Akteur

Daniel Libeskind
Studio Daniel Libeskind - New York (USA)

Den Bauten eine Stimme geben

Seit seinem Wurf für das Jüdische Museum in Berlin zählt Daniel Libeskind zu den Popstars der Architektur. Ein Gespräch über seine Projekte von Bern bis New York

23. Januar 2005 - Gerhard Mack
NZZ am Sonntag: Herr Libeskind, Ihr erstes Projekt in der Schweiz ist das Freizeit- und Einkaufszentrum Westside bei Bern. Was interessiert Sie an dieser Aufgabe?

Daniel Libeskind: Zunächst einmal war das ein Wettbewerb, an dem auch Jean Nouvel und andere bekannte Architekten teilgenommen haben. Vor allem aber haben die Investoren gemerkt, dass Einkaufen, Unterhaltung, Wellness und Wohnen so sehr zur Welt des 21. Jahrhunderts gehören, dass man dafür nicht nur kommerziell planen darf, sondern genauso sorgfältig entwerfen muss wie für Museen.

Sie gelten seit Ihrem ersten grossen Bau, dem Jüdischen Museum in Berlin, als führender Verfechter einer symbolischen Architektur. Wofür soll denn das Zentrum Westside ein Symbol sein?

Zunächst einmal ist alles im Leben symbolisch. Denn anders entsteht kein Sinn. Das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet dort die Hälfte eines Zeichens, das mit einer anderen Hälfte zusammengebracht werden muss, um eine Bedeutung zu bekommen. Gebäude symbolisieren Aspekte des Lebens. Das Zentrum Westside schafft eine neue Art von sozialem Raum. Viele Menschen werden dort hingehen, um einander zu treffen. Das Zentrum wird keine Einkaufsmaschinerie werden, es will die Besucher dazu verführen, die öffentlichen Bereiche der Anlage zu geniessen. Heute gehen die Menschen nicht mehr in die Kirche oder auf die Plätze einer Stadt, sondern zum Shoppen und Wellnessen. Das Westside übersetzt traditionelle städtische Räume in die Gegenwart.

In Ihrem bisherigen Werk spielt Erinnerung gleichwohl eine viel grössere Rolle als die Welt des Einkaufens und der Freizeit. Vielen gelten Sie als Spezialist für Mahnmale. Wieso ist Ihnen die Vergangenheit so wichtig?

Man kann Zeit nicht in Stücke schneiden. Das Vergangene lebt in der Gegenwart und in der Zukunft weiter. Das ist eine triviale Erfahrung, die wir alle machen. Sie gilt auch für Architektur.
Beim World Trade Center warfen Gegner Ihnen vor, Sie wollten mit Ihrem Masterplan die Wunde sichtbar halten, die New Yorker sollten sich immer an die Katastrophe erinnern, statt nach vorne zu schauen.

Mir war es wichtig, dass dieser Ort nicht einfach mit Kommerz-Architektur voll gestellt wird, sondern dass der Verlust eines so zentralen Teiles von Manhattan in die Gestaltung der Zukunft mit eingeht. Wer seine Vergangenheit nicht kennt, ist in gewisser Weise dazu verurteilt, sie zu wiederholen.
Wieso erscheinen Ihnen die unregelmässigen expressiven Formen Ihrer Architektur für eine solche Erinnerung besonders geeignet? Beim Jüdischen Museum in Berlin haben beispielsweise von tausend Gläsern gerade einmal fünf dieselbe Form.

Das Jüdische Museum war ein sehr spezifischer Fall. All diese Unterschiede haben sich ergeben, weil ich seine Form entwickelte, indem ich mit Linien die Adressen von Verstorbenen verband, die in Berlin gelebt haben und mir wichtig sind. Daraus ergab sich die Matrix eines verzerrten Sterns. Aus vielen Einzelheiten ist eine neue Form entstanden, die eine Geschichte erzählt, welche weit darüber hinausgeht, wie viel das Gebäude gekostet hat und wer es in Auftrag gegeben hat. Gebäude müssen vom Ort sprechen, an dem sie stehen, von ihrem Sinn für die Allgemeinheit.

Die Architektur in der Schweiz bevorzugt rechtwinklige Formen. Wieso versuchen Sie diese zu vermeiden?

Es gibt noch 359 andere Winkel, wir sind nicht dazu verurteilt, immer nur einen zu gebrauchen. Es gibt so viele Möglichkeiten ausserhalb der traditionellen Box. Da müssen wir uns doch nicht in ihr einschliessen.

Aber wir stehen mehr oder weniger aufrecht auf der Erde.
Schon, aber seit einiger Zeit wird uns vielleicht mehr bewusst, dass Menschen viel komplexer sind und dass Humanität viele andere Aspekte hat als diese monolithische und autoritäre Form.
Empfinden Sie rechteckige Formen als autoritär?

