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Zukunft für das „Haus der Zukunft“
Neue Zürcher Zeitung

Ein Hauptwerk von Frank Lloyd Wright in Tokio

In Tokio hat man aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt: Nachdem mit dem Abriss des Imperial Hotel 1968 eines der Meisterwerke von Frank Lloyd Wright zerstört worden war, konnte jetzt eine 1921/22 errichtete Schule des amerikanischen Architekten erhalten werden. Nach dreijähriger Restaurierung ist der noch weitgehend mit originalem Mobiliar ausgestattete Bau nun der Öffentlichkeit als Museum zugänglich.

11. April 2002 - Hubertus Adam
Von den ungefähr 450 Bauten, die Frank Lloyd Wright (1867-1959) im Laufe seiner überaus erfolgreichen und langen Karriere realisieren konnte, wurden nur wenige ausserhalb der Vereinigten Staaten errichtet: drei in Kanada und neun in Japan. Der ostasiatische Archipel war ein Land, dem der Amerikaner zeit seines Lebens Bewunderung zollte; als «the most romantic, artistic country on earth» apostrophierte er es in seiner 1932 erschienenen Autobiographie. Der Kult, der mit der Präsentation Japans auf der Weltausstellung 1862 in London einsetzte, hatte innerhalb der nächsten Jahrzehnte die reformerische Avantgarde auf dem europäischen Kontinent in Bann gezogen; Exponenten des britischen Arts and Crafts Movement wie Christopher Dresser oder Edward William Godwin wurden ebenso von der Klarheit der traditionellen Kunst Japans inspiriert wie Vincent van Gogh, der glaubte, sein individuelles Japan mit der ersehnten Künstlerkolonie im Midi, in der Provence, zu finden.


Faszination Japan

Auch Frank Lloyd Wright, der als junger Architekt in Chicago seine Erfolge dem aus Grossbritannien importierten Aesthetic Movement verdankte, war von der japanischen Kunst fasziniert; während seine erste Frau sich vornehmlich für Einrichtungsgegenstände interessierte, sammelte er selbst japanische Holzschnitte. Dieses Interesse sei das eigentliche Motiv für die erste Japanreise 1905 gewesen, wurde der Architekt später nicht müde zu betonen. Interpreten wie Charles Robert Ashbee oder Hendrik Petrus Berlage, welche schon frühzeitig japanische Einflüsse auch in der Architektur sehen wollten, trat Wright stets vehement entgegen. Die inzwischen publizierten Reisephotographien aus dem Jahr 1905 sprechen eine andere Sprache, und es ist auch auszuschliessen, dass der Architekt von der auf der World's Columbian Exposition 1893 in Chicago nachgebauten Haupthalle des in Uji befindlichen Tempels Byôdô-in, eines der Meisterwerke der japanischen Architektur, nichts erfahren haben sollte. Auf vielfältige Weise bezog er sich schon bei seinen um 1900 im Oak Park bei Chicago entstandenen Bauten auf das japanische Vorbild; deutlicher wird die Anlehnung indes bei der Schule Jiyu Gakuen, die 1922 in Tokio entstand.

Der durch einen befreundeten Bankier und Sammler japanischer Kunst vermittelte Auftrag für das Imperial Hotel in Tokio hatte Wright zu Beginn des Jahres 1913 zu einer neuerlichen Reise nach Ostasien motiviert, welcher - nach der Ausarbeitung des Projektes im amerikanischen Atelierwohnsitz Taliesin - weitere folgen sollten. Von einigen Ausflügen zu Auftraggebern in Kalifornien abgesehen, verbrachte der Architekt die Jahre zwischen 1918 und 1922 in Japan. Neben dem Projekt für das Hotel, das zu einem Meilenstein und Wendepunkt in seiner Karriere werden sollte, übernahm er eine Reihe weiterer Aufträge - private Wohnhäuser zumeist, aber auch ein (unrealisiertes) Kinoprojekt und schliesslich die ursprünglich allein Mädchen vorbehaltene Privatschule im Tokioter Stadtteil Ikebukuro.


