nextroom.at

Selten erlebt man eine Riege hochkarätiger Architektur- und Denkmalschutzexperten in kollektiver Euphorie. Am 13.04.2008 wurde diese Ehre der seit einiger Zeit im Dornröschenschlaf befindlichen Villa Beer von Josef Frank in Wien Hietzing zuteil. Eine Reihe internationaler Fachleute hatte im Rahmen eines vom Architekturzentrum Wien gemeinsam mit dem Bundesdenkmalamt veranstalteten Symposiums zur Sanierung der Vorkriegs-Moderne die seltene Gelegenheit, dem Hauptwerk Josef Franks einen Besuch abzustatten. Löst bereits der Außenbau bei jedem Architekturkenner Begeisterung aus, so erst recht das Raumkonzept und das großzügige „Innenleben“ des Hauses. Denn was hier im Originalzustand erhalten blieb (Wandverbauten, bewegliches Mobiliar, Lampen, Armaturen – ja sogar Heizungen und Kamine) kann auch versierte Experten, die tagtäglich den Umgang mit Denkmälern der Moderne pflegen, noch überraschen. Doch scheint dieses in seiner Vollständigkeit einzigartige Zeugnis einer gleichermaßen eleganten wie undogmatischen Wiener Moderne – für eine kulturelle Nutzung geradezu prädestiniert - in Privatbesitz zu bleiben, womit der Zutritt zu einem der faszinierendsten Beispiele österreichischer Wohnkultur einer interessierten Öffentlichkeit auch weiterhin verwehrt bleibt.

Nicht verwehrt bleibt dem geneigten Leser jedoch eine kompakte Zusammenstellung der wichtigsten Vorträge des genannten Symposiums, das wenige Tage später, am 16.04.2008, in einer von der BIG (Bundesimmobiliengesellschaft) organisierten Veranstaltung zur Sanierung der Nachkriegs-Moderne seine logische thematische Fortsetzung fand. Dabei wurde deutlich, wie sehr schon kleine, unbedacht gesetzte Maßnahmen wie Fensteraustausch, Dämmung und Bemalung die Stimmigkeit eines Bauwerks empfindlich verletzten können. Während Bruno Reichlin in seinen grundsätzlichen Überlegungen zur Erhaltung des architektonischen Erbes für eine Denkmalpflege als zutiefst schöpferische Disziplin plädiert, erläutert Berthold Burckhardt anhand ausgewählter Beispiele der Wüstenrot-Stiftung, welche Probleme bei Sanierungen von Bauten der Moderne im konkreten Einzelfall auftreten können. Bruno Maldoner entführt uns in die Farbenwelt von Adolf Loos und erinnert daran, dass die sogenannte „weiße Moderne“ so weiß gar nicht war. Ergänzt wird unser Themenschwerpunkt Schadensbilder durch ein Interview mit Adolf Krischanitz, der seine Erfahrung im Umgang mit sanierungsbedürftiger Bausubstanz auch in die Adaptierung und Erweiterung des 20er Hauses von Karl Schwanzer einbringen kann.

Kursorische Betrachtungen zum Thema Patina in der zeitgenössischen Architektur deuten schließlich an, dass man sich mit den Spuren von Vergänglichkeit nicht nur zwangsläufig herumschlagen muss, sondern dass diese – Stichwort Wunschpatina – auch künstlich herbeigeführt werden können.

Der aufstrebenden Architekturszene in den Ländern Südosteuropas widmet das Az W eine neue Veranstaltungsreihe mit dem Titel „Balkanproduction“, im Zuge deren engagierte, etablierte sowie aufstrebende Architekturbüros konkreten Einblick in die Architekturszene des Balkans geben. Zur facettenreichen Auftaktveranstaltung, die am 23.01.2008 im Az W mit Rok Oman (Ofis Arhitekti, Slowenien), Helena Paver Njiric (Kroatien) und Dorin Stefan (Rumänien) stattfand, bieten wir im Journalteil dieses Heftes eine ausführliche Nachlese. Nachlesenswert sind auch die erfrischenden Betrachtungen unserer sonntags-Gäste, die sich anlässlich der Jubiläumsfeier der 200. sonntags-Exkursion am 12.03.2008 zu pointierten Impuls-Statements hinreißen ließen. Dabei wurde nicht nur über die höchst notwendige Erfindung des Sonntags sinniert, sondern u.a. auch über Kutschen, „gute Lagen“, über die Kulturtechnik des Flanierens sowie über Marmor und Schokolade gesprochen. Kurzweilige Lektüre ist also garantiert, aber Vorsicht: Ein „Schuss aus der Tuchent“ könnte auch Sie jederzeit treffen ...

Gabriele Kaiser, Sonja Pisarik

04 Vorwort

Thema Schadensbilder

07 Bruno Reichlin: Überlegungen zur Erhaltung des architektonischen Erbes
15 Berthold Burkhardt: Denkmalprogramm Moderne - Wüstenrotstiftung
23 Bruno Maldoner: Neue Erkenntnisse zur Farbgestaltung des Hauses Moller von Adolf Loos
31 Walter Prause: Bauphysikalische Themen und Lösungen bei der Sanierung von Bauwerken aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
39 „Ich muss nicht unbedingt zum Dauersanierer werden“ - Sonja Pisarik im Gespräch mit Adolf Krischanitz
53 Gabriele Kaiser: Vergänglichkeit als Kulisse. Architektur und Pseudopatina

Az W Journal

58 Ylva Haberlandt: Avantgarde von morgen? Balkanproduction 01 mit Rok Oman, Ofis arhitekti (Slowenien); Helena Paver Njiric (Kroatien), Dorin Stefan (Rumänien)
66 Monika Platzer: Die Architektenhandschrift. Zwei Skizzen von Johannes Spalt zum Haus Draxler in Nussdorf am Attersee
68 Gabriele Kaiser, Ute Waditschatka: „Heilige Zeiten“ und „1938“
72 sonntags 200 – das Fest
Marion Kuzmany: 200 besondere sonntage
Brigitte Redl-Manhartsberger: Die Erfindung des sonntags
Friedrich Achleitner: Schuss aus der Tuchent
Otto Kapfinger: Vor Ort - gute Lage, etymologische Mikrostudie
August Sarnitz: Marmor und Schokolade
Oliver Schürer: Mixed Reality: tanz die Atmosphäre!
Christa Veigl: sonntags fährt nicht mit der Kutsche
Henrieta Moravčíková: Da und drüben - Alles für Architektur
Elke Krasny: Ongoing
91 „Abend der Sammlung“
92 Dietmar Steiner: Sanierung der Moderne 2