Nicht an sich. Aber häufig werden sie unbewusst eingesetzt, und die Architekten versäumen, danach zu fragen, welche Wirkung ein Gebäude auf die Menschen hat und wie es sich zu seiner Umgebung verhält.

Die expressiven Formen machen Ihre Bauten oft zu Solitären, die sich vom städtischen Gewebe abheben. Spreizt sich Architektur da nicht wie eine Diva, deren erstes Ziel es ist, alle Aufmerksamkeit zu erhalten?

Das trifft auf meine Gebäude nicht zu. Das Jüdische Museum in Berlin ist Teil einer barocken Struktur der Stadt. Das Royal Ontario Museum in Toronto erweitert den bestehenden Bau aus der Wende zum 20. Jahrhundert zur Hauptstrasse hin. Sogar das Kunstmuseum in Denver, das gerade gebaut wird, ist Teil eines Campus mit anderen Gebäuden. Meine Entwürfe sind in den Kontext der Stadt integriert. Aber natürlich versuche ich mit ihnen auch, einen Dialog zum Vorhandenen zu schaffen und damit eine bedeutendere Geschichte zu erzählen, als nur eine Box hinzuzufügen.

Dieses erzählende Element in Ihrer Architektur gilt Kritikern als sentimental. Wieso ist Ihnen die persönliche Erfahrung für den Entwurf so wichtig?

Das ist doch nicht sentimental. Das ist die Bedeutung der Dinge. Die Erzählung ist dasjenige Element, das die Welt zusammenhält. Da ist es nur natürlich, dass Architektur auf realer Erfahrung basieren sollte und nicht auf Abstraktion. Mit der eigenen Erfahrung verbindet sich auch eher ein Bewusstsein von der Verantwortung, die ein Architekt hat.

Sehen Sie da einen Bezug zur Kunst? Sind Ihre Gebäude Skulpturen?
Es geht mir um die Kunst der Architektur. Diese ist mehr als eine funktionierende Maschine. Und sie ist sicher etwas anderes als Bauten, die wie überdimensionierte Kühlschränke oder Waschmaschinen vor den Horizont gesetzt werden.

Werden in Zukunft mehr unregelmässige, komplexe Formen die Architektur bestimmen?

Das kann sehr wohl sein. In einer Demokratie wollen die Menschen mitbestimmen, wie sie repräsentiert werden. Dafür müssen wir Formen entwickeln. Das gilt nicht nur in der Politik, sondern auch in der Gestaltung des öffentlichen und privaten Raums.

Die meisten Bauten sind private Investitionen. Entsteht da nicht eine Spannung zu Ihrer Forderung, Architektur solle demokratische Ideale ausdrücken?

Die Stadt gehört allen Bürgern. Wir leben zwar in einer kapitalistischen Welt, aber man kann eine Stadt nicht mit einer ökonomischen Formel definieren. In ihr müssen auch andere kreative Kräfte Ausdruck finden. Eine Stadt braucht auch Gerechtigkeit, nicht nur Ausbeutung.

Bei der letzten Architekturbiennale in Venedig wimmelte es von kleinen Hadids, Gehrys und Libeskinds. In diesen Entwürfen war von demokratischer Lebendigkeit und Vielfalt wenig zu spüren. Reagieren Sie auf diesen Trend?

Ich habe ihn gar nicht richtig wahrgenommen. Ich konzentriere mich auf meine Arbeit. Mozart hat auch nicht seine Kompositionsweise geändert, nur weil andere ihn imitiert haben. So etwas ist unvermeidlich.

Halten Sie sich für einen Mozart der Gegenwartsarchitektur?

Sicherlich nicht. Man muss Architektur aber eine Stimme geben und nicht nur ihre stumme Gegenwart und ihre Stille bewundern.
Stille ist aber vom Jüdischen Museum in Berlin über das Felix-Nussbaum-Haus bis zum World Trade Center ein zentraler Teil vieler Ihrer Projekte.

Das hat mit den tragischen Erfahrungen zu tun, die damit verbunden waren. Gebäude müssen diese mitteilen.

In Ihrer Autobiografie gewinnt man den Eindruck, dass das Jüdische Museum und das World Trade Center bei der Bevölkerung sehr gut ankamen, bei Investoren, Baubehörden und Kollegen jedoch umstritten waren. Worauf führen Sie das zurück?

Das trifft wirklich nur auf diese beiden Projekte zu. Wir arbeiten sehr erfolgreich mit Investoren und Behörden zusammen. Ich bekomme fast täglich Anfragen wegen neuer Projekte in allen möglichen Dimensionen.

Wieso war es dann beim World Trade Center so schwierig?

In dieses Projekt sind sehr viele Interessenten involviert. Da gibt es Investoren, die Familien der Opfer, die Hafenbehörde, den Gouverneur und den Bürgermeister von New York, die Verkehrsbehörde und viele weitere. Alle haben enormen politischen Einfluss, und wenn man einem Entwurf eine Bedeutung geben will, muss man akzeptieren, dass das zu einer öffentlichen Angelegenheit wird und ich nicht alleine entscheiden kann.

