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Insel in Weiss
deutsche bauzeitung

Quartier Killesberghöhe in Stuttgart

Neuanfang am Rand des Stuttgarter Talkessels: Seit anderthalb Jahren füllen sich Geschäfte, Büros, Arztpraxen, Wohnungen, eine Kita u. a. im Quartier Killesberghöhe mit Leben. Die anspruchsvolle Architektur und die hochwertig gestalteten Außenräume sind auf den ersten Blick bestechend. Doch bei Liebe auf den ersten Blick ist manchmal auch ein zweiter nötig.

6. Juli 2014 - Christian Schönwetter
Es war eine Jahrhundertchance und entsprechend hoch waren die Erwartungen. Als Stuttgart 2007 seine Messe vom Killesberg vor die Tore der Stadt verlagerte, wurden auf einen Schlag 18 ha Gelände in bester Lage frei. Direkt an einem Park, der bereits Gegenstand mehrerer Gartenschauen war, und in Nachbarschaft zur Weißenhofsiedlung – die 1927 als Bauausstellung weltweit für Aufsehen sorgte – wollte man einen anspruchsvollen Neuanfang wagen.

Das größte Teilgebiet ist mittlerweile fertiggestellt und seit 18 Monaten in Benutzung – Zeit für eine Zwischenbilanz. Neben rund 100 Wohnungen des oberen Marktsegments beherbergt es ein Stadtteilzentrum, das lang ersehnt auch den bestehenden umliegenden Quartieren Einkaufsmöglichkeiten bietet. Das Gelände, auf dem das neue Quartier entstand, hat jedoch seine Tücken: Zwar grenzt es an zwei Seiten an den Höhenpark Killesberg, an den anderen beiden Seiten jedoch an stark befahrene Straßen mit bis zu sechs Spuren. Dies führt zu einer etwas isolierten, inselartigen Lage. Dennoch ist das Gebiet gut an den ÖPNV angeschlossen, so fährt die U-Bahn vor der Haustür in sieben Minuten direkt ins Zentrum von Stuttgart.

Um eine qualitätvolle Bebauung sicherzustellen, hatte die Stadt gleich zwei Wettbewerbe durchgeführt. Im ersten Verfahren – es wurde von Ackermann + Raff gewonnen – ging es um die städtebauliche Grundkonzeption. Da die Stadt das Gebiet anschließend nicht selbst entwickeln wollte, lobte sie in einem zweiten Schritt einen europaweiten Realisierungswettbewerb aus, der sich an Teams aus Bauträgern und Architekten richtete. Hier punktete der österreichische Investor Fürst Developments, indem er gleich vier international renommierte Architekturbüros hinter sich versammelte: O&O Baukunst war für die Gesamtplanung verantwortlich, entwarf das Einkaufszentrum und errichtete drei Wohnhäuser entlang der Stresemannstraße; David Chipperfield steuerte ein Wohngebäude mit angegliederter Kindertagesstätte bei und KCAP sowie Baumschlager Eberle je drei Stadtvillen.

Einheit und Vielfalt

Was zunächst auffällt, ist die wohltuende Wirkung als Gesamtensemble. Alle Gebäude sprechen die gleiche Sprache und schlagen als schlichte hellbeigefarbene Baukörper mit Flachdach eine gestalterische Brücke zum Weißenhof. Trotz dieser Einheitlichkeit kommt keine Langeweile auf, weil die Bauten sich im Detail unterscheiden. So wechseln sich die unterschiedlichen Putzarten der Fassadenflächen, ob Kratzputz oder glatt, mit hellem geschlämmtem Sichtmauerwerk ab. Mal gliedern hellgraue Betongesimse die Fassaden, mal Fenstergewände aus hellem Naturstein. Immer jedoch sind die Gebäude hochpräzise und qualitätvoll ausgeführt. Den harmonischen Gesamteindruck wird umso mehr schätzen, wer den baulichen Wildwuchs auf der gegenüberliegenden Seite des Parks erblickt. Dort entsteht auf einem anderen Teilstück des alten Messegeländes gerade ein Einfamilienhausgebiet, bei dem sich die Stadt – aus Furcht, sonst die hochpreisigen Grundstücke nicht verkaufen zu können – nicht zu stringenteren Gestaltungsregeln im Bebauungsplan durchringen konnte. Im Vergleich zu diesem Viertel zeigt sich am Quartier Killesberghöhe, dass die Vergabe an nur einen Bauträger durchaus große Vorteile haben kann und dass der Begriff »Investorenarchitektur« kein Schimpfwort sein muss.

So ist auch das Einkaufszentrum sehr diszipliniert gestaltet. Selbst die sonst üblichen schreienden Leuchtreklamen sind verbannt, stattdessen wurden alle Mieter auf einheitliche schwarzweiße Schilder eingeschworen. Die Geschäfte decken ein breites Spektrum vom Aldimarkt bis zum Feinkostladen ab, sodass dort nicht nur die Bewohner der »Premium Wohnungen«, sondern auch Studenten der nahegelegenen Kunstakademie das passende Angebot finden. Ein Restaurant und zwei Cafés sorgen zudem auch außerhalb der Einkaufszeiten für Leben auf dem Quartiersplatz. Noch allerdings stehen ein paar Geschäfte leer.

Weil sämtliche Stellplätze in einer Tiefgarage untergekommen sind, bleiben alle Wege und Plätze frei von Autos, was die Aufenthaltsqualität der Außenräume deutlich erhöht. Hinzu kommt deren sorgfältige Gestaltung, die sich selbst auf Details wie etwa die Fahrradständer erstreckt. Besonders erfreulich ist, dass eine breite Öffentlichkeit in den Genuss dieses Stadtraums kommt, obwohl es sich um privaten Grund handelt. Da in den Stadtvillen ausschließlich eine sehr gut betuchte Klientel wohnt, hätte hier schnell eine Art Gated Community entstehen können, die sich nach außen abschirmt – die Stadt hat sich jedoch das Gehrecht sichern lassen, sodass alle Wege durchs Quartier öffentlich zugänglich bleiben.

Chancen verpasst

Genau hier beginnt sich allerdings zu rächen, dass man vom ursprünglichen städtebaulichen Konzept abgewichen ist. Ackermann + Raff hatten zwei u-förmige Gebäude vorgesehen, die jeweils einen sich zum Park öffnenden Hof umschlossen, der das Freiraumangebot sinnvoll ergänzt hätte: Zusätzlich zu den öffentlichen Räumen hätte er den Bewohnern einen geschützten Außenraum bieten können. Die stattdessen realisierten Stadtvillen sind nun rundum den Blicken aus dem öffentlichen Raum ausgesetzt. Dass dies für die Wohnungen im Parterre von Nachteil ist, lässt sich dort an den fast durchgängig heruntergelassenen Rollläden ablesen. Besonders deutlich wird das an denjenigen Stellen, an denen die Wege ohne jeden halböffentlichen Puffer direkt an der Fassade entlang führen. Probleme mit mangelnder Privatsphäre scheint es auch bei den Gärten vor den EG-Wohnungen zu geben – selbst an einem frühsommerlichen Samstagnachmittag hielt sich dort kaum jemand auf. Hier wurde bei der Planung die Chance verschenkt, das sanft ansteigende Gelände so auszunutzen, dass die privaten Freiräume gegenüber den öffentlichen leicht erhöht liegen. Weil manche Gärten sogar tiefer angeordnet sind, wird man sich dort stets beobachtet fühlen.

Auch bei den beiden Straßenräumen, die das Quartier begrenzen, wirft der Umgang mit der Topografie Fragen auf. Weil die Gebäude auf einem gemeinsamen einheitlichen Plateau stehen, die Stresemannstraße im Osten jedoch stetig abfällt, müssen Passanten dort an einer bis zu 5 m hohen fensterlosen Tiefgaragenwand entlanggehen. An dieser wenig einladenden Situation kann auch die sehr sorgfältige Gestaltung mit einem plastischen Mauerwerksrelief nicht viel ändern. Nach Südwesten liegt das Plateau dann bereits unter Straßenniveau, sodass die Geschäfte dort wiederum ins Tiefparterre rutschen. Um solche »Knackpunkte« zu vermeiden, wäre sicherlich eine stärker gestaffelte Bebauung, die dem Gelände hätte folgen können, hilfreich gewesen.

Was die Nutzungsmischung im Quartier angeht, hatten Ackermann + Raff mehr vorgesehen, als nun verwirklicht wurde. Sowohl die Galerie- und Arbeitsräume für die Kunstakademie als auch die Studentenwohnungen hätten für eine größere Vielfalt gesorgt. Doch für solch wenig rentablen Nutzungen blieb dem Investor Fürst Develompents vermutlich kein finanzieller Spielraum mehr. Dieser hatte die Stadt nicht nur mit seiner architektonischen Konzeption überzeugt – sondern eben auch mit einem der höchsten Angebote für den Baugrund. Außergewöhnliche Grundrisslösungen, etwa für Cluster-Wohnungen oder Mehrgenerationen-Einheiten, die zu einer stärkeren sozialen Durchmischung hätten führen können, hatten so keine Chance. Wohngebäude, die ihrer Zeit voraus sind wie seinerzeit am Weißenhof, sucht man vergeblich. Insofern ist das selbstgesteckte Ziel, der hochkarätigen Nachbarschaft gerecht zu werden, verfehlt.

Letzte Gelegenheit

Abschließend bewerten kann man das Quartier jedoch erst, wenn auch der letzte Baustein am Killesberg fertiggestellt sein wird. Südlich der Straße »Am Kochenhof« sind in den kommenden Jahren rund 100 weitere Wohnungen geplant, die sicherlich für mehr Leben im Quartierszentrum und eine höhere Auslastung der Geschäfte sorgen werden. Der städtebauliche Wettbewerb wird dieser Tage entschieden. Erklärte Absicht ist es, auf dem neuen Baugebiet v. a. Baugruppen zum Zuge kommen zu lassen. Statt die Grundstücke jeweils an den Meistbietenden zu verkaufen, will die Stadt dazu jeweils einen Fixpreis festsetzen. Baugruppen können sich mit ihren Konzepten um die Parzellen bewerben, die dann nach ökologischen, architektonischen, sozialen – und eben nicht nach finanziellen – Gesichtspunkten vergeben werden. Damit besteht die Möglichkeit, dass wenigstens dort an das angeknüpft wird, was einst die Weißenhofsiedlung auszeichnete und Architekturgeschichte schrieb: Wohnungsbau mit Mut zum Experiment.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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