94 Kurzbios Autorinnen und Autoren
95 Team Az W
96 Mitglieder Architecture Lounge, xlarge Partner

Artikel

30. Juni 2008 Berthold Burkhardt
Hintergrund

Denkmalprogramm Moderne[1]

Wüstenrot Stiftung

Das Denkmal des 20. Jahrhunderts prägt sich als Gebäude oder als Siedlung erst langsam in das heutige Denkmalbewusstsein der Gesellschaft und Fachwelt ein. Nicht so sehr das relativ geringe Alter von Bauten der klassischen Moderne oder gar der Nachkriegszeit mag die Ursache sein, sondern eher, dass wir den Begriff „Moderne“ oder „modern“ für unsere heutige Bauten wie auch für unsere Gesellschaftsstruktur in Anspruch nehmen und benutzen. Darüber hinaus kamen aus der klassischen Moderne wesentliche Impulse, durch die im 20. Jahrhundert innovative Entwicklungen von der Industrialisierung bis hin zu Sozialstrukturen initiiert wurden, die – wenn auch mit Brüchen – bis heute fortbestehen. Die Bauten der klassischen Moderne werden auch heute noch, nicht nur formal, als modern verstanden.

Der Wüstenrot Stiftung[2] in Ludwigsburg kommt das besondere Verdienst zu, ein Denkmalprogramm aufgelegt zu haben, in dem während der letzten zehn Jahre die Instandsetzung von Bauten der Moderne einen besonderen Schwerpunkt bildeten.

Sie unterstützt die Instandsetzung des Denkmals nicht nur finanziell, sondern übernimmt für die Bauzeit operativ das Handling und die notwendigen Entscheidungen als Bauherrin. Dazu zählt die Auswahl und Beauftragung eines Teams, in dem, je nach den Anforderungen, Architekten und Fachingenieure, Restauratoren und Bauklimatiker zusammenwirken. Ein ebenfalls von der Stiftung bestellter wissenschaftlicher Beirat[3] begleitet alle Planungsschritte und Ausführungsmaßnahmen.

Eingehende Voruntersuchungen vor Baubeginn, die alle bautechnischen Aspekte bis hin zur Nutzungsgeschichte umfassen, begünstigen nicht nur eine durchdachte und begründete denkmalpflegerische Zielsetzung und Sanierungsplanung, sondern ermöglichen auch eine weitgehende Kostensicherheit für die Investition zur Instandsetzung.

Denkmalpflege von Bauten der Moderne – ob aus der Zeit der Weimarer Republik, der Nachkriegszeit oder der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – erfordert im Prinzip methodisch keine andere Vorgehensweise zur Erforschung, zur Instandsetzung und zur Erhaltung als von Bauten aus anderen Epochen. Methoden und Bewertungsverfahren im Umgang mit Denkmälern sind weitestgehend unabhängig vom Alter, dem Standort oder gar der formalen Gestalt eines Gebäudes. Der Kenntnis des jeweiligen Standes der Technik kommt jedoch eine entscheidende Rolle zu. Kaum eine Phase in der Baugeschichte hat in kürzester Zeit derart viele technische Innovationen aufgenommen wie die klassische Moderne, sie war geradezu idealer Partner der im 19. Jahrhundert beginnenden Industrialisierung im Bauwesen.

Kenntnisse der bauzeitlich angewandten Technik von der Baukonstruktion und ihren Materialien, über die bauphysikalischen Eigenschaften bis hin zur Haustechnik und der Bauklimatik sind Voraussetzungen, um entstandene Schäden und Schadensbilder insgesamt zu beurteilen – nicht zuletzt, um richtige bzw. verträgliche Instandsetzungen zu entwickeln und anzuwenden.

Schadensbilder weisen auf unterschiedliche Schadensursachen hin, die es im Einzelnen zu erklären und zu differenzieren gilt:

Endliche Lebensdauer von Bauten, Bauteilen und technischen Einrichtungen[4]
Materialermüdung und Verschleiß
Zerstörungen
Falsche Reparaturen
Experimente und Versuchsbauten
Planungs- und Ausführungsfehler
Mangelnde Pflege und Wartung

An den von der Wüstenrot Stiftung und ihren Fachleuten instand gesetzten Bauten lassen sich die genannten Schadensarten und ihr Umgang bei den Reparaturen praxisnah aufzeigen. Die ausführlichen Berichte der Beteiligten sind in einer Publikationsreihe der Wüstenrot Stiftung veröffentlicht und dienen beispielhaft bei ähnlichen Aufgaben.[5]

Tragwerk und Gebäudehülle

Monolithischer Stahlbeton, Eisen- und Stahlskelette waren die neuen Bausysteme und Materialien für die Tragwerke in Verbindung mit traditionellem Mauerwerk seit dem Ende des 19. Jahrhunderts.
Man geht davon aus, dass Erich Mendelsohn den 1921/22 erbauten Einsteinturm in Potsdam (Bild 1) in einer frei geformten monolithischen Stahlbetonbauweise errichten wollte. Offensichtlich ist dies nur teilweise gelungen, wir finden als Konstruktion von Tragwerk und Gebäudehülle einen Wechsel von Stahlbeton und Mauerwerk in unterschiedlichen Wandstärken. Der Außenputz war nicht in der Lage, die Risse aus den diskontinuierlichen thermischen Spannungen zu überbrücken. Diese Schäden sind auch nach der Sanierung im Jahre 1999 trotz genauer Schadensanalyse und dem Einsatz modifizierter Sanierungsverfahren nicht gänzlich behoben. Es gibt erhaltenswerte Bauten, die während ihrer gesamten Standzeit Patienten bleiben. Pflegepläne helfen den Nutzern nach der Instandsetzungsmaßnahme.

Otto Haesler, Walter Gropius, Mies van der Rohe, Hans Scharoun und andere Architekten der Moderne bevorzugten für die Tragwerke ihrer Bauten Eisenskelettkonstruktionen in Verbindung mit vorgefertigten Steineisendecken. Die Skelettbauten konnten auch mit gebogenen Trägern hergestellt und in kurzer Zeit mit einem Minimum an Gerüsten montiert werden.

