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Zum Abschluss des Jahres laden wir Sie wieder zu einer Entdeckungsreise zu den Lieblingsprojekten der Redakteure ein. Alle Projekte stellen wir Ihnen dabei unter dem gewohnt architekturkritischen Blickwinkel der db vor. Folgen Sie uns auf den nächsten Seiten u. a. zu dem wahrscheinlich radikalsten Schweizer Wohnungsbauprojekt der letzten Jahre, zur Erweiterung des Stadtmuseums von Aarau, zu einem bemerkenswert schlichten Verwaltungsgebäude in ­Besigheim sowie zum Umbau ­einer alten Skifabrik im Schwarzwald in ­eine Pflegeeinrichtung für Kinder. Wir wünschen eine anregende Reise! | Die Redaktion

Artikel

5. Dezember 2016 Ulrike Kunkel
deutsche bauzeitung

Umgarntes Wohnen

Wohnbebauung Zwicky-Süd in Zürich-Dübendorf (CH)

Auf dem Areal der Schweizer Spinnerei »Zwicky« ist ein beachtenswertes neues Wohnquartier entstanden. Die außergewöhnliche Konstellation von Auftraggebern und der von schroffen Nachbarschaften und Gegensätzen ­geprägte Ort bilden die Grundlage für ein radikales Statement für Verdichtung und urbanes Leben an der ­Peripherie.

Wasserkraft war das im wahrsten Sinne treibende Element für die Mechanisierung der Schweizer Textilindustrie im frühen 19. Jahrhundert. Mit der ­Eigenart, dass sich die Fabriken zumeist nicht mit den bestehenden Siedlungszentren verbanden, sondern entstanden, wo die Ressource Wasser in ausreichendem Maße vorhanden war. Das galt auch für die auf Nähfäden und Webgarne spezialisierte Spinnerei »Zwicky«, die 1840 ihre Produktion auf ­einem 10 km nordöstlich vom Stadtkern Zürichs gelegenen Areal zwischen den damaligen Dörfern Wallisellen und Dübendorf aufnahm – dort, wo der Chriesbach in das Flüsschen Glatt mündet. Das Fabrikgelände erweiterte sich sukzessive, mit aller Macht um 1900; vom Renommee der Firma zeugte nicht zuletzt die Tatsache, dass sich die Eigentümer ihre Fabrikantenvilla vom Zürcher Stadtbaumeister Gustav Gull errichten ließen. Das Logo der Firma, die Katze mit der Garnspule, wurde zu einer Schweizer Ikone. Doch die um 1970 einsetzende Krise der Textilindustrie verschonte auch die Zwicky & Co. AG nicht. Die Produktion – Zwirnerei, Färberei, Spulerei – wurde ins Ausland verlagert, 2001 erfolgte das Aus für den Standort. Schrittweise begann die Umnutzung der historischen Bauten, Hausarchitekt Tomaso Zanoni entwickelte die Pläne für eine Transformation und Neubebauung des Areals mit insgesamt sieben Baufeldern. Das vielleicht problematischste, aber auch größte Baufeld E ­befand sich im Süden des Geländes. Es ist auf der Nord­seite durch ein S-Bahn-Viadukt vom ehemaligen Produktionsareal mit den historischen Bauten abgetrennt und wird nach Osten und Süden von zwei viel­ ­befahrenen Ausfallstraßen begrenzt. Dazu kam eine unwirtliche Umgebung: Autohäuser, ­Gewerbegebiete und keine Anbindung an den öffentlichen ­Nahverkehr.

Was also machen mit solch einem Terrain? Die Grundstückseigentümer schalteten die Immobilienberatungsgesellschaft Wüest & Partner ein, und diese nahm Kontakt mit der Stadt-Zürcher Baugenossenschaft Kraftwerk 1 auf, die einerseits seit ihrer Gründung stark alternative Ansätze im Wohnungsbau verfolgt und andererseits Erfahrung mit städtischen Randlagen besitzt: Die erste Siedlung (2001) entstand im Zürcher Westen an der viel befahrenen Hardturmstraße zu einer Zeit, als dieses Gebiet noch nicht als trendig galt; 2012 wurde ein Mehrgenerationenhaus im Außenbezirk Höngg fertiggestellt.

Kraftwerk 1 ließ sich auf das Experiment ein und so wurde 2009 ein Studienauftrag ausgeschrieben, den das junge Büro Schneider Studer Primas für sich entscheiden konnte. Da der finale Nutzungsschlüssel hinsichtlich des Verhältnisses von Wohn- zu Gewerbeflächen noch nicht feststand, war von den Wettbewerbsteilnehmern Flexibilität gefordert. Das kam Schneider Studer Primas entgegen, die auch in anderen Projekten Ideen aufgezeigt haben, wie sich auf die jeweiligen Nutzungsanforderungen reagierende Häuser ­entwickeln lassen und die selbst die sonst herrschende Mutlosigkeit bei Baugenossenschaften beklagen.

Beim Areal Zwicky-Süd reüssierten sie im Studienauftrag mit einem Konzept, das aus drei Grundtypen besteht: schmalen Scheiben, die in winkelförmiger Konfiguration (nicht zuletzt aus Gründen des Lärmschutzes) die Siedlung umgeben, ebenso hohen massiven Blocks mit Grundflächen von 30 x 40 m und schließlich zweigeschossigen Hallen. Eine Vielzahl brückenartiger Übergänge sollte die einzelnen Volumina auf unterschiedlichen Ebenen mitein­ander verbinden.

Natürlich unterlag das Projekt im Laufe der Planungs- und Realisierungs­phase einigen Modifikationen. Doch das starke und klare Grundkonzept ist bestehen geblieben – und es hat sich bewährt, obwohl die zusammen mit dem Projektentwickler Senn aus St. Gallen erstellte Siedlung am Ende drei verschiedene Bauherren besitzt – der Baugenossenschaft Kraftwerk 1 sind das Unternehmen Pensimo mit zwei Anlagestiftungen und die Swiss Life zur Seite getreten. Das ist überaus erfreulich und eine Tatsache, die dieses Projekt so bemerkenswert macht. Denn das Engagement von Pensimo und Swiss Life zeigt, dass auch renditeorientierte Anleger konventionelle Pfade zu verlassen bereit sind und an einem ungewöhnlichen Standort in ein ungewöhnliches Projekt investieren. Durch die Bauweise mit tragenden Fassaden aus Betonfertigelementen ließ und lässt sich der Innenausbau variieren, die Bauten der Genossenschaft sehen also von außen gleich aus wie die der privatwirtschaftlichen Investoren. Das führt zu einem einheitlichen Bild der Siedlung und stärkt deren Identität. Veränderungen ergaben sich während der Planungszeit besonders durch die Erhöhung des Wohnungs- gegenüber dem Gewerbeanteil. Dieser Entwicklung fielen einige der zweigeschossigen Hallen zum Opfer. Auch die Anzahl der ursprünglich vorgesehenen Brücken und Übergänge zwischen den Gebäuden wurde aus Kostengründen reduziert. Dass es ­dennoch zwei gibt, verdankt sich einem glücklichen Zufall: Es handelt sich um aus Stahlträgern zusammengeschweißte Passerellen, die als Provisorien während des Umbaus des Escher-Wyss-Platzes in Zürich eingesetzt waren, günstig erworben werden konnten und im Zwicky-Süd-Areal ihre zweite, nunmehr dauerhafte Verwendung gefunden haben.

Die Scheiben mit ihrer Bautiefe von 8 m werden z. T. über Laubengänge ­erschlossen, dort allerdings, wo sie direkt an Verkehrsstraßen stoßen, durch Treppenhäuser, um die lärmabgewandte Seite für private Außenräume freizuspielen. In den Scheiben finden sich kleine und mittelgroße Wohnungen, ­Studios, unten auch Räume für Kleingewerbe und Läden. Ein Teil der südöstlichen Scheibe dient als Hotel, das von der auch das Café ZwiBack samt ­Bäckerei unterhaltenden Stiftung Altried – Zentrum für Menschen mit ­Behinderung betrieben wird.

Die ungewöhnlichsten Wohnungstypologien weisen die beiden Großblocks auf. Von der Idee eines Geschäftshauses mit flexibel einteilbarer Bürofläche inspiriert, demonstrieren sie, dass kompakte Volumina, wie sie nicht zuletzt aus energetischen Gründen gefordert werden, auch für Wohnzwecke genutzt werden können. Im Block von Kraftwerk 1 bringen zwei Treppenhäuser und ein Lichthof Tageslicht in das Innere, wobei einige Wohnungen durch die gesamte Gebäudetiefe von 30 m hindurchgesteckt sind. Dunklere Bereiche in den Wohnungen können als Fernsehzimmer, Studio oder Bibliothek genutzt werden. Die Wohnungen besitzen bis zu 14 Zimmer und sind für (nicht-studentische) Wohngemeinschaften vorgesehen. Der Block der Anlagestiftung Adimora umfasst hingegen primär Familienwohnungen, die sich um zwei große, gleichsam in das Volumen gestanzte Erschließungshallen gruppieren.

Die zweigeschossigen Hallenvolumina fungieren als inwärts ausgreifende Sockel der Scheiben. Sie dienen als Geschäfts- und Lagerräume sowie als Einstellhallen für Fahrräder und (die wenigen in der Siedlung zugelassenen PKWs); im Westen wird das Hallenvolumen in Form von zweigeschossigen, über kleine Patios im OG belichteten Reihenlofts für Wohnzwecke genutzt.

