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Und nirgends Spitalgeruch
Und nirgends Spitalgeruch, Foto: Gisela Erlacher
Und nirgends Spitalgeruch, Foto: Paul Ott
Und nirgends Spitalgeruch, Foto: Paul Ott
Spectrum

Schon 1903 entstand mit dem Grazer LKH eine in architektonischer wie medizinischer Hinsicht vorbildliche Heilstätte. Seit zehn Jahren schreibt das Land Steiermark mit einem gewaltigen Investitionsschub erneut Krankenhausgeschichte. Ein Überblick.

27. April 2002 - Karin Tschavgova
Wenn die höchst renommierte englische Fachzeitschrift „The Architectural Review“ ihre aktuelle März-Ausgabe über Krankenhäuser zum überwiegenden Teil mit steirischen Beispielen bestückt - fünf von sieben -, so ist das mehr als „remarkable“ und kann nicht ausschließlich mit der Begeisterung ihres Redakteurs Peter Blundell Jones erklärt werden, der die Architektur aus Graz zu seinem Forschungsfeld gemacht hat und ihr außergewöhnliche Qualität in hoher Konzentration bescheinigt. Als langjährigem Beobachter ist ihm nicht entgangen, daß sich nach den Landtagswahlen in der Steiermark 1991 das Klima für experimentelle neue Architektur verschlechtert hat und vom einstmals politisch postulierten Willen nach Innovation, besonders für den Wohnbau, mit dem sich die Steiermark in den Jahren davor profilieren konnte, nichts mehr übrig ist.

In der medialen Landschaft der Architekturzeitschriften bildeten sich die Veränderungen direkt ab. Manches verschwand von der Bildfläche, etwa der steirische Wohnbau - mit Ausnahme des Holzgeschoßwohnbaus, der politisch forciert wurde -, der Bedarf an Universitätsneubauten war durch weitgehend im Geist der „goldenen“ Ära realisierte Altplanungen zum Ende der neunziger Jahre gestillt, und an die Stelle der öffentlichen Bauten traten vereinzelt vorbildliche Beispiele pri-vater Investorentätigkeit. Was blieb, ist wenig Glanz für öffentliche Bautätigkeit - mit Ausnahme des Krankenhausbaus.

Steirische Krankenhäuser wei- sen - europäischen Standards in der Gesundheitsfürsorge folgend - seit Jahren einen enormen Sanierungs- und Erneuerungsbedarf auf. Zu diesem Zweck wurde 1985 die KAGes (Krankenanstaltengesellschaft) als privatrechtlich organisierte Gesellschaft aus der Landesverwaltung ausgegliedert. Zu 100 Prozent im Besitz des Landes, hat dieser größte Arbeitgeber der Steiermark, dem 20 Landeskrankenhäuser obliegen, mehr als den bemerkenswerten Leitspruch „Qualität macht sicher - sichern wir Qualität“ aufzuweisen. In einer beispielhaften Initiative wurden Ende der acht-ziger Jahre für das gewaltige Investitionsprogramm Rahmen-bedingungen geschaffen, die me- dizinische und architektonische Qualität möglich machen sollten. So führt die KAGes unter ihrem technischen Vorstands-direktor Berndt Martetschläger bis heute für alle Bauvorhaben Architektenwettbewerbe durch und macht damit deutlich, daß nicht allein Ausstattung, Funk-tionsoptimierung und qualifiziertes Personal, sondern auch qualitativ hochstehende Architektur Garant eines langfristigen medizinischen und wirtschaftlichen Erfolgs ist.

Architekten ohne Erfahrung im Spitalsbau kam dabei zugute, daß bei Bewerbungsverfahren nur die baukünstlerische Qualifikation ausschlaggebend war, da man annahm, von Planern, die nicht in Routine erstarrt sind, auch frische Ideen zum Ablauf des Spitalsbetriebs zu erhalten. Garant für Wirtschaftlichkeit sollte ein erfahrener Generalplaner sein, der dem Architekten zur Seite gestellt wurde (und wird). Programmatische Vorgaben zur Architektur gab es nicht; doch war der zeitliche und ökonomische Spielraum von Anfang an nicht groß. Schaffte es ein Architekt, in diesem äußerst knappen Rahmen Qualitätsarchitektur entstehen zu lassen, so war diese als Teil der Qualitätsoffensive und der Imagepflege willkommen.

Seit rund zehn Jahren ist unter dieser Prämisse und einer Bauherrenschaft, die ihre Bauherrenrolle ernst nimmt und die Architekten in jeder Planungsstufe begleitet, eine Fülle bemerkenswerter Bauten entstanden. Vorreiter war das LKH Bruck an der Mur (1990 bis 1993) der Architekten Domenig und Eisenköck, das mit seiner äußerst großen, zweigeschoßigen Halle urbanen Charakter, aber nirgends „Spitalsgeruch“ erzeugt. International viel beachtet ob seiner Großzügigkeit, rangiert es für die Erhalter am unteren Rand der Wirtschaftlichkeit.

