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Der Anspruch entwickelt sich
Der Standard

„mega: manifeste der anmaßung“ im Wiener Künstlerhaus

10. April 2002 - Markus Mittringer
Wien - Ohne Anmaßung geht gar nichts. Wer nur „berechtigt“ in Anspruch nimmt, bleibt sitzen. Nur das Mittelmaß wird nie handgreiflich, es offenbart sich in der Deckung (wodurch es ja auch den nachhaltigeren Schaden anrichtet). Und: Mit der Moderne haben wir auch die Utopien verabschiedet. Umgekehrt ist genau jetzt alles furchtbar dynamisch, halt- und hemmungslos vereinnahmend.

Alles verknüpft und bindet sich, verbreitet, konzentriert, verändert sich. Zehn hoch sechs Greißler bilden einen Megastore, Pulver klumpt zu Pearls, eine Großstadt ist bloß noch ein Dorf, „lang“ bezeichnet etwas relativ Kurzes, Macht allein ist nicht mächtig genug, und der Orgasmus kommt sowieso immer zu selten - wenn er nicht zu früh kommt, was dann aber echt eine Megakatastrophe ist.

Außerdem verkommt die Sprache. Das Regionale verkommt sowieso. Und gegen die Symbole wird auch rabiat vorgegangen. Und wie soll man das jetzt alles wieder in den Griff bekommen, wo Frank Herbert tot und das gute alte Manifest zu einer Wanderausstellung mit „a“ hinten dran verkommen ist?

Handgreiflich, architektonisch, anmaßend. Im Künstlerhaus gibt es eine schöne Ausstellung von Zeugnissen alter handgreiflicher Vorauseiler: Le Corbusier, Jerry „Batman“ Robinson, Claude „Salzfabrik“ Ledoux, Rem „Megalarge“ Kohlhaas, Marx, Engels, Beuys. Aber die ist nicht so wichtig.

Diese Helden gilt es - im Sinne echter Grenzüberschreitung - zurückzulassen. Ringsum gibt es eine Menge meist noch leerer Bühnen - ein Forum für jüngere Architekten (oder zumindest solche, die es noch nicht in die „schöne Ausstellung“ geschafft haben), um dort in Form zu bringen, was ihnen für die Zukunft so vorschwebt.

Die Kuratoren von mega: manifeste der anmaßung - Peter Bogner, Ursula Horvath, Henny Liebhart-Ulm, Anna Soucek und Jan Tabor - muten dem gemeinen Besucher darüber hinaus noch zu, die 40 Auftragsmanifeste noch zeitlich getrennt voneinander präsentiert und durch Experten infrage gestellt zu wissen. Und das Geheimprojekt Babylonische Hure wird überhaupt erst am 2. Juni enthüllt - an einem Sonntag!

Das ist megaanstrengend, und dann gibt es nicht einmal einen Megaeisbecher als Nachschlag zur Eintrittskarte. Dafür wird Horatius zitiert: „Jeder soll mit dem eigenen Maß und Fuß messen.“ Eine Megasauerei, wo doch jeder weiß, dass das einen Megastau gibt, wenn die Reisebusse so lange warten müssen. Das kippt jede vernünftig kalkulierte durchschnittliche Aufenthaltsdauer aus dem Lot. Heute noch trendy, morgen schon der Megatrend? DER STANDARD wird weiterhin berichten.


[Bis 2. Juni]

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