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Container und gebaute Landschaft
Neue Zürcher Zeitung

Das Rotterdamer Architektenteam MVRDV in Bern

14. Mai 2004 - Roman Hollenstein
Auf der Welle des Hypes, den sie mit dem niederländischen Pavillon an der Expo 2000 in Hannover erzeugten, surfen sie seit Jahren mit Geschick: Winy Maas, Jacob van Rijs und Nathalie de Vries vom 1991 in Rotterdam gegründeten Büro MVRDV. Als eine in mehreren Ebenen übereinander gestapelte Landschaft mit Wiesen, Wald und Windmühlen war dieses gebaute Manifest nicht nur eine mit Ironie vorgetragene Hymne auf Künstlichkeit und Machbarkeit, sondern auch eine Illustration ihrer Theoriebibel «Metacity/ Datatown». Wie sehr seither Themen wie Schichtung und Verdichtung ihren Entwurfsprozess bestimmen, lässt sich im Kornhaus Bern überprüfen, wo zurzeit die Wanderschau von MVRDV gastiert. Riesige Planen, auf denen in erschlagenden Dimensionen ihre Werke abgebildet sind, unterteilen den grossen Ausstellungsraum in vier lange Kojen. In diesen werden unter dem Titel «The Hungry Box - die endlosen Interieurs von MVRDV» Modelle von neun zwischen 1993 und 2002 konzipierten Bauten und Entwürfen präsentiert, die wie der VPRO-Hauptsitz in Hilversum dem Expo-Pavillon den Weg bereiteten oder die aus ihm hervorgegangenen Erkenntnisse weiterführen: etwa in dem als «Grüne Burg» gedachten Umbau des Den Haager Landwirtschaftsministeriums zu einem riesigen Gewächshaus.

Bei den in Bern vorgestellten Arbeiten gehen die Architekten von der leeren Gebäudehülle aus, die mit Inhalten in Form von funktionsbezogenen Containern oder fliessenden Architekturlandschaften gefüllt wird. Eine Vorgehensweise, die sich schnell erschöpft, wie die unrealisierten Wettbewerbsentwürfe für den Palau de la Biodiversitat in Barcelona oder für das Musée universel in Paris belegen. Diese Projekte vermitteln - ähnlich den spektakulären neueren Forschungsarbeiten über Benidorm oder die 600 Meter hohen Schweinezucht-Türme - den Eindruck, bei MVRDV drehe sich alles fast zwanghaft um Originalität und Unkonventionalität.

Doch MVRDV sind keine Architektur-Neurotiker. In der bewusst konventionell gestalteten Schau, die in ihrer Konzentration auf das Wesentliche überzeugt, stellen die Architekten auch ihr bisher wichtigstes Werk zur Diskussion: den 10-geschossigen Silodam-Wohnblock im Amsterdamer Hafen. Dieses «Museum der Wohnungstypen» erweist sich als moderate, aber konsequente Umsetzung ihrer Forschungen. Schon 1998 hatten sie in der Schrift «Farmax» extreme horizontale und vertikale Verdichtung gefordert, um der Bevölkerung (und der Natur) mehr Raum zu geben. Auf die Schweiz bezogen bedeutete das in ihrem Beitrag zur Studie «Stadtland Schweiz» von 2003 Hochhauswälder am Zürichsee oder in der eine halbe Million Einwohner und 125 000 Hotelbetten zählenden «Matter City». Selbst wenn derartige Vorschläge irritieren, führen die Recherchen der hippen Rotterdamer immer wieder zu so erstaunlichen Resultaten wie dem Amsterdamer Altersheim mit den schubladenartig aus dem Baukörper herausgezogenen Wohnungen.

Neben den suggestiven Wohnbauten weisen vor allem die in der Ausstellung gezeigten Entwürfe des nicht realisierten keilförmigen Eyebeam-Minihochhauses in New York und des 240 Meter hohen Bücherturms von Eindhoven in die Zukunft. Hier scheinen MVRDV aus der etwas hohl gewordenen Vorstellungswelt der Container- Stapel auszubrechen. Diese Vermutung bestätigen zwei in Bern nicht präsentierte jüngere Projekte: das an Lissitzkys Wolkenbügeln inspirierte Opernhaus von Oslo und die in die Stockholmer Hügellandschaft eingegrabene, durch organisch geformte Öffnungen erhellte Höhlenwelt des Silicon-Hill-Gebäudes, in dem Erinnerungen an Oscar Niemeyers Pariser Sitz der Kommunistischen Partei mit subtiler Kritik an der aktuellen Blob-Architektur zusammenklingen. Obwohl es ruhiger geworden ist um MVRDV, beweist das neuste Projekt der Pariser Hallen, dass ihre Ideen weiterhin gefragt sind.


[Bis 31. Mai im Kornhausforum in Bern. Begleitpublikation: MVRDV Reads. Hrsg. Aaron Betsky und Winy Maas. NAi Publishers, Rotterdam 2003. 160 S., Fr. 45.-.]

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