Anders der Neubau des LKH Hartberg (1997 bis 1999) von Klaus Kada. In der in jedem seiner Bauten erkennbaren Suche nach Klarheit in Form und Funktion, nach Leichtigkeit und Durchlässigkeit der Körper, nach Aufhebung von Masse und räumlichen Grenzen hat auch er eine zentrale Halle konzipiert, die mehr ist als ein Verteilerknoten am Schnittpunkt der Trakte und Funktionen. Mit imposanter Höhe erstreckt sie sich über vier Geschoße. Einer städtischen Piazza gleich ist die Halle dem Ankommenden Orientierungsort und Erschließung, dem Besucher und Patienten im gleichen Maße Warteraum wie Treffpunkt und dem stationären Patienten Abwechslung im monotonen Krankenhausalltag und Auslauf wie Ausblick in die umgebende Landschaft. Drei übereinanderliegende, über die gesamte Länge frei gespannte Brücken verbinden die einzelnen Krankenstationen. Jeder, der dieses pulsierende Herzstück des Spitals betritt, scheint es als großstädtisches Gefüge zu begreifen, das ein Gefühl von Normalität anstelle sonst üblicher Bedrücktheit setzt. Dieser vertikal zentrierte Raum entspricht nach Auskunft der Spitalserhalter durchaus den Anforderungen an Wirtschaftlichkeit. Das LKH Hartberg verkörpert am stärksten den Typus des Krankenhauses als Hotel.

Für die Erneuerung der Grazer Universitätskliniken und Krankenhäuser, die zu je 50 Prozent vom Land und vom Bund finanziert werden, wurde 1995 vertraglich eine Investitionssumme von 9,45 Milliarden Schilling (fast 687 Millionen Euro) für Bauten und Ausstattung festgelegt. In diesem Rahmen entstanden bis dato auf dem weitläufigen Areal der Universitätskliniken Bauten der Architekten Helmut Croce und Ingo Klug, Funktionsbauten von Manfred Zernig und Irmfried Windbichler und die HNO-Klinik.

Deren Architekt, Ernst Giselbrecht, plaziert einen neuen Funktionstrakt mit allem, was die technische Infrastruktur darstellt, an die Rückseite des symmetrisch angeordneten alten Pavillons, dessen Unterschutzstellung keine größeren Eingriffe erlaubte. Giselbrechts Architektur für die neue HNO-Klinik, die in ihrer Kombination aus neuester Medizintechnik, EDV und Gestaltungswillen schon jetzt unter Fachleuten ein extrem gutes internationales Echo erfährt, entspricht am deutlichsten dem Wesen ärztlicher Organisation. Architektur und medizinische Ausstattung geben sich im gleichen Maße technoid, beide sprechen die kühle Sprache von wissenschaftlicher Effizienz.

In ihrer Maßstäblichkeit sind die bis jetzt fertiggestellten Neubauten übersichtlich und klar strukturiert. Alle ermöglichen relativ rasche Orientierung und vermeiden in ihrem Ausdruck von Leichtigkeit in Struktur und Konstruktion jeden Maschinencharakter, Sterilität und Gigantonomie. Wie das größte Bauvorhaben im Rahmen der „LKH 2000 Initiative“, das LKH West der Arge Domenig, Eisenköck, Gruber als Erweiterung des vormaligen Unfallkrankenhauses in Graz-Eggenberg, gelungen sein wird, läßt sich vielleicht erst nach seiner vollständigen Inbetriebnahme beurteilen.

Sparprogramme haben auch vor der umfangreichen Qualitätsoffensive der KAGes nicht haltgemacht. Während einige Bauvorhaben wie der Umbau des LKH Fürstenfeld in Etappen wie bisher realisiert werden, mußte der Projektanfang anderer verschoben werden. Ob aus den aktuellen Zwängen ein Qualitätsverlust abzusehen ist, kann derzeit noch nicht beurteilt werden. Durchaus glaubhaften Beteuerungen von seiten der Auslober stehen erste Anzeichen von Veränderungen gegenüber. So wurden für den aktuellen Wettbewerb für den Gesundheitspark Bad Aussee, ein Kooperationsprojekt von privaten Betreibern und der KAGes, im Bewerbungsverfahren erstmals Referenzen im Krankenhausbau gefordert.

Auch scheint die Kooperation zwischen Architekt und General- planer - der immer seltener der Best- und immer öfter der Billigstbieter zu sein scheint - nicht immer friktionsfrei abzulaufen, und es stellt sich die Frage, ob solche Modelle zwangsweisen Miteinanders Lösungen zustande bringen können, die alle zufriedenstellen. Gerade im innovativen konstruktiven Bereich, wo sich über kluge Wahl der Tragkonstruktion ein großes Einsparungspotential auftut, wä- re das freie Votum für den Statiker, dem der Architekt durch gute Zusammenarbeit verbunden ist, von Vorteil.

Es ist schwer vorstellbar, daß der Druck von seiten der Politik, der auch vor dem Krankenhausbau nicht haltmacht, sich nicht diskontinuierlich auf die Qualität der künftigen Bauvorhaben auswirken wird. Es bleibt zu hoffen, daß Peter Blundell Jones, der glühende Fürsprecher steirischer Architektur und steirischer Architekten, auch künftig recht behält, wenn er sagt, daß die Grazer Bauten zeigen, daß die Architektur eines Krankenhauses nicht durch technische und bürokratische Anforderungen ausgelöscht werden muß und daß die Grazer Beispiele außerdem beweisen, daß auch große Einrichtungen klar und übersichtlich geplant sein können.

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