Bauwerk

Theater für das Bard College
Frank O. Gehry - Annandale-on-Hudson (USA) - 2003

Tanzende Stahlwellen am Hudson

Frank Gehrys Theater für das Bard College in Annandale

Vor der Kulisse der Catskill Mountains hat Frank O. Gehry ein Konzert- und Theaterhaus in der arkadischen Flusslandschaft des Hudson nördlich von New York errichtet: Es ist Gartenpavillon, schillernde Skulptur und technisches Gebäude zugleich.

25. Juli 2003 - Hubertus Adam
Nur eine Stunde fährt man von Manhattan aus Richtung Norden, und schon wähnt man sich in einer anderen Welt. Wälder, Wiesen und Felder bestimmen die Hügellandschaft des Hudson Valley, denn hier wurde dem sonst omnipräsenten suburbanen Flächenfrass Einhalt geboten. In der Tat avancierte das Tal nachgerade zum nationalen Symbol, als die Freiluftmaler der «Hudson River School» die arkadische Gegend als Sujet für sich entdeckt hatten. Seit diesem Frühjahr nun locken zwei neue Ziele die Bewohner und Besucher der nahen Metropole: Zunächst eröffnete in Beacon die eindrucksvolle Dépendance der Dia Foundation, einige Wochen später und eine Autostunde weiter nördlich das Fisher Center for Performing Arts auf dem ausgedehnten Gelände des Bard College bei der kleinen Ortschaft Annandale. Frank O. Gehry ist es gelungen, das multifunktionale Gebäude mit seinen beiden Konzert- und Theatersälen sowie mehreren Studios und Büros wie eine grosse schillernde Skulptur in die Parklandschaft einzubetten.

Das 1860 gegründete Bard College ist auf die Tanz- und Theaterausbildung spezialisiert; sein Direktor Leon Botstein leitet zugleich das American Symphony Orchestra. Überdies zeigt sich Botstein interessiert an Architektur, und so konnten Robert Venturi und Denise Scott Brown vor Jahren schon die Bibliothek erweitern und Polshek Partnership einige Collegebauten errichten. Mit dem durch Spenden finanzierten 62-Millionen-Dollar-Projekt des Fisher Center for Performing Arts ist Gehry und Botstein der grosse Wurf gelungen, denn nun hat die Hochschule Ersatz für ihr Anfang der siebziger Jahre abgebranntes Theater. Und das seit dreizehn Jahren bestehende Sommerfestival endlich ein festes und angemessenes Haus. - Grandios schwingen die Stahlbleche über Eingang und Foyer empor, als würden sie von Schallwellen davongetragen: Architektur ist hier nicht gefrorene, sondern sich emporschwingende Musik. Auch das Foyer beeindruckt durch seine Tendenz in die Vertikale, durch das Aufeinanderstossen von Beton und Stahl. Nachgerade klassisch, wenn auch in Sichtbeton ausgeführt, wirkt der Hauptsaal, der mit seiner Lyraform und seinen 930 Plätzen durchaus die Intimität eines klassischen Opernhauses aus dem 18. Jahrhundert besitzt. Für Konzerte lässt sich eine ebenfalls von Gehry entworfene hölzerne Musikmuschel auf der Bühne installieren; die Handschrift des Architekten wird überdies an den aus akustischen Gründen erforderlichen Holzarabesken an den Wänden erkennbar.

Sachlichkeit prägt die übrigen Bereiche, handle es sich nun um das Black-Box-Theater oder um die Studios. Nach aussen hin sind die technischen Teile des Gebäudes als weiss verputzte Betonkisten ausgeführt. Diese Trennung hat mitunter Kritik hervorgerufen, doch ist diese Kritik gerade hier unberechtigt: Ein Theater ist zum guten Teil auch ein technischer Betrieb, und das muss nicht verborgen werden. Noch vor der für Oktober angekündigten Fertigstellung der ungleich grösseren Walt Disney Concert Hall in Los Angeles ist in Annandale ein architektonisches Juwel entstanden, ein - um von amerikanischen Traditionen zu sprechen - «decorated shed» der Kultur, der sich, als sei er nicht ganz von dieser Welt, als überdimensionaler Gartenpavillon in die von den Catskill Mountains beherrschte Parklandschaft einfügt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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