Zwicky-Süd, das unweit der Stadtgrenze von Zürich auf dem Gebiet der Gemeinde Wallisellen und Dübendorf liegt, ist in vielerlei Hinsicht vorbildlich. Es zeigt, wie Genossenschaften neue Wohnformen entwickeln, Bewohnerinnen und Bewohner in den Planungsprozess involvieren und einen sozialen Mix erzeugen, der, so der Anspruch, dem der Stadt Zürich üblichen Durchschnitt entsprechen soll, um soziale Homogenität zu vermeiden und ein ­lebendiges Quartier mit eigener Identität zu bilden. Es beweist, dass derlei Konzepte, die noch vor wenigen Jahren nur von pionierhaften Genossenschaften verfolgt wurden, inzwischen auch bei Investoren auf Akzeptanz stoßen. Schließlich aber ist das Projekt von Schneider Studer Primas auch ein überaus gelungenes Beispiel für ein zeitgemäßes und intelligentes dichtes Bauen an einem suburbanen Standort. Der Rauheit der Umgebung begegnen die Architekten weder mit romantisierender Kleinteiligkeit, noch mit herkömmlichen städtebaulichen Mustern, die – wie das unweit auf Basis eines Masterplans von Vittorio Magnago Lampugnani entwickelte Richti-Areal – seltsam ­unwirklich erscheinen. Auch ästhetisch verfolgen sie die Idee des Rohbaus – ein Bild, das sich durch die Fassaden mit ihren dreischaligen, kerngedämmten Thermowänden aus Betonfertigteilen, die teilweise Bekleidung aus rostenden Stahlplatten sowie die ­Metallgestänge und Maschendrahtgitter der Laubengänge und Balkonzonen einstellt. Um den städtischen Charakter zu unterstützen und die Intensität innerhalb der Siedlung zu stärken, verzichten sie auf Rasenflächen, Beete, ­Hecken und Bäume. Stattdessen werden Rank- und Kletterpflanzen mit der Zeit die Außenräume überwuchern: die Laubengänge, die filigranen und transparenten Balkontürme, die Dachbereiche der Hallen, die stählernen Passerellen. Kein Abstandsgrün also, das hilflos mit den Bewohnern koexistieren muss, sondern Pflanzen, die Räume schaffen und die Außenbereiche der Wohnungen und die Zwischenzonen beleben.

Das Projekt ist in seiner Konzeption radikaler als fast alles, das derzeit in ­Zürich entsteht. Mag sein, dass der Standort mit seinen diversen Beeinträchtigungen die Stringenz befördert hat. Auf jeden Fall ist Zwicky-Süd ein dezidiertes Statement für Verdichtung und urbanes Leben in der Peripherie. Einer Peripherie, die langsam ihren unwirtlichen Charakter verliert: Seit einigen Jahren hält die Glatttalbahn direkt vor der Haustür, und der Chriesbach ­wurde inzwischen renaturiert.

5. Dezember 2016 Martin Höchst
deutsche bauzeitung

Menschenbilder

Vielfältig wie die städtische Bürgergemeinschaft sind auch die »Menschenbilder« an der Eingangsfassade der Museumserweiterung. Dem Besucher bietet sich im entstandenen Ensemble aus mittelalterlichem Wohnturm und seiner städtebaulich wie architektonisch qualitätvollen Erweiterung ein abwechslungsreiches Ausstellungs- und Raumerlebnis.

Aarau, die Kantonshauptstadt des Aargau, liegt auf halber Strecke zwischen Zürich und Basel. Die nur gut 20 000 Einwohner zählende Kernstadt zeigt sich dem Besucher gut erhalten und umtriebig. Die überraschende Fülle kultureller Einrichtungen gründet sich auf das kleinteilig besiedelte Einzugsgebiet ringsum, in dem über 200 000 Menschen leben. Allein innerhalb der letzten rund 20 Jahre erfuhren gleich drei städtische Museen Erweiterungen durch zeitgenössische Anbauten namhafter Schweizer Architekten: Ende 2002 öffnete das durch den Züricher Architekten Arthur Rüegg erweiterte Naturkundemuseum wieder; die Kunsthauserweiterung von Herzog & de Meuron konnte 2003 bezogen werden; und im Sommer 2015 wurde schließlich das von Diener & Diener mit Martin Steinmann sanierte und deutlich vergrößerte Stadtmuseum am Rande der Altstadt eingeweiht.

Schlüssiger Seitenwechsel

Zusammen mit Diener & Diener aus Basel hatte Architekt Martin Steinmann aus Aarau den eingeladenen Wettbewerb unter den fünf Entwürfen zur Erweiterung des »Schlössli«, eines mittelalterlichen Wohnturms, in dem das Stadtmuseum seit 1938 untergebracht ist, gewonnen. »Wettbewerbe gewinnt man nicht mit Fassaden«, so erläutert Martin Steinmann. Vielmehr hätte das städtebauliche und organisatorische Konzept ihres Entwurfs die Jury überzeugt: Statt, wie in der Ausschreibung vorgesehen den Neubau östlich auf Abstand zum Turm zu positionieren, schlugen sie vor, im Westen unmittelbar an den Bestand anzubauen. Durch die bewusste Neuformulierung der Bauauf­gabe ergaben sich gleich mehrere Vorteile. So konnte durch die Verschmelzung von Alt und Neu die Erschließung über die meisten Geschosse zusammengefasst und somit auch im Turm weitgehend barrierefrei gestaltet werden. Zudem ergab sich eine schlüssige städtebauliche Neuausrichtung des Terrains, das vom Rand der Altstadt zum Aaretal hin stark abfällt. Östlich des erweiterten Stadtmuseums kann auch weiterhin der Blick über eine Grünanlage hinweg ins Tal und weiter zum Jura schweifen.

Im Westen des Bestands bildet der Anbau die Stirnseite des Schlossplatzes und rückt die scheunentorgroße Öffnung des neuen Haupteingangs in seiner ansonsten geschlossenen Fassade ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Zusammen mit dem benachbarten Saalbau des Kultur- und Kongresshauses ergibt sich ein städtischer Platz, umstanden von kulturellen Institutionen, der durch seine leichte Abschüssigkeit förmlich dazu einlädt, als Tribüne für Freiluftaufführungen genutzt zu werden.

Empfangskomitee

Das umsichtige in den Kontext eingepasste Volumen mit einem verglasten Staffelgeschoss und einem Knick in der Eingangsfassade weicht zu den beiden historischen Nachbarn hin vorsichtig zurück und bildet zudem noch einen geschützten Bereich vor den verglasten Eingangsschiebetüren aus. So umsichtig das Volumen modelliert in Erscheinung tritt, so plakativ und geradezu fordernd gibt sich die Gestaltung der vorgehängten Fassade aus vorgefertigten Betonelementen: 134 Menschen in Lebensgröße blicken dem Eintretenden entgegen. 134 individuelle Zeichnungen von Männern und Frauen in zeitgemäßer Kleidung, vermeintlich in den Beton eingraviert, konfrontieren den Betrachter mit einem in der zeitgenössischen Architektur kaum eingesetzten figürlichen Ornament. Dieser ungewöhnliche Anblick erzeugt die Aufmerksamkeit, die einem Museum gebührt. Nicht zuletzt rufen die figürlichen Darstellungen Erinnerungen an die Malerei der Neoexpressionisten aus den 80er Jahren hervor. Und dies nicht von ­ungefähr: Der St. Galler Künstler Josef Felix Müller, der die Vorlagen für die Abgüsse geschaffen hat, wurde in den 80er Jahren u. a. mit seinen rauen, ausdrucksstarken Holzskulpturen bekannt. Wie damals benutzte der Künstler auch beim Stadtmuseum Aarau eine Motorsäge, um die Menschenbilder der Fassade auf Holztafeln zu skizzieren. Das Holz eines Mammutbaums, der der Erweiterung weichen musste, lieferte das Material dazu. Mit Kunststoff ausgegossen entstanden Matrizen, die wiederum in die Schalung der Betonelemente eingelegt wurden. Neben der jeweils eingeschnittenen Zeichnung bilden sich auch die Sägespuren, Nähte und Maserungen der verleimten Schalungsbretter an der Betonoberfläche ab. So wird für den Besucher visuell wie haptisch ihre Herstellung nachvollziehbar und der gefällte Mammutbaum zeugt weiterhin von der Geschichte des Orts.

Doppelte Höhe

Die drei neuen stützenfreien Säle der Erweiterung – im UG für Veranstaltungen und Vorträge im EG als Foyer und zusätzliche Ausstellungsfläche und im OG für Wechselausstellungen – sind im Wesentlichen baugleich übereinandergestapelt: glatt verputzte Stahlbetonwände überspannt von einer vorgefertigten Betonrippendecke, mit jeweils einer großen Öffnung nach Norden, die Tageslicht einfallen lässt und in den beiden oberen Räumen zudem einen Ausblick zum Aaretal bietet. Lediglich der jeweilige ­Bodenbelag wechselt von rötlich eingefärbtem Holzzement im UG über Terrazzo im EG zu Eichendielen im OG. Ein elegant geschwungenes Schienensystem an den Decken nimmt schwere Vorhänge als Ersatz für einen Windfang, als Raumteiler oder zur Verbesserung der Akustik auf. Beeindruckend hoch zeigen sich die drei Haupträume. Dies ergab sich aus der Verdopplung der Geschosshöhen des Altbaus. So ließen sich sowohl Altbau als auch Er­weiterung zusammen mit nur einem Aufzug und nur einer Treppe beinahe durchgängig barrierefrei ­erschließen. Aus Kostengründen traten leider etwas überdimensioniert wirkende Treppenpodeste an die Stelle eines ursprünglich geplanten geschossübergreifenden Schaudepots und harren derzeit noch ihrer Ausstellungs­bespielung. Noch zurückgenommener als die Oberflächen und Detaillierung der Säle in der Erweiterung zeigen sich die der Erschließungsräume. So fällt der Kontrast am Übergang zum historischen Wohnturm mit seinen teilweise mehrere Meter dicken Wänden besonders stark aus. Beim Eintritt in einen der leicht windschiefen holzvertäfelten Räume im EG scheint es, als beträte man eine ganz andere wundersame Welt. Auch in den folgenden Geschossen setzt sich dieser Eindruck fort. Sowohl der Wechsel ­zwischen Alt- und Neubau als auch die je nach Entstehungs- und Umbauzeit unterschiedlich gestalteten historischen Räume des Wohnturms, machen den Ausstellungsparcours zur abwechslungsreichen räumlich erfahrbaren Entdeckungsreise durch die Jahrhunderte. Im Turm konnten es die Planer größtenteils bei einer Pinselrenovierung bewenden lassen.

