lösung nicht erfunden; sie geht zurück auf Il Gesù, die Mutterkirche des Jesuitenordens in Rom. Sie wurde durch die jesuitische Baukunst in Süddeutschland vermittelt, insbesondere durch die Kirche St. Michael in München (1583–1597). Dieser Bau markiert die Wende zwischen Renaissance und Barock.

Speist sich das Vorarlberger Münsterschema also aus verschiedenen Quellen, so ist der Begriff zugleich problematisch, da er den Bauten eine gewisse Invarianz, eben ganz buchstäblich einen Schematismus unterstellt. So stellt der Architekturhistoriker Cornelius Gurlitt (Grossvater des mit dem Schwabinger Kunstfund bekannt gewordenen Kunsthändlers) in seinem Buch «Geschichte des Barockstils und des Rococo in Deutschland» (1889) die Vorarlberger als hinterwäldlerisch, rückwärtsgewandt und Neuerungen gegenüber immun dar. Diese Negativbewertung sollte über Jahrzehnte das Bild prägen.

Inzwischen hat sich dieses gewandelt. Auf Interesse stossen nun viel stärker die internationalen Netzwerke, die sich nicht nur anhand der Reisetätigkeit, sondern auch bei der Rezeption von Vorlagenwerken nachweisen lassen. Ein vor zwei Jahren eröffnetes Museum in Au informiert über das Phänomen der Vorarlberger Baumeister, die mit dem Kloster Weingarten, der Wallfahrtskirche Birnau am Bodensee oder der Stiftskirche St. Gallen Architekturgeschichte geschrieben haben. Zu ihren herausragenden Werken gehört auch das Kloster Einsiedeln.

Übersiedlung nach Einsiedeln

Im allgemeinen Bewusstsein ist der Neubau der Benediktinerabtei weniger mit dem Namen Johann Georg Kuen als mit dem von Caspar Moosbrugger verbunden. 1656 in Au geboren, absolviert er 1670 bis 1673 eine Lehre bei Christian Thumb in der Auer Zunft und arbeitet schliesslich ab 1674 als Steinmetz unter Kuen an dessen Neubauprojekten in Einsiedeln.

Anders als seine Kollegen, die regelmässig im Winter nach Vorarlberg zurückkehren, tritt er ins Kloster ein und legt dort 1682 seine Ordensgelübde als Laienbruder ab, er verzichtet auf seinen Geburtsnamen Andreas und nennt sich fortan Caspar. Offensichtlich besitzt er Talente, die über das eines Steinmetzen weit hinausgehen. Schon 1683/1684 lässt er sich als Berater für beabsichtigte Bauprojekte in Weingarten, Disentis und Muri nachweisen. Wie die (lückenhaften) Aufzeichnungen im Stiftsarchiv Einsiedeln belegen, ist seine Reisetätigkeit beachtlich.

Zu seinem Hauptwerk aber soll das Kloster Einsiedeln werden. Schon 1691 legt er einen Plan für einen Kirchenneubau vor, der aber vonseiten des Kapitels abgelehnt wird. Unter Abt Maurus von Roll entwickelt die Bautätigkeit eine neue Dynamik. Zunächst wird Moosbrugger mit der Planung der Konventbauten betraut, die für den Klosterbetrieb von zentraler Bedeutung sind.

1704 bis 1717 entsteht das Geviert des Klosters mit seinen vier Höfen, wobei es Moosbrugger gelingt, die Bauteile von Kuen geschickt in das Ensemble zu integrieren. Der Bau der Kirche beginnt 1720, das gewaltige Oktogon über der Gnadenkapelle und die Fassade sind 1723 fertiggestellt – im Jahr, in dem Moosbrugger am 26. August stirbt. Es dauert weitere zwölf Jahre, bis die Kirche geweiht werden kann.

Ein Bild wandelt sich

Wie die Bewertung der Vorarlberger Baumeister, so veränderte sich in der architekturhistorischen Forschung auch das Bild von Caspar Moosbrugger. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Einsiedeln-Monografie des Kunsthistorikers Linus Birchler aus dem Jahr 1924. Hier kehrt die Negativfolie der Vorarlberger Baumeister wieder, vor deren Hintergrund sich Moosbrugger als Meister einer rhythmischen Raumgliederung abhebt: «Kuppelbau und Zentralraum liegen weitab vom Kanon der nach dem Vorbilde der Jesuitenbauten arbeitenden Vorarlberger Baumeister.»

