«Ich entwerfe grosse Gebäude in einfacher Art»: Der The-Circle-Architekt Riken Yamamoto gewinnt den Pritzker-Preis

Der 78-jährige Japaner wird mit der renommiertesten Auszeichnung für Architekten geehrt.

Ulf Meyer 3 min
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Der japanische Architekt Riken Yamamoto wird mit dem Pritzker-Preis geehrt.

Der japanische Architekt Riken Yamamoto wird mit dem Pritzker-Preis geehrt.

Die Wörter «Gasse» und «Oberdorf» gehen ihm leicht von den Lippen: Der japanische Architekt Riken Yamamoto hat sich mit der Stadtgestalt Zürichs intensiv auseinandergesetzt in Vorbereitung auf den Geschäfte- und Hotelkomplex The Circle, seinem Opus magnum am Flughafen Zürich. Nun wird er mit dem Pritzker-Preis prämiert.

Der bekannteste Architekturpreis der Welt geht damit an einen Architekten, der in der Szene seines Landes als Aussenseiter gilt. Dennoch ist Yamamoto als Preisträger in Japan in bester Gesellschaft: Er ist bereits der neunte Japaner, der den amerikanischen Preis bekommt. Kein anderes Land ist auch nur annähernd so gut repräsentiert. Die in Chicago ansässige Hyatt Foundation vergibt den mit 100 000 Dollar dotierten Preis an einen Architekten, der mit seinen Werken seit den siebziger Jahren den Architekturdiskurs um den ganz grossen Massstab mitprägt.

Yamamoto wurde 1945 in Peking geboren und schloss sein Studium 1968 ab. Vor genau fünfzig Jahren gründete er sein Architekturbüro in Yokohama. Er ist ein Meister der Gestaltung einer feinen Balance zwischen öffentlichen und privaten Räumen. Reisen rund um das Mittelmeer und entlang der amerikanischen Pazifikküste brachten ihn in Berührung mit traditionellen Stadtformen, die er en détail studierte.

Japanische Königsdisziplin

Die Architektur der fein austarierten Schwelle zwischen privater und öffentlicher Sphäre, eine japanische Königsdisziplin, prägte auch seine ersten Entwürfe für private Einfamilienhäuser wie die Yamakawa-Villa in Nagano von 1977. Dieselben räumlichen Qualitäten auf den sozialen Wohnungsbau – überhaupt keine Königsdisziplin Japans – zu übertragen, war hingegen ein Kunststück, wie die Hotakubo-Siedlung in Kumamoto von 1991 beweist.

Yamamotos ausgeprägtes Interesse am Städtebau und sein Mut, grosse Formen zu entwerfen, unterscheiden ihn von vielen seiner Zeitgenossen. Für die Ryokuen-toshi in Yokohama, eine riesige Wohnanlage, plante er ein System öffentlicher Wege. Grosse Gebäude wie die Hochschule Saitama oder die Bibliothek von Tianjin zu gliedern, gelang Yamamoto spielend. Bei seinem Entwurf für das Kunstmuseum in der Hafenstadt Yokosuka hat er zusätzlich seine Vorstellung von raumprägenden Tragwerken präzisiert.

In seinem Buch «The Space of Power and the Power of Space» beschäftigt sich Yamamoto mit Hannah Arendts «Vita Activa», in der die deutsch-amerikanische Theoretikerin die Linie zwischen Interieur und Exterieur als Raum beschreibt. Darum geht es auch beim Entwerfen. Seine grossen Formen bestehen aus kleinen Elementen. Yamamoto gilt als «Experte für den grossen Massstab».

Sein Professor Hiroshi Hara hatte parallel mit dem Bahnhof Kyoto und dem Umeda Sky Building in Osaka zwei Ikonen der «Bigness» in Japan geschaffen. Beiden ist der Raum zwischen den Gebäuden wichtiger als die Bauten selber. Beim Entwurf für die Universität Saitama fasste Yamamoto das Gebäude als «urbane Landschaft» auf. Es ist eine Grossstruktur aus kleinen Teilen. Seine Sensibilität für den Kontext und sein Vermögen, aus Dichte Qualitäten zu generieren, zeichnen sein Werk aus.

Das gilt auch für The Circle am Flughafen Zürich, das grösste Gebäude der Schweiz. Hier stapelt Yamamoto auf elf Stockwerken Büros, ein Konferenzzentrum, Läden und zwei Hotels so übereinander, dass hinter einer zum Flughafen hin geneigten Glasfassade eine Stadt in der Stadt entsteht. Zum Butzenbühl-Hügel hin öffnet sich der Solitär mit einer Struktur aus Gassen und Plätzen. Yamamoto betrachtet das Gebäude als Ensemble in der japanischen Tradition der Gruppenform.

Die Fassaden schimmern silbrig in der Sonne und haben keinerlei Farbe. Die gestalterische Raffiniertheit wird erst im Inneren sichtbar: Die «Gassen» haben Glasdächer, unter denen Läden und Restaurants ihre je eigenen Fassaden gestalten, nur darüber sind die Ansichten einheitlich, flach und bündig. Yamamoto schafft so eine «stimulierende Beziehung zwischen Innen- und Aussenräumen», wie er es nennt. «Ich entwerfe grosse Gebäude in einfacher Art», sagt der Architekt. «Das ist nur möglich, wenn Tragwerk und Entwurf harmonieren.»

Altstadt mit neuer Technik

The Circle ist bis dato Yamamotos einziger Bau in Europa und der westlichen Welt. Viele Touristen erleben ihn bei ihrer Ankunft in Zürich als «erstes» Gebäude der Schweiz. Als «Altstadt mit neuer Technik» bezeichnet Yamamoto dieses Hauptwerk. Dafür hat er mittelalterliche Stadtstrukturen so adaptiert, dass hohe Dichte als attraktiv empfunden wird.

Yamamoto ist kein Architekturhistoriker, aber er lernt aus der Vergangenheit und aus unterschiedlichen Kulturen. «Er erweitert Tradition in die Zukunft», so die Jury, «um auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichen Massstäben seine Gross-Architekturen zu gliedern.»