Nur einzelne statisch relevanten Teile wurden ersetzt und die hier untergebrachte Dauerausstellung, vornehmlich zu historischen Aarauer Persönlichkeiten, von den Szenografen Emyl aus Basel neu gestaltet.

Begrünt und haltbar

Das etwas ruppige Äußere des Schlössli mit seinem sichtbaren Findlings­mauerwerk war weitgehend intakt und blieb nahezu unverändert erhalten. Der ursprüngliche Gedanke, an den Fassaden der Erweiterung das Motiv des Sichtmauerwerks aufzugreifen, wurde von den Architekten glücklicherweise als zu anbiedernd verworfen, ebenso wie der Einsatz von Holz am verglasten Staffelgeschoss. Hier oben residiert die Museumsverwaltung mit wunder­barem Blick auf Stadt und Landschaft in einem stützenfreien, lichten Raum. Um eine sommerliche Überhitzung zu verhindern, könnte, da bereits baulich vorgesehen, ganz unkompliziert ein Sonnenschutz nachgerüstet werden. Bisher jedoch hat das vorgelagerte begrünte Rankgerüst diese Aufgabe gut bewerkstelligt.

Die Begrünung des Staffelgeschosses war bereits zu einem frühen Zeitpunkt Teil des Gestaltungskonzepts. Die Begrünung der weniger repräsentativen Fassaden der unteren Geschosse hingegen wurde von den Nachbarn erstritten. Innerhalb der dichten Bebauung schadet dies der Architektur in keiner Weise. Ganz im Gegenteil: Um die Edelstahlrankhilfen stabil anbringen zu können, wurde die ursprünglich als WDVS geplante Fassade mit einer verputzten Backsteinschicht vor den ­tragenden Stahlbeton-Außenwänden und der Wärmedämmung versehen. Dies wird sich an der Alterungsfähigkeit der zunächst als »Bauteil mit ­Sparpotenzial« eingestuften Fassade positiv bemerkbar machen – mit oder ohne Begrünung.

Die lange Planungs- und Bauzeit – Wettbewerb 2006, Eröffnung 2015 – gibt einen Hinweis darauf, dass viele Entscheidungen bei der Entstehung des ­Gebäudes mit städtischen Gremien und Gerichten ausgefochten werden mussten. Das ausdauernde Engagement der Planer hat sich am Ende jedoch ausgezahlt. Mit der Erweiterung des Stadtmuseums Aarau gelang es ihnen, sowohl das städtische Gefüge passgenau und intelligent zu ergänzen als auch den Ausstellungsmachern zurückhaltend robuste Räume zu bieten. Darüber ­hinaus sprechen die 134 Menschenbilder der Fassade jeden Passanten bereits vor dem Eingang direkt an und machen klar, dass Menschen trotz gänzlich unterschiedlicher Charaktere in einer Gemeinschaft zusammenfinden ­können. Was könnte zu einem Stadtmuseum besser passen?

5. Dezember 2016 Anke Lieschke
deutsche bauzeitung

Wenn der Bauherr selber baut

Das vorhandene Gebäude des Bauunternehmens Karl Köhler wurde im Laufe der Zeit zu klein — eine Erweiterung musste her. Nun hätte man einfach möglichst schnell und möglichst günstig einen Standardbau errichten können. Glücklicherweise haben sich die Bauherren aber gegen diesen einfachen Weg entschieden: Das Ergebnis ist eine gebaute Visitenkarte aus Beton – und arbeiten kann man darin auch.

Rund 25 km nördlich von Stuttgart liegt Besigheim, eine beschauliche Kleinstadt mit knapp 12 000 Einwohnern. Der Ort liegt an der Württemberger Weinstraße und der Südroute der Deutschen Fachwerkstraße. Die Hänge an Neckar und Enz sind eine wichtige Weinlage der Region. Ebenfalls sehr beliebt sind die Hessigheimer Felsengärten. Auf genau diese schaut man aus den Fenstern des Bauunternehmens Karl Köhler, das am Rande Besigheims direkt am Neckar liegt. Nähert man sich dem Grundstück sieht man von Weitem schon die Felsengärten, aber auch Fahrzeuge und einen Baukran, die eindeutige Indizien für ein Bauunternehmen sind. In diesem Umfeld rechnet man nicht unbedingt mit einem Sichtbeton-Bau mit vielen Details und Raffinessen – dennoch wirkt das Gebäude nicht fremd, sondern steht selbstbewusst und selbstverständlich da.

Die Firma wurde 1923 von Karl Köhler gegründet und wird heute in dritter Generation von den Brüdern Karl und Horst Köhler geführt. Das Leistungsspektrum reicht vom Industrie- und Gewerbebau über den Wohnungsbau bis hin zum Ingenieurbau. Horst Köhler vergleicht die Palette mit dem Sortiment einer Bäckerei: »Wir als Rohbauer machen alles, von Schwarzbrot bis zu ­süßen Stückle.« Qualitativ hochwertig ausgeführter Sichtbeton hat sich mit den Jahren zu einer ihrer Spezialitäten entwickelt. Denn warum auch immer – wirklich gut ausgeführte Sichtbetonbauten sind in Deutschland leider immer noch eine Rarität. Karl Köhler scheint das aber gut zu gelingen, daher stammen Rohbau und Fassade des Neubaus selbstverständlich aus Bauherrn-Hand. Wie beim gesamten Bauvorhaben wählten die Bauherren ihren eigenen, nicht immer einfachen Weg. Statt einen befreundeten Architekten direkt zu beauftragen, lobten sie einen Wettbewerb mit sechs gesetzten Teilnehmern aus. Zur Jury gehörten neben den Geschäftsführern auch die Architekten Michael Kerker und Alexander Brenner sowie Andreas Janssen vom Stadtbauamt Besigheim. So hatte man technisches und gestalterisches Know-how und gleichzeitig auch schon einen Vertreter der Stadt mit im Boot. Die Jury entschied sich einstimmig für den Wettbewerbsentwurf von Wittfoht Architekten aus Stuttgart. Sieht man das Entwurfsmodell und den fertigen Bau, muss man schon genau hinschauen, um Unterschiede zu entdecken, so nah liegen Entwurf und Reali­sierung beieinander.

Schlichte Kubatur mit Raffinessen

Zweigeschossig scheint der Baukörper leicht über dem Grundstück zu schweben. Für diese Leichtigkeit sorgt eine deutliche Fuge zwischen Tiefgarage im UG und den beiden Bürogeschossen. Klare Kanten entstehen zum einen durch diesen Abstand und zum anderen durch die saubere Attika, die ohne störende Abdeckungen auskommt – dank des freiwilligen Verzichts auf die Einhaltung der DIN-Norm zugunsten der Gestaltung. An den großen Fenstern lässt sich das Gebäuderaster leicht ablesen. Die Laibungen der Fenster sind jeweils zu einer Seite hin abgeschrägt, sodass der Blick Richtung Felsengärten bzw. Neckar und Weinberge erweitert wird. Auf den ersten Blick fallen solche Feinheiten kaum auf, doch sind es gerade diese kleinen Details, die den Charme und die Qualität des Verwaltungsbaus ausmachen. Kiste ist eben nicht gleich Kiste.

Getragen wird das Gebäude vom regelmäßigen Stützenraster an den Außenkanten.

Unterzugsfreie Flachdecken und wenige innenliegende Kernwände tragen zur Aussteifung bei. Die Fassade ist als Außenschale vor dem Gebäude schwimmend gelagert und ohne Fugen ausgeführt, was den monolithischen Charakter unterstreicht. Die Oberflächen entsprechen der höchsten Sichtbetonklasse SB 4.

Damit keine Fallrohre die Außenansicht stören, sind die Gesimse mit einem leichten Innengefälle ausgestattet. Dies verhindert außerdem, dass stehendes Wasser an der Fassade herunterläuft und die Oberfläche beeinträchtigt. Um diese Gefälle auszubilden wurden die Schalungsabschnitte so gewählt, dass die Oberkanten der Gesimse die Oberkante des jeweiligen Abschnitts bilden.

Eines der zahlreichen Details findet sich auch direkt am Haupteingang: Tagsüber setzt sich des leicht stilisierte Firmenlogo in Sichtbeton dezent ab, abends bringen 7189 Lichtleitfasern unterschiedlicher Dicke das Logo im Betonfertigteil zum Leuchten. Wie auch im übrigen Gebäude wirkt dieser Effekt qualitativ hochwertig, aber nicht protzig, wie Bauherr und Architekt betonen. Gerade für ein schwäbisches mittelständisches Familienunternehmen scheint dieser Spagat zwischen hochwertiger Ausführung und Bescheidenheit sehr wichtig zu sein und ist hier durchaus geglückt. Dazu trägt auch die reduzierte Materialwahl aus Beton, Eiche und Crailsheimer Muschelkalk bei. Letzter kam im EG als Bodenbelag sowie für die Treppe am Haupteingang zum Einsatz. Damit sich der Ton des Muschelkalks nicht mit dem Sichtbeton beißt, erhielt der Fassadenbeton einen Zuschlag aus gemahlenem Muschelkalk.

