Artikel

Einfach ausdiskutiert
deutsche bauzeitung

Umbau der Rosenbergkirche in Stuttgart

Die Gemeinde musste auf ihrem Kirchengrundstück enger zusammenrücken und hat mit klug überlegten Eingriffen ein Kulturdenkmal der 50er Jahre nicht nur erhalten, sondern für sich selbst deutlich besser nutzbar machen können. In beharrlichen Debatten haben alle Beteiligten die jeweils beste Lösung erstritten.

30. November 2014 - Achim Geissinger
Jährlich tritt in Deutschland etwa eine Viertelmillion Menschen aus den christlichen Kirchen aus. Viele traditionelle Gemeinden spüren das deutlich und sehen sich zur Reorganisation von Strukturen und Angeboten gezwungen.

So auch die Rosenberggemeinde mitten im dichtbesiedelten Stuttgarter Westen, welche die 800 Sitzplätze in ihrer Kirche allenfalls noch zu Weihnachten brauchte; im regulären Gottesdienst sitzt nur noch ein versprengtes Grüppchen. Die Gemeindearbeit hat derweil kaum an Bedeutung verloren; Jugendgruppen, Musikangebote, Seniorenrunden und andere Gemeinschaftserlebnisse erfahren Zulauf, wie auch die diakonischen Aufgaben nicht weniger werden. Die seit einiger Zeit mit einer weiteren evangelischen Nachbargemeinde vereinigte Rosenberggemeinde hat sich gut überlegt, wie sie mit ihren nun zwei Standorten umgehen will. Mit dem Verkauf ihres wenig attraktiven Gemeindehauses aus den 30er Jahren hat sie einen Gutteil der Kosten für Sanierung und Umbau der unter Denkmalschutz stehenden Rosenbergkirche finanziert.

Der Haltung folgend, dass Kirchen nicht nur gestalterisch das Stadtbild prägen, sondern auch in ihrer Funktion als Orte des sozialen und spirituellen Austauschs, wurde das Raumprogramm gestrafft und der Standort attraktiver gemacht.

Während man in Frankreich oder Benelux keinerlei Manschetten hat, Kirchen zu Kinos, Handelskammern, Buchläden oder Restaurants umzunutzen, geben sich die Gemeinden in Deutschland redlich Mühe, den sakralen und auch räumlichen Charakter ihrer Gotteshäuser nach Kräften zu erhalten. Bei der Rosenbergkirche lohnte das besonders, stuft sie der Denkmalschutz doch als Gesamtkunstwerk ein und als bedeutenden Repräsentanten des Organischen Bauens der 50er Jahre in Württemberg. Erwin Rohrberg hat sie zwischen 1954 und 1956 auf der Fläche einer zerstörten ehemaligen Wanderkirche erbaut und dabei Elemente des Industriebaus mit räumlichen Konzepten, wie er sie bereits im Kinobau eingesetzt hatte, zu einem heiteren und zugleich stimmungsvollen Ensemble zusammengebunden. Genau hierin lag aber ein Problem, mit dem die Gemeinde nie ihren Frieden gemacht hat: Rohrberg hatte die abweisende Eingangsfront komplett geschlossen, den ganzen Kirchenraum allein über den Obergaden beleuchtet und somit das Foyer unter der Empore in dramatische Düsternis getaucht, aus der heraus das Kirchenschiff und die über ein Oberlicht à la Corbusier erhellte Chorwand umso heller erstrahlte – per aspera ad astra.

Explizit war daher im Auswahlverfahren nach Öffnung des Ensembles gefragt und die Aufgabenstellung recht frei formuliert worden, man stellte sogar die Möglichkeit von Teilabrissen in Aussicht. Siegreich war schließlich das Konzept von Kamm Architekten, das mit seinen minimalen Eingriffen und der Umnutzung einzelner Raumabschnitte sowohl den Begehrlichkeiten des Denkmalschutzes als auch der klammen Finanzsituation der Bauherrschaft gerecht wurde. Die Verbesserungen beginnen im Außenraum, den Rohrberg damals als abgeschlossenen, eingefriedeten Kirchhof definiert und auf das in der Tiefe des Grundstücks gelegene Gemeindehaus ausgerichtet hatte. Die rote Sandsteinwand, die den Vorplatz von der Straße abtrennt, durchbrachen die Architekten mit zwei schmalen Treppenläufen, die nun, begleitet von farbig gefassten Stahlwangen, den direkten Zugang ermöglichen, dabei zunächst ein Gefühl der Enge erzeugen, welches, oben angekommen, die Qualität des Freiraums inmitten der dichten Blockstruktur des Quartiers aber umso deutlicher erlebbar macht. Ein Kniff, der umso nötiger erschien, als die neue Nachbarbebauung auf dem veräußerten Grundstücksteil nebenan ziemlich dicht herangerückt ist und damit die einladende Geste der seitlich geführten Haupttreppe ad absurdum führt.

Hochkant in die Kirchenfassade geschnittene Fensteröffnungen und -türen signalisieren die gewünschte Offenheit und geben dem Foyer endlich die ersehnte Helligkeit. Es wird zu gesellschaftlichen Anlässen genutzt – die regelmäßige Bespielung als Bistro-Café mit Außenterrasse wird erprobt.

Die eigentliche Heldentat besteht aber darin, durch den Einbau einer Trennwand die selten belegte Empore in einen gut proportionierten, gern genutzten Saal transformiert und das Kirchenschiff um zwei Joche verkürzt zu haben. Der Proportion des Kultraums schadet dies erstaunlicherweise keineswegs, im Gegenteil: Die Gemeinde sitzt nun dichter beisammen und näher am Geschehen. Der Altarraum, der zuvor mit den wandnah platzierten Elementen Kanzel, Pult, Altar übermöbliert wirkte, wurde in den Raum hinein um so viel ausgeweitet, dass nun ein ganzes Orchester Platz findet. Für die Farbfassung der Wände hat man sich auf ein gedecktes Weiß geeinigt, das die Farbigkeit der Wandgestaltung hinter dem Altar hervorhebt und den vordem grau gestrichenen Raum in eine helle Feierhalle verwandelte.

Die neue Trennwand führt mit ihrer akustisch wirksamen Faltung und gläsernen Durchbrüchen ein neues Formenvokabular ein, wirkt aber keineswegs wie ein Fremdkörper. Eher präsentiert sie sich wie ein Einbaumöbel, als das sie im Grunde auch konzipiert ist: eine jederzeit ohne nennenswerte Eingriffe in die Substanz wieder rückbaubare Stahlkonstruktion. Der mechanisch belüftete Saal auf der Empore ist als energetisch getrennter Raum im Raum eingebaut und mit Küche und Sanitäreinrichtungen versehen. Der Brandschutz – es greifen die Regeln der Versammlungsstättenverordnung – verlangte u. a. ein separates (durchaus sehenswertes) Fluchttreppenhaus.

Das knappe Budget der Gemeinde ist verschiedenen Sitzmöbeln und Gerätschaften anzusehen, die zu den großen Festen gebraucht werden und für die es einen Stauraum nicht mehr gereicht hat. Die Architekten waren gezwungen, mit wenigen, einfachen und preiswerten Mitteln zu arbeiten und viele Diskussionen mit allen Beteiligten darüber zu führen, was möglich, sinnvoll und v. a. bezahlbar ist. Im sogenannten Konfirmandenhaus, einem kleinen, zur Straße hin verschlossenen, zum Vorplatz hin geöffneten Anbau mit drei Geschossen, fallen die weißen, sauber gearbeiteten Einbaumöbel eben gerade nicht auf. Die hellen Gruppenräume und das Gemeindebüro bieten einen protestantisch-sachlichen aber auch freundlichen Rahmen. So freut sich der Architekt – und auch der geneigte Besucher – umso mehr über »Extras« wie das Thekenmöbel und Sanitärausstattungen aus Mineralwerkstoff und die Wendeflügel der neuen Fenster, die man aus energetischen Gründen nicht mit den schmalen Profilen der 50er Jahre ausstatten konnte, sondern dem Standardsortiment entnehmen musste. Irritiert mag man die unterschiedliche Anmutung der original erhaltenen Treppenhausverglasung und der neuen Profile vergleichen; als klare Aussage über Alt und Neu darf man die Entscheidung der Architekten aber anerkennen, ebenso wie die Farbauswahl, über welche sich die neuen Rahmen in den Duktus der gesamten Fassade einfügen. Das ganze Haus wurde in enger Abstimmung mit den Denkmalbehörden mit neuer Heizungstechnik ausgestattet, mit einem Innendämmputz und neuen Bodenbelägen versehen, über einen gemeinsamen Aufzug barrierefrei erschlossen, und auch der Dachhohlraum wurde ausgedämmt. Keine der Maßnahmen rückt dem Denkmal zu dicht auf die Pelle, vielmehr hat man sich viel Mühe gegeben, seinen Wert zu stärken. Alle Einbauten und Veränderungen sind additiv konzipiert und reversibel. Und auch wenn so manche Detaillösung in den zahllosen Diskussionen nicht über das Stadium eines guten Kompromisses hinauskommen konnte, darf das gesamte Projekt doch als Paradebeispiel dafür gelten, dass die Beteiligung vieler Köche den Brei nicht zwangsläufig verderben muss. Dem Durchhaltevermögen der Architekten sei Dank, wie auch dem ambitionierten Mitwirken einzelner Gemeindemitglieder und der kompetenten Bauherrschaft. Es ist zu spüren, wie viel Gedankenarbeit in das Projekt geflossen ist und dass der Spaß am Austüfteln guter Lösungen dabei nicht zu kurz kam.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: