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Die neue Achtsamkeit
deutsche bauzeitung

Umbau, Sanierung und Ergänzung der Hofstatt in München

Vielfalt erhalten und Einheit stiften: Dieses Kunststück gelang Meili, Peter Architekten mit dem Projekt »Hofstatt« in der Münchner Innenstadt. Trotz starker Verdichtung und neuer Durchwegung blieb die Bebauungsstruktur eines Altstadtquartiers unangetastet.

6. Juli 2014 - Klaus Meyer
Es war einmal eine Sackgasse namens Hofstatt. Sie ging vom Färbergraben ab und stieß in südwestlicher Richtung mitten ins Viertel hinein. Der Straßenname geht auf einen im 13. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnten Adelshof zurück; Denkmalpfleger Harald Gieß spricht von »einem der ganz frühen Kristallisationspunkte der Stadt München«. Nun ist von diesem Gehöft keine Spur erhalten geblieben. Und die Altstadtgasse degenerierte nach dem Zweiten Weltkrieg infolge von Zerstörung, Überbauung und Umnutzung des Areals zur schnöden Lieferantenzufahrt. Die Hofstatt, das war eigentlich nur noch etwas für Lokalhistoriker und Geschichtenerzähler. Dass es sie seit gut einem Jahr wieder gibt, als Einkaufspassage und Flaniermeile, als Wohn- und Geschäftsadresse, als Goldader für Investoren und Inspirationsort für Stadtentwickler, kurz: als einen der jüngsten Kristallisationspunkte urbanen Lebens in München, das ist eine Geschichte für sich.

Ihr Schauplatz ist ein Quartier, das sich im Südwesten an den innersten Kern der Münchner Altstadt anschließt. Bis zum Marienplatz, dem Viktualienmarkt oder der Frauenkirche sind es jeweils nur wenige Minuten zu Fuß. Umschlossen wird der Häuserblock von Färbergraben, Hotter- und Hackenstraße sowie der südwestlich verlaufenden Sendlinger Straße, die seit der Stadterweiterung im 13. Jahrhundert das Sendlinger Tor mit dem Zentrum verbindet. Als innerstädtische Einkaufszone steht die Sendlinger Straße bislang noch im Schatten der ausschließlich auf Konsum getrimmten Kaufinger Straße, hat dafür aber mehr Charme und verfügt mit der barocken Asamkirche über eine der bedeutendsten architektonischen Attraktionen der Stadt. Ein weiteres prominentes Baudenkmal ist das ehemalige Redaktionsgebäude der Süddeutschen Zeitung, 1905 nach Plänen von Max Littmann für die Münchner Neuesten Nachrichten errichtet und im Zuge des Hofstatt-Projekts aufwendig restauriert. ›

Durchwachsenes Filetstück

Der Süddeutsche Verlag besaß und betrieb ein ganzes Häuserkonglomerat in dem Quartier. Dazu gehörte das imposante Druckereigebäude im Innern des Gevierts, das in den 20er Jahren als betonummantelter Stahlskelettbau mit Sichtziegelfassade rund um einen überglasten Lichthof entstanden war. Ferner das Verlagshaus am Färbergraben, einer von Detlef Schreiber, Herbert Groethuysen und Gernot Sachsse in den 60er Jahren entworfenen »Mies-Kiste«, die als Schwarzes Haus bekannt wurde und unter Freunden klassisch modernen Bauens naturgemäß als »eines der herausragendsten Beispiele der Nachkriegsarchitektur in München« gilt. Hinzu kamen weitere verlagseigene Bürohäuser an der Hotterstraße sowie ein denkmalgeschütztes Wohnhaus an der Hackenstraße. 2004 veräußerte der Verlag seinen gesamten Immobilienbesitz im Quartier an die Entwicklungsgesellschaft LEG Baden-Württemberg, das Vorgängerunternehmen der heutigen LBBW Immobilien GmbH.

Da die Zeitungsmacher den nunmehr angemieteten Firmensitz bis 2008 nutzen durften, blieb den Investoren genügend Zeit für umfangreiche Vorplanungen. Nachdem sie gemeinsam mit der Landeshauptstadt München neue Nutzungskonzepte für das Quartier entwickelt hatten, die neben dem Einzelhandel und dem Büroraum auch das Wohnen (30 %) berücksichtigte, initiierten sie in Abstimmung mit dem Referat für Stadtplanung und Bauordnung einen Gestaltungswettbewerb, zu dem 13 Architekturbüros aus dem In- und Ausland eingeladen wurden. Die Geschichte nahm ihren ordungsgemäßen Verlauf, und nicht wenigen Kritikern erschien das Ende vorhersehbar: Eine liebenswerte Mélange unterschiedlicher Fassaden, Volumina, Funktionen und Atmosphären würde sich unweigerlich in eine pure Geldmaschine verwandeln, die sich von anderen puren Geldmaschinen allenfalls durch die Verkleidung unterschied. Glas, Stahl, Aluminium? Schwarz, weiß, grau? Egal. Das Ziel lautete Gewinnmaximierung, die Architektur lieferte nur das Branding.

Aber es kam anders. Der Masterplan des Züricher Büros Meili, Peter Architekten, für den die Jury am 28. September 2006 einstimmig votierte, überzeugte zum einen durch das klare Bekenntnis zu einem respektvollen Umgang mit dem Bestand, zum anderen durch eine bestechende Idee zur räumlichen Verklammerung der disparaten Bauten. »Wir wollten keinen radikalen Eingriff, weil darin die geschützten Teile nur als Störungen oder Fremdkörper erschienen wären«, erinnert sich Marcel Meili. Vielmehr habe man sich vorgenommen, die einzelnen Bauten behutsam zusammenzuführen, »ohne sie in einer mächtigen Geste versinken zu lassen«. Den Zusammenhalt sollte eine dreiarmige, in eleganten Schwüngen durch das Geviert mäandernde Einkaufspassage gewährleisten, die auch die Büronutzungen erschließt und neue Wegeverbindungen zu angrenzenden Stadtvierteln schafft. »Wir wollten eine weiche Bewegung durch das Areal führen, die den Charakter des Hinzugefügten möglichst offenlegt«, so Meili.

Glück gehört auch dazu

So weit, so brillant. Allerdings bereitete der konkrete Verlauf der Passage den Planern noch zwei Jahre lang Kopfzerbrechen. Klarheit brachte erst eine weitere Investition seitens der LBBW Immobilien: 2008 erwarb sie die drei an der Sendlinger Straße gelegenen Häuser, in denen zuvor die Redaktion der Münchner Abendzeitung untergebracht war. Die beiden südlichen, im Kern spätmittelalterlichen Bürgerhäuser wurden restauriert bzw. in historischer Kubatur neu errichtet; das nördliche, an das ehemalige SZ-Redaktionshaus grenzende Gebäude wich einem Neubau, in den nun der ursprünglich für den Littmann-Bau vorgesehene Passagenzugang verlegt werden konnte. Ein Glücksfall aus mehreren Gründen. Erstens wäre das symmetrische Fassadenbild des Littmann-Baus durch eine linksseitige Toröffnung empfindlich gestört worden, zweitens liegt der jetzige Zugang vis-à-vis der Dultstraße und somit auf einer Sichtachse zum attraktiven St.-Jakobs-Platz, drittens konnte nun ein Problem gelöst werden, das sowohl Architekten als auch Denkmalschützern und Projektentwicklern erhebliche Sorgen bereitet hatte: Der Knotenpunkt der drei Passagenwege, im Ursprungsentwurf innerhalb des Stützenfelds der ehemaligen Druckerei gelegen, ließ sich jetzt in den glasgedeckten Lichthof des Industriebaus verschieben und befindet sich damit schlicht ganz selbstverständlich am richtigen Ort.

Der richtige Ort ist auch ein schöner Platz. Der fließende Passagenraum bildet hier gleichsam einen Wirbel, der einem ein wenig Zeit zum Schauen lässt, bevor man weitergezogen wird. Die Wände mit ihren gegeneinander schwingenden Glasbändern, die Deckenleuchten, der Natursteinboden mit seinen unregelmäßig verlegten Platten: Das alles ergänzt sich zu einer höchst eindrucksvollen Raumfigur. Einzig der Blick nach oben wirft Fragen auf. Schaut man nämlich durch die ellipsenförmige, mit einem dichtmaschigen Metallgitter abgeriegelte Deckenöffnung, lässt sich das Mauerwerk des Druckereigebäudes dahinter allenfalls erahnen. Warum hat man die Sicht auf den zentralen Bestandsbau ausgerechnet im historischen Lichthof derart kaschiert? Andreas Müsseler, der zusammen mit Florian Hartmann und Oliver Noak das Münchner Büro von Meili, Peter Architekten leitet, zögert nicht mit der Antwort: »Ein extremer Tageslichteinfall an dieser Stelle hätte die atmosphärische Balance der ganzen Passage gestört. Die Gänge, die jetzt hell und einladend wirken, kämen einem wie Höhlen vor.«

Anderenorts immerhin präsentiert sich der fünfgeschossige »Ankerbau« des Areals unverstellt und in voller Größe. Hinter dem Littmann-Bau etwa bildet seine schmucke Klinkerfassade eine stimmungsvolle Kulisse für die Restaurant-Terrasse auf dem großen Innenhof. Gleiches gilt für das Café im zweiten, kleineren Hof.

Koinzidenz der Gegensätze

An das Druckereigebäude als dem Dreh- und Angelpunkt des Entwurfs gliedern sich alle weiteren Gebäude der Hofstatt an. Jedes von ihnen wurde seiner Lage im Stadtgefüge und seiner Funktion folgend individuell entwickelt und als eigenständiges Gebilde entworfen – getreu Meilis Maxime, jede gleichmacherische Geste zu vermeiden.

Am Färbergraben wurde das Schwarze Haus durch ein repräsentatives Büro- und Geschäftshaus mit Keramikfassade ersetzt, das sich aus zwei unterschiedlichen Gebäudeteilen zusammensetzt, die jedoch eine starke Familienähnlichkeit aufweisen. Dabei betont der Kontrast zwischen roten und grünen, konkav und konvex geschwungenen Keramikelementen (s. Detail S. 23) die Differenz, während Materialität, Rasterung und Proportionen beiden Geschwistern gemein sind. Alles andere als monolithisch wirkt auch der neu errichtete vier- bis sechsgeschossige Wohnhauskomplex an der Hotterstraße. Hier lässt sich die Unterteilung in vier Einzelgebäude, die jeweils über ein eigenes Treppenhaus erschlossen werden, beispielsweise an den unterschiedlichen Putzstrukturen der Fassaden ablesen. Das denkmalgeschützte, neubarocke Wohnhaus an der Hackenstraße schließlich erhielt im Hof einen großflächig verglasten Anbau, der die historische Kammerstruktur des Altbaus um modern geschnittene Wohnbereiche ergänzt.

Bleibt der Neubau mit dem Passagenzugang an der Sendlinger Straße. Mit seiner reliefartig gestaffelten Fassade kann er sich zwischen dem schlichten Bürgerhaus zur Linken und dem markanten Littmann-Bau zur Rechten mühelos behaupten. Aber er fällt auf, ohne aus dem Rahmen zu fallen. Er steht für sich und geht trotzdem auf die Nachbarn ein. Er wirkt zeitgemäß und vermittelt zugleich zwischen den Zeiten. Eigenständigkeit und Achtsamkeit koinzidieren aber nicht nur in diesem Fassadenbild auf solch erstaunliche Weise. Historischer Sinn und Erneuerungswille gehen im ganzen Hofstatt-Quartier wunderbar zusammen und erzeugen genau die Spannung, die eine gute Geschichte braucht.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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