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Arenen für Zehntausende
Neue Zürcher Zeitung

Stadionbauten in aller Welt

4. November 2014 - Jürgen Tietz
Ob bei der Fussball-Weltmeisterschaft in Brasilien oder bei der Leichtathletik-Europameisterschaft im Zürcher Letzigrund – das Sportjahr 2014 hat Millionen von Zuschauern in seinen Bann und in die Stadien gezogen. Sport weckt Begeisterung und ist längst viel mehr als die schönste Nebensache der Welt. Er ist ein Milliardengeschäft und der Bau neuer Arenen im Idealfall eine Bauaufgabe mit architektonischem und städtebaulichem Mehrwert. Vom Vogelnest des Basler Büros Herzog & de Meuron für die Olympischen Spiele in Peking bis zum Estádio do Maracanã in Rio de Janeiro – Stadien sind Marken, die das Image der Städte prägen. Es sind emotionale Orte des Jubels und des Leidens bei Sieg und Niederlage. Sie stiften Unverwechselbarkeit, müssen aber auch störungsfrei funktionieren.

Von Athen bis Tokio

Stadien sind die «Kathedralen der Freizeitgesellschaft», meint Volkwin Marg in seinem Vorwort zur reich bebilderten Monografie «Stadionbauten» von Martin Wimmer, das jüngst bei Dom Publishers in Berlin erschienen ist. Marg ist ein Kenner der Materie. Denn er hat als Mitbegründer des Hamburger Architekturbüros von Gerkan Marg & Partner (GMP) unter anderem für die Fussball-Weltmeisterschaften mehrere Stadien in Südafrika und in Brasilien verwirklicht. Derzeit plant Volkwin Marg den Umbau des legendären Bernabeu-Stadions von Real Madrid.

In seiner Einführung macht Martin Wimmer die Leser mit der Entwicklung der Bauaufgabe Stadion seit der griechischen und römischen Antike vertraut, stellt auch frühe Beispiele aus Mittelamerika vor und schreitet fort bis zur Wiederbelebung der Olympischen Idee im späten 19. Jahrhundert. Präsentiert werden Meilensteine der olympischen Architektur, darunter die Stadien in Athen, Stockholm, Berlin, Helsinki oder München, aber auch der futuristische Entwurf von Zaha Hadid für die Olympischen Spiele von 2020 in Tokio. Hingegen werden Luigi Nervis epochale Konstruktionen für die Spiele in Rom 1960 nur am Rande erwähnt; und die Stadien, die Kenzo Tange für die Wettkämpfe von 1964 in Tokio realisierte, fehlen ganz.

Den Multifunktionsarenen folgen im Buch die monothematischen Fussballstadien, allen voran die Spielstätten der Europameisterschaften in der Schweiz und Österreich sowie in Polen und der Ukraine und der Fussball-Weltmeisterschaften in Deutschland, Südafrika und Brasilien. «Kleinere» Stadien- und Sportbauten, wie das formvollendete, von Bétrix & Consolascio zusammen mit Eric Maier und Frei & Ehrensperger ursprünglich als Leichtathletikstadion gebaute Letzigrund in Zürich oder das charmante «Bao An»-Stadion von GMP in Shenzhen, finden in dieser Stadion-Schau erstaunlicherweise nur am Rande oder keine Berücksichtigung. Doch wären nicht gerade diese Stadionformate besonders hilfreich für Architekten, die nach Vorbildern suchen? Zumal der Band aus der Reihe «Handbuch und Planungshilfe» ja einen expliziten Vorlagencharakter beansprucht. Stattdessen bietet der Autor seinen Lesern am Schluss noch etwas exotischen Kitzel und lässt sie unter dem Titel «Staatspropaganda im Stadion» einen Blick auf das Stadion von Pjongjang werfen.

Augenfutter

Wie im Fernsehen, wo die Fussballübertragungen längst andere sportliche Wettkämpfe an den Rand gedrängt haben, werden auch in Wimmers Buch Velodrome, Skisprungschanzen oder Schwimmstadien nur ganz am Rande abgehandelt, während Arenen für vermeintliche Randsportarten wie Pferderennen oder Tennis ganz fehlen. So erweist sich das Buch mit seinen vielen bunten Bildern und den ausgewählten Grundrissen, Schnitten und Ansichten vor allem als Augenfutter für all jene, die sich in erster Linie für Olympiastadien und Fussballarenen interessieren.
[ Martin Wimmer: Stadionbauten. Handbuch und Planungshilfe. DOM Publishers, Berlin 2014. 416 S., Fr. 112.–. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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