Auf der Dachterrasse, die nur einen Teil der ansonsten extensiv begrünten Dachfläche einnimmt, bildet eine Pergola einen definierten Raum. Solche reinen »Gestaltungsentscheidungen« kommen heutzutage immer weniger vor. Was nicht unbedingt nötig ist, wird oftmals gestrichen. Eine weitere Überraschung erlebte Projektleiter Thomas Kindsvater bei der Planung dieser Pergola: »Im ersten Entwurf hatten wir mehr Stützen vorgesehen. Die Tragwerksplaner meinten dann, das ginge auch mit nur vier Stützen. Da haben wir natürlich nicht nein gesagt.«

Konsequente Materialwahl

Im Innern setzen sich die klare Formensprache und die Reduzierung auf ­wenig Material fort. Als Besonderheit wurden hier die Außenseite der Kerne gespitzt, also steinmetzmäßig bearbeitet. Dieses Beschlagen bringt eine völlig andere Oberfläche zum Vorschein, zudem sorgt ein Jura-Zuschlag im Beton für eine wärmere Atmosphäre als zuschlagsfreier Beton. Damit die Farbigkeit in jedem Betonierabschnitt gleich ist, musste u.a. sichergestellt werden, dass die Betonsilos jedes Mal gereinigt wurden und keine fremden Zuschläge in die Mischung gelangten.

Für die Schalungslöcher hat der Rohbauer Konen aus exakt der gleichen Mischung gegossen. Durch das Spitzen sind die Übergänge von Fläche und Zylinder kaum erkennbar. Die Innenseite der Kerne, z.B. die Treppenhauswände oder die Nebenräume, sind unbearbeitet glatt. Den Mittelpunkt des Gebäudes bildet ein zweigeschossiges Foyer, das über Oberlichter vom Dach großzügig belichtet wird. Mit schweren Vorhängen kann das Foyer vom Rest des EGs abgeteilt und beispielsweise für Veranstaltungen genutzt werden. Die Akustik ist dank der gespitzten Betonoberflächen, einer Holzlamellendecke und den Vorhängen angenehm. Um das Foyer herum sind die Arbeitsplätze in Zweibüros angeordnet. Lediglich die Geschäftsführer haben etwas mehr Raum zur Verfügung, was auch in der Fassade als einzige größere Fenster ablesbar ist. Die Büros sind ähnlich konsequent gestaltet wie der gesamte Bau: Betonwände, Fußboden und Fensterprofile aus Eiche, Glastrennwände zum Flur. Durch halbhohe Regale an den Schreibtischseiten bleibt Privatsphäre trotz der Glaswände gewahrt. Eine kleine Hommage an das Tätigkeitsfeld der Firma sind die Kleiderhaken im Einbauschrank: Hier hängt die Jacke an einem Stück Bewehrungsstahl. Akustikpaneele sorgen für Ruhe und ein wenig Farbe. Die Dämmebene ist innenseitig mit Eichenholzblindstützen verblendet, in denen auch die EDV-Unterverteiler sowie die Frischluftnachströmung integriert sind. Als eines der ersten Sichtbetonobjekte wird das Gebäude über eine oberflächennahe Betonkernaktivierung temperiert. Die vorgefertigten Kunststoffrohre liegen nur wenige Zentimeter über der Deckenunterseite, wodurch kurze Reaktionszeiten und eine unmittelbare Wirkung gewährleistet sind. Die Masse des Betons trägt ebenfalls zum guten Klima bei. Durch die Nutzung von Geothermie wird der geforderte EnEV-Wert um 20 % unterschritten.

Enge Abstimmung von Anfang an

Auch hier zeigt sich der Vorteil, wenn der Rohbauer schon früh in die Planung eingebunden wird. Laut Köhler kommen die ausführenden Gewerke meist viel zu spät dazu, sodass manche Dinge gar nicht mehr umgesetzt werden können, obwohl sie prinzipiell möglich wären. Bei diesem Projekt wäre vermutlich diese Variante der Kühlung kaum realisiert worden, wenn der ausführende Betrieb nicht gleichzeitig der Bauherr gewesen wäre.

Ein weiteres Detail, das bereits frühzeitig in der Planung und v.a. beim Bau berücksichtigt werden musste sind die Brandschutztüren, die an beiden Seiten des Treppenhauses zwischen EG und OG die Brandabschnitte trennen. Im Normalfall sind diese Türen um 180 ° geöffnet, dank der Eichen-Oberfläche passen sie ins Gesamtkonzept und fallen nicht weiter auf. Schließen sich die Türen, werden die exakten Aussparungen im Beton für die Türblätter und deren Beschläge sichtbar, sodass die Türen im geöffneten Zustand bündig mit der Wand sind – kleiner Eingriff mit großer Wirkung. So sind nahezu alle Elemente integriert, lediglich die Leuchten sind additiv.

Einen kleinen Wermutstropfen bildet die Fassade des Bestandsgebäudes, das im Zuge des Neubaus ebenfalls modernisiert wurde. Es wurde neu gedämmt und erhielt u. a. den gleichen Eichenfußboden wie der Neubau, sodass der Bodenbelag eine nahtlose Verbindung bildet. Wie schon vor der Sanierung sollte die Fassade zweigeteilt sein.

Durch die Leichtbauweise kam eine Betonfassade nicht infrage, daher entschied man sich für eine Holzbekleidung im OG und Klinker im EG. Die Holzpaneele passen gut zum Neubau, während die Klinkerfassade etwas fehl am Platz wirkt. Die Entscheidung für das gewohnte Material ist anderseits verständlich und bei allem Einsatz und Engagement sicher auch eine Kostenfrage – bitte nicht protzen. Dass es nicht überall funkeln muss und an manchen Stellen eben auch geringe Betonqualitäten ausreichen, zeigt z.B. das Fluchttreppenhaus, das durch Absturzsicherungen aus Draht und Betonfertigteilen einen etwas raueren Charakter als das restliche Gebäude hat.

Insgesamt wirkt der Neubau trotz der Details und Sonderlösungen angemessen und maßhaltig. Diese begehbare Visitenkarte ist wohl das Gegenteil von Investorenarchitektur, in der die Planer, Bauherren und Ausführenden nur selten Hand in Hand arbeiten. Gefragt, in welche Backwarenkategorie dieses Gebäude fällt, antwortet Horst Köhler übrigens nicht ohne Stolz auf das gelungene Projekt: »Torte«.

5. Dezember 2016 Dagmar Ruhnau
deutsche bauzeitung

Schicht für Schicht

Das Augustinermuseum in Freiburg erfährt gegenwärtig eine tiefgreifende Sanierung und Umgestaltung, auf die es fast hundert Jahre lang warten musste – und die sich voraussichtlich über rund zwanzig Jahre erstrecken wird. Nachdem 2010 der erste ­Bauabschnitt übergeben wurde, steht seit September auch der zweite von insgesamt drei Abschnitten für Besucher offen.
In einem höchst charmanten Wechselspiel zwischen nüchtern-pragmatisch und rätselhaft-verspielt kommen sowohl die historische Umgebung als auch die Anforderungen eines modernen Museums­betriebs zu ihrem Recht.

Erst auf den zweiten Blick sieht man, dass sich in der Straße etwas getan hat, so selbstverständlich steht der Neubau zwischen seinen Nachbarn. Eigentlich sind es drei Baukörper: wie die Nachbarn vertikal ausgerichtet, dabei aber ganz unterschiedlich proportioniert. Der Hauptbau mit taubenblauem kannellierten Putz nimmt von der historischen Häuserreihe zur Linken die kleinteilige, bewegte und schmuckvolle Gliederung, die hohen Gauben und Biberschwanzdeckung auf, die beiden folgenden Häuschen vermitteln zum hohen Chor der ehemaligen Augustinerkirche, indem ihre Gestalt schlichter, jedes Volumen kleiner und zum Schluss sogar die Baulinie an der Straße aufgegeben wird. Vom Chor, in dem zurückhaltend Spuren früherer Bebauungs­stadien sichtbar gemacht wurden, übernehmen sie die geschlossene, verputzte Gestaltung. Dass die Neubauten zur Straße fast komplett fensterlos sind, fällt zunächst einmal gar nicht auf. Große Tore und Öffnungen, Blindfenster, zwei Reliefs und ein elektronisches Display geben dem Auge genug zu tun. Besonders auffällig: das großformatige Relief auf der Schaufassade. Es trägt 16 Felder mit je einer glänzenden Letter, ähnlich wie in einem Setzkasten für den Buchdruck. Die Zeilen ASES – UTRE – GIMU – UNUM lassen Lateinisches vermuten, doch nach einigem Rätseln enthüllt sich das Wort »AUGUSTINERMUSEUM«, wenn man spaltenweise liest. An der roten Steintafel am Mittelbau ist beim Näherkommen »Haus der Graphischen Sammlung« zu entziffern. Darunter wird man später, tief im Grundstück gelegen, den Eingang finden.

100 Jahre Vorlauf

Die Gestaltung der Straßenseite(n) verweist auf den ersten Blick mysteriös, aber eigentlich ganz konkret auf den Zweck des Hauses: Es dient ganz der grafischen Sammlung des Augustinermuseums und des nahen Museums für Neue Kunst – zusammen 90 000 Blätter und Fotografien. Erstmals bekommen damit die Werke einen angemessenen Ort für Aufbewahrung, Restaurierung und Inventarisierung.

Wie die unzähligen anderen Sammlungsstücke des Augustinermuseums wurden sie in den letzten rund hundert Jahren nur provisorisch verwaltet. Grund dafür war die wechselvolle Geschichte des Gebäudes, eines ehemaligen Klosters aus dem 13. Jahrhundert. Im 18. Jahrhundert barock überformt und nach der Säkularisierung in ein Theater umgewandelt, sollte hier ab 1910 ein Neubau für die städtischen Sammlungen entstehen, doch konnten vor dem Ersten Weltkrieg nur noch die Theatereinbauten entfernt werden. Bis 1923 wurde die Augustinerkirche durch Stadtbaumeister Karl Gruber in eine lichtdurchflutete Ausstellungshalle umgebaut.

