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Moderne ohne Dogma
Neue Zürcher Zeitung

Schwedische Architektur und Kunst im Bard Graduate Center in New York

30. April 2002 - Hubertus Adam
«Skönhet för alla» - Schönheit für alle - hiess eine 1897 publizierte, in viele Sprachen übersetzte Schrift der schwedischen Reformerin Ellen Key. Der programmatische Titel umreisst das, was die ästhetische Kultur Schwedens im 20. Jahrhundert prägte: ein sozialer Anspruch, der Wunsch nach Breitenwirksamkeit, welcher sich von Carl Larssons Bestseller «Ein Haus an der Sonne» bis hin zum vorbildlichen Wohnungsbauprogramm nach 1945 zieht. Und es ist wohl kein Zufall, dass heutige Labels wie Ikea oder Hennes & Mauritz mit dem Postulat eines egalitären ästhetischen Ideals überaus erfolgreich sind. Vermutlich haben sie - aller Imitation zum Trotz - zur breitenwirksamen Geschmacksbildung mehr beigetragen als viele Protagonisten «guter Form».

Die vom New Yorker Bard Graduate Center for Studies in the Decorative Arts mit Unterstützung des Moderna Museet und des Schwedischen Architekturmuseums in Stockholm organisierte Ausstellung «Utopia & Reality» sucht in einem Tour d'Horizon die Positionen der schwedischen Moderne im 20. Jahrhundert Revue passieren zu lassen. Das ist mit 200 Exponaten ein fast hilfloses Unterfangen, und dennoch ist dem Ausstellungsteam eine sehenswerte, von einem inhaltsreichen Katalog begleitete Präsentation gelungen.

Die Ausstellung umfasst ein weites Spektrum: die Gemälde der Matisse-Schülerin Sigrid Hjertén sind ebenso zu sehen wie der Film «Diagonal Sinfonie» (1923/25) des zeitweilig in Zürich, später in Berlin lebenden Viking Eggeling oder Gunnar Asplunds Stühle für die Art-déco-Ausstellung in Paris 1925. Architektonisch wird der Bogen geschlagen von der zwischen Wiener Jugendstil und Nationalromantik oszillierenden Ausstellung in Norrköping (1906) bis hin zur «Stockholms Utställningen» von 1930, welche der Moderne in Skandinavien mit den von Gunnar Asplund entworfenen Bauten - verspätet - zum Durchbruch verhelfen sollte und einen der Schwerpunkte der Schau in New York bildet. Zu einem dogmatischen Verständnis der Moderne wahrte Schweden allerdings seit je Distanz: Auf der Weltausstellung in New York 1939 reüssierte das Land mit Objekten mit natürlichen Materialien und weichen Formen. Der skandinavische Sonderweg, welcher sich noch einmal in der Ausstellung «H55» in Helsingborg 1955 manifestieren sollte, stiess seinerzeit gerade auf dem europäischen Kontinent auf Interesse - nicht nur das Design, auch das Programm für den sozialen Wohnungsbau galt als vorbildhaft. Dass die Gegenwart nicht mehr an jene Zeiten anzuknüpfen vermag, verschweigt die Ausstellung.


[Bis 16. Juni. Katalog: Utopia & Modernity. Modernity in Sweden 1900-1960. Hrsg. Cecilia Widenheim. The Bard Graduate Center, New York 2002. 328 S., $ 50.-.]

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