Beim Arbeitsamt[6] von Walter Gropius in Dessau (Bild 2 und 3) und auch beim Haus Schminke in Löbau von Hans Scharoun wurde die Eisenkonstruktion ummauert, verputzt oder mit Sichtmauerwerk verkleidet. Dringt über längere Zeit durch Außenwände oder undichte Dächer Feuchtigkeit ein, werden die Eisenteile trotz bauzeitlichen Anstrichen mit Mennige zum Schadensfall. Totalsanierungen können Totalverlust bedeuten. Teilsanierung oder Sanierungen über eine längere Zeit bedürfen der Einvernehmlichkeit zwischen Bauherrn, Planern, Handwerkern und der Denkmalpflege.

Oberflächen und Farbe

Die klassische Moderne wird häufig auch als die „weiße Moderne“ bezeichnet. Einerseits prägte die zeitgenössische Schwarz-Weiß-Fotografie das Erkennungsbild, andererseits ist ein Verlust der Farbigkeit durch Nachnutzungen im Laufe der Zeit eingetreten. Wie intensive Befunduntersuchungen von Restauratoren inzwischen belegen, waren zwar die Außenhüllen überwiegend weiß verputzt, zeigte sich das Innere vieler Gebäude jedoch in einer überraschend intensiven Farbigkeit von Wänden, Türen und Einbaumöbeln. Liegen die Befunde der Restauratoren vor, lässt sich an eine Wiederherstellung denken. Eine Freilegung und Restaurierung der Farbschichten unter meist zahlreichen späteren Anstrichen oder Tapeten ist nicht zuletzt auch unter ökonomischen Aspekten kaum zu leisten. Der Schutz der bauzeitlichen Schichten durch eine reversible feine Makulatur kann zu guten Ergebnissen führen, zumal bei einigen Herstellern Farben und andere Materialien zur Restaurierung erhältlich sind.

Wie bei Denkmälern anderer Epochen ist hier zunächst eine denkmalpflegerische Entscheidung für eine bestimmte Zeitschicht zu treffen, die nicht zwangsläufig die Erstfassung sein muss. Eine Wiederherstellung der Farbigkeit eines Raumes sollte jedoch nur erfolgen, wenn Material und Farbigkeit – auch der Decken und Böden – bestimmt sind. Nur dann kann ein Raumeindruck vermittelt werden, der den Intentionen der Architekten oder früheren Nutzern entspricht. Mangels ausreichender Befundlage zeigt sich das instand gesetzte Haus Schminke (Bild 4) heute in einer durchgängig einheitlich hellen (neutralen) Fassung, in den Meisterhäusern Muche/Schlemmer von Gropius (Bild 5 und 6) in Dessau und dem Doppelhaus von Le Corbusier (Bild 7) in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung konnte einzelnen Räumen und sogar Raumfolgen ihre Farbigkeit wieder zurückgegeben werden.

Folgt man dem Grundsatz, möglichst viel originale Bausubstanz zu erhalten, trifft dies auch auf konstruktive Elemente, wie z.B. Traufbleche oder den Außenputz zu. Erneuerung ist bei Verschleiß unumgänglich, unverträgliche Altputze aus früheren Reparaturen müssen ersetzt werden, nicht jedoch die gesamte noch intakte Außenhaut.

Haustechnik und Bauklimatik

Es ist leider zu beklagen, dass technische Geräte wie Heizanlagen, Sanitär- und Elektroinstallationen auch bei jüngeren Denkmälern häufig vollständig verloren gehen. Einerseits wird dem Denkmalwert dieser technischen Zeitzeugen zu wenig Bedeutung zugemessen, anderseits sind die tatsächliche Lebensdauer und vor allem ihre sicherheitstechnische Zulassung längst überschritten. Schaden nimmt aber ein Gebäude besonders dann, wenn im Zuge einer Umnutzung auf modernste Medien-, Elektro- oder Klimatechnik umgerüstet wird. Ein besonders schwieriger Fall war das zum Straßenverkehrsamt umgenutzte ehemalige Arbeitsamt von Walter Gropius mit vielen neuen Leitungen bei Oberflächen im Inneren aus Terrazzo, Glas und Fliesen.
Das Verlegen der neuen Leitungen im Shedbereich und unter aufgedoppelten Fußböden schien eine geeignete Lösung auf Zeit.

Um ein Gebäude bezüglich der Haustechnik, vor allem der Heizung und Lüftung oder auch des energetischen Verhaltens zu beurteilen, greift eine bauphysikalische Untersuchung der baukonstruktiven Elemente in der Regel zu kurz. Eine ganzheitliche Erfassung des bauklimatischen Verhaltens des Gebäudes ist vonnöten. Lässt sich häufig die Wärmedämmung der Dächer verbessern, haben Wärmeschutzmaßnahmen der Außenwände vor allem bei den Fenstern mit Einfachverglasung entscheidenden Einfluss auf das physikalische Gesamtgefüge. Hinzu kommt die optische Veränderung bis Verunstaltung der baulichen Dimensionen bis ins Detail. Zwar lassen sich in Einzelfällen in die vorhandenen Fensterprofile sehr schmale Doppelverglasungen einsetzen, die Beseitigung der sogenannten „Schwachstelle“ Fenster mit Einfachverglasung verschiebt den Wärme- und Feuchtigkeitsdurchgang in das angrenzende Mauerwerk mit innenliegender Stahlkonstruktion. Irreparable Schäden können die Folge sein.

Durch die Wüstenrot-Projekte im Denkmalprogramm Moderne konnten viele Erfahrungen gesammelt werden, die nicht nur denkmalpflegerisch anerkannte, sondern auch technisch qualifizierte Instandsetzungen ermöglichten. Dieser Erfahrungsschatz lässt sich auf die Sanierung von Bauten der Nachkriegszeit erfolgreich übertragen. Die Instandsetzungen der Geschwister-Scholl-Schule in Lünen von Hans Scharoun (Baujahr 1951) und des Kanzlerbungalows von Sep Ruf in Bonn (Baujahr 1964) sind Projekte, die das Denkmalprogramm der Stiftung beispielhaft fortsetzen.