Und dabei blieb es. Über die Jahre zeigten sich zahlreiche Mängel, v. a. durch unzureichende Heizung: frierende Besucher, Feuchtigkeitsschäden, Schimmel – und völlig unangemessene Bedingungen für die Museumsstücke. Mit der Sanierung und dem Umbau seit 2002 durch Christoph Mäckler Architekten wird der Bau in ein zeitgemäßes Museum verwandelt. Viele Aspekte sind zusammenzuführen: museale auf der einen Seite – von der Logistik über die Haustechnik bis zur Besucherführung – und baulich-konstruktive sowie gestalterische auf der anderen, die den historischen Bestand bei allen heutigen Anforderungen wieder in den Mittelpunkt stellen. Das alles, wie Museums­direktor Tilmann von Stockhausen anerkennend sagt, in der »Kunst, die drei Bauabschnitte stets zusammen zu denken«. 2020, zur 900-Jahr-Feier Freiburgs, wird voraussichtlich auch der bereits seit August laufende 3. Bauabschnitt, das ehemalige Konventsgebäude um den Kreuzgang, abgeschlossen sein. Die phasenweise Umsetzung hat ihren Grund in der Finanzierung, die durch Bund, Land, Stadt und nicht zuletzt unzählige Spender gemeinsam getragen wird. Gut 60 Mio. Euro wird das Projekt kosten, rund 2 Mio. Euro Spenden sind das Ergebnis der Arbeit des eigens gegründeten Kuratoriums Augustinerkirche Freiburg.

Konzentrierte Atmosphäre

Das Haus der Graphischen Sammlung ersetzt einen quer zwischen Hausreihe und Chor eingesetzten Torbau aus den 20er Jahren, dessen Dachform sich am Chor in einem helleren Gelb abzeichnet. Der Weg zum Eingang führt durch den Neubau hindurch, das Foyer liegt bereits im Altbau, in einem kurzen Flügel des ehemaligen Konventsgebäudes. Kaum hat sich die Tür geschlossen, wird es ruhig, nicht einmal die Straßenbahn ist noch zu hören. Das niedrige, warm beleuchtete Gewölbe des Foyers, zentraler Sammelpunkt und Verteiler, bietet nach den vielen Eindrücken draußen erst einmal Gelegenheit, zu sich zu kommen. Hier befinden sich Garderobe und Schließfächer, angrenzend die Räume der Museumspädagogik sowie der Shop mit Kasse. Der Shop liegt im denkmalgeschützten Nachbarhaus, landläufig »Elektro Hauser« genannt. Das Haus wurde erst während der Planungszeit erworben und wird das Museum nach Fertigstellung zur Straße und für Zufallsbesucher öffnen.

Neben dem Foyer beginnt die sogenannte Kleinodientreppe, die funktional eine vertikale Verbindung im Rundgang durch die drei Bauabschnitte des Museums bildet. In diesem elliptisch geformten, in sich gekehrten Raum werden besondere Ausstellungsstücke aus der Sammlung in 30 unterschiedlich großen, in die Wand eingelassenen Vitrinen präsentiert. Beim Betrachten steigt man langsam in die Höhe. Die gleichmäßige Farbgebung von Wänden, Decke und Boden sowie das gedämpfte Licht erzeugen eine introvertierte Stimmung, doch immer wieder führen überraschend einige Stufen nach oben oder nach unten zu schwarz gehaltenen Türen und Gängen, hinaus aus dem Treppenraum in die Schaugeschosse oder hinter die Kulissen. Dabei lässt man gern mal für eine Weile die Orientierung fahren, denn trotz der vielen Möglichkeiten zum Abschweifen findet man durch die klare Führung stets wieder auf den Rundgang zurück. »Wegen der vielen unterschiedlichen Anschlusshöhen war es erst gar nicht möglich, die Treppe zeichnerisch darzustellen«, kommentiert Claudia Gruchow, Partnerin bei Christoph Mäckler Architekten und dort u. a. für Innenraumkonzepte zuständig, die Anforderungen. Erst anhand mehrerer Modelle und unterschiedlich langer Treppenläufe mit jeweils leicht variierten Steigungshöhen ließ sich die Aufgabe bewältigen.

Auch bis der Beton die gewünschte Farbe und Oberfläche hatte, musste viel experimentiert werden, insbesondere mit dem Zuschlag. Die sandfarbenen, gestockten und scharrierten Oberflächen, von glatten Flächen sauber ­begrenzt, greifen ein prägendes Gestaltungsmerkmal der Augustinerkirche auf – dort bestehen die neu eingebauten Stützenreihen mit ihren Galerien aus diesem Material. Und wie in der Kirche ist der Treppenbelag in hellem Marmor ausgeführt.

Die Wiederholung bestimmter Elemente zählt zu den gestalterischen Prinzipien, über die die verschiedenartigen Räumlichkeiten des Museums übergreifend verbunden werden. Neben Materialien und Farben gehören dazu die Motive der Treppe und der Durchblicke, die Verwendung von Spolien, schräge Laibungen und auch die Vitrinen.

Auf die Vitrinen wurde, mehr noch als im ersten Bauabschnitt, höchste Sorgfalt verwendet. Architekten, ausführende Firma und der Chefrestaurator Christoph Müller entwickelten in intensiver Zusammenarbeit eine spezielle Konstruktion. Drei Röhren, in exakt abgestimmter Ausrichtung an die rechteckige Box angeschweißt, stellen die schattenfreie Beleuchtung und perfekte Klimatisierung sicher – die Schalung dafür und für die Zuleitungen stellte beim Betonieren eine entsprechende Herausforderung dar.

Vollständige und unvollständige Wege

Die zentrale Lage der Treppe ermöglicht die saubere Trennung von öffent­lichen und nichtöffentlichen Bereichen. So können die Mitarbeiter, ohne den Weg der Besucher zu kreuzen, ihren vielfältigen Aufgaben nachgehen. Nicht weniger als vier Treppenerschließungen stehen ihnen dafür zur Verfügung. Wesentliche Teile dieser Aufgaben – Verwaltung, Restaurierung, Vorlegen, Museumspädagogik – finden im ­Gebäude von Elektro Hauser bzw. dem hinten anschließenden Flügel des Konventsgebäudes statt. Alle klimasensiblen Funktionen liegen indes im Neubau: die geschützte Anlieferung hinter dem großen Tor im EG, der Ausstellungsraum im 1. OG und die Magazinräume für Grafiken bzw. Fotografien im 2. und 3. OG.
Im 1. OG schließt die Treppe an den Rundgang an. Zurzeit sind allerdings die Räume im Konventsgebäude noch nicht zugänglich, es geht vorläufig nur in den einzigen Ausstellungsraum des Neubaus. Außer einer Sichtbetonstütze in der Mitte strukturiert nichts den 100 m² großen, quadratischen Raum, die ­Innenarchitektur gestaltet das Team des Museums für jede Ausstellung neu. Entsprechend zurückhaltend sind sämtliche technischen Funktionen wie ­Beleuchtung, Elektro- und Klimaleitungen in schlichten schwarzen, vielleicht etwas zu prosaischen »Technikgräben« an der Decke und im Boden bzw. in einem kaum sichtbaren umlaufenden Sockel untergebracht. Vitrinen und Stellwände sind damit flexibel andienbar.

Neben dem Ausstellungsraum beginnt das letzte momentan zugängliche Stückchen des Rundgangs: mit einem kleinen Vorraum, der direkt an den Chor der Augustinerkirche andockt und außerdem auf einen Steg führt, der den Rundgang in den 1. Bauabschnitt schließt. Ursprünglich wollten die Architekten auf dieser Verbindung einen Austritt platzieren, von dem man hinter dem barocken Orgelprospekt im Chorraum hätte hinunterblicken können. Doch dem Kuratorium war die Unversehrtheit des Chors zu wichtig. Gestalterisch hätte man mit diesem Zugang das Thema der Treppen und Durchblicke, das den Ausstellungsraum in der Kirche prägt, konsequent und sinnfällig fortgesetzt. Nun führt der Steg leider direkt vor der Kirchenfassade in den vorderen Bau. Er ist zwar verglast und mit schönem Eichenparkett ausgelegt, aber er beeinträchtigt den ohnehin recht engen Hof und mehr noch den Anblick der Kirche. Einen Hoffnungsschimmer gibt es jedoch: An der Stelle, wo der Vorraum auf den Chor stößt, sind Lisenen eines der hohen, ­zugemauerten Chorfenster zu sehen. Eines Tags wird die Wand in diesem ­Bereich hoffentlich geöffnet werden können, sodass der Blick auf die Orgel frei wird – momentan fehlt noch das Geld.

Stück für Stück wird das Augustinermuseum fertig werden. Man spürt das Vertrauen zwischen Architekten, Bauherren, Spendern und auch Handwerkern und freut sich an der Entdeckung von Detail um Detail – und darauf, ­irgendwann auch wieder im wunderbaren Café im Kreuzgang sitzen zu können, das 2010 als vorgezogener Teil des 3. Bauabschnitts vorläufig in Betrieb genommen wurde, jetzt aber wieder geschlossen ist und zusammen mit dem Konventsgebäude vollständig fertiggestellt werden wird.

