Akteur

Egon Eiermann
* 1904 Neuendorf (heute: Potsdam-Babelsberg) 1970 Baden-Baden

Formale Eleganz und funktionale Klarheit

Das Werk des Architekten Egon Eiermann in einer grossen Schau in Karlsruhe

Aus Anlass des 100. Geburtstags feiert Karlsruhe mit Egon Eiermann (1904-1970) einen der bedeutendsten und einflussreichsten Architekten Nachkriegsdeutschlands. Die überzeugende Retrospektive beweist einmal mehr, dass Eiermanns Ruhm zu Recht in der Synthese von technischer Vollendung und künstlerischer Qualität begründet ist.

21. September 2004 - Mathias Remmele
Mitte der fünfziger Jahre sah Egon Eiermann (1904-1970), einer der bedeutendsten und einflussreichsten Architekten Nachkriegsdeutschlands, sein berufliches Selbstverständnis in der Aufgabe, die Architektur der Moderne «in den Zustand des technisch höchst Vollendeten hinaufzuheben». Diese Sicht zeugt von nüchternem Realitätssinn, von Selbstbescheidung und zugleich von grossem Ehrgeiz. Die Erkenntnis, dass die «geistige», sprich ideologische und formale Grundlage der Moderne bereits gelegt worden sei und es für die Generation der Nachgeborenen jetzt darauf ankomme, das Neue Bauen in technischer - und d. h. für ihn vor allem: in konstruktiver und funktionaler - Hinsicht zu perfektionieren, hat seine Entwicklung bestimmt. Die Forderung nach funktionaler Klarheit, formaler Einfachheit, konstruktiver Wahrheit und sorgfältiger Detaillierung der Bauten, für die er zeit seines Lebens eintrat, leitete Eiermann aber nicht allein von dieser Erkenntnis ab, sondern auch aus seinem persönlichen Anspruch, «anständig mit Menschen und Material» umzugehen. Er selbst ist diesen Forderungen in vorbildlicher Weise gerecht geworden. Das bezeugt sein vielfältiges Werk, das neben Architektur auch Interieurs, Möbel und Einrichtungsgegenstände umfasst. Sein Ruhm liegt aber vor allem in der Synthese von technischer Vollendung und künstlerischer Qualität begründet, die sich in einem untrüglichen Sinn für spannungsreiche Proportionen, für Material- und Formzusammenklänge offenbart.

Formale Kontinuität

Aus Anlass des 100. Geburtstags von Eiermann widmet das Südwestdeutsche Archiv für Architektur und Ingenieurbau in Kooperation mit der Städtischen Galerie Karlsruhe und dem Bauhaus- Archiv Berlin dem Baumeister jetzt eine umfangreiche Retrospektive, die nacheinander in Karlsruhe und Berlin, den wichtigsten Stätten seines Wirkens, gezeigt wird. Die von einem Team unter der Leitung von Annemarie Jaeggi konzipierte Schau steht unter dem Motto «Die Kontinuität der Moderne». Gemeint sind damit der architekturgeschichtliche Kontext, in den sich sein Werk einordnet, und die formale Kontinuität im Werk selbst, die bei einem deutschen Architekten dieser Generation keineswegs selbstverständlich ist.

Denn wenige Jahre nachdem Eiermann, der sein Architekturstudium bei Hans Poelzig in Berlin absolviert hatte, sein eigenes Büro eröffnet hatte, kamen mit den Nazis erklärte Gegner der Moderne an die Macht. In der Folgezeit fand Eiermann im privaten Wohnungsbau und im Industriebau Bereiche, in denen er seinen gestalterischen Vorstellungen weitgehend treu bleiben konnte. Zu den bemerkenswerten Höhepunkten seines Frühwerkes, die in der Ausstellung gezeigt werden, gehören das Haus Matthies in Potsdam (1936/37), das Haus Vollberg in Berlin (1938-42) sowie die wegweisende Erweiterung eines Fabrikgebäudes in Apolda (1938/39). Aber auch wenn Eiermann trotz seinem brennenden beruflichen Ehrgeiz der Versuchung widerstand, in Nazideutschland prestigeträchtige Grossaufträge zu akquirieren, wurde er durch die Mitarbeit an einer Propagandaschau des Regimes und durch Planungen für Rüstungsbetriebe während des Krieges zu einem «Kollaborateur wider Willen», wie ihn der Architekturhistoriker Werner Durth jüngst charakterisierte.

