Die Liebe zum Holz als tragendem Baumaterial wird weltweit neu entdeckt – auch bei Wohnhochhäusern in der Schweiz

Die neuen Holzhochhäuser sollen nicht nur umweltschonend sein, sondern vor allem auch einladend, wohnlich und menschenfreundlich.

Ulf Meyer 4 min
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Das «WoHo» in Berlin-Kreuzberg am Gleisdreieck-Park soll ein 98 Meter hoher Turm mit 29 Geschossen werden.

Das «WoHo» in Berlin-Kreuzberg am Gleisdreieck-Park soll ein 98 Meter hoher Turm mit 29 Geschossen werden.

Visualisierung MAD Architekten

Holz gilt als Wunder-Werkstoff. Es sieht gut aus, riecht gut, fühlt sich gut an und gilt als umweltfreundlich. Jedenfalls dann, wenn es nachhaltiger Forstwirtschaft entspringt, die Konstruktionen wenig Leim benötigen und leicht zu demontieren und weiterzuverwenden sind.

Die Erwartungen der führenden Architekten und Unternehmer im Holzbau aus der Schweiz und Österreich an den wiederentdeckten Baustoff sind gross. Derzeit tüfteln Ingenieure an neuen Techniken, die es erlauben sollen, die Form von Bäumen en détail in 3-D zu erfassen, damit Bauteile fast ohne Verschnitt auskommen.

Doch das ist nicht die einzige bahnbrechende Innovation. Das in Zug geplante Holzhochhaus «Pi» von Duplex Architekten besteht aus einem Tube-in-Tube-System aus Buchenholz. Es ist das erste Holzhochhaus von über 80 Metern Höhe in der Schweiz. Die Zürcher Architekten stapeln 27 Geschosse unter einem gemeinsamen Dachgarten übereinander. Die Etagen wachsen nach je sechs Geschossen um eine Stützenbreite nach aussen und geben so dem Turm seine unverkennbare gotische Form.

 Visualisierungen Filippo Bolognese

Mit dem Projekt «Pi» planen die V-Zug-Immobilien ein innovatives Wohnhochhaus inmitten der Stadt Zug. Es soll das erste Holzhochhaus von 80 Metern Höhe in der Schweiz werden.

Um das Wohnen im Hochhaus möglichst attraktiv zu gestalten, haben die Architekten Flächen für Begegnungen der Bewohner und das soziale Zusammenleben vorgesehen. Vollmundig kündigen die Planer auch bezahlbaren «Wohnraum für Singles, Paare und Freunde, Kleinfamilien, WGs, Budget- und Generationenwohnen und Familien» an. Nur die letzten vier Stockwerke bieten Maisonnettewohnungen im Marktpreissegment. In der Gebäudemitte befindet sich eine «Piazza», die Nachbarschaften formen soll, wie sich die Architekten erhoffen. Von dort aus sind Musik-, Gäste- und Optionszimmer sowie Wasch- und Trockenräume zugänglich.

Holzhochhäuser stehen aber auch in der Kritik. Meistens sind sie Hybridbauten, die Treppenhäuser aus Stahlbeton zur Aussteifung benötigen. Das Tragsystem des Turms in Zug ist deshalb statisch richtungsneutral und erlaubt grosse Spannweiten und Flexibilität in der Grundrissgestaltung. Das Gebäude wird über ein Rahmentragwerk ausgesteift. Das Hochhaus ist Teil des Bebauungsplans für das Quartier Guthirt. Der Turm soll zum «Leuchtturm» der Umgestaltung des Fabrikgeländes von V-Zug werden.

Umweltfreundlich

Doch das ist noch Zukunftsmusik, bis das «Pi»-Hochhaus in Zug fertig ist. Die neuen Qualitäten, die der Holzhochhaus-Hype Städten in Mitteleuropa bringen soll, lassen sich im «HoHo Wien» hingegen bereits überprüfen. Es ist das derzeit höchste Holz-Hybrid-Hochhaus der Welt. Den Wohnturm im Wiener Stadtteil Aspern mit 24 Stockwerken hat das Architekturbüro Rüdiger Lainer + Partner aus Wien entworfen. Wände, Stützen und Decken bestehen aus Fichte. Ab dem dritten Geschoss wurden Faserzementplatten vor die Fassaden gehängt.