5. Dezember 2016 Achim Geissinger
deutsche bauzeitung

Hüttenzauber

Ausflugsgaststätte »Umbrüggler Alm« in Innsbruck (A)

Mit einer gestalterischen Haltung, die einen hohen Anspruch erkennen lässt, dabei aber nicht schicker sein möchte, als es für den Ort passend erscheint, haben die Architekten hoch über Innsbruck einen gleicher­maßen raubeinigen wie eleganten Sehnsuchtsort geschaffen, der – stadtnah gelegen – kaum anders konnte als zur Erfolgsgeschichte zu werden.

Bei schönem Wetter ist ganz Innsbruck am Berg, d. h. allermindestens auf der sonnenverwöhnten Südseite des Karwendels im Wald und auf den Almen unterwegs – Teile davon sind mit der einst von Zaha Hadid gestalteten Hungerburgbahn (s. db 3/2008) leicht zu erreichen.

Die Stadtverwaltung weiß nur zu gut darum und gönnte den Bürgern auf ­öffentlichem Grund den Bau einer neuen Ausflugsgaststätte. Der Standort hat Tradition, schon seit Jahrhunderten wurde auf der Umbrüggler Alm Weidewirtschaft betrieben und bekam der Wanderer vom Senn zu essen und zu trinken. 1873 gab es mit dem Neubau der Hütte gleichzeitig auch eine offizi­elle Schankerlaubnis – mit der es ein Jahrhundert später, 1979, allerdings ein Ende nahm, weil die Lebensmittelpolizei kein Auge mehr zudrücken konnte und das bis dahin marode Gebäude abgerissen wurde.

Für den Neubau wollten die beiden im Verbund arbeitenden und im Wett­bewerb siegreichen Bregenzer Architekten Elmar Ludescher und Philip Lutz mit möglichst wenig Erdbewegung auskommen und versenkten so das geräumige UG allein rückseitig im Hang – ein wenig oberhalb des alten Standorts, den Berg im Rücken und die volle Aussicht vor sich.

Aus der Ferne wirkt das Gebäude trotz seiner relativen Größe, der mehrfach gebrochenen Grundrissfigur und dem vielflächigen Dach wenig aufgeregt. Die Dachdeckung aus drei Lagen Lärchenschindeln ist im Vergrauen begriffen, zeitverzögert wird auch die Schindelbekleidung der Wände folgen und sich dem Farbton der umstehenden Fichtenstämme anpassen. Als Farbtupfer erhalten bleiben werden die sommerliche Terrassenmöblierung, die zurückgesetzten, unbewitterten Holzfassaden und die Spiegelungen in dem gläsernen Fassadenband, welches dem Gebäude einen Hauch von fliegender Untertasse verleiht.

Auf Qualität geachtet

Von warmer Gastlichkeit kündet der rauchende Kamin, der die Holzfeuerung und zwei offene Kamine in den beiden Gaststuben bedient. Das Innere ist ein Traum in Holz. Die Wände sind mit bandsägerauer Weißtanne bekleidet, der Boden damit belegt. Den Anspruch an die Holzoberflächen ­haben die Architekten aus Vorarlberg mitgebracht und im Sägewerk auf Herzdielenschnitt mit stehenden Jahren geachtet, wie auch darauf, dass die ausführende Firma vor Ort die Herausforderungen der komplexen Deckengeo­metrie meisterte. Die geschlitzten Akustikpaneele aus Weißtanne sorgen für eine angenehme Hörsamkeit, die trotz der Größe des Raums nicht ins Hallige abdriftet, eine gewisse Intimität am Tisch bleibt gewahrt. Locker, aber mit geübter Hand über die Deckenuntersicht verstreute Punkstrahler, Bewegungs- und Rauchmelder ergeben zusammen mit den Stößen unterschiedlicher Holzfarben ein lebendigeres Bild als es die Fotos vermuten lassen; auf diesen wirken die Räume sehr viel »cleaner«, als das realiter der Fall ist. Der raue Charme, dem etwas Provisorisches, vielleicht sogar Werkstatthaftes anhaftet, passt gut zur rusti­kalen Tradition des Orts – vervollständigt durch kantige, ins Klobige tendierende, dennoch elegante Stühle und Tische nach Entwurf der Architekten. All das kann ruhig ein wenig schmutzig werden und angestoßen sein; die Patina wird dieser Neuinterpretation einer Almhütte eher gut tun und den unvorbereiteten Wanderer davon abhalten, sich dem zeitgenös­sischen Schick mit zu großer Ehrfurcht zu nähern.

Dünne, schwarze Stützen innen vor der Dreischeibenverglasung gewähren maximale Aussicht: ein nahezu 180° umfassendes Panorama Wald-Tal-Berge, vom auskragenden Dach beschattet und gerahmt, über die Stadt, zur Bergisel-Schanze und weit darüber hinaus. Ein räumlicher Kniff verhindert, dass die Horizontalität die Oberhand gewinnt: Die zur Raummitte hin ansteigende Zeltform der Decke mündet in eine bergende Geste und schafft Konzentra­tion in den Raum hinein statt zur Aussicht hin. Man mag den Begriff kaum benutzen, aber der Rezensent fand es dort schon sehr gemütlich und blieb auch deutlich länger sitzen als geplant – um die sauberen Details und die unauffällig integrierten Ideen zu studieren, wie z. B. eine die Fensterseite begleitende Bank (jeder will immer am liebsten auf der Bank sitzen), das Fugenbild oder die Lüftungsleiste zwischen Fassade und Decke, die auf die Komfort­lüftung mit Wärmerückgewinnung und somit auf den nachhaltigen Betrieb verweist, der dem ganzen Projekt abverlangt wurde. Genutzt werden auch die Abwärme von Kühlzellen und Küche – gekocht wird mit Gas. Warmwasser steuert ein Sonnenkollektor am Hang bei, das Gros der Wärme liefert die Stückholz-Heizung, unterstützt von den offenen Kaminen. Die komplexe Technik des Lüftungsgeräts ist auf einer Empore zwischen Dach und der in ­einer freien, von den Dachflächen unabhängigen Form abgehängten Decke untergebracht.

Das Wasser stammt von einer Quelle auf dem Grundstück, die Entwässerung erfolgt über ein Kanalsystem, das die Stadt schon früh für die auf dem weitläufigen Hang verstreuten Gehöfte und Forsthäuser angelegt hat.

So wie die Stadt mit den Architekten die richtigen Partner für die Umsetzung ihres Slogans alpin | urban gefunden hat, so hat sich bei der Gastronomieausschreibung auch das passende Konzept der Vollblutgastronomin Sonja Schütz durchgesetzt: Ihre Speisekarte orientiert sich an traditionellen Gerichten der Region, die üblichen Fertigprodukte kommen bei ihr nicht auf den Tisch, alles wird aus möglichst regionalen Zutaten frisch gekocht, gebacken, zubereitet. Mit der hohen Qualität, die freilich ihren – keineswegs zu hoch angesetzten – Preis hat, überzeugt sie auch die zunächst skeptischen Gäste, die von anderen Bergstationen schnelle, billige Dutzendware gewohnt sind. Die warmherzige, zupackende Wirtin verbringt mit ihrem Lebenspartner ganze Wochen auf der Alm, die kleine Wohnung im UG bietet dazu die nötigen Schlafplätze. Das übrige Personal nimmt bisweilen täglich den steilen Aufstieg in Kauf; das Befahren der Waldwege wird so gut wie niemandem ­erlaubt, Stellplätze gibt es ohnehin nur für die Pächter selbst.

Dennoch finden sich bei schönem Wetter, v. a. an Feiertagen und Wochenenden zahllose Gäste ein, die kaum mehr auf die geschotterte Terrasse passen. Diese soll bald, da sich der Untergrund ausreichend gesetzt hat, einen Holzrost erhalten. Im Innern lässt sich die Bewirtung noch auf einen Nebenraum ausweiten, der bisweilen für private Anlässe und auch Seminare genutzt wird, und notfalls sogar noch auf den sogenannten Naturraum, eine kleine Ausstellung zur Fauna und zur Zugänglichkeit des Naturparks Karwendel. Leider ist der Ausstellungsraum durch seine Lage im Gebäude, wiewohl über den ­Balkon von außen zugänglich, kaum zu finden – eine Beschilderung ist in ­Arbeit. Auch versucht die Pächterin noch, die durchaus geräumige Küche weiter zu optimieren, die der Küchenplaner für eine ganze Reihe von Eventualitäten auszulegen hatte und nicht perfekt auf ein einzelnes Küchenkonzept hin ausrichten konnte. Die mit schönem Kontrast von Holzoberflächen und anthrazitfarbenen Fliesen und Trennwänden die Dunkelheit im Untergrund thematisierenden Sanitärräume im UG zeigen in den Edelstahlwaschbecken, wie kalkhaltig das Alpenquellwasser ist. Freilich darf man sich auch über­legen, warum ein Gebäude, das im Grunde aus einer Betonstruktur besteht, nach allen Seiten wie ein Holzbau daherkommen soll, und wie gut es die ­damit einhergehende Unehrlichkeit verträgt. Unweigerlich führt das aber zum unausführbaren Spagat zwischen gewünschter Anmutung, erhofften ­Anknüpfungspunkten, emotionaler Zugänglichkeit und den nackten Anforderungen an ein bezahlbares, funktionales, nutzbares Stück Hightech, das Schneelasten tragen und auch einem Lawinenabgang standhalten kann.
Insofern sind alle Beteiligten zu loben, dass sie ernsthaft für ein passendes Stück Architektur an dieser Stelle gefochten haben: die architekturaffine Bürgermeisterin als treibende Kraft der Architekturqualität in Innsbruck, ebenso wie das vife Bauamt, die Bauleitung und die Architekten samt den ausführenden Handwerkern.

Die noch junge, bereits mit Preisen überschüttete Alm trifft in Anmutung wie An­gebot genau den richtigen Ton zwischen anspruchsvollem, aufgeschlossenem Stadtleben und den guten, Körper und Geist wohltuenden Aspekten der Tradi­tion: nicht zu schick, dafür aber richtig gut.

