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Archaik und Expressivität
Neue Zürcher Zeitung

Neue Bauten von Souto de Moura in Braga und Porto

Eduardo Souto de Moura, der wichtigste portugiesische Baukünstler der mittleren Generation, galt lange als Architekt des kleinen Massstabs. In der jüngsten Zeit konnte er eine Reihe grösserer und öffentlicher Bauten fertig stellen: vom skulpturalen Filmhaus in Porto bis hin zum spektakulären Fussballstadion von Braga.

4. Juni 2004 - Hubertus Adam
Von Braga aus, der historischen Erzbischofsstadt im Norden Portugals, geht die Fahrt in nordwestlicher Richtung. Mauern und Häuser, gefügt aus massiven Granitblöcken, dem Baumaterial des Landes, säumen die Strasse. Und der wuchernden Vegetation mit ihren Eichen-, Kastanien- und Eukalyptushainen zum Trotz liegt doch ein Schleier in der Luft, der das Grün weniger satt aussehen lässt als anderswo in Europa. Seiner kolonialen Vergangenheit zum Trotz war Portugal immer ein armes Land, und der grosse Schritt nach vorne gelang erst nach dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft 1986. Kaum eine öffentliche Baustelle, die nicht von der EU mitfinanziert wird; und auch die grossen kulturellen Projekte wären ohne Mittel aus Brüssel nicht realisierbar gewesen. Die Schattenseite dieses Aufschwungs zeigt sich an der Peripherie der Städte, die aufgrund ungezügelten Wachstums binnen weniger Jahre ihre Kontur verloren haben.

Tradition und Moderne

Das ehemalige Kloster Santa Maria do Bouro liegt etwa 25 Kilometer von Braga entfernt, nahe der Grenze des Parque Nacional de Peneda- Gerês, des ältesten und grössten Nationalparks des Landes. Es handelt sich um eine im Kern romanische Anlage, die im Barock grosszügig erweitert wurde, später aber zur Ruine zerfiel. In diesen alten Gemäuern entstand zwischen 1989 und 1997 eine «Pousada», ein staatlich betriebenes Hotel - nach Entwürfen von Eduardo Souto de Moura (NZZ 5. 6. 98), dem bekanntesten Architekten der mittleren Generation in Portugal. 1952 in Porto geboren und dort auch ausgebildet, arbeitete er zunächst im Büro von Alvaro Siza, bevor er sich 1980 selbständig machte. In den Folgejahren wurde er vor allem durch eine Reihe von Einfamilienhäusern bekannt, in welchen sich die Klarheit der Formensprache Mies van der Rohes mit der lokalen Bautradition verbindet. So finden die für Nordportugal typischen Granitmauern zusammen mit gläsernen Fronten, schwebenden Betonplatten und freien Grundrissen.

Eine undogmatische Haltung zeigt sich auch beim Umbau des Klosters. Während Fernando Tavora, der 1923 geborene Vater der modernen portugiesischen Architektur, bei der Pousada Santa Marinha da Costa in Guimarães klar Alt und Neu voneinander differenzierte, wählte Souto de Moura in Santa Maria do Bouro den Weg der Fortschreibung: Archäologische Freilegungen und subtile Ergänzungen, die sich erst beim zweiten Blick als solche zu erkennen geben, führen zu einer archaischen Wirkung des Baus. Indem er auf die Wiederherstellung der Satteldächer verzichtete und das Klostergeviert mit einem Grasdach versah, gelang es dem Architekten, den Ruinencharakter zu bewahren. Moderne Baumaterialien verbinden sich auf geschickte Weise mit dem alten Bestand, etwa wenn das historische steinsichtige Mauerwerk mit einer Kassettendecke aus Stahlträgern und Platten überspannt ist.

In den vergangenen Jahren hat Souto de Moura zunehmend im grossen Massstab gearbeitet. Das imposanteste Bauwerk ist gerade fertiggestellt worden: das Stadion von Braga, die eindrucksvollste und zugleich ungewöhnlichste der sieben Arenen, die für die diesjährige Fussball- Europameisterschaft neu entstanden sind (NZZ 30. 12. 03). Neben dem Konzerthaus von Rem Koolhaas in Porto, das im Herbst eingeweiht werden soll, bildet es ein weiteres architektonisches Highlight des Jahres in Portugal. Das nördlich der Stadt gelegene Stadion bezieht gegenüber den «Hexenkesseln», wie sie Herzog & de Meuron in München und Peking planen, die Gegenposition: Das Spielfeld ist nicht ringsum von Zuschauerrängen umgeben, sondern nur auf den Längsseiten. Die Stirnseiten hingegen bleiben frei und erlauben den Blick in die Landschaft. Damit gelingt es Souto de Moura, die topographische Situation auf der stadtabgewandten Seite des Braga überragenden Monte Castro auszunutzen.

