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Und es geht doch
deutsche bauzeitung

Reihenhaussanierung in Shanghai

Die weltoffene Hafenstadt Shanghai ist seit jeher von westlichen Einflüssen geprägt. Gestaltqualität und hohe Baustandards sind hier keine Fremdworte. Einheimische Architekten brachten den hohen Anspruch von ihren Studienaufenthalten im Ausland mit und zeigen, dass – entgegen aller Klischees – Baukultur in China nach internationalen Maßstäben möglich ist. Ein Beispiel dafür ist das »Split-Level-Haus« in einem traditionellen Quartier der Stadt mit seinen sauber gefügten Oberflächen.

1. Juni 2014 - Fanny Hoffmann-Loss
Lyndon Neri und Rossana Hu, Gründer des Büros Neri&Hu Design and Research Office, gehören zur Generation junger Architekten, die zeigt, wie sich im Bauboom der Hochgeschwindigkeits-Urbanisierung individuelle Lösungen finden lassen – abseits von Massenwohnungsbau, Großprojekten der öffentlichen Hand und Bürotürmen chinesischer und internationaler Investoren. Sie beziehen dabei die Identität des Orts und seine Geschichte ein und versuchen, zu einer lokalen Architektursprache zu finden, ohne ins Folkloristische oder Historisierende abzugleiten.

Ausgebildet in den USA und nicht zuletzt geprägt von ihrer Zeit im Büro Michael Graves, durch das sie für ein Projekt nach China kamen, haben Neri und Hu 2004 ihr eigenes Büro in Shanghai eröffnet und sich in der Kombination von Architektur, Innenraumgestaltung, Produktdesign und Grafik einem multidisziplinären Ansatz verschrieben. Bekannt wurden sie durch Projekte, die Umnutzung und Neugestaltung von historischen Gebäuden und das Bauen im Bestand zum Thema haben – für die historische Identität der Stadt wesentliche, aber im Shanghaier Neubaufieber eher vernachlässigte Aufgaben.


Die »Design Republic Commune«, eine zu einem Design-Zentrum umgebaute Polizeistation von 1910 und das »Waterhouse Hotel«, ebenfalls in Shanghai, für das drei Lagerhallen aus den 30er Jahren zu einem Hotel umgearbeitet wurden, zeigen eine akribische Auseinandersetzung mit der Substanz. Bauelemente, Strukturen oder ganze Raumteile werden belassen und in Kontrast mit Neuem gesetzt. Ziel ist hierbei nicht die historische Rekonstruktion (für im europäischen Sinne denkmalgeschützte Gebäude wäre ein solcher Umbau nicht zulässig), sondern die Zurschaustellung des Alten im unmittelbaren und übergangslosen Nebeneinander mit dem Neuen: Raumhohe Verglasungen in minimierten Stahlrahmen schließen fugengenau an freigelegtes Mauerwerk an; zerkratzte Holzrahmen und -türblätter mit alten Farbresten stehen in glatt verputzten Wänden; Stahlbetonstruktur wird offengelegt und mit Cortenstahl ergänzt. Dabei wird die Detailausführung des von den Architekten als »Tektonik« bezeichneten Aneinanderfügens von Materialflächen mit einer, wie sie sagen, an Besessenheit grenzenden Intensität verfolgt.

Der Geist der Geschichte

Das Projekt »Rethinking the Split House« wagt die Neu-Interpretation des »Lilong«-Reihenhauses, einer Form des Massenwohnungsbaus aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert, dessen meist dreigeschossige, über Gassen erschlossene Quartiere einst den Großteil der Shanghaier Bevölkerung beherbergten. Ihre innerstädtische Lage, die geringe bauliche Dichte, Überbelegung und der mangels kontinuierlicher Instandhaltung schlechte bauliche Zustand gaben den Ausschlag dafür, dass sie in den letzten Jahrzehnten großflächig abgerissen und durch Wohn- und Bürotürme ersetzt wurden. Einige dieser Quartiere sind jedoch unter Denkmalschutz gestellt, und es gibt inzwischen Beispiele für erfolgreiche Sanierung oder Umnutzung.

Bei vielen Lilong-Sanierungsprojekten werden die historischen Fassaden erhalten oder wiederhergestellt und das Gebäudeinnere an die neuen Nutzungen anpasst. Neri&Hu wollten im »Split House« aber vorrangig den Geist des Hauses erhalten: Typologisch waren die schmalen, sehr tiefen Reihenhäuser in ein repräsentatives Vorderhaus und Nebenräume wie Küche oder Dienstbotenzimmer zur rückseitigen Gasse hin gegliedert, erschlossen über eine die versetzten Ebenen verbindende, innenliegende Treppe. Ursprünglich für eine Familie gedacht, leben in solchen Häusern heute meist mehrere Parteien; die Treppe wird dabei quasi zum (halb-)öffentlichen Raum.