5. Dezember 2016 Christine Fritzenwallner
deutsche bauzeitung

Räume zum Atmen

Eine alte Skifabrik und Lagerhalle mit wenigen finanziellen Mitteln so umzubauen, dass eine barrierefreie Wohneinrichtung entsteht, in der zehn intensivpflegebedürftige Kinder sowie alles medizinisch Notwendige für sie und noch dazu zwei Familienapartments Platz finden – das kann für manchen schon Herausforderung genug sein. Dass dabei aber nicht einmal eine Krankenhaus- oder Pflegeheimatmosphäre entsteht, ist dem Gespür und außergewöhnlichen Engagement der Planer und Initiatoren zu verdanken.

Mancher Leser mag auf den ersten Blick, was die Auswahl dieses Projekts betrifft, vielleicht irritiert sein, entspricht das äußere Erscheinungsbild doch eher weniger den sonst üblichen Sehgewohnheiten und nüchterneren Ansichten im Redaktionslieblinge-Heft. Aber dieses Gebäude mit den Maßstäben klassischer Architekturkritik zu beurteilen, wäre ohnehin nicht angebracht. In einem Haus für Kinder, die dauerhaft auf den Rollstuhl, künstliche Beatmung und damit permanent auf die Hilfe anderer angewiesen sind, bestimmen andere Themen den Lebensalltag: Wo überall werden barrierefreie Bereiche benötigt? Wie müssen sämtliche Räume beschaffen und ausgestattet sein, um den hier beschäftigten 34 Vollzeitkräften (für zehn Kinder und Jugendliche von 0-18 Jahren) die Arbeit zu erleichtern? Können die Eltern ihren Kindern kurzzeitig oder bei Bedarf auch längerfristig räumlich nahe sein? Aber v. a. auch: Kann man überhaupt den medizintechnischen Anforderungen gerecht werden, ohne Assoziationen zu einem Krankenhaus oder Pflegeheim hervorzurufen?

Vom Dornröschenschlaf zum »Luftikus«

Man kann. Dass bei all diesen Fragen das Atmosphärische und die Ästhetik nicht zu kurz kamen, ist hauptsächlich Birgit Stiletto zu verdanken. Die ausgebildete Krankenpflegerin und studierte Innenarchitektin war es, die das ­Projekt Luftikus ins Leben gerufen hat. Gemeinsam mit ihrem Mann, einem Kinderneurologen und »Impulsgeber«, so Birgit Stiletto, gründete sie zunächst einen Verein und machte eine Bedarfsanalyse in ganz Deutschland: ­Damit ließ sich die in den vergangenen Jahren aufgrund des medizinischen Fortschritts zunehmende Anzahl von Kindern abschätzen, die nach Unfällen oder z. B. durch eine problematische (Früh-)Geburt zwar am Leben erhalten, aber nicht selbst atmen und essen können und intensivpflegebedürftig sind. Der damals einzigen Einrichtung in Baden-Württemberg für beatmete Kinder wollten sie schließlich eine weitere hinzufügen, und so suchten sie im Schwarzwald nach einem geeigneten Grundstück und Bauwerk zur Umnutzung: Geeignet v. a. insofern, als dass es viel ebenerdige Freifläche bietet, um auch eine rollstuhlgerechte Gartenanlage zu schaffen und im ­Innern wenige bauliche Hürden bezüglich Barrierefreiheit entstehen.

Eine ehemalige Skifabrik, die zuletzt nur noch als Lagerhalle für Landmaschinen diente und schließlich leer stand, erschien hierfür passend. Nach der Gründung des Vereins Luftikus gelang es der Bauherrin, Klaus ­Günter von Partner und Partner Architekten, die in der Umgebung bereits ­einige beachtenswerte Bauten mit Holz realisiert hatten, hinzuzuziehen. Beide waren sich von Anfang an einig: Von dem idyllisch oberhalb des Ortskerns gelegenen, scheinbar in einen »Dornröschenschlaf« verfallenen Gebäude, so Günter, ­sollte möglichst viel erhalten bleiben und mit vorwiegend natürlichen Baustoffen ergänzt werden. Nur der Bauzustand der früher in Teilen errichteten Fachwerkfabrik machte einen Strich durch die Rechnung: zu marode die alte Konstruktion im zur Straße hin befindlichen Gebäudeteil, zu unwirtschaftlich und teuer seine Erhaltung und noch dazu ein unterirdischer, wenn auch versiegelter Bachlauf ... Der vordere Teil zur Straße hin wurde schließlich neu ­errichtet. Im hinteren, südlichen Teil zeigt sich indes noch die alte Bausubstanz mit dicken Stützen vor den neu davor errichteten Wänden. An seiner Frontseite wurde ein Teil der Fassade neu verschindelt; zusammen mit der dunklen, durch die Sonne gealterten Holzschalung darüber und der sicht­baren alten Fachwerkwand daneben verleihen sie der vorgelagerten Terrasse Charme und ­Atmosphäre.

Die anderen Fassadenseiten ebenfalls zu verschindeln, wie im früheren Zustand, hätte jedoch die Kosten erheblich in die Höhe getrieben – was sich ­hinsichtlich der vielen beteiligten Spendengeber nicht verantworten ließ. ­Bezüglich der nun gewählten, vertikalen Fichten- und Tannenholzschalung orientierten sich die Planer an alten Wirtschaftsgebäuden in der Umgebung mit ­ihren Boden-Deckel-Schalungen unterschiedlicher Breiten. Sie hellbeige zu lackieren, ist zwar ebenso ortstypisch, lässt diese Fassaden aber gegenüber der Südfront unnatürlicher erscheinen. Trotzdem: Hell und freundlich sollte sie auf Besucher und Bewohner wirken, und das tut sie.

Gelungene Kombinationen

Ursprünglicher wird es dafür wieder im Innern: Hier zieht sich im EG der alte aus dem DG ausgebaute Dielenboden als Deckenuntersicht und in Funktion einer Akustikdecke durch die breiten Gänge. Auch wurden alte Türen ausgebaut, restauriert und an anderen Stellen wieder eingebaut, ein alter Schlitten, Skier und die alten Letter der Skifabrik-Morlok als Decken-/Wanddekoration eingesetzt und auf Flohmärkten gesammelte, bemalte Bauernschränke sparsam den Räumen hinzugefügt.

Und etwas »Luxus«, so Stiletto, konnte man dennoch verbauen: Etwa die teils gespendeten Douglasie-Massivholzdielen oder (nun dreifachverglaste) Holzsprossenfenster. Auch weitere, hochwertige Materialien wie z. B. die Einblasdämmung aus Holzfasern, Armaturen, Beschläge oder Leuchten wurden, wenn nicht gespendet, dann von Firmen rabattiert zur Verfügung gestellt. So auch die Farben, die Stiletto mit gutem Gespür zu einem ausgewogenen Farbkonzept kombinierte: pastellene Farbflächen in Lindgrün oder in kräftigerem Grün, etwa im Klangraum im UG, wechseln mit hellblauen Oberflächen und Tapeten oder auch mit einem mittleren Blau (Familienapartment im OG) und ergänzen die erdig-warmen Grundfarbtöne der restlichen Wände und Decken.

Allein das Aufzuginnere sticht in grellem Weiß hervor – noch, denn das will die Innenarchitektin von einem Künstler überarbeiten lassen. Sie war es auch, die darum kämpfte, dass nicht nach Krankenhausverordnung ausgeführt werden musste. Daher wirken die Kinderzimmer, trotz aller notwendigen Medizintechnik (die auf den Architekturfotografien nicht zu erkennen ist), und das gesamte Haus wohnlich und behaglich. Sämtlichen Apparaturen für die Beatmungstechnik, Notleuchten usw. konnte sie durch die Auswahl des Mobiliars »starke Kontraste« entgegensetzen. Ein Glück, dass es auch Pflegebetten aus Holz gibt, deren Rausfallschutz folglich nicht aus den von anderen Kinderkrankenstationen bekannten, gefängnisartig anmutenden Gittern besteht. Dass allein ein solches Bett jedoch mit über 5 500 Euro zu Buche schlägt, verdeutlicht, wie sehr man bei dem zu ca. 40 % spendenfinanzierten Projekt auf karitative Zuschüsse, ­Privatspenden größerer und kleinerer Institutionen und auch Eigenleistungen in Form unbezahlter Arbeitseinsätze angewiesen war – etwa einer Vereinigung von Raumausstattern, die einen Tag lang das ganze Haus einkleidete.

Hoch war aufgrund des Patientenüberwachungssystems auch der Aufwand für die zahlreichen Elektro- und Datenleitungen, die wegen der hohen Brandschutzauflagen bei sämtlichen Durchführungen und Brandschutzschotts besonders berücksichtigt werden mussten.

Herz und Seele

Während im UG u. a. Therapieräume und Nebenräume für das Personal vorhanden sind, befinden sich im OG hauptsächlich zwei rund 70 m² große Familienapartments, auch hier mit je einem Pflegebett für Kinder in Kurzzeitpflege. In diesen beiden Etagen, genauer im Keller und im Dach des alten Gebäudeteils, birgt der Luftikus noch Ausbaupotenzial. Das voll ausgebaute EG hingegen beherbergt sämtliche Patientenzimmer – zwei als Doppel- und die restlichen als Einzelzimmer konzipiert –, Bereitschaftszimmer, Bäder und schließlich das Herz des Ganzen, die gute Stube: In der ehemaligen alten Werkhalle bot es sich an, einen großen Essraum mit angeschlossener, offener Küche und vorgeschaltetem Wintergarten zu schaffen – in dessen abgehängter Sofaschaukel alle Insassen, ob klein oder groß, die Seele baumeln lassen können.