Anmerkungen
[1] Kurzfassung des Vortrags im Rahmen des Symposiums „Schadensbilder – Sanierung der Moderne“ des Az W am 12.04.2008
[2] Die Wüstenrot Stiftung mit Sitz in Ludwigsburg (Geschäftsführer Georg Adlbert) verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke in Wissenschaft und Forschung, Lehre, Bildung und Erziehung, Kunst und Kultur und Wiederherstellung von Denkmälern.
[3] Der wissenschaftliche Beirat besteht aus den Professoren August Gebeßler, Stuttgart, Norbert Huse, München und Berthold Burkhardt, Braunschweig.
[4] Dass die Bauten der Moderne auf Zeit geplant gewesen sein sollen, ist ein leider immer wieder geäußerter Irrtum. Niemand wäre in den 20er Jahren in einer Zeit der großen Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit auf den Gedanken gekommen, Häuser mit Verfallsdatum zu bauen. Schnell und kostengünstig zu bauen war im Wohnungsbau ebenso wichtig wie die funktionalen, gesellschaftlichen und architektonischen Leitlinien.
[5] Instandsetzung des Einsteinturms (Erich Mendelsohn) und der Villa Schminke (Hans Scharoun) durch die Architekten Werkstatt für Denkmalpflege Pitz Hoh, Berlin
Instandsetzung der Meisterhäuser Muche/Schlemmer durch das Architekturbüro Brenne, Berlin
Instandsetzung des Doppelhauses auf der Weissenhofsiedlung (Le Corbusier) durch das Büro Architektur 109, Stuttgart
Instandsetzung des ehem. Arbeitsamtes (Walter Gropius) und des Kanzlerbungalows in Bonn (Sep Ruf) durch das Architekturbüro Burkhardt Schumacher, Braunschweig
[6] Die Instandsetzung und Umnutzung des ehemaligen Arbeitsamtes von Walter Gropius war kein Projekt der Wüstenrot Stiftung. Bauherr war die Stadt Dessau. Das Vorhaben kann durchaus als Nachweis gelten, dass solche anspruchsvollen Sanierungen ohne private Stiftungsmittel und vor allem nach den Vorschriften der öffentlichen Hand gelingen können, wendet man die erprobte Vorgehensweise der Stiftung an.

Literatur zu den genannten Projekten
Instandsetzung der Moderne, Schriften der Wüstenrot Stiftung im Karl Krämer Verlag Stuttgart:

Norbert Huse: Erich Mendelsohn, der Einsteinturm, Stuttgart 1999
Berthold Burkhardt: Scharoun, Haus Schminke, Stuttgart 2002
August Gebeßler: Walter Gropius, das Meisterhaus Muche Schlemmer, Stuttgart 2003
Georg Adlbert: Le Corbusier, das Doppelhaus der Weissenhofsiedlung, Stuttgart 2006

[Berthold Burkhardt, Christine Weber: Das Arbeitsamt von Walter Gropius in Dessau
In: Stadt Dessau Stadtarchiv (hrsg.) Dessauer Kalender 2000, 44. Jahrg., Dessau 2000]

30. Juni 2008 Bruno Maldoner
Hintergrund

Neue Erkenntnisse zur Farbgestaltung des Hauses Moller von Adolf Loos

Die Entdeckung bunter Fassaden in der Wiener Werkbundsiedlung vor etwa 30 Jahren erregte große Verwunderung. Damals, bei der von Adolf Krischanitz und Otto Kapfinger geleiteten Instandsetzung der Siedlung, wurde das Auftauchen unterschiedlicher Farbtöne an den Fronten der Häuser bei der Auswertung von Proben bestaunt. Wobei hier ja die Beschreibung von Josef Frank vorlag, der 1932 davon gesprochen hatte, dass die Häuser durch ihre Farbigkeit individualisiert wurden. Krischanitz- Kapfinger gingen damals einen neuen Weg, indem sie sich am Original orientierten und die Färbelung auf Basis der analysierten Proben durchführten.

Was die Bedeutung von Farben in der Architektur des 20. Jahrhunderts angeht, ist auch an Bruno Taut zu erinnern, der 1919 den Slogan formuliert hatte: „Farbe ist Lebensfreude“. Doch hatte nicht die Schwarz-Weiß-Fotografie die Sehgewohnheiten eingeengt? Und hatte man sich dadurch an die Schwarz-Weiß-Reproduktionen bereits gewöhnt? Eine mögliche Antwort auf diese Frage mag eine Erzählung von Roland Schachel während der Arbeiten an der Monographie über das architektonische Werk von Adolf Loos um 1980 illustrieren. Die wesentliche Aussage der Erinnerung bestand darin, dass jemand ein kluges Buch geschrieben hatte zur Verteilung von Schwarz-Weiß-Oberflächen im Werk von Adolf Loos. Dieser Autor hatte sich vermutlich bei seinen Forschungen auf die Betrachtung von diversen Schwarz-Weiß-Fotos beschränkt. So haben wir mit der Schwarz-Weiß-Wahrnehmung auch ein interessantes Kapitel der Rezeptionsgeschichte vor uns. Faktum ist, dass Loos’ manchmal sehr bunte Interieurs in Zeitschriften und gängigen Büchern, der Zeit entsprechend, in Schwarz-Weiß publiziert wurden und dass die Originale nur schwer oder gar nicht mehr erreichbar waren, da viele seiner Werke nach seinem Tod binnen kurzer Zeit zerstört wurden. Auch die von ihm geschaffenen Geschäfte und Lokale schlossen in den Jahren um den Zweiten Weltkrieg. Weitere Originale, welche diese Zeit überstanden hatten, wurden nach dem Zweiten Weltkrieg gravierend verändert, wie etwa das Looshaus am Michaelerplatz und das Haus Steiner in der St. Veit-Gasse in Wien-Hietzing. Noch ein weiterer Aspekt verdient Berücksichtigung: Nach einer Beobachtung von Burkhardt Rukschcio verzichteten Architekturredakteure in Publikationen weitgehend auf die detaillierte Beschreibung von Farbmaterialien und Farbtönen, weil sie den räumlich-plastischen Mitteln mehr Aufmerksamkeit als der Farbgestaltung widmeten und Farbigkeit oft als nachrangig ansahen. Man hatte zu lange das Gestaltungsmittel Farbe übersehen. Man braucht nur daran zu erinnern, dass im 19. Jahrhundert das Material und dessen Freilegung ein großes Thema waren und dieser Purismus vermutlich auch noch eine Rolle in der Wahrnehmung des 20. Jahrhunderts spielt.

