Ein Verein macht aus dem Birsufer einen «Central Park» – der Wakkerpreis geht an die Agglomeration von Basel

Die «Birsstadt» macht vor, wie man selbst in gesichtslosen Vororten guten Städtebau betreiben kann.

Irène Troxler (Text) Christian Beutler und Gaëtan Bally (Bilder) 5 min
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Die Birs ist dank Renaturierungen zum Anziehungspunkt geworden für die Gemeinden der Agglomeration Basel.

Die Birs ist dank Renaturierungen zum Anziehungspunkt geworden für die Gemeinden der Agglomeration Basel.

Normalerweise ehrt der Schweizer Heimatschutz mit dem Wakkerpreis Gemeinden, die sich bezüglich Ortsbild- und Siedlungsentwicklung besonders hervorgetan haben. In den letzten Jahren erhielten ihn etwa Lichtensteig (SG), Prangins (VD) oder Baden (AG).

Diesmal geht die Auszeichnung an den Verein Birsstadt. Diesen Namen haben sich zehn Gemeinden in der Grossregion Basel gegeben, die zusammen 95 000 Einwohner haben – das ist mehr als die Stadt St. Gallen. Auch wenn sie sich so nennt, ist die Birsstadt keine echte Stadt, sondern ein Agglomerationsgebiet. Aber der Name ist Programm: Er steht für einen Verein, in dem die Gemeinden ihre Stadtentwicklung koordinieren, um gemeinsam mehr aus ihrer Region zu machen.

Es begann mit den Grünräumen

Melchior Buchs ist Gemeindepräsident von Reinach (BL). Er deutet auf einen künstlich angelegten grossen Weiher. Ein paar Vögel staksen gerade durchs seichte Wasser, sonst ist es ruhig an diesem Wintertag. Im Frühling machten die Frösche hier einen Höllenlärm, sagt Buchs. Diesen Ort hat er ausgewählt, weil er symbolisiert, wofür die Birsstadt steht.

Die Weiherlandschaft wurde vor ein paar Jahren auf dem Areal der ehemaligen Kläranlage von Reinach direkt neben dem Birsufer angelegt. Man kann dort bräteln, spielen und Amphibien oder Vögel beobachten. In einem abgetrennten Bereich ist die Natur strikt geschützt. Der Weiher von Reinach ist Teil des Aktionsplans «Birspark-Landschaft». Ohne diesen wäre er nicht entstanden, wie der Gemeindepräsident Buchs sagt. «Reinach hätte das Geld dafür niemals gesprochen, wenn der Weiher nicht Teil eines grösseren Ganzen gewesen wäre.»

Die Birsstadt ist eine Agglomeration mit kultureller Geschichte: die Merian-Gärten mit ihrer Orangerie in Münchenstein.

Die Birsstadt ist eine Agglomeration mit kultureller Geschichte: die Merian-Gärten mit ihrer Orangerie in Münchenstein.

Blick über das Gebiet der Birsstadt von der Burg Pfeffingen aus.

Blick über das Gebiet der Birsstadt von der Burg Pfeffingen aus.

Grünräume sind wichtig für die Lebensqualität.

Grünräume sind wichtig für die Lebensqualität.

Dieses grössere Ganze nahm seinen Anfang in den nuller Jahren, als einige Gemeinden der Region zusammen ein Freiraumkonzept in Auftrag gaben. Sie wollten am Fluss Birs den Naturschutz fördern und gleichzeitig attraktivere Naherholungsräume für ihre Bewohner schaffen. Daraus wurde schliesslich die «Birspark-Landschaft». Der Weiher von Reinach ist eines von insgesamt 14 Teilprojekten. «Wenn man sich auf ein solches Vorhaben einigt, entsteht automatisch ein gewisser Druck auf eine Gemeinde, ihren Teil beizutragen», sagt Buchs. Auch die anderen Beteiligten haben vorwärtsgemacht und Weiherketten angelegt oder Uferbereiche naturnah gestaltet. Manche planen kleine Parks oder revitalisieren Auenlandschaften.

Im Jahr 2018 schlossen sich die Gemeinden Aesch, Arlesheim, Birsfelden, Dornach, Duggingen, Grellingen, Muttenz, Münchenstein, Pfeffingen und Reinach schliesslich zum Verein Birsstadt zusammen. Längst geht es bei der Kooperation nicht mehr bloss um Umweltschutz und um Erholungsräume. Die Agglomeration von Basel entwickelt sich. An der Birs gibt es zahlreiche alte Industrieareale, die umgenutzt werden wollen. Nun spannen die Gemeinden auch bei Stadtentwicklung, Raum- und Verkehrsplanung zusammen. «Gemeinsam verfügen wir über die Ressourcen und das Know-how einer grossen Stadt», sagt Buchs.

Mit von der Partie ist auch Dornach. Im Gegensatz zu allen anderen Gemeinden liegt dieser Ort nicht im Kanton Basel-Landschaft, sondern in Solothurn. Die Zusammenarbeit ist kantonsübergreifend und flexibel. Nicht alle machen bei jedem Projekt mit. Aber fix ist ein Termin: Die Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten treffen sich jeweils am letzten Freitagnachmittag des Monats. Dann werden laufende Projekte besprochen und neue Ideen entwickelt.

