Die ETH Zürich lädt den Hamas-Unterstützer Léopold Lambert aus – weil er sich nicht glaubhaft von Gewalt distanziere

Radikale Israel-Hasser sorgen im Architekturdepartement für Unruhe. Die Leitung der ETH wirkt im Umgang mit dem antisemitisch gefärbtem Aktivismus überfordert.

Lucien Scherrer 4 min
Drucken
Mangelnde Empathie gegenüber israelischen Opfern ist derzeit nicht das einzige Problem im Architekturdepartement der ETH Zürich.

Mangelnde Empathie gegenüber israelischen Opfern ist derzeit nicht das einzige Problem im Architekturdepartement der ETH Zürich.

«Schön, wie eine zerstörte Gefängnistür», fand er die Bilder von Baggern, die am 7. Oktober israelische Grenzzäune zerstörten – und den Mördern und Vergewaltigern der Hamas den Weg ebneten für das grösste Massaker an Juden nach dem Zweiten Weltkrieg. Der französische Architekt und linke Politaktivist Léopold Lambert macht in den sozialen Netzwerken kein Geheimnis aus seinem Hass auf Israel, seinen Sympathien für die Hamas und seiner Verachtung für deren Geiseln, die er höhnisch «Siedler» nennt.

Ebendieser Mann sollte am 10. April an der ETH Zürich einen Vortrag halten zum Thema «Siedlerkolonialismus» in Palästina. Der Vortrag war als offizielle Lehrveranstaltung der ETH angekündigt, organisiert von Studenten. Nun hat die Schulleitung der ETH unter dem Präsidenten Joël Mesot entschieden, das Referat abzusagen, wie sie am Dienstagabend mitgeteilt hat. Dies unter anderem, weil unklar geblieben sei, ob Lambert «bereit ist, sich glaubhaft und genügend explizit von Gewalt zu distanzieren».

«Durst nach palästinensischem Blut»

Für ihren Entscheid hat die Schulleitung fast eine Woche gebraucht. Dass Lambert überhaupt eingeladen wurde, ist bezeichnend für das politische Klima im Departement für Architektur. Dieses ist, wie der Stuttgarter Architekturprofessor Stephan Trüby am 19. März in der NZZ aufgezeigt hat, teilweise von propalästinensischem Aktivismus geprägt. Doktoranden, Assistentinnen und einzelne Professoren unterzeichnen Aufrufe gegen Israel, in denen das Massaker der Hamas verschwiegen wird.

Eine ETH-Gastprofessorin schreibt regelmässig für Léopold Lamberts Magazin «Funambulist». Ein Postdoktorand feierte in einem inzwischen gelöschten Tweet den 7. Oktober, auf Instagram attestierte er den «Zionisten» einen «tiefen Durst nach palästinensischem Blut» und einen «Eifer zur Massenvernichtung». Den Entscheid der ETH-Schulleitung, den Vortrag von Lambert zu canceln, kommentierte er so: «Du kannst deine Meinung frei äussern, solange wir mit dir einverstanden sind.» Lambert hat auf der Website seines Magazins «Funambulist» einen offenen Protestbrief an die ETH lanciert, in dem er von «Zensur» spricht und der ETH vorwirft, sie habe sich dem Druck von «rechten» Medien wie der NZZ gebeugt.

Die Forschungs- und Meinungsfreiheit, so schreibt die ETH-Schulleitung, sei ein «besonders schützenswertes Gut». Deshalb habe man über mögliche Alternativveranstaltungen mit Rede und Gegenrede diskutiert. Grundsätzlich müssten an der ETH auch Themen wie die «Folgen der israelischen Siedlungspolitik» behandelt werden. Lamberts Einladung findet die ETH-Spitze trotz dessen Haltung zu Terror und Gewalt nachvollziehbar: Er bringe die nötige «Fachexpertise» mit.

ETH nennt es «Kritik an Israel» – doch es geht um mehr

Derartige Äusserungen lassen daran zweifeln, ob die ETH-Führung das Problem im Architekturdepartement wirklich erkannt hat und angehen will. Lamberts «Expertise» besteht unter anderem darin, dass er das ethnisch durchmischte, unter anderem von Flüchtlingen aus dem arabischen Raum bevölkerte Israel als Kolonialstaat dämonisiert und Terroristen des Islamischen Jihad als Freiheitskämpfer verklärt. Architektur versteht er als Waffe der Kolonialherren.