Bei der Betrachtung der Farben sind nach Johannes Itten, Lehrer am Bauhaus, folgende Effekte zu beachten:
1. Der „Farbe-an-sich-Kontrast“: Dieser bezieht sich auf reine Farben in bunter Zusammenstellung, wobei Weiß und Schwarz die lebhafte Wirkung steigern.
2. Der „Hell-Dunkel-Kontrast“: Hier werden die unterschiedlichen Helligkeiten und Tonwerte der Farben angewandt.
3. Der „Kalt-Warm-Kontrast“.
4. Der „Komplementär-Kontrast“: Komplementäre Farben steigern sich gegenseitig zu höchster Leuchtkraft.
5. Der „Simultan-Kontrast“: Jede Farbe erzeugt physiologisch die Gegenfarbe. Ist diese nicht vorhanden, dann erzeugt das Auge simultan die Gegenfarbe.
6. Der „Qualitäts-Kontrast“ besteht im Gegensatz von leuchtenden und stumpfen Farben. Die Trübung kann durch Schwarz, Weiß, Grau oder komplementäre Farben erreicht werden.
7. Der „Quantitäts-Kontrast“ beruht auf der Gegenüberstellung verschieden großer Farbflächen.

Die Farbgestaltung von Loos ist erst seit jüngerer Zeit ein Thema der Forschung. Burkhardt Rukschcio referierte über seine Einsichten bei der Instandsetzung von einigen Häusern dieses Architekten 2000 bei einer DOCOMOMO-Tagung. Im hier dargestellten Fall des Hauses Moller zog sich die Arbeit über eineinhalb Jahrzehnte hin. Im Winter 1993/94 gab es kurzfristig die Möglichkeit, in diesem Spätwerk von Adolf Loos einige Farbuntersuchungen an Oberflächen markanter Teile des Interieurs durchzuführen, da gleichzeitig Instandsetzungen vorgenommen wurden. Bevor der Anstreicher seinen Pinsel schwingen konnte, fand die Beprobung statt.

Zur Baugeschichte des Hauses Moller

Das Haus entstand 1927–1928. Die Planung begann nach Rukschcio/Schachel im Frühjahr 1927. Adolf Loos dürfte sich im Herbst 1927 in Wien aufgehalten haben, denn „dieses kleine Haus eines Musikfreundes und Anhängers Schönbergs, in dessen Mitte ein Hauptraum als Musiksalon gebaut werden soll“ war nach den zitierten Angaben in einer Wiener Zeitung seit längerer Zeit wieder eine Arbeit von Loos in Wien. Die Einreichpläne für das Haus tragen das Datum „Wien, August 1927“ und auch den Namen des Planverfassers, nämlich „Architekt: Adolf Loos“. Weiters findet sich ein Stempel mit Unterschrift von „Architekt Carl Fleischer Stadtbaumeister gerichtlich beeideter Schätzmeister und Sachverständiger Wien XIX Barawitzkagasse 8. Tel. 14-0-82“ und die Unterschrift des Bauherrn Hans Moller. Nach den Angaben in Rukschcio/Schachel fertigte Loos die Zeichnungen in Paris an. Die Baugenehmigung erging am 30.11.1927. Nach einem Planwechsel kam die Benützungsbewilligung zu Weihnachten 1928. Den im Oktober 1927 begonnenen Bau leitete Jaques Groag. Er erhielt dafür 35 Prozent des Gesamthonorars.

Denkmalschutz

Das im Werk von Loos zwar späte, aber an Deutlichkeit des Konzepts kaum überbietbare Haus wurde mit Bescheid bereits 1949, also etwa zwei Jahrzehnte nach seiner Errichtung, unter Denkmalschutz gestellt. Hier bewies das Bundesdenkmalamt, wie bei einigen anderen Objekten, dass es bei Zimelien der Baukunst, wozu wir dieses Haus mit Fug und Recht zählen dürfen, durchaus vorausschauend zu agieren in der Lage war.

Baubeschreibung

Die durch den Baukörper verbaute Fläche beträgt ca. 11 x 13 m. Die Außenmauern sind als tragende Wände ausgebildet, daher bilden sie mit der zentralen Rauchfanggruppe die einzigen Fixpunkte für die Raumgestaltung. Der Baukörper ist ein Kubus mit gartenseitig dem Hochparterre vorgelagerter Terrasse. Die Straßenfront über Bruchsteinsockel ist markant durch den vorspringenden Erker im Hochparterre und die darüber angeordnete seichte Nische gestaltet. Die Fronten sind relativ rau verputzt. Das Haus ist zum Teil unterkellert.

Im Eingangsgeschoß sind neben dem Zugang verschiedene dienende Räume untergebracht. Vom zentral gelegenen Eingang gelangt man über einen kleinen Vorraum und sechs Stufen zur Kleiderablage, darauf folgen weitere 10 Stufen bis zur kleinen Halle. Nachdem der Besucher einen Weg mit mehreren Kehren zurückgelegt hat, erreicht er die Halle im Hochparterre. Wenn er sich nun im rechten Winkel nach links dreht, fällt sein Blick auf die Sitznische im straßenseitigen Erker. Dreht er sich nach rechts, blickt er in den Musiksalon mit erhöhtem Speiseraum. Die Türe zum Musiksalon ist als Schiebetüre ausgebildet. Die Wände des Musiksalons bestehen aus Okumésperrholz, sein Boden ist mit Parketten aus Makassar belegt. Die Pfeiler des Speisezimmers sind mit Travertin verkleidet, die Felder dazwischen bestehen aus Okumé.

Über eine durch einen Raumteiler aus Stehern mit waagechten runden Stangen abgeteilte und einmal gewendelte Stiege erreicht man das Niveau des 1. Stockes. Hier erschließt ein durchlaufender Gang die Zimmer und das Bad. Die Wände sind als Schrankwände ausgebildet. Eine enge Wendeltreppe führt ins Dachgeschoß, das ein weiteres Zimmer und ein Atelier enthält. Vom Vorraum führt die Türe auf die große Dachterrasse.