Um den Flächenverbrauch zu minimieren, wurde ein Teil des Bauplatzes in den Granitfelsen gesprengt. So ruht eine der Tribünen am Berg, wie man es von antiken Theatern kennt, während die andere als gewaltige Betonkonstruktion 45 Meter hoch in den Himmel ragt. Die weithin sichtbare Unterkonstruktion besteht aus parallel zueinander angeordneten Wandscheiben aus Sichtbeton, zwischen denen sich die Treppen emporwinden; kreisförmige Durchbrüche sorgen für seitliche Durchblicke. Verbunden sind die beiden Tribünen durch Stahlseile, die über die gesamte Fläche gespannt sind. An ihnen sind beiderseits des Spielfelds Verdachungselemente aus Beton aufgehängt, die mit den beiden Widerlagern zusammen ein statisches System bilden. Das Stadion von Braga ist ein puristisches Gebilde, da es aus der nackten, unverkleideten Konstruktion besteht. Gleichwohl wirkt es wie ein archaisches Monument.

Neue Stadtkanten

Auch am südlichen Ende von Braga ist Souto de Moura unlängst tätig geworden. Dabei handelte es sich um den seltenen Fall, dass ein Architekt zum grundlegenden Umbau seines eigenen Werkes aufgefordert wird. Zwischen 1980 und 1984 hatte Souto de Moura nahe der Hauptstrasse Richtung Porto als sein erstes eigenständiges Werk eine Markthalle errichtet. Doch die Entwicklung der Stadt verlief anders, und die Markthalle mit ihrem langen, von Betonstützen getragenen Dach erwies sich als deplaciert. Aus diesem Grund wurde aus ihr im Jahr 2001 ein Kulturzentrum: Souto de Moura liess das Betondach zum Teil demontieren und schuf entlang der die Halle durchmessenden öffentlichen Wegachse in den Relikten des Baus einzelne Räumlichkeiten für Cafés, Bibliothek und Unterrichtsräume. Hier und da ragen wie elegische Reminiszenzen einzelne Betonpfeiler der früheren Halle in die Höhe - Ruinenromantik am Beginn des 21. Jahrhunderts. Angesichts der Unterteilung einer grossen Struktur in kleinmassstäbliche Nutzungseinheiten hat sich der Architekt denn auch auf Aldo Rossis Beschreibung der nachantiken Umnutzung des Diokletianspalastes von Split bezogen. Ein weiteres grossmassstäbliches Projekt von Souto de Moura ist die neue, 2002 eröffnete Strandpromenade von Matosinhos, einem an der Atlantikküste gelegenen Vorort von Porto. Auch hier hat sich die Siedlungszone in den vergangenen Jahren relativ unkontrolliert ausgebreitet, und so bestand die vorrangige Aufgabe darin, eine Stadtkante Richtung Ozean zu definieren und andererseits Platz für dringend benötigte Serviceeinrichtungen zu schaffen. Der Architekt bediente sich einer überaus klaren Form: einer granitgepflasterten Terrasse. Unter dem rigiden Rechteck von 740 Metern Länge und 19 Metern Breite befindet sich eine Tiefgarage. Verschiedene Baukörper - Segelschule, Restaurant, Diskothek - sind strandseitig an die Promenade angedockt. Souto de Moura konzipierte ein funktionales Bauwerk, das als Aussichtsbalkon Richtung Meer durch seine Grosszügigkeit überzeugt.

Wie es sich in versehrten städtischen Kontexten bauen lässt, bewies Souto de Moura mit dem 2003 eröffneten, nach dem 96-jährigen Altmeister des portugiesischen Films, Manoel de Oliveira, benannten Filmhaus in Porto. Das Gebäude befindet sich am Westrand der Stadt, oberhalb des an der Douro-Mündung gelegenen Vorortes Foz do Douro und inmitten eines von Spekulationsbauten der letzten Jahre geprägten Quartiers. Die Archivräumlichkeiten verbergen sich in dem mit Aluminiumplatten verkleideten Sockel des an einer Hangkante gelegenen Gebäudes.

Foyer und Auditorium nehmen das kleine Eingangsgeschoss ein. Darüber erhebt sich das bläulich gestrichene, durch seine polygonale Gestalt expressiv anmutende Obergeschoss mit Bibliothek und Besprechungsräumen. Wie die Objektive von Kameras treten die trichterförmigen Besprechungsräume aus der Fassade heraus. Angeordnet sind sie so, dass man von innen die beiden architektonisch missratenen Wohnhochhäuser auf der anderen Strassenseite nicht sehen kann. Stattdessen geht der Blick auf die Wasserflächen von Douro und Atlantik.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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