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Die Kunst der gescheiten Bescheidenheit
deutsche bauzeitung

»Übermittlungsraum« für den Dolmen von Seró bei LLeida (E)

Die Artefakte eines beim katalanischen Dorf Seró entdeckten Steintischs werden in einem minimalistischen Gebäude präsentiert, das durch die gekonnte Kombination von denkbar primitiven Baumaterialien einen gleichermaßen unprätentiösen wie eleganten Charakter erhält und die annähernd 5 000 Jahre alten Fundstücke stimmungsvoll in Szene setzt.

5. Oktober 2014 - Markus Jakob
Heute liegt die Gegend abseits der Hauptverkehrslinien, die Barcelona mit Madrid verbinden – man hat hier aber Hannibal vorbeiziehen sehen, wie auch die Blüte und die Zurückdrängung der arabischen Kultur, und Archäologen stießen in der Umgebung des Río Segre wiederholt auf zahlreiche stein- und bronzezeitliche Reste Jahrtausende alter Siedlungen, die in Verbindung mit weit entfernten Orten des Neolithikums standen.

Im Jahr 2007, beim Bau eines Bewässerungskanals, entdeckte man die Trümmer eines Dolmens (Steintisch), den die Archäologen der Universität Lleida sogleich als einzigartig erkannten; sind in die Steine doch geometrische Muster eingraviert, die sich als Umrisse menschlicher Figuren deuten lassen. Einer der Steine muss beinahe 9 m gemessen haben – höher als alle bisher bekannten Monumente jener Zeit. Man hat den anscheinend (wer weiß wann und warum) absichtlich zerteilten Megalithen nach vielen Diskussionen in seinen Teilstücken belassen und dergestalt in dem eigens dafür geschaffenen Besucherzentrum in Seró ausgestellt, kaum einen Kilometer von der Fundstätte entfernt.

Es war die (nur etwa 50-köpfige) örtliche Bevölkerung, die darauf drängte, die Steine nicht, wie im Normalfall, in ein Museum in Barcelona verfrachten zu lassen. Stattdessen wurde, um die sieben gravierten Felsstücke zu beherbergen und dem Dorf zugleich das bisher fehlende Gemeindezentrum zu bescheren, mit einem minimalen Gesamtbudget von 652 000 Euro (die Hälfte davon aus dem örtlichen Kulturetat) ein 500 m² umfassender Neubau geschaffen.

Ziegel-Erfindungen

Nähert man sich dem winzigen, wie in dieser Gegend üblich an einen Hügel geklammerten Dorf, so fragt man sich zunächst, welcher der rundherum verstreuten Ziegelsteinbauten, seien es Getreidescheunen oder Viehställe, nun der 2013 mit dem wichtigsten katalanischen Architekturpreis, dem FAD, ausgezeichnete Bau sein mag. Seine Unscheinbarkeit ist zweifellos das erste Qualitätsmerkmal des »Espai Transmissor« (Übermittlungsraum), wie er sich etwas geheimnistuerisch nennt. Aber die – zumindest scheinbare – Einfachheit der Konstruktion nimmt tatsächlich einige Charakteristika der umliegenden Scheunen auf, insbesondere deren Skelett, wenn auch die Ziegelausfachung dazwischen, wie auch die Raumverteilung, wesentlich kunstvoller ausfällt.

Das Gebäude verschwindet in der Senke unterhalb des Dorfplatzes; die Esplanade bildet einen Teil des Dachs, sichtbar bleiben allein die Lichtschächte und die Rampen, die zum Eingang hinunterführen – der freilich auch ebenerdig zugänglich ist, wo Ziegelmauern, um einen Hof gruppiert, dem Bau sein bescheidenes Gesicht verleihen.

Es ist ein aus denkbar gewöhnlichen Materialien erbautes Ganzes. Das Äußere zeigt dennoch großes Raffinement, das insbesondere auf die vielfältige Verwendung von Ziegeln zurückgeht. Neben roh belassenen Beton treten Armierungseisen, die an die Halme der umliegenden Weizenfelder erinnern und die das Gebäude von außen als Geländer, teils sogar als schwebende Rampe charakterisieren. Das Unfertige, das ihm daher anhaftet, macht einen Teil seines Charmes aus.

Noch raffinierter gestaltet sind die Innenräume. Der Eingangsbereich mag recht konventionell anmuten; es schließt jedoch ein Saal an, der dem Dorf Seró für alle möglichen Zwecke und Gelegenheiten dient – nicht zuletzt als eine Art Klassenzimmer. Unter dem Hauptstrang der Dachrampen öffnet er sich zu einer Fensterfront hin, vor der bei Bedarf eine Leinwand herabgelassen werden kann. Die ansteigende Dachschräge ergibt einen perspektivischen Effekt, der die hohe Glaswand weniger enorm erscheinen lässt, als sie wirklich ist. Die Wirkung ist stupend, sobald sich eine Person an die riesenhafte Hoftür stellt.