Farbig gefasste Bauteiloberflächen

Es ist sicher nützlich, einige prinzipielle Hinweise zu farbigen Oberflächen bei Werken von Adolf Loos an den Anfang zu stellen, auch wenn seine Äußerungen zu diesem Thema geläufig sind, so führen uns diese doch zu größerer Aufmerksamkeit im konkreten Fall: Seine Überlegungen zu Farben und Oberflächen formuliert Adolf Loos bereits als Achtundzwanzigjähriger in unnachahmlicher Präzision in den Aufsätzen, welche die Kaiser-Franz-Joseph-Jubiläumsausstellung begleiten und die in der Neuen Freien Presse 1898 erschienen sind.
Die Oberflächen von Bauteilen und damit von Raumbegrenzungen haben demnach dem „Prinzip der Bekleidung“ (so der Titel des Aufsatzes, der die Gedanken von Semper und Wagner weiterentwickelt) zu folgen. Loos wendet sich darin prinzipiell gegen die „holzfladerei“. Seine zentralen Thesen lauten:

1. Maximale Deutlichkeit ist anzustreben: „Es muß so gearbeitet werden, daß eine verwechslung des bekleideten materials mit der bekleidung ausgeschlossen ist. Das heißt: holz darf mit jeder farbe angestrichen werden, nur mit einer nicht – der holzfarbe.“
2. Imitationen sind nicht zu akzeptieren: „Doch verbietet es das prinzip der bekleidung, durch einen farbstoff das darunter befindliche material nachzuahmen.“
3. Bei der Wahl der Farbtöne sind absolute Farben zu bevorzugen. Er nennt als ein Beispiel die Eisenbahn- und Trambahnwagen, die aus England stammen. „Ich wage nun zu behaupten, daß ein solcher wagen ... mir in seinen absoluten farben besser gefällt, als wenn er, nach dem schönheitsprinzipe der ausstellungskommission, ‚wie mahagoni’ gestrichen wäre.“
Als weitere Beispiele führt er an: „Das mittelalter strich das holz vorwiegend grellrot, die renaissance blau, das barock und das rokoko im innern weiß, außen grün. Unsere bauern haben sich noch so viel gesunden sinn bewahrt, daß sie in absoluten farben streichen. Wie reizend wirken nicht auf dem lande das grüne tor und der grüne zaun, die grünen jalousien zu der weißen, frisch getünchten wand.“

Als weitere Frage stellt sich, ob die durch Farben gebildeten Räume in Beziehung stehen zur zweiten Erfindung von Loos, dem Raumplan?
Heinrich Kulka, Mitarbeiter von Adolf Loos, empfindet folgende Punkte als wesentlich für den Raumplan: „Der Raumplan mit seiner Fülle von praktischen Aufgaben und Erfordernissen stellt an den entwerfenden Architekten den Anspruch höchster Konzentration. Er muß im Augenblick der Geburt seines Raumgebildes an den Zweck, die Konstruktion, die Verkehrswege, die Introduktion, Möblierung, Bekleidung und die Harmonie des Raumes gleichzeitig denken.“

Farbangaben für das Haus Moller finden sich in der von Kulka veröffentlichten Monographie zum Werk von Adolf Loos nur vereinzelt. Für die Sitzbank in der Halle diagnostiziert er „buntlackierte Sperrholzplatten.“
Aus der Vielzahl der möglichen Raumsituationen wurden drei repräsentative Fälle ausgewählt zum Studium der Farbräume im Haus Moller. Es waren dies der Aufgang vom Parterre, die Halle im Hochparterre und eine Waschecke im Obergeschoß. Die Untersuchung kann nur stichprobenartigen Charakter haben und will nicht repräsentative Geltung beanspruchen. Weiters ist festzuhalten ist, dass bei der Probenentnahme die angetroffenen Schlussanstriche vorzüglich weiß waren, weiß-bläulich und einmal braun.

Zur Feststellung des historisch gewachsenen Schichtaufbaues wurden Proben von den Fassungen entnommen und die einzelnen Schichten analysiert. Für die graphische Auswertung und Darstellung wurde die unterste Schicht verwendet.
Als unterste Schicht im Aufgang („der Introduktion“) fand sich ein Blauton. Der Farbanstrich sitzt ohne Grundierung direkt auf dem Holz auf, sodass durch den Anstrich die Holzstruktur sichtbar blieb. Die Oberfläche glänzte allem Anschein nach nicht. Diesen Schluss legt der geringe Bindemittelanteil dieser Schicht nahe.

Die Ursache dafür, dass die ursprüngliche Farbgebung bald verschwand, ist wohl in der starken und determinierenden Wirkung der Farbigkeit im Raum zu suchen. Man kann sich vorstellen, dass hier das Alltagsleben sehr stark von den Farben bestimmt wurde. Auch im konkreten Fall wurden die beprobten Areale wieder „neutral“ geschlossen und die Untersuchungen wirkten sich nicht auf die weitere Erscheinung der Innenräume aus, da jegliche „Buntheit“ als zu determinierend empfunden worden wäre. Um dennoch eine geringfügige Differenzierung zu erreichen, wurden die Balken in einem hellen Graublau gehalten.

Zur Wechselwirkung von Farbe und Raum bei Adolf Loos

Versucht man die Auswertungen zu deuten, kommt man zum vermutlich wenig überraschenden Ergebnis, dass die Farbwahl die Struktur der einzelnen Räume unterstreicht. Loos führt durch die Wahl der Farbtöne eine weitere Akzentuierungsebene in sein Raumdenken ein. Das heißt, dass der Raumplan sich auch in den Farbtönen der Oberflächen ausdrückt und die Wahrnehmung intensiviert wird.

Vergleicht man die Ergebnisse der Untersuchungen beim Haus Moller mit den bunten Oberflächen im annähernd gleichzeitig entstandenen Haus Müller in Prag, so stellt man fest, dass dort die Spannweite von Buntheit sehr ausgedehnt ist. Grundsätzlich ist aber festzustellen, dass das Haus Müller insgesamt wesentlich aufwendiger konzipiert wurde. Nicht zuletzt war auch wegen dessen musealer Nutzung der Spielraum für systematische Untersuchungen und Auswertungen sowie Konservierungsmaßnahmen sicher größer. Als weiteres Beispiel für den Einsatz von bunten Farben bei der wandfesten Ausstattung ist das Landhaus Khuner auf dem Kreuzberg in Payerbach zu nennen. Kräftige Farbtöne finden wir auch im Haus Brummel in Pilsen.

