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Elementares Bauen
Neue Zürcher Zeitung

Eine Ausstellung im Carnegie Museum in Pittsburgh

Architektur und Wasser, das Feste und das Flüssige, erscheinen zunächst als Gegensätze. Doch eine Ausstellung zeitgenössischer Architekturprojekte in Pittsburgh beweist, dass die baukünstlerische Auseinandersetzung mit dem Element Wasser nicht nur inspirierend sein kann, sondern die Architektur selbst zu verändern vermag.

24. April 2002 - Hubertus Adam
Nach allgemeinem Verständnis besitzen Architektur und Wasser antithetische Eigenschaften: Architektur ist statisch und opak, Wasser dynamisch und transparent. Doch Gegensätze ziehen sich an, und so spüren die New Yorker Architekten Paul und David J. Lewis zu Beginn der im Heinz Architectural Center des Carnegie Museum of Art in Pittsburgh präsentierten Ausstellung «Architecture and Water» mit einer visuellen Tour de Force der Kombination von Wasser und Architektur in Baugeschichte und Alltagskultur nach. Von frühen Pfahlbauten und den Impluvien römischer Atriumhäuser spannt sich der Bogen über mittelalterliche Mikwen, Wasserspiele in den Gartenanlagen der Renaissance und Ledoux' Flusswächterhaus in Chaux bis hin zu Flugzeugträgern oder zeitgenössischen Spassbädern. Dabei versuchen die Ausstellungsmacher, jedes der Beispiele auf drei Skalen zu positionieren: «Architektur im Wasser - Wasser in der Architektur» lautet die erste Matrix, «Wasser - Land» die zweite, «Eis - Wasser - Dampf» die dritte.


Kybernetik und Ästhetik

Dieses Panorama dient als Folie zur Präsentation von fünf zwischen 1995 und 2000 entworfenen Architekturprojekten, in welchen das Wasser nicht allein ästhetisch oder funktional eingesetzt werden soll. Kriterium für die Auswahl war eine komplexe Beziehung zum Wasser, wofür das «Blur Building» für die Schweizer Expo 02 in Yverdon das jüngste Beispiel darstellt. Die Architektur des New Yorker Studios von Elizabeth Diller und Ricardo Scofidio besteht aus einer künstlichen Wolke, die durch ein mit Mikrodüsen versehenes Rohrgestänge erzeugt wird. Diller und Scofidio gelingt es nicht nur, dem für das Bauen zentralen Verhältnis von Tragwerk und Fassade neue Dimensionen abzugewinnen, sondern auch, eine artifizielle Konstruktion zu entwickeln, welche auf die klimatischen Rahmenbedingungen zu reagieren vermag - je nach Wetterlage kann die Wolke ihre Gestalt ändern.

Konfrontiert das Projekt für Yverdon die Besucher der Expo mit der Frage, wo Natur aufhört und Architektur beginnt, so zeigt sich die Gestaltung einer Wasseraufbereitungsanlage in Hamden, Connecticut, durch Steven Holl und den Landschaftsarchitekten Michael van Valkenburgh eher konventionell: Die sechs Stationen der Wasserfiltration werden in der weitläufigen Anlage anhand unterschiedlicher Landschaftslayouts veranschaulicht, deren Formen durch Mikroskopaufnahmen von Wassertropfen inspiriert wurden. An die Stelle eines kybernetischen Modells wie in Yverdon tritt hier eine eher ästhetische Beziehung zwischen Form und Funktion.

Als moderne Variante von Pfahlbauten lassen sich die «Quattrovillen» verstehen, auf zwölf Meter hohen Lift- und Treppenschächten aufgeständerte Miniatur-Wolkenbügel, welche das Büro MVRDV in Ypenburg realisieren möchte. Am Rande der im Polderland zwischen Den Haag und Delft entstehenden, schier endlosen Siedlung placieren die niederländischen Avantgardisten ihre über Holzstege zu erreichenden Häuser mit jeweils vier parallel angeordneten Wohnungen in einem als Naherholungsgebiet dienenden See. Eine exquisite Wohnsituation entsteht, und dennoch bleibt das Seeufer für die Allgemeinheit zugänglich. Überdies ironisiert das Projekt das niederländische Reihenhaus: Die Untersicht wird zur Fassade, der Garten entsteht auf dem Dach.

Über das Wasser spannt auch William Alsop seine Konstruktion. Thameslink heisst programmatisch die Londoner Eisenbahnlinie, die als einzige Regional- und Fernverbindung die Barriere der Themse überwindet und nicht in einem Kopfbahnhof endet. Dank der Verwendung leichter Aluminium-Monocoque-Elemente für die Bedachung kann der Londoner Architekt die bestehende Eisenbahnbrücke zwischen City und Southwark für die neue Blackfriars Station überbauen, wobei die nutzlos aus dem Strom ragenden Pfeiler der «London, Chatham and Dover Railway» in die Konstruktion einbezogen werden. Mit dem neuen Bahnhof, der 2006 eingeweiht werden soll, wird auch die Tate Modern endlich eine attraktive Erschliessung durch den öffentlichen Nahverkehr erhalten.


Dynamik und Statik verkehrt

Ebenfalls um ein Infrastrukturprojekt handelt es sich bei dem Pier, den das von Alejandro Zaera-Polo und Farshid Moussavi geleitete, ebenfalls in London ansässige Büro Foreign Office Architects nach einem Wettbewerbssieg 1995 in Yokohama realisiert hat. Der Fähranleger in der Hafenstadt südlich von Tokio wurde dank computergesteuerten Entwurfsprozessen aus einer Abfolge von Stahlrippen konstruiert, die kontinuierlich ihre Form wandeln. Es gibt keine reinen Horizontalen, keine reinen Vertikalen im Gebäude, und so ist der einzige Fixpunkt, der dem Benutzer bleibt, der Horizont, die Wasseroberfläche. Foreign Office gelingt es mit einem Gebäude, das zu den bemerkenswertesten der zeitgenössischen Architektur gezählt werden darf, das traditionelle Verständnis umzukehren: Die Architektur ist dynamisch geworden, das Wasser verharrt in ewiger Statik. Schliesslich ist der Meeresspiegel auch Grundlage sämtlicher Höhenbestimmung.

Etwas rätselhaft bleiben die Auswahl und die Beschränkung auf fünf Projekte. Um nur bei der Schweiz zu bleiben: Valerio Olgiatis ingeniöses Projekt für ein von den steigenden und sinkenden Wassern des Caumasees zum Teil überspültes Restaurant bei Flims würde sich ebenso in das Spektrum einfügen wie das mit spiegelnden Wasserflächen versehene Kulturzentrum von Herzog & de Meuron in Barcelona.


[Bis 12. Mai; kein Katalog.]

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