Zumal die Gegend auch als Weingebiet – Appellation Costers del Segre – an Ruf gewonnen hat, ließ man sich die Chance nicht entgehen, einen Raum eigens für die Präsentation lokaler Produkte zu schaffen, insbesondere der Weinkooperativen. Es ist eines der »Prunkstücke« der mit so bescheidenen Mitteln gebauten Anlage. Wird hier doch der Trickreichtum, mit dem die Architekten zu Werke gingen, besonders deutlich: Die Lochziegel sind mit (leeren) Weinflaschen gefüllt, die in dem im Sommer heißen, im Winter oft frostigen Klima für Wärmeausgleich sorgen – wobei sogar die (je nach Saison) Verkorkung der Flaschen eine Rolle spielt: im Sommer werden einige Flaschen entfernt, etliche entkorkt, im Winter wieder verpfropft. Es wird berichtet, im Winter dringe öfter einmal Nebel in die Innenräume ein, den der Autor im August freilich nicht erleben konnte und der hoffentlich nicht auf die gelegentliche Nutzung des Wein-Raums als Dorfpinte zurückgeht.

Die Nebenräume – Technik, Lager, Toiletten – sind clever um diese Eingangspartie herum gruppiert. Überraschend ist der Übergang in das eigentliche »Museum«. Hier wird an Wandtafeln und in Vitrinen die Geschichte des archäologischen Funds erklärt. Der fensterlose Raum wird von zahlreichen Lichtschächten – wandseits quadratisch, in der Mitte rund – erhellt: dieses Zenitallicht schafft ein nachgerade magisches Ambiente.

Im Labyrinth des Steingartens

Doch das ist erst der Auftakt zur eigentlichen Attraktion. Toni Gironès hat sie – in aller Bescheidenheit – auf eine Weise inszeniert, die die Aufmerksamkeit nicht nur der lokalen Architekturkritiker erregte. Fast unmerklich sich senkend, führt ein quadratischer Spiralgang in stetig enger werdenden Windungen in den 3 m tiefer liegenden Steingarten hinunter, umrahmt von zunächst einer, dann zwei, schließlich drei Mauerschichten aus Lochziegeln, auf einem sich zunehmend verfeinernden Ziegelboden, dessen Geknirsch zur Atmosphäre beiträgt, und der übrigens als Dachbelag auch seine thermische Funktion hat. Für die Verwendung derselben großen Lochziegel, für die Decken-, Wand- und Bodenbekleidungen teils zerschnitten, teils zerstampft, hat der Architekt zu Recht viel Bewunderung geerntet. Man muss ein wenig geometrisches Verständnis mitbringen, um die erstaunlich einfache Lösung zu begreifen, wie die rechteckige Doppelspirale sanft in den eigentlichen Hauptraum hinunter- und wieder aus diesem herausführt, dabei durch die in der Überlagerung zunehmend sich verdichtenden Lochziegelwände in eine Art Sanktuarium leitet, wo die seltenen Steine unter ihren Tageslichtschächten (die mit LED-Leuchten ausgestattet auch nächtliche Besuche gestatten) einen Steingarten bilden.

Wenn die Lichtschächte im vorangegangenen Saal ein fast fantastisches Licht verbreiten, so ist ihre Wirkung in diesem Raum höchst präzis: Sie sind auf die Felsen ausgerichtet, deren Ausmaßen entsprechend, und stehen ihnen an Perfektion natürlich nicht nach; erstaunlicher ist die geometrische Exaktheit sowohl des abgerundeten Zuschnitts der Steine als auch der hineingeritzten Muster, die vermutlich menschliche (oder göttliche) Figuren darstellen.

Seró selbst mag ein Leichtgewicht unter den neolithischen Fundstätten Europas sein, aber dies im besten Sinn des Wortes: Da sind bloß sieben erstaunlich gravierte Steintrümmer, um die herum einige unscheinbar raffinierte Mauern gebaut wurden.

Man wundert sich, woher Toni Gironès' »Händchen« für die gleichermaßen simplen und poetischen Konstruktionen stammt, für die er nicht erst seit dem Projekt in Seró bekannt ist. Wer das Büro der Architekten in Barcelona besucht, findet sich in einer (von einem kurzzeitigen Bürgermeister der Stadt 1935 eingerichteten) Prunkwohnung mit Aussicht bis zum Meer, in der selbst die Böden teilweise vergoldet sind, und in der eine kleine Privatbar für dessen Geliebte nur ein Detail unter vielen ist. Vielleicht schärft aber gerade eine solche Umgebung den Blick dafür, welche Kraft einzelnen Materialien, Details und Überlegungen jeweils innewohnt.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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