In der Lehrveranstaltung, welche die ETH-Studenten mit ihm planten, sollten seine Thesen über «koloniale Gewalt in Palästina» in einem Workshop vertieft werden. Mit «Palästina» meint Lambert das Gebiet des gesamten Staates Israel, der seiner Meinung nach kein Existenzrecht hat.

Die Frage, wo die ETH die Grenzen zieht zwischen Wissenschaft und Gewalt legitimierendem Sektierertum, bleibt auch nach Lamberts Ausladung unbeantwortet. Für ein mündliches Interview stand bisher niemand zur Verfügung, weder der ETH-Präsident Joël Mesot noch der Rektor Günther Dissertori. Stattdessen wurde am 28. März auf dem News-Kanal der ETH ein intern geführtes Interview mit Matthias Kohler veröffentlicht, dem Leiter des Architekturdepartements.

«Antisemitismus wird nicht toleriert» lautete der Titel, wobei Kohler versicherte, diesen Antisemitismus gebe es an der ETH gar nicht. Der «Konflikt in Israel/Palästina» beschäftige «unsere Community» zwar stark und führe «zu Situationen, bei denen Kritik an Israel geäussert wird». Kritik sei aber nicht gleichzusetzen mit Antisemitismus. Schwierig sei indes, dass die Diskussion von wenigen, aber lauten Stimmen geprägt worden sei: Diese hätten «Empathie gegenüber den israelischen Opfern» manchmal vermissen lassen, «was wir kritisch beurteilen».

Zum verharmlosenden Ton des Interviews passt, dass der Fragesteller von provozierenden Statements spricht, die ETH-Mitarbeiter in den sozialen Netzwerken veröffentlicht hätten. Wer, wie der oben zitierte Postdoktorand, alle Israeli als blutrünstige Zionisten bezeichnet, ist jedoch nicht provokativ. Er bedient antisemitische Stereotype. Und wer einen Pogrom mit Vergewaltigungen und Morden an Kindern feiert, betreibt mehr als «Kritik» an Israel.

Die Vermischung von propalästinensischem Aktivismus, Propaganda und Wissenschaft ist nicht erst seit dem 7. Oktober zu beobachten. So wurde im Mai 2021 eine Veranstaltung im Architekturdepartement angekündigt mit dem Titel «Stimmen aus Palästina – Dekolonialisierung in der Praxis».

Vier Gäste, eine Meinung – Israel ist böse

Auf dem Flyer sind Demonstranten mit palästinensischen Flaggen zu sehen. Als Organisator des Anlasses wird ein ETH-Doktorand aufgeführt, der im Rahmen eines ETH-Forschungsprojektes eine Online-Bibliothek zum «antikolonialen Kampf» der Palästinenser aufbaute. Unter anderem veröffentlichte er dort Propagandabilder der Terrororganisation PFLP. Vier Referentinnen und Referenten wurden angekündigt, alle positionierten sich gemäss Medienberichten und Posts in den sozialen Netzwerken gegen Israel.

Eine der damaligen Rednerinnen unterstützt die antisemitische, mit der Hamas verbandelte Boykottbewegung BDS. Sie ist auch schon zusammen mit Léopold Lambert aufgetreten. Ein anderer Gast beschäftigt sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit mit «Siedlerkolonialismus». Auf X teilte er kürzlich ein Bild mit folgender Botschaft: «Alle Zionisten sind Bastarde.» Als Moderatorin ist jene ETH-Gastprofessorin angekündigt, die für Léopold Lamberts Magazin «Funambulist» schreibt. Glaubt man den Angaben auf dem Flyer, wurde der Anlass von zwei weiteren ETH-Professoren unterstützt.

Fragen will die ETH derzeit nur schriftlich beantworten. Was die Veranstaltung im Jahr 2021 betrifft, schreibt die Medienstelle, diese habe «in einem völlig anderen Kontext und in einem völlig anderen geopolitischen Umfeld stattgefunden». Deshalb wolle man sich dazu nicht äussern. Nach einer ehrlichen Auseinandersetzung mit wissenschaftlich verbrämtem und antisemitisch gefärbtem Aktivismus hört sich das nicht an.