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Die B-Seite der Architektur
Der Standard

Wieder hat Zaha Hadid einen Preis bekommen, wieder gibt es große Aufregung. Dürfen Architekten für Diktatoren bauen? Sind sie für tote indische Bauarbeiter verantwortlich? Wie ethisch korrekt können und müssen sie sein?

2. August 2014 - Maik Novotny
Der musikerfahrene Schriftsteller Max Goldt verglich einst mit federleicht-ambivalentem Snobismus die Bewunderung prunkvoller Bauten aus alten Zeiten mit dem Hören der A-Seite eine Platte. Die weniger schöne B-Seite „Hunderte müssen schlechtbezahlt schuften, damit irgendein Landfürst unter Schnörkellüstern Bouillon schlürfen kann“ höre man sich nur einmal an, die A-Seite dagegen summe man noch nach Jahrzehnten mit.

Tatsächlich sind die Weltkulturbauten, die unter lupenrein demokratischen Bedingungen mit fairen Sozialleistungen entstanden, zweifellos in der Minderheit. Doch in den Top Seven der Weltwunder wird eben nur der Hit „Pyramiden“ gespielt und nicht das Klagelied der Schuftenden, die Monumente für mumifizierte Bauherren errichteten.

Ein brandneues Bauwerk, ebenfalls einem Toten gewidmet, sorgt zurzeit für Debatten über die Balance zwischen A- und B-Seite der Architektur: Das 2013 eröffnete Heydar Alijev Center in Baku, erbaut von Zaha Hadid, wurde mit dem Design Award des Londoner Design Museum ausgezeichnet. Nicht zum ersten Mal erhob sich darauf Kritik, vor allem in britischen Medien. Ein Bauwerk in einem autoritären Staat, gewidmet dem 2003 verstorbenen Staatsoberhaupt, dem Amnesty Menschenrechtsverletzungen attestierte, errichtet auf einem Areal, dessen frühere Bewohner laut lokalen Aktivisten zwangsenteignet wurden, habe eine solche Auszeichnung nicht verdient.

Es sei in der Auszeichnung eben nur um die Architektur gegangen, verteidigte Design-Museum-Direktor Deyan Sudjic die Entscheidung, und die sei eben herausragend. In der Tat sind die sahneweißen Kurven des Ensembles aus Museum und Konferenzzentrum selbst für vom Hadid'schen Wiedererkennungswert ermüdete Augen ausgesprochen elegant und ausgewogen. Stattdessen hagelte es noch mehr Kritik, und zwar an Hadids Stadion für die WM 2022 in Katar, auch wenn dieses bisher noch im Planungsstadium ist. Hier, in einem der reichsten Länder der Welt, verdienen die Arbeiter aus Indien und Nepal gerade mal 55 Cent die Stunde. Mehr als 880 Arbeiter sind laut Informationen des Guardian ums Leben gekommen, seit Katar den WM-Zuschlag erhielt. Darauf angesprochen antwortete Hadid, für diese Probleme sei nicht die Architektur, sondern die Politik zuständig.

Es ist bei weitem nicht nur Zaha Hadid, die diese Vorwürfe zu hören bekommt. Es traf in den letzten Jahren auch Architekten, die in China ihre Großprojekte bauten - und das sind fast alle internationalen Büros. Vielleicht wäre Hadid auch glimpflicher davongekommen, wenn nicht ihr Büropartner Patrik Schumacher immer wieder mit wilden Worten die Autonomie der Architektur verteidigt, die Einmischung der Politik verdammt und die „Political Correctness“ von Ausstellungen wie den letzten Biennalen in Venedig gegeißelt hätte.

Komponieren die Architekten also wirklich nur die harmonische A-Seite? Liegt die B-Seite überhaupt in ihrer Macht? Das ist unter ihnen selbst umstritten. Daniel Libeskind befand, Architekten müssten sehr wohl die moralische Verantwortung übernehmen. So glitzernd ihre Türme auch sein mögen, sie seien nicht zu trennen von den Umständen, unter denen sie entstünden. Jacques Herzog, mit Pierre de Meuron 2008 Erbauer des Pekinger Olympiastadions, sagte dagegen, er habe selbst als Stararchitekt keinen Einfluss auf die Zustände chinesischer Baustellen, so bedauerlich sie auch sein mögen.

Immer lächerlicher

Auch Wolf D. Prix, der mit seinem Büro Coop Himmelb(l)au wie viele andere in China und Aserbaidschan baut, nimmt seine Kollegin in Schutz: „Die Diskussionen über Zaha Hadids Architekturen werden immer lächerlicher. Sie ist berühmt, hat sehr viele Aufträge, und das weckt Neid. Ich kenne keinen Architekten, der, vor der Frage stehend, ein Kulturzentrum nach seinen Vorstellungen in Baku zu bauen oder nicht, wildentschlossen aus moralischen Gründen diesen Auftrag abgelehnt hätte. Ich kenne aber viele Architekten, die nie gefragt wurden und deshalb umso empörter diejenigen verurteilen, die Aufträge aus den sogenannten Diktaturen annehmen. Aber die Frage ist nicht, ob man in autoritären Gesellschaften bauen kann, sondern die Frage ist, wie man baut.“ Obendrein würden Architekten heute, so Prix, mit immer größeren, auch „scheinmoralischen“ Verpflichtungen beladen, ihr Einfluss auf das Baugeschehen aber immer geringer.

Der Architekturtheoretiker Bart Lootsma, Professor an der Uni Innsbruck, nimmt die Architekten mehr in die Pflicht: „Man kann von jemandem wie Zaha Hadid schon erwarten, dass sie bei den Verhandlungen Bedingungen stellt. Das gehört zur moralischen Pflicht in jedem Beruf. Der Architekt wird bezahlt von den Auftraggebern, ist aber den Interessen der Öffentlichkeit eine Verantwortung schuldig und muss versuchen, die Auftraggeber von diesen Interessen zu überzeugen. Das ist die Essenz von Architektur.“ Dass dies aber immer schwieriger wird, konstatiert auch Lootsma: „In der EU, aber noch radikaler in Ländern wie den USA, Russland und China, in denen Architekten zunehmend als konkurrierende Unternehmer in einem kapitalistischen System gesehen werden und weniger als Kulturproduzenten, stehen diese Prinzipien selbstverständlich unter Druck.“

Welche moralischen Grundsätze gibt es überhaupt für Architekten? Viele internationale Architektenkammern haben einen „Code of Conduct“, auch ein österreichischer Architekt hat sich, laut den hiesigen Standesregeln, „innerhalb und außerhalb seines Berufes der Achtung und des Vertrauens der Öffentlichkeit gegenüber seinem Stand würdig zu erweisen“. In der Regel, so Kammerpräsident Georg Pendl zum STANDARD, würden diese Regeln vor allem bei Urheberrechtsfällen angewendet, seit kurzem mahnen sie auch die faire Bezahlung von Mitarbeitern ein. Ausbaufähig seien sie in jedem Fall, so Pendl.

Doch selbst wenn man sich der politischen B-Seite stellt, wird dies nicht immer honoriert. Zwei Beispiele aus Österreich: Das im Jänner eröffnete Schubhaftzentrum in Vordernberg, geplant von den Wiener SUE Architekten, ist gitterlos, freundlich, hell und fein möbliert. Ob es korrekter ist, ein Schubhaftzentrum so human wie möglich zu gestalten oder erst gar keines zu bauen, wurde in der Architektenszene heftig, wenn auch sachlich diskutiert. Andere waren weniger konstruktiv und reagierten mit Farbbeutelwürfen.

Noch stärkerem Widerstand sahen sich Alexander Hagner und Ulrike Schartner vom Büro gaupenraub ausgesetzt, als sie einen Ort für ihre gemeinsam mit Pfarrer Wolfgang Pucher initiierte Wiener Notunterkunft suchten. Nach zwölf Jahren ehrenamtlicher Arbeit, konfrontiert mit Unterschriftenlisten protestierender Anrainer, angedrohten Prügeln, Schreiduellen in Bürgerversammlungen und kafkaesken behördlichen Hindernissen, wurde den Architekten vor zwei Wochen endlich die Bewilligung für den Bau des „Vinzi-Dorfes“ in Hetzendorf für 23 Obdachlose erteilt.

Dass sich das nicht jeder antun will, ist verständlich. Das sei auch nicht der Punkt, sagt Alexander Hagner. „Aber es muss solche Angebote geben. Wir sehen uns auch nicht als Gutmenschen, aber wir investieren das Geld eben lieber in karitative Projekte, als es in Wettbewerben zu verpulvern.“ Angesichts solcher Kämpfe gegen Windmühlen ist es klar, dass Großprojekte in Staaten mit schlanken Normen und unterdrückter Protestkultur von vielen Architekten als Erleichterung empfunden werden. Die Nachwelt wird sicher nur die schöne A-Seite hören. Ob die Architektin selbst auch B sagt, kann und muss sie selbst entscheiden.

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