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Charles-Edouard Jeanneret trifft Karl Moser
Neue Zürcher Zeitung

Der junge Le Corbusier in der Villa Langmatt, Baden

Das Museum Langmatt präsentiert in einer der letzten intakten Villen des Badener Architekten Karl Moser (1860-1936) eine Ausstellung zum Werk des jungen Charles- Edouard Jeanneret (1887-1965) - besser bekannt unter seinem späteren Pseudonym Le Corbusier. Die konzentrierte Schau, die im kommenden Winter auch im New Yorker Bard Graduate Center gezeigt wird, fokussiert auf die Zeit zwischen 1907 und 1923.

5. April 2002 - Urs Steiner
Sieben Stationen umfasst die soeben eröffnete Ausstellung über den jungen Le Corbusier im Badener Museum Langmatt. Eine reizvolle Begegnung - stammt doch die Villa Langmatt von Karl Moser, der Vaterfigur einer ganzen Generation von Architekten. Die Beziehung Le Corbusiers zum Schöpfer von Bauten wie der Universität und dem Kunsthaus in Zürich oder der St.-Antonius-Kirche in Basel war geprägt von gegenseitigem Respekt: Moser hatte den Architekten aus La Chaux-de-Fonds (vergeblich) gebeten, sich als Nachfolger für seine Professur an der ETH Zürich zu bewerben, Le Corbusier wiederum verfasste nach Mosers Tod einen rührenden Nachruf in der NZZ vom 8. März 1936.

«Das latente Oszillieren zwischen programmatischem Neuanfang und historischer Kontinuität ist ein zentraler Faktor, der die Welt des Esprit nouveau ausmacht», heisst es in der Ausstellungsbroschüre zu einem Kapitel, das mit wenigen, präzise gesetzten Exponaten aufgerollt wird. Der Satz könnte als Motto über der ganzen Ausstellung stehen - legt sie doch erstmals analytisch die kulturgeschichtlichen Wurzeln jenes Künstlers und Architekten frei, der aus der Rückschau nicht selten als ein Genie wahrgenommen wird, das die Moderne sozusagen aus dem luftleeren Raum heraus zu prägen vermochte. Das Gegenteil ist der Fall, wie die Ausstellung von Stanislaus von Moos und Arthur Rüegg eindrücklich darlegt. Neben dem Ölbild «La cheminée» (1918), das Le Corbusier ebenso fälschlicherweise wie absichtsvoll als «ma première peinture» bezeichnete, werden erstmals zwei ältere «fauvistische» Bilder aus den Jahren 1915-17 gezeigt: Sein schon deutlich «puristisches» späteres Gemälde passte aus der Rückschau besser in das Gedankengebäude des «Esprit nouveau» und dessen ideologisch aufgeladenen Typenkult, den Le Corbusier in seiner gleichnamigen Zeitschrift konsequent betrieb.

Höhepunkt dieser Ausstellungs-Sektion ist allerdings das puristische Bild von Le Corbusiers Freund Amédée Ozenfant mit dem Titel «Verre, vase et bouteille» (1926). Es verströmt im Badezimmer der Langmatt neben einem Waschbecken aus dem Jahre 1901 hygienische Sachlichkeit. Ein Lavabo gleichen Typs - dies einer von vielen überraschenden Querbezügen der Ausstellung - verwendete Le Corbusier noch 1930 in seiner Villa Savoye im Pariser Vorort Poissy.

Ausgehend vom Voyage d'Orient, der Jeanneret 1911 von Deutschland über Prag, Wien, Budapest, Serbien, Rumänien und Bulgarien nach Istanbul und von dort zurück über Athen, Pompeji, Rom und Pisa nach La Chaux-de-Fonds führte, werden in der Langmatt unter anderem mehrere Vasen gezeigt, die Jeanneret auf dem Balkan fand und nach Hause schickte. Sie faszinierten ihn nicht zuletzt deshalb, weil ihre jahrhundertelange folkloristische Evolution letztlich zu einem gültigen Idealtypus geführt hatte. Eine Reihe von Aquarellen, Zeichnungen und Photographien sind ebenfalls Zeugen von Le Corbusiers Studienreisen quer durch Europa: Es zeigt sich, dass Jeanneret entgegen seiner Selbstmystifikation nicht nur gezeichnet und aquarelliert, sondern durchaus auch extensiv photographiert hat.

Daneben präsentieren die Kuratoren frühe Möbelentwürfe, die dem jungen Gestalter nicht zuletzt als Studienobjekte für architektonische Lösungen dienten. Hervorzuheben ist etwa seine Bibliothek für Madeleine Schwob (1922), wo Jeanneret der klassischen Tektonik verpflichtete, mit Kapitellen bestückte Pilaster einem frei auskragenden Arbeitstisch gegenüberstellt - ein später gängiges, durch Eisenbeton ermöglichtes Element der modernen Architektur. Zu sehen ist auch einer der letzten von vier erhaltenen Klubfauteuils des englischen Einrichtungshauses Maple & Co. - ein «objet type» aus dem Jahr 1923, das laut Arthur Rüegg als direktes Vorbild für Le Corbusiers «Grand Comfort» gedient hat.

Auch Vorgriffe auf frühe monumentale architektonische und städtebauliche Entwürfe fehlen nicht: So erhalten etwa das Wettbewerbsprojekt für den Pont Butin in Genf (1915) oder eine Ansicht des Projektes für die «Ville contemporaine pour 3 millions d'habitants» (1922) ihren Platz. Eine Computeranimation schliesslich erlaubt einen virtuellen Gang durch die Villa Jeanneret- Perret, das Haus von Le Corbusiers Eltern in La Chaux-de-Fonds. Die Villa diente dem jungen Architekten als Prototyp, an dem er seine Ideen im Massstab 1:1 erproben konnte.

Es ist ein Verdienst der Kuratoren und des Ausstellungsgestalters Silvio Schmed, die tiefe Verankerung der Moderne in der Tradition nicht nur zu proklamieren und mit einem wissenschaftlichen Katalog zu untermauern, sondern daraus ein sinnliches Erlebnis zu machen. Nachdem sich das New Yorker Bard Graduate Center for Studies in the Decorative Arts bereit erklärt hatte, die Ausstellung aus Baden im November 2002 zu übernehmen, wurde aus dem ursprünglich bescheidenen Projekt ein Unterfangen von internationaler Ausstrahlung. - Allerdings dürfte es sich lohnen, die Schau schon in Baden und nicht erst in New York zu besuchen. Denn die Ausleihpolitik der Fondation Le Corbusier in Paris führt dazu, dass ein Grossteil von Le Corbusiers Originalgraphik in New York nicht zu sehen sein wird. Darüber hinaus erhält die Ausstellung ihren wesentlichen Reiz aus dem Dialog zwischen Moser und Jeanneret: Das Frühwerk Le Corbusiers fügt sich harmonisch in das Ambiente der Villa von Sidney und Jenny Brown ein, die sich um 1900 ihr Haus unmittelbar angrenzend an das BBC-Fabrikgelände bauen liessen.


[Baden, Museum Langmatt (Römerstr. 30), bis 23. Juni. Broschüre in der Ausstellung erhältlich. Die modifizierte Ausstellung wird vom 12. November 2002 bis 15. Januar 2003 im Bard Graduate Center for Studies in the Decorative Arts, New York, zu sehen sein. Im Mai 2002 erscheint im Verlag Yale University Press ein Katalog mit Beiträgen von internationalen Fachleuten.]

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