Gegen das konzeptlose Bauen

«Die Hälfte der Schweizer Bevölkerung lebt heute in einer Agglomeration», sagt Stefan Kunz. Der Geschäftsführer des Schweizer Heimatschutzes betont, dort seien die Herausforderungen besonders gross. Oft fehlten identitätsstiftende Lebensräume und Erholungsgebiete. Gleichzeitig werde intensiv und manchmal konzeptlos gebaut. Dass die Birsstadt zuerst die Aufwertung der Grünräume in Angriff genommen habe, sei kein Zufall. «Gerade in der Agglomeration ist eine attraktive Natur zentral für die Lebensqualität», betont Kunz.

Der Wakkerpreis gehe an den Verein Birsstadt, weil die Zusammenarbeit, die diese Organisation aufgebaut habe, beispielhaft sei, erklärt Kunz. «Die Gemeinden handeln nach dem Prinzip ‹Bottom-up› und schauen über den eigenen Tellerrand hinaus.» Der Verein wisse auch genau, welche Juwelen die Region habe: etwa den Dom von Arlesheim oder das Goetheanum in Dornach. So sei er auf gutem Weg, dieser Agglomeration ein eigenes Gesicht zu geben.

Die Region pflegt ihre Kulturdenkmäler, beispielsweise den Dom von Arlesheim.

Die Region pflegt ihre Kulturdenkmäler, beispielsweise den Dom von Arlesheim.

Münchensteins urbane Seite: der Freilagerplatz auf dem Dreispitz-Areal.

Münchensteins urbane Seite: der Freilagerplatz auf dem Dreispitz-Areal.

Das Goetheanum im solothurnischen Dornach ist einer der kulturellen Anziehungspunkte der Birsstadt.

Das Goetheanum im solothurnischen Dornach ist einer der kulturellen Anziehungspunkte der Birsstadt.

Momentan präsidiert Melchior Buchs den Verein Birsstadt. Nächstes Jahr wird ein anderer Gemeindepräsident oder eine -präsidentin übernehmen. Keine Gemeinde soll zu mächtig werden. Trotz der gewählten schlanken Organisation hätten die Birsstadt-Gemeinden den Kanton überholt, sagt Kunz. Dieser hatte sie aufgefordert, die Raumplanung mit Zweckverbänden voranzutreiben. Doch die Gemeinden entschieden sich für den Weg der Freiwilligkeit.

Den Namen Birsstadt verwenden bis jetzt vor allem die Planerinnen und Politiker. Sie sehen ein grosses urbanes Siedlungsgebiet vor sich ohne erkennbare Gemeindegrenzen. Mittendrin reisst die Birs eine grüne Schneise durch die Agglomeration, bis sie beim Birsköpfli an der Grenze zu Basel in den Rhein fliesst. Der Flussraum sei wie ein natürlicher langgezogener «Central Park», in dem die Bewohner gern joggten, badeten und ihre Hunde spazieren führten, sagt Buchs.

Allerdings käme es keinem Einwohner in den Sinn, zu behaupten, er wohne in einer Stadt. Bis jetzt haben die gemeinsamen Aktivitäten der zehn Gemeinden nur wenig Aufmerksamkeit erhalten. Eine grosse Ausstellung zur «Birspark-Landschaft» fiel 2020 der Pandemie zum Opfer. Wahrgenommen würden vor allem die Renaturierungsprojekte, sagt Aurelia Wirth, die Leiterin der Arbeitsgruppe. Zwischen Autobahn und Fluss entstehen vielerorts neue Lebensräume für Insekten, Amphibien oder andere kleine Waldbewohner. An einer Autobahnstützmauer ist soeben ein neuer Naturraum fertig geworden. Die Holzstücke, in denen sich bald Insekten niederlassen werden, sehen noch aus wie neu. Auch dieses Projekt ist nur ein Anfang. Bald wird man ein Quiz aufs Handy laden können, das zu den Kultur- und Naturattraktionen des Birsufers führt.

Wirth sagt, die grosse Herausforderung sei es, eine Balance zu finden zwischen Natur und Mensch. «Wenn ein Flussabschnitt im Sommer zum Magneten wird, weil er zum Baden einlädt, muss man auch einmal grössere Steine für eine Trockenmauer nehmen, weil sie sonst wohl in die Birs geworfen würden.» An gewissen Uferstellen erleichtert man den Zugang zum Fluss, an anderen wird er gesperrt, damit die Vögel in Ruhe brüten können. Für den Abfall, der liegen bleibt, hat die Birsstadt eine kreative Lösung gefunden: Regelmässig lädt der Verein zur öffentlichen Birsputzete ein. Bis jetzt verbinden viele den Namen Birsstadt mit dieser Aktion.

Jetzt dürfte der Wakkerpreis die Birsstadt auch bei ihren Bewohnern bekannter machen. Dass es dereinst tatsächlich zu einem politischen Zusammenschluss der Gemeinden kommt, glaubt Melchior Buchs nicht – wenigstens nicht in absehbarer Zeit. Das sei aber auch gar nicht nötig, findet Stefan Kunz. In der Kooperation liege die Zukunft, sagt der Heimatschutz-Geschäftsführer.

Umnutzungen von Industriearealen wie dem Walzwerk in Münchenstein bieten städtebauliche Chancen.

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