Bauwerk

Seelsorgezentrum ´St. Katharina von Siena´
Walter Stelzhammer - Wien (A) - 1996
Seelsorgezentrum ´St. Katharina von Siena´, Foto: Rupert Steiner
Seelsorgezentrum ´St. Katharina von Siena´, Foto: Rupert Steiner
Seelsorgezentrum ´St. Katharina von Siena´, Foto: Rupert Steiner

Ein Rest Geheimnis darf bleiben

Im Neubaugebiet Wulzendorf, Wien-Donaustadt, hat Walter Stelzhammer mit dem Seelsorgezentrum St. Katharina von Siena einen Ort der Begegnung geschaffen, der trotz seiner bescheidenen Maße ein inhaltliches Signal setzt.

21. Dezember 1996 - Walter Zschokke
Der Blick auf einen Stadtplan vom Ende der achtziger Jahre weist noch gähnende Leere aus in dem Geviert zwischen Erzherzog-Karl-Straße im Norden, dem Dorfrand von Aspern mit Friedhof im Osten, der Wulzendorfstraße im Süden und dem damals noch im Bau befindlichen Sozialmedizinischen Zentrum Ost im Westen. Das nicht ganz einen Quadratkilometer große, ehemals landwirtschaftlich genutzte Gebiet wird durchschnitten von der Langobardenstraße.

Ein kürzlich aufgenommenes Flugbild zeigt völlig veränderte Verhältnisse: Südlich der Langobardenstraße sind die Felder bis auf einen Grünzug in hoher Dichte zugebaut. Städtebauliche Ansätze sind bei gutem Willen auszumachen, ihr Zusammenwirken ist aber offensichtlich nach bewährter Manier beim Zerreden in Wiener Mammutkommissionen, in denen sich keiner verantwortlich zu fühlen braucht, unter den Besprechungstisch gerutscht.

Der engagierteste Ansatz stammt von Architekt Walter Stelzhammer: An einen rückgratartigen Längstrakt sind in großen Abständen Quertrakte angedockt, sodaß dazwischen je eine Zeile Reihenhäuser Platz findet. Im Gegensatz zum Teilbereich mit fülligen Sechsgeschoßern und Dachschwimmbeckenbeglückung entsteht bei Stelzhammer ein stadträumlicher Rhythmus: Die Außenräume sind differenziert, und unterschiedliche Wohnungstypen lassen eine gewisse, auch soziale Durchmischung erwarten.

Die architektonische Konkretisierung der Quertrakte in Form von Laubenganghäusern wurde im Atelier Ablinger/Vedral entworfen, während Margarethe Cufer mit Erfahrung und Sorgfalt die Reihenhäuser betreute. Walter Stelzhammer gestaltete den mittleren Längstrakt mit den Kupplungsstücken zu den Quertrakten. Sie überbrükken die Bergenstraße und weisen an der Unterseite eine stark plastische Durchbildung auf: Lineare Zugangsstege und zylindrische Stiegenzapfen der darüberliegenden Wohnungen ergeben eine zwar ungewohnte, aber interessante Untersichtslandschaft.

Vor dem nördlichen Abschluß, wo die Bergengasse, vom Osloer Platz herkommend, sich rechtwinklig nach Süden wendet, um den Neubau zu unterfahren, ist ein flaches Bauwerk zwischen die hohen Blöcke geschoben, das ebenfalls von Walter Stelzhammer - unter Mitarbeit von Adrian Ryser - entworfen wurde. Es handelt sich dabei um das Seelsorgezentrum St. Katharina von Siena der Pfarre Aspern mit Mehrzwecksaal, Jugendbetreuungs- und Serviceräumen sowie einem Büro für die Pastoralassistentin.

Daß bei derart vielen gleichzeitig bezogenen Wohnungen das Arbeiten an der menschlichen Gemeinschaft zu einer vordringlichen Aufgabe wird, dürfte einleuchten. Die Kirche findet in diesen schockartig gewachsenen Quartieren ein Feld vor, dessen Bearbeitung weit über die klassische Seelsorge hinausreicht. Darum ist der Versammlungsraum mit einer Faltwand teilbar: in den auch als Werktagskapelle nutzbaren Altarbereich und in eine hintere Zone, die im Zusammenwirken mit einer kleinen Küche ohne gegenseitige Irritation profanen Zwecken dienen kann.

Doch beginnen wir mit dem Grundsätzlichen: Zuerst ist da eine Dachplatte, die sich auf schlanken Stützen über die Breite des Straßenraumes spannt und links und rechts gerade noch zweieinhalb Meter Durchgang offen läßt. Unter diesem Dach sind, im Sinne des „plan libre“, drei kräftige Wandscheiben aufgestellt: an der Vorderfront eine, die mit weißem Marmor verkleidet ist, im Hintergrund eine aus schwarzem Granit und seitlich links, fast über die gesamte Tiefe des Bauwerks, die dritte, eine mit hölzernen Dreischichtplatten beplankte Mauerscheibe.