Seine grosse, auch international beachtete Karriere setzte indessen nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Bereits 1947 erfolgte die Berufung an die Technische Hochschule Karlsruhe, wo Eiermann bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1970 als ebenso engagierter wie charismatischer Lehrer wirkte und sich schon nach wenigen Jahren zur zentralen Figur der «Karlsruher Schule» entwickelte. Parallel zu seiner Lehrtätigkeit betrieb er ein erfolgreiches Büro, in dem viele Meisterwerke entstanden. Dazu zählen etwa die Taschentuchweberei in Blumberg, der Deutsche Pavillon auf der Weltausstellung von 1958 in Brüssel, den Eiermann zusammen mit Sep Ruf entworfen hat, die Kaiser- Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin, die Häuser Hardenberg und Eiermann in Baden-Baden, der riesige Gebäudekomplex für den Neckermann- Versand in Frankfurt am Main, das Kanzleigebäude der bundesdeutschen Botschaft in Washington, das als «Langer Eugen» bekannte Abgeordneten-Hochhaus in Bonn, die Hauptverwaltung von IBM Deutschland in Stuttgart und schliesslich die zeichenhaften Olivetti-Doppeltürme in Frankfurt am Main.

Überzeugende Retrospektive

Die im Lichthof 10 des Karlsruher ZKM-Hallenbaues präsentierte Eiermann-Ausstellung verzichtet bewusst auf eine spektakuläre Inszenierung. Sie überzeugt durch ihre klare Struktur und eine überlegte Beschränkung auf 28 Projekte, die geordnet nach Bauaufgaben gezeigt werden. Ein langes, diagonal in den Raum gestelltes Podest nimmt die dreidimensionalen Objekte auf. Flankiert wird es von dazu rechtwinklig placierten, hohen Stellagen, die eine kojenartige Struktur bilden und als Träger der zweidimensionalen Dokumente dienen. Dabei wirkt sich die Vielfalt von Eiermanns Schaffen für die Präsentation sehr positiv aus. Denn die Kombination von zwei- und dreidimensionalem Ausstellungsgut - hier Skizzen, Planzeichnungen, Fotografien und schriftliche Quellen, dort Modelle, Möbel, Leuchten, Einrichtungsgegenstände und Architekturelementen - trägt wesentlich zu ihrer Lebendigkeit bei und ergibt in den meisten Fällen ein abgerundetes Bild der behandelten Projekte. Merkwürdig nur, dass ausgerechnet der Eiermann-Tisch, der berühmteste Design-Entwurf des Meisters, der sich in Gestalterkreisen einer bis heute ungebrochenen Popularität erfreut, hier fehlt.

Der Katalog - er enthält eine Reihe von Aufsätzen, die sich mit verschiedenen Aspekten von Eiermanns Werk auseinandersetzen, sowie detaillierte Beschreibungen von 24 ausgewählten Arbeiten - ist ein ebenso nützliches wie erhellendes Begleitbuch zur Ausstellung. Allerdings spiegelt er ungewollt die beschränkten finanziellen Mittel, die den Ausstellungsmachern zur Verfügung standen. Denn leider entsprechen die meist kleinformatigen Abbildungen in keiner Weise dem Rang der dargestellten Objekte.

Bis 9. Januar 2005 in Karlsruhe, anschliessend in Berlin. Katalog: Egon Eiermann (1904-1970). Die Kontinuität der Moderne. Hrsg. Annemarie Jaeggi. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern-Ruit 2004. 224 S., Fr. 75.- (Euro 24.- in der Ausstellung).

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: