Bauwerk

Standard Solar III
Gerhard Steixner - Kritzendorf (A) - 1997
Standard Solar III, Foto: Erwin Reichmann
Standard Solar III, Foto: Erwin Reichmann
Standard Solar III, Foto: Erwin Reichmann

Fester Rücken, gläserner Bauch

In der Nähe von Kritzendorf hat Gerhard Steixner für ein Musikerehepaar ein Solarhaus gebaut, das zeitgenössischen Wohnbedürfnissen entspricht. Obwohl es architektonisch überzeugt, gibt es noch ungelöste Probleme. Eines davon: die Schalldämmung.

17. Mai 1997 - Walter Zschokke
Vor drei Wochen wurde hier die geschlossene und verdichtete Bauweise hochgelobt, und jetzt steht wieder ein freistehendes Einfamilienhaus zur Debatte, wo doch die Zersiedelung hintangehalten werden sollte - woran soll man jetzt glauben? Die Glaubens- und Gewissensfreiheit entbindet auch in der Architektur vom Glauben-Müssen. Daß Glaubenskämpfe sich damit nicht erübrigt haben, weiß dennoch jeder Architekt.

Davon abgesehen gibt es Menschen, das heißt zugleich potentielle Bauherren oder Baufrauen, denen gilt die Wohnung mitten in der Stadt als das Richtige, andere schätzen den lockeren Verbund und die Nachbarschaft einer Reihenhaussiedlung, und wieder andere suchen die relative Ruhe und Abgeschiedenheit eines Einzelhauses auf ausreichend großem Grundstück.

Natürlich bestimmt der ökonomische Faktor das individuelle Glücksgefühl wesentlich mit - man schätzt oder gibt vor zu schätzen, was man sich leisten kann - , aber es gibt auch berufsbedingte Argumente. Nachdem die nachbarliche Toleranzbereitschaft in den vergangenen Jahrzehnten in akustischer Hinsicht eher abgenommen hat, kann es sich für ein Musikerpaar als sinnvoll erweisen, die Wohnung aus der Stadt heraus in ein Einzelhaus zu verlegen.

Nach dem Haus in Weerberg, Tirol, das Margarethe Heubacher-Sentobe für einen Komponisten plante, stoßen wir erneut auf Musiker als Auftraggebende; sie ist Flötistin, er komponiert und dirigiert. Bemerkenswerterweise haben sich auch hier zeitgenössische Musikschaffende für eine dezidiert heutige Architektur entschieden.

Ihr neues Haus steht relativ weit oben auf einem locker mit Bäumen bestandenen Hang, der nach Süden zu einem bewaldeten Tal abfällt und nach Osten flach geneigt ist. Aus dem Mittelgrund blinkt der Spiegel der Donau herauf, dahinter weitet sich das Hügelmeer des Weinviertels. In der Nachbarschaft finden sich weitere Einzelhäuser, die aber großteils hinter Laubkronen verschwinden. Von dem vorbeiführenden Sträßchen etwas abgerückt, sitzt das Haus hart an der oberen Grundstücksgrenze. Ein Gartenweg führt vom Autoabstellplatz zum Haus hinauf, das über einen kurzen Steg von Norden her betreten werden kann.

Konzeptionell gesehen setzt sich das Haus aus einem massiven, die Stiege und Serviceräume enthaltenden Teil, der wie ein breiter Rücken die Nordseite deckt, und dem leichtgebauten, luftigen Hauptbau zusammen, der unter einem ausladenden flachen Dachschirm die Wohnräume umfaßt.

Das Gebäude ist als passives Solarhaus entworfen: Durch ein großes, schräggestelltes Dachfenster strahlt die Sonne auf die Nordwand hinter dem Stiegenhaus, die als Kollektor und Speicher wirkt. Dunkle Porphyrplatten sind mit handwerklicher Sorgfalt und entsprechendem Formgefühl in freiem Muster auf den Stahlbetonkern aufgebracht.

Der Fußboden des Wohnraums aus schwarzen Schieferplatten bildet die zweite Kollektorfläche, die im Winter von der tiefstehenden Sonne angestrahlt wird und ebenfalls die Wärme speichert. Im Sommer behindert der Schatten des auskragenden Daches ein Aufheizen. Eine locker beastete Kiefer vor der Südfassade legt zudem einen partiell willkommenen Schattenschleier auf den umlaufenden Balkon.

Die genannten Maßnahmen unterstützen den Wärmehaushalt, doch gehört das Gebäude laut Aussage des Architekten nicht zu den Spitzenreitern unter den Minimalverbrauchern. Gerhard Steixner ist Rainer-Schüler und ein konsequenter Moderner, der offene Grundrisse und große Glasflächen bevorzugt.