Ein so grosses Projekt braucht Zusammenarbeit. In Ihrem Buch erzählen Sie jedoch davon, wie dramatisch diese gescheitert ist. Was ging schief?

Das hatte mit der einzigartigen Dynamik um das World Trade Center
zu tun. Bei anderen Projekten, wie der Neugestaltung des riesigen Messegeländes in Mailand, arbeite ich sehr erfolgreich mit Zaha Hadid und Arata Isozaki zusammen. Architektur ist per definitionem ein kollektiver Prozess. Sie hat mit Menschen zu tun. An einem Projekt sind immer viele beteiligt. Je transparenter die Prozesse gestaltet sind, desto leichter kann man zusammenarbeiten.

In New York hat David Childs die Leitung für den Bau des Freedom Tower mit seinem von Ihnen geplanten Anklang an die Freiheitsstatue und an die Declaration of Independence übernommen. In London wurde kürzlich die Spirale, die Sie für das Albert & Victoria Museum entworfen haben, gestoppt. Haben Sie eine Pechsträhne?

Sicherlich nicht. Wir haben so viele Anfragen von Investoren, dass wir bei weitem nicht alle Aufträge annehmen können, die an uns herangetragen werden. Was das World Trade Center anbelangt, so wird es nach unserem Masterplan gebaut. Das gilt auch für den Freedom Tower, der David Childs vom Büro SOM übertragen wurde. Und die Erweiterung des Victoria & Albert Museum wurde nicht wegen uns gestoppt. Da hat der Auftraggeber seine Rolle nicht richtig wahrgenommen, wie es in der Geschichte Mies van der Rohe, Le Corbusier und Michelangelo auch schon passiert ist.

Wie verbindlich ist Ihr Masterplan für das World Trade Center derzeit noch, welchen Einfluss nehmen Sie auf die Entwicklung der einzelnen Bauten?

Mein Einfluss ist so gross, wie er immer war. Ein Masterplan handelt nicht davon, ein einzelnes Gebäude zu entwerfen. Er ähnelt eher einer Partitur, die beides bereitstellt: die Freiheit zur Interpretation und eine bestimmte Linie des Denkens und der Entwicklung. Beide Funktionen erfüllt mein Masterplan für die Entwicklung der verschiedenen Gebäude. Man kann nicht eine Partitur schreiben, sie dirigieren und zur gleichen Zeit alle Instrumente spielen.

Bedauern Sie es, nicht selbst auf Ground Zero bauen zu können?

Nein, für mich ist es eine viel grössere Herausforderung, mit einem Masterplan Richtlinien so vorzugeben, dass eine kreativere Bebauung möglich ist als bei den altmodischen Masterplänen des letzten Jahrhunderts. Ich biete nicht ein stumpfsinniges Raster an, das die einzelnen Architekten einfach auffüllen müssen.

Hätten Sie den Freedom Tower nicht gerne selbst gebaut, für dessen Symbolik Sie so gekämpft haben?

Das war nicht meine Entscheidung.

Ihre Autobiografie wird in Europa als Geschichte einer Niederlage auf Ground Zero gelesen. Ist sie das?

Ich glaube nicht, dass das so zutrifft. Warten Sie vier Jahre, bis die Bauten konkrete Gestalt annehmen, dann werden Sie einen unglaublichen Erfolg sehen. Dann wird ein einmaliges Ensemble erkennbar werden, das in kürzester Zeit geplant wurde, mit sehr viel öffentlichem Raum, mit einer Gedenkstätte im Zentrum, mit einer spiralförmigen Positionierung der einzelnen Gebäude und einer Mischung verschiedenster Nutzungen, die den Ort wieder an die Nachbarschaft anbinden. Und es ist auch ein Erfolg meines Masterplans, dass er es als einziger unter den Finalisten erlaubte, von verschiedenen Architekten gebaut zu werden. Alle anderen Entwürfe waren Megastatements eines einzigen Architekten. Bei mir war bereits in der Konzeption die Vorstellung eines pluralistischen, demokratischen Vorgehens enthalten.

Wie geht es jetzt für Sie weiter?

Meine Arbeit an der Überbauung von Ground Zero ist noch nicht zu Ende. Es gibt ständig Kämpfe, nicht mehr um Hektaren, sondern um Zentimeter, bei der Breite der Strassen, bei der Infrastruktur und vielem anderen. Und ich habe das Glück, in vielen Teilen der Welt interessante neue Projekte zu haben.

[ Daniel Libeskind kommt zur Präsentation seiner Autobiografie nach Zürich: Schauspielhaus Zürich, Box im Schiffbau, 28. 1., 20 Uhr. Die Swissbau Basel zeigt vom 25. bis 29. 1. eine Ausstellung zu Ground Zero. Dort hält Daniel Libeskind am 29. 1. um 11.15 Uhr einen Vortrag. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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