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«The beautiful Spirit of Antiquity»
Neue Zürcher Zeitung

Der englische Architekt und Innendekorateur Robert Adam

23. April 2002 - Roman Hollenstein
Der Faszination englischer Landsitze mit ihrer bald geheimnisumwitterten, bald mondänen Aura kann man sich kaum entziehen. Dies zeigte jüngst auch Robert Altmans in den dreissiger Jahren angesiedelte Kriminalkomödie «Gosford Park», wo sich vor dem herrschaftlichen Hintergrund eines Herrenhauses - die Innenaufnahmen wurden teilweise in den Privatgemächern von Syon House gedreht - die Spannungen zwischen einer dekadenten High Society und ihrer Dienerschaft im Mord an Sir William, dem Hausherrn, entladen. Die hier am Horizont aufziehenden gesellschaftlichen Umwälzungen führten schliesslich dazu, dass Britanniens grosse Landhäuser heute wie märchenhafte Relikte aus einer längst vergangenen Epoche erscheinen - aus einer Zeit, als prachtvolle Gebäude in weitläufigen Parkanlagen den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg der vornehmsten Familien im Königreich spiegelten. Oft über Jahrhunderte gewachsen, erfuhren diese Country Houses im 18. Jahrhundert ihre höchste architektonische Verfeinerung. Die auf dem Grand Tour nach Italien mit der Kunst und der Kultur von Altertum und Renaissance vertraut gewordenen Adeligen machten sich nach der Heimkehr ins neblige Albion zum Motto, was Lord Arundel schon lange gefordert hatte: nämlich «to transplant Old Greece into England».

«Griechisch» erschien damals im weitesten Sinne alles Antike, das von den Römern gepflegt und von der Renaissance wiederbelebt worden war. Die Grundlagen dieser Formensprache schuf Inigo Jones in der nach-elisabethanischen Zeit mit seinem Palladianismus, der nach einem barocken Intermezzo von Lord Burlington und William Kent in Meisterwerken wie Chiswick House und Holkham Hall weiter verfeinert wurde. Doch erst durch die Hallen, Vestibüle und Salons von Robert Adam (1728-92), die von den Marmorböden über die Decken, Wandreliefs, Friese, Säulen, Spiegel und Konsolen bis hin zu den Kamineinfassungen, Vasen und Kerzenleuchtern vollendet gestaltet sind, schien der wahre Geist der Antike zu schweben und im Galerientrakt von Newby Hall reinste Form anzunehmen. Die von der Tribuna in Florenz, dem Minerva-Tempel in Rom sowie dem Pantheon beeinflusste und mit «etruskischen» Dekorationen ausgestaltete Oberlichtrotunde bildet das Herzstück dieses ersten bedeutenden modernen Museumsbaus, in welchem William Weddell die legendäre Jenkins- Venus und andere antike Fundstücke präsentierte.

Monumentale Form und intime Grösse vereinen sich in dieser Skulpturengalerie aufs Glücklichste zu einem antikischen Gesamtkunstwerk. Gleichzeitig realisierte Adam aber auch vom Rokoko angehauchte Räume, gotisch inspirierte Interieurs sowie frühromantische, die Festungsarchitektur des schottischen Mittelalters und der italienischen Renaissance verschmelzende Schlösser. Diese Stilvielfalt hängt nicht allein mit den Wünschen der Auftraggeber zusammen. Sie erklärt sich auch aus Adams Welterfahrung zwischen Schottland und Italien. Der in Edinburg aufgewachsene, an der dortigen Universität und bei seinem Vater John Adam ausgebildete Architekt bereiste zwischen 1754 und 1758 den Kontinent. In Rom, wo er sich mit dem acht Jahre älteren Piranesi angefreundet hatte, studierte er die Architektur der Kaiserzeit, um danach in Split mit Charles-Louis Clérisseau den Diokletianspalast zu vermessen und nach seiner Heimkehr zu publizieren. In London eröffnete er ein Architekturbüro, in das sein Bruder James (1732-94) nach dessen Grand Tour 1763 eintrat. Dank der Unterstützung schottischer Freunde kam Robert als knapp dreissigjähriger Architekt mit so wichtigen Auftraggebern wie dem Duke of Northumberland in Kontakt, für den er die Staatsgemächer des elisabethanischen Syon House in eine fulminante frühklassizistische Raumfolge verwandelte.