Bedeutender Kulturbesitz

Von der von Hochhäusern umgebenen Bahnstation Ikebukuro im Nordwesten der Stadt geht man kaum fünf Minuten, um in das fast dörflich anmutende Viertel zu gelangen, in dem sich der historische Schulkomplex befindet. Stammt das nördlich der schmalen Quartierstrasse gelegene, «Myonichikan» genannte Ensemble von Wright selbst, so errichtete der in Taliesin geschulte und als Wrights Bauleiter massgeblich für die Ausführung des Imperial Hotel verantwortliche Japaner Arata Endo das 1927 fertig gestellte Auditorium vis-à-vis. Ausgelastet durch den Bau des Hotels, hatte Wright den Auftrag nur angenommen, weil die reformpädagogische Ausrichtung von «Jiyu Gakuen» («Schule des freien Geistes») seinen philanthropischen Neigungen entgegenkam. 1934 zog die eigentliche Schule um in den Westen Tokios; der Komplex in Ikebukuro wurde seitdem von den Alumni genutzt. Mangels regelmässiger Instandsetzung verfiel der Bau im Laufe der Jahrzehnte, und angesichts des schlechten Erhaltungszustands sowie der horrenden Bodenpreise in Tokio schien es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis der «Mynoichikan»-Komplex dem 1968 abgerissenen und durch einen gesichtslosen Neubau ersetzten Imperial Hotel folgen würde. Obwohl sonst nicht zimperlich im Umgang mit historischer Bausubstanz, haben die Behörden in diesem Fall aus dem Desaster gelernt: Der Wright-Bau erhielt den Status eines «bedeutenden Kulturbesitzes» und wurde in den vergangenen drei Jahren für 765 Millionen Yen, etwa 10 Millionen Franken, restauriert. Dabei war der Staatszuschuss von drei Vierteln der Gesamtkosten an die Bedingung geknüpft, dass die Hälfte der originalen Bausubstanz erhalten bleiben musste. Das führte zu einer aufwendigen Sanierung, hatte Wright doch neben dem auch beim Hotel genutzten tuffartigen Oya-Stein vor allem Holz verwendet.

Heute erstrahlt der um einen idyllischen Platz gruppierte symmetrische Baukomplex in alter Schönheit. Niedrige Seitenflügel mit Klassen- und Büroräumen flankieren einen zentralen Baukörper, der aus zwei rechtwinklig zueinander stehenden, mit Satteldächern gedeckten Volumina besteht. Über der Küche im Untergeschoss befinden sich hier auf zwei versetzten Ebenen Speisesäle, die Wright als Gemeinschaftsräume besonders aufwendig gestaltete. Zu den orthogonalen Gliederungen der Fenster und Wände tritt als weiteres Element das aus den Schrägen der Deckenuntersichten abgeleitete Hexagon, welches auch an den Rückenlehnen der Stühle wieder aufgegriffen wird.

Nach dem Abriss des Imperial Hotel, dessen Eingangsbereich in einem Freilichtmuseum bei Nagoya wieder aufgebaut wurde, handelt es sich bei der Schule in Ikebukuro um das einzige mitsamt seiner Ausstattung erhaltene Bauwerk Wrights in Japan - die 1924 vollendete Villa Yamamura in Ashiya-shi bei Osaka wurde anlässlich eines Eigentümerwechsels leer geräumt. So ist es zu begrüssen, dass «Myonichikan» - das Wort bedeutet «Haus der Zukunft» - der Öffentlichkeit jetzt als Museum zugänglich ist. Um dem pädagogischen Impetus der Schule gerecht zu werden, soll demnächst ein Bürgerkolleg in die Klassenräume einziehen.


[Die Schule Jiyu Gakuen, 2-31-3 Nishi Ikebukuro, ist täglich ausser Montag von 10 bis 16 Uhr geöffnet.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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