Anerkennung

Wie kann ich meinen Angehörigen trotz Krankheit und Behinderung das ­Leben noch so angenehm und erträglich wie möglich machen? Wo würde ich selbst im pflegebedürftigen Alter leben wollen? Mit solchen Fragen, die die meisten Menschen so lange es geht vor sich herschieben, sind jene Eltern konfrontiert, deren Kinder nun im Luftikus ihr Zuhause haben. Diesen Familien, deren prekäre Lebenssituation sich ohnehin nicht in wenigen Worten beschreiben lässt – die emotionale Seite für jene, die ihr Kind hier komplett in die Obhut anderer übergeben müssen, weil sie es alleine nicht betreuen können, einmal ganz außen vorgelassen –, bietet der Luftikus etwas Trost: indem die sonst gewohnte Krankenhausatmosphäre fast schon einer Urlaubsatmosphäre im »Wohlfühlhotel« weicht. Das bedeutet: Durchatmen für die Eltern. Kraft schöpfen. Sich zuhause fühlen, wenn ein Zuhause im klassischen Sinn nicht mehr möglich ist. Und als Außenstehende jenen Menschen Respekt zollen, die das Projekt mit derlei Eigeninitiative, Engagement oder Spenden überhaupt erst ermöglicht haben.

5. Dezember 2016 Christian Schönwetter
deutsche bauzeitung

Gewinnen durch verzichten

Die Kleinstadt Waldkirch hat ihr Freibad komplett ­umgestaltet. Ein skulpturales Eingangsbauwerk mit ­Liegewiese auf dem Dach modelliert die Landschaft und harmoniert mit den nahegelegenen Hängen des Schwarzwalds. Die hohe Qualität der Architektur ließ sich nur dank einer klugen Entscheidung des ­Gemeinderats verwirklichen.

Ein wenig irritiert schauen mich die beiden Damen im Bikini an. Wie ich mit Sonnenbrille vor dem Zaun stehe und von außen das Freibadgelände mustere, muss in der Tat einen befremdlichen Anblick bieten. Dabei war es wirklich nur die eigenwillige Architektur, die meine Aufmerksamkeit geweckt hat, als ich auf einer Radtour entlang des Flüsschens Elz zufällig hier vorbeigefahren bin. Damit die beiden Frauen sich wieder entspannen, drehe ich mich weg und werfe einen Blick aufs Smartphone; es verrät mir, dass die Anlage erst vor Kurzem von den Architekten Kauffmann Theilig & Partner fertiggestellt worden ist. Also nach Hause, Badesachen holen und wiederkommen.

Zwei Stunden später stehe ich vor dem Eingangsbauwerk. Im Grunde ist es kein Gebäude, sondern ein Stück modellierter Landschaft. In sanftem Schwung wölbt sich das Gelände zu einem begrünten Hügel empor, der den Vorbereich mit Fahrradständern und Parkplätzen von den Liegewiesen und Becken trennt. Er nimmt die Kasse auf, aber auch Umkleiden, Duschen, Toiletten, Bademeisterraum und natürlich die Technikzentrale. Der Zugang für die Badegäste führt in einer weiten Kurve durch den Hügel, beinahe wie ein Tunnel – eine Assoziation, die durch den Boden aus betongrauem Guss­asphalt noch unterstrichen wird. Da dieser Belag sich bis in die Duschen ­hineinzieht, verwischen die Grenzen zwischen innen und außen. Bei einem unbeheizten, ungedämmten Bauwerk ohne Aufenthaltsräume leuchtet mir dieser Gestaltungsansatz ein, zumal er sich in einem solchen Fall ohne baukonstruktive Klimmzüge verwirklichen lässt.

Spätestens wenn man das Badegelände betritt, wird klar, dass das Verschmelzen von Landschaft und Bauwerk hier kein entwerferischer Selbstzweck ist, sondern v. a. dazu dient, zusätzliche Liegewiesen auf dem begrünten Dach zu erzeugen. An einem flirrend heißen Sonntag im August, an dem sich die Gäste Handtuch an Handtuch drängen, werden diese Flächen in der Tat dringend benötigt.

Keine halben Sachen

Inzwischen habe ich mich in der Lokalpresse über die Vorgeschichte des ­Projekts informiert. 2008 waren die beiden Freibäder Waldkirchs so marode, dass jeweils eine aufwendige Sanierung anstand. Beide stammten aus der Nachkriegszeit, waren aber über die Jahre immer wieder verändert worden und ­boten keinen besonderen Reiz. Nach einigem Hin und Her beschloss die Stadt, nicht zwei halbherzige Modernisierungen durchzuführen, sondern das eine Bad ganz aufzugeben und die Mittel zu bündeln, um bei dem anderen Bad einen richtigen Neuanfang zu ermöglichen. Durch diesen Verzicht ­konnte bei der verbleibenden Anlage aus dem Vollen geschöpft werden: Sie bietet jetzt alles, was 2016 zu einem ordentlichen Spaßbad gehört: gleich drei verschiedene Wasserrutschen, einen Strömungskanal mit integrierten Sitzbänken, eine Sprudelanlage, Massagedüsen, Nackenduschen und diverse Wasserspiele. Aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen wurden vom Bestand aus dem Jahr 1968 das vorhandene 50-m-Becken und das Kinderplanschbecken weitergenutzt. Sie erhielten eine Auskleidung aus Edelstahl über den vorhandenen Fliesen, sodass sich aufwendige Abbrucharbeiten erübrigten. Neu sind das Sprung- und das Nichtschwimmerbecken.

Unikat mit Charakter

Durch die Konzentration auf nur ein Freibad ließ sich auch eine anspruchsvolle Gestaltung umsetzen. Das große »Spaßbecken« in Form dreier sich schneidender Kreise reagiert auf die weichen Rundungen des Grundstücks, das sich in eine Kurve der Elz schmiegt. In freiem Schwung legen sich Wege und die Badeplatte um die Becken und setzen deren geometrisches Spiel im Detail fort: Das kleinteilige Betonpflaster folgt den Rundungen ebenso wie der Besenstrichbeton, den das Bauunternehmen nicht mit der üblichen parallelen, sondern mit einer leicht radial zulaufenden Rillenstruktur versehen hat. Hut ab vor dieser handwerklichen Leistung! Die Oberflächen fühlen sich barfuß zudem äußerst angenehm an, v. a. im Kontrast zu dem rauen 70er-Jahre-Knochensteinplaster im Freibad der Nachbargemeinde, das mir am Vortag ein fakirhaftes Lauferlebnis beschert hat.

Auch die Sprungtürme sind nicht von der Stange, sondern wurden eigens nach einem Entwurf der Architekten gefertigt. Die Projektleiterin holte testweise von der Rohbaufirma ein Angebot ein, das glücklicherweise nicht höher lag als die Angebote von Standard-Schwimmbad-Ausstattern. Also konnte man individuelle Türme verwirklichen, die sich in Form und Material harmonisch in das Gesamtkonzept integrieren. Besonders elegant wirken die Stufen aus schwarz durchgefärbtem Sichtbeton.

Das Gelände ist nach allen Seiten außenräumlich gefasst. An den Eingangs­hügel im Norden schließt westlich eine Struktur aus senkrechten Holzlamellen an, die als Abgrenzung zum benachbarten Sportareal dient. Im Südwesten geht sie in die sogenannte Lounge über: Diese überdachte Konstruktion ist über Holzdecks errichtet, die einen geschützten Aufenthalt im Freien ermöglichen. Nach außen mit Wänden geschlossen, in Richtung Becken aber geöffnet, schirmt sie an kühleren Tagen den Westwind ab, spendet an heißen Schatten und bietet bei Regenschauern einen Unterstand. Gleichzeitig sorgt sie für den nötigen Schallschutz zum angrenzenden Wohngebiet. Nach Südosten und Osten schließlich erhebt sich der Elzdamm, dessen frisch angelegte ­Hecken in einigen Jahren neugierige Blicken von außen verhindern werden. Umgekehrt werden zwei kleine Holzdecks, die die Pflanzung unterbrechen, dann nur noch punktuell Ausblick auf das Flüsschen gestatten. Ansonsten aber blendet die durchgängige Einfassung des Badeareals die ­direkte Umgebung weitgehend aus. Stattdessen stärkt sie den Bezug zur Landschaft im Hintergrund, indem sie den Blick stets nach oben auf die grünen Hänge des Schwarzwalds lenkt.

Beliebt oder beliebig?

Die Liegewiesen profitieren außerordentlich vom alten Baumbestand, an ­dem die Landschaftsplaner zum Glück festgehalten haben. Seinen Schatten suchen v. a. Familien und Senioren. Auf dem Eingangshügel, dessen Dach sich für ­das Anpflanzen von Bäumen nicht eignet, tummelt sich dagegen hauptsächlich die sonnenhungrige Jugend. Aus den Smartphones scheppern die Sommerhits. Dass diese erhöhte Liegefläche vom Rest des Geländes schwer ein­zu­sehen ist, dürfte ihrer Beliebtheit bei den Teenagern nicht gerade abträglich sein.

Ich verlasse das Bad mit dem Eindruck, dass die Stadtväter die richtige Entscheidung getroffen haben. Der zunächst sicher unpopuläre Schritt, eines der beiden Freibäder für immer zu schließen, hat sich offensichtlich gelohnt, wenn die neue Einrichtung quer durch die Generationen so gut angenommen wird. Als funktionalistisch geschulter Architekt kommen mir manche Details zwar etwas verspielt vor und ich frage mich bei der ein oder anderen freien Form, wie sie sich wohl begründen lässt. Aber insgesamt erzeugen sie eine heitere, beschwingte Atmosphäre – für die Bauaufgabe »Freizeit- und Erlebnisbad« scheint das eine angemessene Architektursprache zu sein.

Bauwerk