Weniger Glück hatte Adam mit eigenständigen Bauten. Neben einigen öffentlichen Architekturen und Wohnanlagen in Edinburg und London konnte er nur wenige Häuser von Grund auf planen. Vor allem bei den in seinem Schaffen zentralen Landsitzen musste er sich nur allzu oft mit partiellen Eingriffen begnügen, wobei ihn die baulichen Realitäten zu so bedeutenden Lösungen führten wie der triumphbogenartigen Südfassade von Kedleston Hall oder dem transparenten ionischen Portikus am elisabethanischen Palast von Osterley Park. Die oft sehr komplexe Baugeschichte dieser Häuser und die Tatsache, dass einige wichtige Werke im Laufe der Zeit entweder stark verändert oder gar abgebrochen wurden, machten eine Beschäftigung mit Adam lange schwierig, bis sich David King daranmachte, den rund 9000 Blätter umfassenden Bestand von Adams zeichnerischem Nachlass im Soane- Museum zu sichten und mit den Adam zugeschriebenen Bauten zu vergleichen. Daraus resultierte 1991 die Publikation eines gewichtigen Œuvrekatalogs, der seit wenigen Monaten überarbeitet und leicht erweitert neu aufliegt. Ergänzt wird dieses Übersichtswerk nun durch einen zweiten Teil, der dem «Unbuilt Adam» gilt. Hier werden anhand von Zeichnungen rund 200 nicht realisierte Projekte wie jenes für Lincoln's Inn oder für das Haymarket Opera House diskutiert.

Gibt sich der wissenschaftliche Doppelband nüchtern und sachlich, so veranschaulicht der ebenfalls seit kurzem vorliegende Prachtband «The Genius of Robert Adam» von Eileen Harris in einem opulenten Bilderbogen, warum der Geschmack eines ganzen Zeitalters nach Adam benannt wurde. Harris analysiert 19 repräsentative Interieurs - vom klassizistischen Stadtpalast bis hin zum neugotischen Culzean Castle -, diskutiert deren Baugeschichte und Adams Fähigkeit, altmodische Innenräume in spannungsvolle Raumsequenzen zu verwandeln. Damals galt es in der Gesellschaft als Erfolg, wenn man in seinem Haus «an impressive Adam design» vorweisen konnte. Stolz hielt Robert Adam denn auch 1773 im ersten Teil seiner Werkübersicht «The Works» fest, dass er «had been able to seize the beautiful spirit of antiquity, and to transfuse it, with novelty and variety». Die von Adam durch Nischen, Säulen, Apsiden, aber auch durch Licht und Schatten erzeugten neuartigen räumlichen Bewegungen und Szenarien wirkten weiter auf John Soane, dessen Interesse an Adam sich nicht zuletzt darin manifestierte, dass er 1833 den zeichnerischen Nachlass erwarb. Sonst aber war Fortuna den Bauten Adams nicht immer günstig gesinnt. Schon im 19. Jahrhundert wurden einige seiner Landsitze zerstört, und sein 200. Geburtstag wurde gleichsam mit dem Abbruch von zwei Londoner Meisterwerken «gefeiert»: dem Lansdowne House und dem protomodernen Adelphi. Die neuste Forschung macht nun nicht nur deutlich, wie gross diese Verluste waren, sondern auch wie bedeutsam neben den erhaltenen auch die Entwürfe und nicht realisierten Werke sind.


[ David King: I. The Complete Works of Robert and James Adam (erweiterter Reprint der Ausgabe von 1991). II. Unbuilt Adam (neuer Titel). Zwei Bände in einem Volumen. Architectural Press, Oxford 2001. 468 S. und 304 S., Fr. 259.-. - Eileen Harris: The Genius of Robert Adam. His Interiors. Yale University Press, London 2001. 378 S., Fr. 188.50. ]

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