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Amsterdam (NL)

Wie bauen wir morgen?

UN Studio legt eine architektonische und städtebauliche Bilanz vor

29. Juli 2006 - Hubertus Adam
Die digitale Revolution hat binnen weniger Jahre den Prozess architektonischen Entwerfens grundsätzlich verändert. Während sich der heutige Architekt immer mehr in einem hochkomplexen Gefüge sieht, das massgeblich von ökonomischen Kräften gesteuert wird, weiten sich zugleich seine Tätigkeitsfelder aus. Architektur, so heisst es daher in der jüngsten Publikation des Amsterdamer Büros UN Studio, sei «ein multifunktionaler Zwitter aus Infrastruktur und Stadtplanung».

DIGITALE ENTWURFSPRINZIPIEN

Der Architekt Ben van Berkel und die Kunsthistorikerin Caroline Bos gründeten 1989 ihr eigenes Büro, das seither nicht nur eine Reihe wichtiger Bauten realisieren konnte, sondern sich auch den Ruf erwarb, auf eigenständige Weise Praxis und Theorie zu verbinden. Zehn Jahre später unterzogen die Gründer ihr Büro «Van Berkel & Bos» einer grundsätzlichen Neuorganisation - die Funktion des Architekten als Koordinator und Netzwerkexperte habe das vormalige baumeisterliche Selbstverständnis abgelöst, bemerkt van Berkel rückblickend. Aus diesem zu neuer Agilität und Flexibilität führenden Häutungsprozess ging UN (United Network) Studio hervor. Das neue Konzept beruht nicht nur auf einer bewussten Anonymisierung der in ein Team integrierten Autoren, sondern war auch die Reaktion auf eine mehr und mehr global sich ausdehnende Tätigkeit - UN Studio ist in vielen Ländern Europas aktiv, aber auch in den Vereinigten Staaten und in Ostasien.

Gelang van Berkel & Bos 1996 mit der eleganten Erasmus-Brücke in Rotterdam, die alsbald zum Wahrzeichen der Stadt avancierte, der internationale Durchbruch, so kann das jüngst eröffnete Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart-Untertürkheim (NZZ 19. 5. 06) als bisher bedeutendstes Werk von UN Studio gelten. Es ist ein überzeugendes Beispiel dafür, dass digitale Entwurfsverfahren durchaus zu einer neuen Körperlichkeit, ja zeitgenössischen Monumentalität der Architektur führen können. Mitunter ist die von van Berkel proklamierte dynamische Doppelhelix von Kritikern sogar als barock tituliert worden. Das mag zunächst irritieren, wird aber plausibel, wenn man den Barock als Überwinder des Manierismus versteht. Im Gegensatz zu manchen seiner poststrukturalistisch inspirierten Zeitgenossen arrangiert und collagiert van Berkel von jeher nicht Formfragmente und Gedankensplitter der Moderne, sondern sucht nach einer Einheit auf höherer Ebene.

KONZEPTUELLE METHODEN

Soeben hat nun UN Studio eine opulent illustrierte Monographie vorgelegt, die mit «Designmodelle. Architektur Urbanismus Infrastruktur» betitelt ist. Wie schon das 1999 anlässlich des Büro-Relaunchs erschienene dreibändige Werk «Move» ist auch das neue Buch eine Mischung aus Werkmonographie, theoretischen Essays und Statements. Ausführlich präsentiert werden 34 Bauten und Projekte aus nunmehr 17 Jahren beruflicher Tätigkeit.

Gegliedert sind diese weder chronologisch noch typologisch, sondern nach den für ihr Entstehen massgeblichen «Designmodellen». Dabei handelt es sich gleichsam um eine Fortentwicklung der Diagramme, mit denen van Berkel & Bos in früheren Jahren operierten. Designmodelle sind gemäss dem Verständnis von UN Studio konzeptuelle Methoden, welche in Zeiten sich mehrender, den architektonischen Prozess bestimmender Faktoren gleichsam der Selbstvergewisserung dienen. Dank ihrer Abstraktheit erlauben sie Elastizität, ohne die Spezifik in der Konkretisierung zu unterbinden.

Zu diesen Modellen zählt etwa das Inklusivprinzip, also die Verschmelzung von Boden, Decke und Wand zu einer kontinuierlichen Form, wofür das NMR-Labor der Universität Utrecht ein Beispiel ist. Zu nennen sind aber auch mathematische Prinzipien, so das dem Möbius-Haus zugrunde liegende Möbius-Band, die Kleinsche Flasche (Projekt: Living Tomorrow, Amsterdam) oder die Kleeblattstruktur des Mercedes-Benz- Museums. Als «deep planning» bezeichnet UN Studio seit längerem Methoden, dreidimensionale Planung um den Faktor Zeit zu erweitern.

DAS GEBÄUDE ALS VISUELLER EINDRUCK

Ein abschliessender Essay widmet sich dem «Nachbild» (after image), der Vorstellung von einem Gebäude, die als Summe visueller Eindrücke beim Betrachter zurückbleibt. Die «Ikonizität» vordergründiger Label-Architektur könnte, so die Hoffnung der Autoren, einem komplexeren Verständnis von Architektur weichen. In Stuttgart ist das gelungen: Trotz seinem markanten Erscheinungsbild entzieht sich das Museum einer vorschnellen Charakterisierung. Umfassend dokumentiert - vom Digitalmodell über den Bauprozess bis hin zum realisierten Gebäude - wird das Mercedes-Benz-Museum in einer gerade in Barcelona erschienenen Baumonographie, die ebenfalls von UN Studio konzipiert wurde.

[ UN Studio: Designmodelle. Architektur Urbanismus Infrastruktur. Verlag Niggli, Sulgen 2006. 400 S., Fr. 88.-.

UN Studio: Buy me a Mercedes-Benz. Das Buch zum Museum. Actar, Barcelona 2006. 576 S., Euro 76.-. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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UNStudio , Foto: Caroline Bos