Dieses Prinzip wird im Split House fortgeführt: Die innenliegende marode Holztreppe wurde durch eine aus einem Guss erscheinende Stahltreppe ersetzt und durch eine Öffnung im Dach zum gemeinschaftlich genutzten Außenraum. Es entstanden drei Wohnungen, in denen jeweils Haupt- und Nebenräume über eine zusätzliche, private Treppe miteinander verbunden sind.

Das Voyeuristisch-Intime, das in den alten Häusern durch Überbelegung und gemeinschaftliche Nutzung entstand, bleibt im Split House ebenfalls erhalten: Private Treppen und Bäder sind zum Haupttreppenhaus hin lediglich durch klare Glaswände getrennt. Diese rigorose Transparenz wurde vom Bauherrn und Nutzer, einem Shanghai-affinen Hongkonger, als Konsequenz des Entwurfskonzepts befürwortet.

Die historischen Fassaden wurden zur Hauptansicht durch gebäudebreite und geschosshohe, schwarz gerahmte Verglasungen ersetzt, zur Rückseite teilweise durch schwarz verputzte Lochfassaden. Das glatte Schwarz soll im Kontrast zu den hellen, mit klassizistischen Elementen verzierten Putzfassaden der angrenzenden Häuser die Gebäudehülle zum Verschwinden bringen und über die großen Glasflächen das Augenmerk auf den vom Verschwinden bedrohten Bautypus lenken.

Im Innenbereich sind geschwärzter Stahl, Beton, helles Holz, Glas und Putz flächig und rahmenlos gegeneinandergesetzt. Die präzise Addition von Materialflächen erforderte ausgeklügelte Detaillierung und konsequente Überwachung während der Bauausführung. Die Ausführungsdetails selbst bestechen durch ihre Schlichtheit – allerdings teilweise mit Einbußen bei Funktionalität oder Behaglichkeit: So bieten beispielsweise die großflächigen, aber nur einfach verglasten Fassaden mit Silikonfugen an den Stößen keinerlei Öffnungsmöglichkeiten.

Mit obsessiver Beharrlichkeit

Werkplanung und Bauüberwachung werden in China üblicherweise nicht von den Architekten geleistet, sondern Planungsinstituten und Bauüberwachungsfirmen übertragen. Die Entwurfsarchitekten sind in der Ausführungsphase für gewöhnlich nicht zugegen, und wenn – wie leider oftmals der Fall – die Bauherren selbst kein ausreichendes Verständnis für Detailtreue und Qualität mitbringen, wird das Resultat unbefriedigend.

Neri&Hu zeigen hingegen in Werken wie dem Split House, wie im ständigen, engen Dialog mit dem Bauherrn und den ausführenden Firmen eine konsequente Umsetzung des Entwurfs möglich wird. Dabei erscheint es den Architekten oftmals, als lägen ihnen das Projekt und die Bauqualität mehr am Herzen als dem Bauherrn selbst, der vornehmlich auf Terminplan und Budget achtet. Mit einem von Neri&Hu als »Mircomanagement« bezeichneten erheblichen Aufwand an Materialrecherche, Bemusterung und täglicher Überprüfung bis hin zur konkreten Anleitung der oft ungelernten Bauarbeiter schaffen sie es dennoch, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden und den Bauherrn zumindest im Nachhinein anhand des Resultats zu überzeugen.

Insgesamt hat die Qualität am Bau in China in den vergangenen 20 Jahren erheblich zugenommen, nicht zuletzt durch höhere Ansprüche seitens der inzwischen auch weit gereisten Bauherren und Nutzer.

Auch die Vorbildwirkung von Projekten ausländischer Planer oder Investoren ist nicht zu unterschätzen, wie auch die Tatsache, dass sich die Architektenausbildung in China durch internationale Hochschulkooperationen und im Ausland ausgebildete Lehrkräfte v. a. in den großen Küstenstädten kontinuierlich verbessert. Die Richtlinien für das Bauen in China werden laufend optimiert und an internationale Standards angepasst. Fast jährlich müssen in der Genehmigungsplanung und bei Bauabnahmen neue Aspekte für Nachhaltigkeit, Sicherheit oder Bauqualität beachtet werden.

Die Voraussetzungen – gut ausgebildete Architekten, verständige Bauherren, versierte Baufirmen und ein Regelwerk mit Instrumenten zum Durchsetzen guter Qualität – sind also vorhanden. Eine der größten Herausforderungen in der Umsetzung von Bauprojekten bleibt jedoch der enorme Zeitdruck, dem die Architekten in der Planungsphase ausgesetzt sind. Neri&Hu und viele andere Architekten konstatieren, dass freilich wenig Raum für sorgfältiges und integriertes Planen bleibt, solange die Projekte »eigentlich schon gestern« fertiggestellt sein sollen. Mit dem bereits zu beobachtenden Nachlassen des Baubooms werden aber Qualität und Nachhaltigkeit immer mehr in den Vordergrund rücken.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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