Für Birchler, mit seiner expressiv grundierten Genieästhetik ganz Kind seiner Zeit, ist Moosbrugger der Inbegriff eines kühnen Autodidakten, der sich um Traditionen und Konventionen seiner Zeit wenig schert: «Moosbruggers Kunst ist wie seine Heimat, das Vorarlberg und die Zentralschweiz: an der Wasserscheide der Rassen gelegen, germanisch ungeberdig und kühn, doch mit Wendungen von ennet dem Gotthard.» Der Text kulminiert in einem Vergleich mit Johann Sebastian Bach hinsichtlich der «Bindung zwischen dem fessellos Malerischen und der Mathematik», der Verbindung von Rausch und strenger Form.

Nachfolgende Generationen sind der Moosbrugger-Euphorie nicht mehr gefolgt und haben dem Einsiedler Baumeister darüber hinaus viele der Werke abgeschrieben, die Birchler noch als dessen eigene ansah. Dass wir inzwischen mit der Baugeschichte Einsiedelns im Detail vertraut sind, ist massgeblich der 2003 in der Reihe «Die Kunstdenkmäler der Schweiz» erschienenen Einsiedeln-Publikation von Werner Oechslin und Anja Buschow Oechslin zu verdanken.

Dank umfangreichen Quellenstudien wird dort die Planungsgeschichte des Klosters genauer nachgezeichnet als je zuvor. Moosbrugger ist hier weder visionärer Heros wie bei Birchler noch architektonischer Dilettant. Vielmehr erscheint er als ein Baukünstler, der sich vom Steinmetzen zum Ordensarchitekten entwickelt und in dieser Funktion als Experte in Planungs- und Baufragen auch andere Klöster und Gemeinden mit Gutachten und Entwürfen versorgt.

Das besondere Verdienst von Oechslin und Buschow Oechslin besteht darin, die Rolle von Abt und Kapitel, also der Auftraggeberseite, herausgearbeitet zu haben. Diese beauftragten Moosbrugger, konfrontierten ihn aber auch immer wieder mit externen Gutachtern. Der wichtigste war der Mailänder Universalgelehrte Luigi Ferdinando Marsigli, dem der Klosterplan von Moosbrugger im Jahr 1705 vorgelegt wurde. Fand der Entwurf für die Konventbauten seine Zustimmung, so kritisierte er – nach Absprache mit einem nicht näher genannten Architekten – die Konzeption der Kirche, die noch dem Vorarlberger Schema folgte, auf das Schärfste.

Marsigli brachte eine Dreigliederung ins Spiel: ein überkuppeltes Oval über der Gnadenkapelle, ein kurzes Langhaus entsprechend dem Plan von Moosbrugger und ein weiterer Kuppelbaukörper. Moosbrugger nahm die Anregungen in der Folge auf, arbeitete sie unter Zuhilfenahme italienischer Stichvorlagen aus und konkretisierte sie schliesslich in einer grandiosen Abfolge aus Oktogon, Predigtraum und Kuppelraum. Was sich im Grundriss deutlich voneinander scheiden lässt, durchdringt sich visuell und wird als räumliche Einheit wahrgenommen.

So zeigt sich hier exemplarisch, wie erst aus dem Zusammenwirken mehrerer Künstler ein Meisterwerk hervorging, das auch drei Jahrhunderte nach seiner Vollendung von seiner Ausstrahlung nichts verloren hat. Dass Reibung mit den Auftraggebern mitunter sogar zu einem Ergebnis führt, das den ersten eigenen Entwurf überflügelt, ist ein Phänomen, das auch zeitgenössischen Architekten vertraut ist.

Klosterschüler mit Examenweggen (1920–1930). (Bild: Bildarchiv Kloster Einsiedeln)
7 Bilder
Eindrückliches Dokument vom Bau des Sihlsees: die Flutung des Tals im Jahr 1937. (Bild: Bildarchiv Kloster Einsiedeln)
Klosterschüler beim Fussballspiel. (Bild: Bildarchiv Kloster Einsiedeln)
Prozession zur Milleniumsfeier des Klosters im Jahre 1934. (Bild: Bildarchiv Kloster Einsiedeln)
Pater Damian Buck mit jungen Füchsen. (Bild: Bildarchiv Kloster Einsiedeln)
Sioux-Indianer mit Abt Ignaz Staub vor dem Kloster. Die Indianer gehörten zum Zirkus Sarrasani, der in der Schweiz gastierte. Zum Dank für die freundliche Aufnahme schenkte der Zirkus dem Kloster zwei Löwinnen. (Bild: Bildarchiv Kloster Einsiedeln)
Pater Damian Buck (1871–1940) mit einer der beiden jungen Löwinnen. (Bild: Bildarchiv Kloster Einsiedeln)

Klosterschüler mit Examenweggen (1920–1930). (Bild: Bildarchiv Kloster Einsiedeln)

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