Die Konzeption des Hauses mit dem massiven Rücken, einem weitgehend verglasten „Bauch“ und einem an drei Seiten vorgelagerten Mantel aus gedeckten Außenwohnflächen unterstützt die moderne Wohnauffassung. Im Osten kragt ein Frühstücksbalkon über den Garten aus, und im Westen schließt ein Sitzplatz an das Wohnzimmer an, sodaß ein differenziertes und intensives Außenwohnen möglich wird. - Der zwei Geschoße hohe Wohnraum geht nahtlos in den niedrigen Wohnküchenbereich über, nach hinten, zur Stiege ist der Raum offen, und das Schlafzimmer sitzt wie ein Schwalbennest über der Wohnküche, vom Luftraum über der Sitzgruppe nur durch eine Glasscheibe getrennt. Die großen Glasflächen sind alle fix eingesetzt; zum Hinausgehen und zum Lüften dienen ein paar türgroße Fensterflügel, die sich nach außen öffnen - bei Winddruck sind sie selbstdichtend.

Da im vorderen Bereich keine massiven Teile raumbildend wirken, geben zwei kastenartige Elemente seitlich etwas räumliche Fassung. Sie enthalten Regale für Bücher sowie Küchenutensilien und Vorräte und stehen gegen außen wie Rucksäcke über die gläserne Trennschicht vor.

Im Untergeschoß, das hangseitig frei steht, befinden sich ein weiteres Zimmer und zwei Kabinette. Als besonderer Raum liegt an der Nordwestecke ein Atelier mit einer eingehängten Ruhegalerie. Dieser Raum ist stark definiert. Sein Volumen steht nach Norden und nach Westen über das Profil des Hauses hinaus. Die beiden gegeneinander gestellten Winkel aus Stahlbeton lassen nach Süden und nach Osten je eine schmale hohe Fensteröffnung zu, je nach Sonnenstand belebt das Streiflicht die schalungsrohen Wände.

Zwei Problemkomplexe, an denen der Architekt noch arbeitet, beschäftigen auch die Bewohner: die luftige Treppe und die Schalldämmung. Die Moderne strebt möglichst schlanke, ja visuell äußerst wagemutige Konstruktionen an. Diesem Bedürfnis können Geländer störend entgegenstehen. Für Erwachsene mit intaktem Gleichgewichtssinn ist der Verzicht auf Geländer selten ein Problem. Bei Kleinkindern kann dies jedoch zu Unfällen und nachfolgenden Haftungsproblemen führen. - Nun ist das Selbstverständnis bezüglich Sicherheit kulturell unterschiedlich. Im Mittelmeerraum ist das Bedürfnis nach Handläufen allgemein geringer, und auch die Zwei- bis Viertausender der Alpen haben nur selten Geländer. Als planender Architekt habe ich bei einem Haus im Nordtessin an den steinernen Außentreppen - wie dort seit alters üblich und daher auch nicht gesetzlich vorgeschrieben - auf Geländer verzichtet. Die Menschen, auch die ganz jungen, waren anfangs vorsichtiger, haben sich aber alle daran gewöhnt.

Der ostösterreichische Kulturraum kennt ein deutlich höheres Bedürfnis an struktureller Sicherheit - zuweilen grenzt es an Bevormundung - , das aber individuell nur schwer unterlaufen werden kann. Der Widerspruch zu den modernen Maximen ist daher gestalterisch zu bewältigen, und Gerhard Steixner wird uns die Lösung nicht schuldig bleiben.

Der andere Aspekt, die Schalldämmung, die bei gleichzeitiger Praxis am Instrument und Arbeit des Komponierens zu Konflikten führt, weil sie den Anforderungen noch nicht genügt, scheint aus meiner Sicht zumindest teilweise weniger technischer als grundrißtypologischer Natur zu sein. Die Rolle der selbständig berufstätigen Frau drückt sich in den Wohnhausgrundrissen noch nicht aus. Als Hausfrau regierte sie bis vor wenigen Jahren über die - meist abgetrennte - Küche und tagsüber über das Wohnzimmer. Das war ihr Bereich, in dem sie die Linie vorgab. Für ein eigenes Büro, ein Studio oder Atelier wurde das Bedürfnis nur ausnahmsweise formuliert, man vergleiche dazu Virginia Woolfs „A Room of One's Own“.

Die Trennung in ein „Zimmer des Herrn“ und ein gleichwertiges „Zimmer der Dame“, die wir aus Grundrissen großbürgerlicher Villen des 19. Jahrhunderts herauslesen können, hat sich nicht in das mittelständische Einfamilienhaus hinübergerettet.

Konkret: Die Flötistin hat keinen eigenen schallgedämmten Übungsraum, und die bislang getroffenen Schutzmaßnahmen für das Studio des Komponisten reichen nicht aus. An Hand des Grundrisses waren noch alle überzeugt, daß es funktionieren würde, die Praxis hat sie eines Besseren belehrt.

Man wird als Architekt im Hinblick auf die fortschreitende Gleichstellung selbständig berufstätiger Lebenspartner neue Grundrißtypologien entwickeln müssen und für das „Zimmer der Dame“ nach angemessenen zeitgenössischen Interpretationen suchen müssen. Damit wird das Haus etwas größer und kostet natürlich entsprechend mehr.

Die Herausbildung eines jeweils individuellen Bereichs dürfte sich auch in der Struktur und im Erschließungssystem bemerkbar machen. An architektenhandwerklichen und innovatorischen Aufgaben fehlt es jedenfalls in dieser Hinsicht für die Zukunft nicht.

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