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Museen und umgestürzte Türme
Neue Zürcher Zeitung

Ein Rundgang durch Wiens blühende Architekurbiotope

Selbst eiligen Besuchern dürfte kaum entgehen, dass Wiens Innenstadt ein riesiges Architekturmuseum ist mit wichtigen Gebäuden von der Gotik bis zur Gegenwart. Dieses Ambiente bildet zusammen mit einer regen architektonischen Ausstellungs- und Vermittlungstätigkeit den Nährboden für eine florierende baukünstlerische Kultur.

4. Juni 2004 - Roman Hollenstein
In kaum einem anderen Land gedeiht die zeitgenössische Baukunst so üppig wie in Österreich. Während Graz und Innsbruck neuerdings auf Bauten internationaler Stars setzen, ist Wiens Innenstadt längst schon ein Freilichtmuseum mit Gebäuden von der Gotik bis heute. Darunter finden sich Juwelen wie die barocke Karlskirche von Johann Bernhard Fischer von Erlach oder Joseph Maria Olbrichs theatralische Secession, aber auch strengere Meisterwerke wie Theophil Hansens neuattisches Parlament oder die nüchterne Postsparkasse von Otto Wagner. Einzig die Gegenwart muss hier - abgesehen von Hans Holleins pompösem Haas-Haus - in Form diskreter Umbauten etwas im Verborgenen blühen. So wurde das im Klassizismus prachtvoll erneuerte Albertina-Palais jüngst subtil erweitert von Erich Steinmayr und Friedrich Mascher. Gleichzeitig durfte Hollein mit seinem vor fünf Monaten eingeweihten, die rosa Palastfassaden scharf durchschneidenden Flugdach ein Zeichen setzen. Diese provokative Geste demonstriert, dass es vor allem die Museen sind, die dem eiligen Touristen Eindrücke vom heutigen, zwischen Minimalismus und Dekonstruktivismus oszillierenden Architekturschaffen in der Donaumetropole vermitteln. Dazu gehören etwa das Museum am Judenplatz mit dem sachlich-eleganten Innenausbau von Jabornegg & Pálffy, der ähnlich zurückhaltende, vom Geist Mies van der Rohes durchdrungene Pavillon des «Kunsthalle Project Space» von Adolf Krischanitz sowie der mit einer gewissen barocken Opulenz von Laurids und Manfred Ortner zum einladenden Museumsquartier umgewidmete Messepalast Fischers von Erlach.

Zentren der Architekturvermittlung

Im Museumsquartier befindet sich neben den neuen Kunsttempeln auch das vor elf Jahren gegründete Architekturzentrum Wien (AzW), das mit einem regen Veranstaltungsprogramm den fachlichen Architekturdiskurs voranzutreiben und dem kritischen Wiener Publikum die Baukunst näherzubringen sucht. Im Rahmen der als Trilogie konzipierten «A-Schau» illustriert es zurzeit anhand von baugeschichtlichen Dokumenten der Zeit von 1850 bis 1918 das Seilziehen zwischen gründerzeitlicher Dekorationslust und Loos'scher Einfachheit. Wurde der Niedergang des Kaiserreiches von einer beispiellosen Bautätigkeit eingeläutet, so ging nach dem Zweiten Weltkrieg fast nichts mehr. Die jungen Architekten flüchteten sich vor der grauen Realität in eine Welt der Visionen. Den zwischen 1958 und 1973 von Architekten wie Raimund Abraham, Coop Himmelb(l)au, Hollein, Missing-Link oder Zünd-up ausgeheckten revolutionären Ideen, die sich an Aktionismus, Pop-Art, Metabolismus oder Raumfahrt entzündeten, nähert sich (noch bis zum 12. Juli) eine weitere Schau des AzW unter dem Titel «The Austrian Phenomenon».

Jahre bevor diese exzentrischen Bau-Künstler die Stadt ohne grosse Folgen anarchisch weiterdachten und sich Inspiration bei Friedrich Kieslers skulpturalen Raumgebilden oder den Hausmaschinen von Archigram suchten, hatte Erich Boltenstern mit dem modernistischen Ringturm einen der wenigen Grossbauten im Wien der Nachkriegszeit realisiert. Dessen Eingangshalle wurde vor fünf Jahren von Boris Podrecca zum Ausstellungsraum im Ringturm umgebaut, in welchem vor allem das internationale Architekturgeschehen zur Diskussion gestellt und damit Wiens Neigung zur Nabelschau etwas durchbrochen wird. Mittels Fotos, Plänen und Modellen werden hier bis zum 26. Juni «Europas beste Bauten» präsentiert, die in die Endrunde des Mies-van-der-Rohe-Preises 2003 gelangten. Zum Siegerprojekt gekürt wurde die von Zaha Hadid mit sparsamsten Mitteln realisierte Park-and- Ride-Tramstation Hoenheim-Nord in Strassburg, während der Anerkennungspreis für junge Architektur an das Stadthaus Ostfildern bei Stuttgart von Jürgen Mayer H. aus Berlin ging. Zusammen mit diesen beiden Arbeiten fanden auch jene der übrigen 39 Finalisten Eingang in die Schau und in den Katalog. Österreich ist - anders als die Schweiz, die sich an diesem Wettstreit leider nicht beteiligt - mit drei Bauten vertreten, darunter das Wiener Museumsquartier.

In dieser einfach und ohne jede falsche Attitüde inszenierten, dafür aber kostenlos zugänglichen Ausstellung dürfen die Wiener, deren «Geraunze über Neubauten» laut Friedrich Achleitner schon seit dem Mittelalter zu vernehmen ist, einmal mehr erleichtert feststellen, dass die von ihnen gerne als hässlich abgetane Architektur in der weiten Welt durchaus auf Interesse stösst. Das heisst nun aber nicht, dass alles, was jüngst etwa in den äusseren Bezirken ins Kraut geschossen ist und noch entstehen soll, vorbildlich wäre. So erscheint die «Donau-City» trotz gelungenen Miniaturen wie dem Christus-Kirchlein von Heinz Tesar als eine eher triste, auf einer Fussgängerplatte dösende Retortenstadt, die von Harry Seidlers verzweifelt optimistisch sich in den Himmel reckendem Wohnturm überragt wird.

Neubauten und ein Gartenpalais

Hochhäuser von Meistern wie Hollein und Gustav Peichl prägen nicht nur die Ufer von Donau und Donaukanal, sondern auch den Wienerberg. Hier sind vier bis zu vierzig Geschosse zählende Wohnhochhäuser im Bau, die schon jetzt mit ihrem exzentrischen Gehabe irritieren. Daneben erheben sich als Ruhepol die gut 130 Meter hohen, durch Skywalks miteinander verbundenen Twin Towers des Italieners Massimiliano Fuksas: zwei abstrakte Glasstelen, deren minimalistische Klarheit vor allem nachts zum Tragen kommt. Ihnen antwortet seit neustem am Ende des Rennwegs ein langer Bau auf Stelzen, der wie ein umgestürztes und in zwei Teile geborstenes Hochhaus wirkt. Sowohl dieser vom Grazer Günther Domenig in Anlehnung an Hadids Dekonstruktivismus realisierte liegende Verwaltungsturm als auch Fuksas' Twin Towers sind dem Publikum heute Freitag und morgen Samstag anlässlich der österreichischen Architekturtage (www.architekturtage.at) zugänglich. Zu ihnen führt aber auch ein neuer Wiener Architekturführer, der den zahllosen seit 1975 entstandenen Bauten gewidmet ist.

Beim Rundgang durch die Stadt trifft man dann aber immer wieder auf interessante Neubauten, zu denen sich kein Eintrag in diesem an sich nützlichen, mitunter aber etwas ungenauen Führer findet. So sucht man vergeblich nach dem der Vollendung entgegengehenden Wohn- und Geschäftshaus an der Schlachthausgasse von Coop Himmelb(l)au oder nach dem von Otmar Edelbacher und Peter Hartmann luxuriös erneuerten Gartenpalais Liechtenstein. Anlässlich der Eröffnung des hier eingerichteten Liechtenstein Museum ist in der von Joseph Hardtmuth geschaffenen klassizistischen Bibliothek (die aus dem 1913 abgerissenen Liechtensteinischen Stadtpalast in der Herrengasse stammt) noch bis zum 27. Juni eine kleine Schau zu sehen, die anhand von Originalblättern Johann Bernhard Fischers von Erlach, Domenico Egidio Rossis, Joseph Kornhäusels und Heinrich Ferstels die komplexe Genese des Gartenpalais veranschaulicht. Blieb das schliesslich um 1700 von Rossi und Domenico Martinelli in einem fast schon klassizistisch anmutenden Barock realisierte Bauwerk mit seiner reichen künstlerischen Ausstattung bis heute unverändert erhalten, so wurde der zugehörige, einst neben dem Belvedere-Park bedeutendste Barockgarten Wiens im 19. Jahrhundert in eine englische Anlage umgestaltet und Fischers Lustgartenpavillon durch einen monumentalen Neubau von Ferstel ersetzt. Damit zeigt dieser stolze Herrensitz, dass in Wien die stete Transformation wertvoller architektonischer Komplexe auf eine lange Tradition zurückblicken kann.


[ Kataloge: European Union Prize for Contemporary Architecture. Mies van der Rohe Award 2003. Actar Press, Barcelona 2003. 303 S., Euro 33.50. - Liechtenstein Museum. Ein Haus für die Künste. Hrsg. Johann Kräftner. Prestel-Verlag, München 2004. 64 S., Euro 7.95. - Architekturführer: Wien 1975-2005. Hrsg. August Sarnitz. Springer-Verlag, Wien 2003. 256 S., Fr. 51.-. ]

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