Abschließend einige Thesen zur Verwendung von Farbtönen durch Adolf Loos

1. Für ihn sind Farbtöne und Farboberflächen ein baukünstlerisches Mittel, um seine Gedanken und Empfindungen für Raumschaffen und Raumwahrnehmung zu intensivieren. Das Material, das den Raum begrenzt, wird durch die Farbe nicht imitiert, sondern deutlich gemacht und nicht verschwiegen.
2. Adolf Loos geht es auch bei der Verwendung von Farben um möglichste Klarheit der Wechselwirkung zwischen dem erdachten und dem realisierten Konzept.
3. Ein Maximum an innewohnender Logik wird angestrebt. Buntheit ist kein Selbstzweck. Es scheint, dass für die Entschlüsselung der Bedeutung auch Farbkontraste zu beachten sind.
4. Prinzipiell ist Loos der Meinung, dass als Grundlage für gute Farbenkombinationen natürliche Farbtöne heranzuziehen sind. „Alle natürlichen Farben passen zusammen, wie man das bei Arbeiten eines jeden primitiven Volkes, bei Nationalkostümen, Teppichen usw. beobachten kann ... Hat man schon jemals erlebt, daß jemand vor einer Wiese stehend ausrief: Reißt diese Blume aus! Sie verdirbt mit ihrer unmöglichen Farbe die ganze Wiese.“
5. Wir können uns der Einsicht nicht verschließen, wonach die Umgangssprache mit Farbnamen große Farbbereiche aus der unendlichen Farbenvielfalt bezeichnet. Hier hilft nur aufmerksames Sehen.
6. Jedenfalls ist der Feststellung von Burkhardt Rukschcio beizupflichten: „Adolf Loos war niemals ein Schwarz-Weiß-Architekt.“

Erhaltung und Pflege des Originals als zentrale Anliegen von Denkmalschutz und Denkmalpflege gelten auch für Bauten des 20. Jahrhunderts

Grundsätzlich muss gesagt werden, dass das gerade von Architekten oft beklagte Festhalten von Denkmalschutz und Denkmalpflege am materiellen Original „mit Zähnen und Klauen“ unverzichtbar ist. Denn allein das Original bietet neben seiner Würde die Möglichkeit, dass es nicht nur verbal gedeutet, sondern auch materiell untersucht werden kann. Gerade das zu leisten ist die beste Rekonstruktion oder auch Stilkopie nicht in der Lage. Für die Untersuchungen lassen sich, wo möglich, naturwissenschaftliche Methoden verwenden. Allein diese Überlegung unterstreicht den Wert von Originalen als authentische Dokumente. Bauten des 20. Jahrhunderts sind derzeit höchst gefährdet. Die bedeutendsten davon im Original zu erhalten ist eine unverzichtbare Aufgabe!

30. Juni 2008 Gabriele Kaiser
Hintergrund

Vergänglichkeit als Kulisse

Architektur und Pseudopatina

Bei einem Besuch der Dekorationswerkstätten der Österreichischen Bundestheater kann man den Experten der Wunschpatina bei der Arbeit zusehen: nagelneue Türen und Kastenfenster mit aufgeplatztem und blätterndem Lack sehen aus, als hätten ihnen Wind und Wetter jahrzehntelang zugesetzt. Eine soeben zusammengeschraubte Straßenlaterne ist von Rost zerfressen, Polstermöbel mit abgewetzter Stoffbespannung erhalten den letzten Touch gewünschter Zerschlissenheit. Offensichtlich ist im Umkreis von Anton Cechovs Drei Schwestern der Glanz des Neuen nicht gefragt, alles soll möglichst abgewohnt und verbraucht aussehen, so als wären all diese Dinge Zeugnisse eines gelebten Lebens, von dem sie – als Requisiten eines Bühnenstücks – naturgemäß abgeschnitten sind.

Dem Phänomen der Pseudopatina begegnet man nicht nur am Theater, sondern tagtäglich, etwa beim Kauf einer Hose: Jeans werden mit bleichenden Substanzen behandelt und mit Steinen gewaschen, stonewashed, manchmal auch unverwüstlich verwüstet (mit Rissen veredelt) – damit sie möglichst abgetragen aussehen. Chemisch oder mechanisch vorpatinierte Produkte sind allgegenwärtig, die pseudoantiken, mit der berühmten Holzwurmlochmaschine bearbeiteten „Stilmöbel“ seien hier nur stellvertretend genannt. Laminate können in ihrer kalkulierten Unregelmäßigkeit einem ausgewaschenen Dielenboden zum Verwechseln ähnlich sehen, sofern man sie nicht berührt oder betritt. Der ästhetische Genuss an neuen, antik aussehenden Dingen ist merkantil offenbar so gut verwertbar, dass sich nicht nur die Imitation, sondern auch das künstliche Vorantreiben des Alterungsprozesses von Werkstoffen lohnt. Schon im Altertum wusste man Bronzefiguren mit entsprechender Behandlung pfleglich alt aussehen zu lassen. „Wollte man z. B. Kupfer färben, so mischte man den Ölen oder Harzen Bitumen bei, sodass man der Farbvielfalt gealterter Bronzeskulpturen nacheifern konnte. Seit alters her standen darüber hinaus Wachse und Öle zur Oberflächenveredelung zur Verfügung, die man für transparente, oberflächliche Lacke und Tönungen auf Metallen verwendete.“[1] Derartige Verfahren der forcierten Alterung von Materialoberflächen waren mit unterschiedlichen Konjunkturphasen in allen kulturgeschichtlichen Perioden gebräuchlich. Nachdem das Patinabewusstsein in der Klassischen Moderne mit ihrer Forderung nach Materialgerechtigkeit kurzfristig seine gesellschaftliche Akzeptanz eingebüßt hatte, erfreuen sich patinaanfällige oder entsprechend vorbehandelte Materialien in der zeitgenössischen Architektur wieder großer Beliebtheit.[2] Es ist, als ob man Bauwerke damit zusätzlich in der Wirklichkeit verankern könnte, als ob ein soeben fertig gestelltes Haus bloß eine zweifelhafte geisterhafte Erscheinung sei, die man mit einer Geste des Gebrauchtseins zu bannen hofft.