Die Ästhetik des Holzbaus ist deshalb von der Strasse aus nicht zu erkennen. Dafür betonen die Planer die ökologischen Vorteile: In Österreichs Wäldern wachsen jährlich 30 Millionen Kubikmeter Holz. Das verwendete Holz des «HoHo Wien» könne in nur einer Stunde in heimischen Wäldern nachwachsen, rechnen sie vor.

Holz gilt als umweltfreundliches Baumaterial, weil es leichter wiederzuverwenden ist und seine Produktion nicht nur keine CO2-Emissionen verursacht, sondern diese bindet. Die Atmosphäre in den Innenräumen ist angenehm, gemütlich und natürlich. Holz kann Feuchtigkeit gut aufnehmen und abgeben. So soll nun Beton als Baumaterial des 20. Jahrhunderts sukzessive von Holz abgelöst werden. Wünschenswert ist das allerdings nur dann, wenn das Material nachhaltiger Forstwirtschaft entstammt. Die meisten Hersteller garantieren dies mittels Gütesiegel.

Ein Haus für alles

Holz als natürlicher, nachwachsender Baustoff verändert aber auch das Erscheinungsbild der Architektur. Bedingt durch das Schwinden und Quellen, haben Holzfassaden ihre eigene Ästhetik. Holz arbeitet, verformt und verfärbt sich. Das kann zum Reiz der Fassaden beitragen. Das Klischee der plumpen oder bäuerischen Blockhütte lassen moderne Holzbauten jedenfalls souverän hinter sich.

Das Büro Mad Arkitekter aus Oslo baut in Berlin-Kreuzberg gerade das Wohnhochhaus «WoHo», und zwar als vertikales, urbanes Quartier. Am Gleisdreieck-Park soll der 98 Meter hohe Turm mit 29 Geschossen durch Vor- und Rücksprünge in der Kontur und begrünte Rasterfassaden akzentuiert werden. Im Erdgeschoss sollen Bäckerei, Cafés, Spätverkauf und Werkstätten unterkommen, im Sockel eine Kita, eine Kiezkantine, Jugendeinrichtungen, ein Indoor-Spielplatz, Ateliers und Familienwohnungen. Das öffentlich zugängliche Dachgeschoss soll eine Bar und eine Sauna bieten.

Das «WoHo» in Berlin soll mit seiner bunten Mischung von Nutzungen ein vertikales, urbanes Quartier werden.

Das «WoHo» in Berlin soll mit seiner bunten Mischung von Nutzungen ein vertikales, urbanes Quartier werden.

Visualisierung MAD Architekten

Dieses Bauvorhaben verspricht nicht nur eine neue Ästhetik, sondern auch eine bunte urbane Mischung von Nutzungen: Je ein Drittel der Apartments sind Mietwohnungen, genossenschaftliche und Eigentumswohnungen. Zusätzlich ist betreutes Wohnen für Jugendliche, Demenzkranke und Studenten vorgesehen. Das Gebäude ist das architektonische Äquivalent einer eierlegenden Wollmilchsau.

Die Vorteile des natürlichen und erneuerbaren Baustoffs Holz werden derzeit weltweit neu entdeckt. Je mehr überzeugende Beispiele es gibt, desto eher sind Gesetzgeber bereit, den juristischen Rahmen für die Verwendung von Holz im Hochhausbau zu erweitern.

In Tokio ist ein Wolkenkratzer aus Holz des japanischen Architekturbüros Nikken Sekkei in Planung. Mit einer Höhe von 350 Metern soll das Gebäude ein veritables «Stadtviertel im Himmel» werden – mit Hotels, Büros, Läden und Wohnungen. Mehr als 600 Milliarden Yen setzt der Bauherr, die Firma Sumitomo, für die Baukosten an. Das Unternehmen kehrt damit zu seinen Wurzeln als Holzhandelsgruppe zurück.

Damit kehrt der Holzhochhausbau in sein Ursprungsland zurück: In Nara, der ehemaligen Hauptstadt Japans, wurde im 8. Jahrhundert der Todaiji-Tempel gebaut. Er ist mit seiner Höhe von 48 Metern bis heute das grösste rein aus Holz errichtete Gebäude der Welt – baurechtlich betrachtet, würde der Tempel als Hochhaus gelten.

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