Diese drei raumbildenden Elemente reichen knapp bis zur Greifhöhe und tragen nur sich selber. Darüber zieht sich allseitig ein Oberlichtband, sodaß Dach und Wandscheiben ihre Autonomie behalten. Auf das der Aufgabe angemessene Pathos des Daches, das wie ein vielbeiniger Tisch Vorhalle und Gemeindesaal schirmt, antwortet die lapidare Dreiheit der Wandscheiben: Marmor weiß, Granit schwarz, Holz braun lasiert. Die seitliche Trennung vom Gemeindesaal zur Vorhalle ist mehrheitlich verglast, drei Drehflügeltore erlauben die funktionale Intensivierung der Innen/außen-Beziehung. Die Vorhalle, akzentuiert mit einem Baum, der durch die kreisrunde Öffnung im statisch minimierten Stahlbetonschirm dem Licht entgegenwächst, ist ebenso weiträumig wie der vom Gemeindesaal belegte Teil. Es entsteht eine Dualität von hohl und voll, eindeutig sakral und allgemein weihevoll.

Dem einzigen großen Deckenauge über dem Baum im offenen Teil entspricht ein Feld von Lichtkuppeln im klimatisch geschlossenen Bereich. Daß aus bauphysikalischen Gründen die Deckenplatte über dem Saal allseitig getrennt von einer Schar Stahlbetonträger abgehängt werden mußte, ist ein Detail am Rande, das sich aber räumlich nicht auswirkt. Nicht jeder statisch- konstruktive Sachverhalt muß gestalterische Folgen haben, ein Rest Geheimnis darf bleiben, meint unter anderem auch Jürg Conzett, der begabte Schweizer Bauingenieur aus Chur. Wer die Überlager von außen erkennt und nur ein wenig bauphysikalisch denkt, kann sich selber einen Reim machen.

Der Boden des Gemeindesaals ist mit hellen Terrazzoplatten belegt. Hier gewinnt die profane Komponente wieder an Gewicht. Während die weiß-marmorne Altarwand mit Kreuz und Tabernakel ausgezeichnet ist, trägt die Holzwand vorn eben noch eine kleine, geschnitzte historische Marienstatue, nach hinten geht sie jedoch bruchlos in ein schweigendes und zugleich neutrales raumbildendes Element über.

Mit der Bestuhlung, für die Roland Rainers Sesselmodell gewählt wurde, das dieser 1958 auch für die Stadthalle verwendet hatte, erfährt der Gemeindesaal einen weiteren Schub in Richtung Profanität. Der liturgischen Möblierung des Altarraumes kommt daher sehr viel Gewicht zu.

Walter Stelzhammer nahm bei seinem Entwurf Bezug auf das primäre Element des Bauwerks, das schirmende Dach. Die schlank aufgestelzten Möbel aus massivem Eichenholz bilden eine gestalterische Einheit. Der Altar besteht aus einem Tischblatt, an dessen Ecken mittelbar durch vier Messingkreuze, die zugleich die Weihekreuze darstellen, die Beine konstruktiv eingesetzt sind. Die gleichen Messingkreuze wiederholen sich als „Füßchen“ am unteren Ende der Tischbeine. Obwohl der Altar verschiebbar bleibt, was den Bedingungen des Mehrzwecksaals entgegenkommt, ist damit eine sinnbildliche Unverrückbarkeit gegeben.

An der Vorderseite ist über eine einfache Konstruktion und einen Längsschlitz in der Tischplatte fahnenartig ein weißes Tuch eingehängt, sodaß auch auf Distanz der besondere Charakter der Mensa Domini deutlich wird. Ein nämliches Tuch ziert den Ort der Verkündigung, den Ambo, dessen fragile Konstruktion durch eine metallene Aussteifung, die auch als Ablage dient, stabilisiert wird. Die Auflage für die Heilige Schrift besteht aus einem pultartig zusammengefalteten Blech.

Die Session ist in ähnlicher Weise aus orthogonal gefügten Vierkantstäben gefertigt: der Sitz des Pfarrers geringfügig hervorgehoben durch die den Polster überragende Lehne, jene für die Ministranten als einfache Hocker in gleicher Höhe. Der Tabernakel ist als kubisches Holzkästchen in die weißmarmorne Altarwand eingelassen. Bei geöffneter Tür tritt das verdoppelte Ansichtsquadrat in Beziehung zur Proportion des Altartisches.

Mit konsequenten gestalterischen Maßnahmen gelingt es Walter Stelzhammer und seinem Mitarbeiter Adrian Ryser, den sakralen Charakter des Gebäudes und des Raumes sicherzustellen. Gewiß ist es eine eher dominikanisch kühle Ästhetik, die hier vorgegeben wird. Noble Bescheidenheit, gepaart mit angemessener Askese, bestimmen den Eindruck. Und doch scheint mir, daß an dieser Stelle, auf einer Restfläche zwischen den hohen Baublöcken in dem aufs neue erweiterten Wiener Stadtbrei, eine klare und zeichenhafte architektonische Ordnung richtig ist. Damit wurde ein inhaltliches Signal gesetzt.

Aus Erfahrung weiß man heute, daß das Einwohnen eines Neubauquartiers oft Jahrzehnte dauert. Mit dem Seelsorgezentrum St. Katharina von Siena wurde ein katalytisches Element zur Beschleunigung dieses Prozesses gesetzt und ein Ort für die erste gemeinschaftliche Weihnachtsfeier geschaffen, damit in dem Nebeneinander der Neueingezogenen erste gesellschaftliche Vernetzungen entstehen können.

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