Man kann Patina künstlich herbeiführen, ohne Zutun entstehen lassen und sich eine Weile daran erfreuen. Die Faszination an den harmlosen Verschleißerscheinungen eines Bauwerks ist dabei wohl immer nostalgischer Ausdruck einer Sehnsucht nach der Rückversicherung eines Werks in der Zeit. Ein Gebäude, das durch Bewitterung und Gebrauch schon ein wenig den Makel der Makellosigkeit losgeworden ist, zeugt von Reife, es kann auf eine Geschichte zurückblicken, es hat als Zeitmaschine schon Werte angehäuft, die in der Regel nicht planbar sind, aber die Bedeutung eines Bauwerks steigern können. Das Alter ist kein primärer, sondern ein sekundärer Aspekt, keine Qualität an sich. Alter vor Schönheit – in der Architektur erscheint diese Höflichkeit zweifelhaft. Schon Le Corbusier fasste Architektur als etwas auf, „das eine schöne Ruine zurücklässt“ (L'architecture c'est ce que donne une belle ruine) und sprach damit belangloseren Bauwerken gleichsam die Fähigkeit ab, in Würde zu altern.

Den Charme ausgetretener Treppenstufen oder bemooster Dachschindeln weiß jeder zu schätzen, doch so reizvoll Gebrauchsspuren und der Einfluss von Witterung und Atmosphäre auf die wahrnehmbaren Eigenschaften von Materialien auch sein mögen, die Grenzen zwischen akzeptierter Patina und Schadensfall sind unscharf. Zugunsten des Bauwerks arbeitet die Zeit nur bis zu einer bestimmten Dimension der Werkstoffveränderung, rasch kann sie in Zerstörung umschlagen, mit deren Konsequenzen sich später Eigentümer, Nutzer und Denkmalpfleger auseinandersetzen müssen.

Es ist die Spielverderberin Zeit, die es mit der Vergänglichkeit alles Physischen allzu ernst meint. Mit Materialien wie unbehandeltem Holz, Corten-Stahl oder vorpatinierten Kupferblechen lässt sich dieses Spiel mit der forcierten Alterung eines Gebäudes zumindest eine Weile treiben, ohne dessen physische Präsenz für einen bloß ästhetischen Reiz zu opfern. Die Alterserscheinungen eines Bauwerks werden künstlich vorangetrieben, als positive Veränderungen goutiert, solange sie an der Oberfläche bleiben und keinen Komfortverlust bedingen.
Mit besonders witterungsbeständigen Stahllegierungen hat Rost als Gestaltungselement Einzug in die Architektur gehalten. Die Oberfläche von Corten-Stählen ist mit einer dichten Eisenoxidschicht überzogen, die für die hohe Rostbeständigkeit verantwortlich ist: Sie fungiert als Sperrschicht, die einen Zutritt feuchter Umgebungsluft verhindert und damit einen weiteren Rostangriff vermindert. Es handelt sich dabei nicht um natürliche Rostschichten, die mit der Zeit das Eisengefüge auflösen, sondern um jene Art von Edelrost, der auf der Oberfläche von Eisen produziert werden kann, ohne die Eisenstruktur zu zerstören. Diese Adhoc-Patina lässt sich nicht mehr über das Alter definieren, sondern nur noch über die samtige Tönung einer Werkstoff-Oberfläche.
Eine ähnliche Art der Veredelung durch Vorpatinierung ist auch bei Kupfer- und Titanzinkblechen gebräuchlich. In einem speziell entwickelten mechanisch-chemisch-thermischen Verfahren werden dabei Kupfertafeln industriell einseitig grün patiniert. So wird eine Oxidschicht aus dem Kupfer heraus erzeugt – ein Prozess, wie er auch bei der Bildung der natürlichen Patina infolge atmosphärischer Einflüsse über lange Zeiträume abläuft. Allerdings lassen diese vorpatinierten Bleche jenes Maß an farblicher Inhomogenität vermissen, das man an alten Kupferdächern und an natürlicher Patina generell zu schätzen weiß.

Wer die Flucht nach vorn in die Verschleißformen eines Bauwerks antritt, kennt die Alterungsphasen eines Materials in der Regel genau. Unbehandelte Holzfassaden erreichen ihren optischen Idealzustand oft erst nach Jahren der Bewitterung und Vergrauung. Die Veränderung der äußeren Zellschicht wird dabei nicht nur als unvermeidlicher foto- und biochemischer Abbauprozess in Kauf genommen, sondern bereits im Entwurfsprozess antizipiert und bewusst angestrebt. „Unbehandelte Fassaden, die gleichmäßig bewittert werden, sind in jeder Phase schön. Da gibt es keine Fleckigkeit, es ist ein kontinuierlicher Prozess, in dem das Holz ganz gleichmäßig von Braun ins leicht Grauschimmernde, ins Hellgrau bis ins Dunkelgrau übergeht.“[3]

Der offensive Einsatz von vegetativen Elementen in der Fassadengestaltung lässt sich mit dem Phänomen der Wunschpatina ebenfalls in Beziehung setzen. In einer fassadenfüllenden Begrünung klingt nicht nur das Bildrepertoire einer nostalgischen Ruinenästhetik an, sondern auch der Wunsch, einem Gebäude in der zunehmenden Überwucherung eine zweite Wirklichkeit angedeihen zu lassen. Dass diese zweite Wirklichkeit die darunter liegende Struktur zumindest visuell temporär oder dauerhaft überlagert, scheint den kalkuliert-verwilderten Häusern ihren besonderen Reiz zu verleihen. Doch in der offensichtlichen Planmäßigkeit ihres Zuwucherns strahlt auch ein solches Bauwerk etwas Kulissenhaftes aus. Nicht als Manifestation verstrichener Zeit nimmt man es dann wahr, sondern als hübsches Requisit einer allenfalls geistreichen Inszenierung.

[1] Mila Schrader, Vom Reiz der Patina, Edition anderweit, Suderburg-Hösseringen 2003, S. 28.
[2] Weiterführende Informationen in: Hans Weidinger, Patina. Neue Ästhetik in der zeitgenössischen Architektur, DVA, München 2003.
[3] Hermann Kaufmann, Hineinwittern in die Landschaft, in: Zuschnitt 4, Wien 2001, S. 19.