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24 Staaten und ein Erbe
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Initiiert wurde es wegen seiner herausragenden ökologischen Bedeutung. Doch das Grüne Band Europa, das entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs entstehen soll, ist nicht nur Natur-, sondern auch Kulturgut. Hinweise zu einer Konzeption als künftiges Welterbe der Unesco.

18. Juli 2014 - Hans Peter Jeschke
Zwei Erlebniswelten sollten für einen Jugendlichen im oberfränkischen Markt Mitwitz (Bayern) in den 1970ern prägend sein. Von seinem Elternhaus in der Ortschaft Hassenberg in Sichtweite der DDR-Zonengrenze aus erlebte er schon als 14-jähriger Schüler Schicksale von „Republikflüchtlingen“ und die medizinische Erstversorgung von Verletzten, die über den Todesstreifen geflüchtet waren. Bestimmend war aber für Frobel auch die immer stärker aufkeimende Beschäftigung in den 1970er-Jahren mit der Pflanzen- und Vogelwelt in der Todeszone und deren Nahbereich. Die DDR–Grenztruppe registrierte natürlich diese Aktivitäten des später graduierten Geoökologen und legte eine Stasi–Akte unter dem Decknamen „Alternative“ an. Die Organe der DDR-Staatssicherheit konnten natürlich nicht wissen, welche „Alternative“ sich aus dem Todesstreifen und seiner Transformation entwickeln sollte.

Nach dem Fall der Mauer organisierte Frobel im Dezember 1989 in Hof das erste gesamtdeutsche Treffen von Naturschützern aus der Bundesrepublik sowie der DDR und brachte die Idee ein, den Grenzstreifen, der 40 Jahre lang als Eiserner Vorhang Europa teilte, wegen seiner herausragenden ökologischen Bedeutung als Schutzgebiet auszuweisen. Das Grüne Band Deutschland, das Kai Frobel als Initiator bei seiner ersten Pressefahrt im März 1990 als „ökologisches Rückgrat“ Deutschlands vorstellte und seither als Projektleiter betreut, sollte selbst wiederum zur Gründungsinitiative für das Grüne Band Europa werden.

Aus der Entstehungsgeschichte des Grünen Bandes heraus sind allerdings auch die „stummen Zeugen“ des Kalten Krieges in den Blick zu nehmen. Nicht nur das Naturerbe, auch das zeitgeschichtliche Kulturerbe sind Schutz- und Entwicklungsgut von herausragender Bedeutung. Der Eiserne Vorhang teilte 45 Jahre lang Landschaften, Städte und Dörfer, zerschnitt Verkehrswege, trennte Familien, Verwandte und Bekannte voneinander und prägte das Leben von Millionen Menschen. Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte verloren seine Reste nichts von ihrer Bedeutung als Mahnmal, im Gegenteil, sie gewinnen an Bedeutung. Sie lehren besser als jede Abhandlung oder jedes Memorandum, wie unmenschlich das Grenzregime und die Teilung Europas und der Welt in Ost und West waren, auch in seiner Wahl von Schauplätzen und Architekturen. Sie sind auch Kulturgut.

Nach der Wende setzte ein intensiver Prozess des Verlustes sowie der Veränderung der authentischen Orte und Landschaftsstrukturen des Eisernen Vorhangs mit seinen zeithistorischen Relikten, also eine Enthistorisierung der Landschaftszone Eiserner Vorhang ein. Die bisherige alleinige Dominanz einer naturschutzfachlichen oder naturtouristischen Konzeption und Vermarktung im Rahmen des Projektes Grünes Band fördert eine Enthistorisierung der Landschaft weiter. Damit soll das Grenzsystem offenbar sichtbar gehalten werden, ohne jedoch seine Geschichte(n) erzählen zu müssen.

Das derzeitige Konzept des Grünen Bandes blendet damit historischen Reste, Spuren und die Memoriallandschaftszone des Todesstreifens als Schutzobjekt aus, fördert die Veränderung der authentischen Raumstruktur und Objekte des gesamten Grenzsystems nachhaltig. Verhindert damit zum Beispiel auch die Integration eines herausragenden Symbols des Kalten Krieges, der Berliner Mauer, als städtische Memoriallandschaft. Das Konzept eines Europäischen Grünen Bandes verlangt daher die Inventarisierung des Kultur- und Naturerbes und die Berücksichtigung seiner historisch-geografischen Dimension. Für die Inventarisation und Sichtbarmachung des räumlichen und funktionellen Gesamtumfangs des Grenzsystems Eiserner Vorhang im Europäischen Grünen Band hilft der Fachbereich der historischen Geografie und der Ansatz der „Historischen Landschaft“ und führt zur historischen Kulturlandschaftszone Eiserner Vorhang. Eine historische Kulturlandschaft ist dabei Träger materieller geschichtlicher Überlieferung und kann im Einzelfall eine eigene Wertigkeit im Sinne einer Denkmalbedeutung entfalten. Wesentlich dafür sind ablesbare und substanziell greifbare Elemente und Strukturen in der Landschaft, welchen man geschichtliche Bedeutung zumisst, ohne dass sie selbst denkmalwürdig sein müssen.

Die beteiligten Länder Europas sind seit Jahrzehnten intensiv, nicht zuletzt durch die Arbeiten vom Bundesamt für Naturschutz in Bonn, um eine Realisierung des Grünes Bandes Europa bemüht. Eine Vielzahl von regionalen und regionsübergreifenden Projekten zur Umsetzung mit allen Beteiligten und die bisherigen Evaluierungen sind eine herausragende Grundlage für die Eintragung auf die Welterbeliste der Unesco. Bei der jüngsten Tagung, 2013, erfolgte die Unterzeichnung des „Joint Declaration of Intent on the European Green Belt“ von einer Mehrzahl der beteiligten europäischen Länder – darunter auch Österreich. Erstmals haben sich die Staaten Europas in solcher Breite in einer gemeinsame Absichtserklärung zur Förderung des Grünen Bandes bekannt.

Bei der genannten Tagung erfolgte auch eine nachhaltige regionsorientierte Neupositionierung des Managements des Projektes Grünes Band Europa (European Green Belt), welches im Hinblick auf eine geplante Einreichung als länderübergreifendes Natur- und Kulturgut auch mit den Unesco-Welterberichtlinien kongruent erscheint. Aber auch hier ist Vorsicht geboten, denn die derzeit vom Unesco-Welterbezentrum geforderte gemeinsame Einreichung von 24 europäischen Ländern wird angesichts des unterschiedlichen Bewusstseinsstandes und der differenzierten Willensbildung der politischen Verantwortungsträger in den Regionen Europas vorerst nicht gelingen. Für eine erfolgreiche Umsetzung des Unesco-Projektes Grünes Band Europa wird daher auch ein Umdenken des Unesco-Welterbezentrums und dessen Experten respektive die Rückkehr zu den positiven Erfahrungen mit dem transkontinentalen „Limes-Projekt“ („Grenzen des Römischen Reiches“) notwendig sein.
[ Hans Peter Jeschke ist seit Jahrzehnten in den Bereichen Raumplanung, Raumforschung sowie Schutz und Pflege der Kulturlandschaft und des kulturellen Erbes tätig und leitet unter anderem die Arbeitsgruppe „Kulturlandschaft, Raumordnung und Städtebau“ von Icomos Österreich. ]

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