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Der Standard

Minidramen aus dem Wonderland: Ideen ohne Auftrag, gezeichnet von der Architektengruppe nan

19. Juni 2004 - Oliver Elser
Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen. Nur Architekten muss in diesem Fall dringend empfohlen werden, sich an den nächsten Ausstellungskurator zu wenden. Im Medium der Architekturausstellung können Größenwahnvorstellungen und Persönlichkeitsspaltungen („Womit ich Geld verdiene, ist
etwas ganz anderes, als mich wirklich interessiert“) ohne Risiken ausgelebt werden. Wenn das Publikum vor den Exponaten ein Schauder befällt, wie etwa 1921, als der junge Le Corbusier
der Stadt Paris den Krieg erklärte, die er unter den Fundamenten riesiger Hochhäuser begraben wollte, dann wird die Ausstellung sicher ein Erfolg.

Nur hat sich dieser Schockeffekt über die Jahrzehnte reichlich abgenutzt und die Architektur unter der Inflation der Visionen arg gelitten. Die jüngere Generation entwickelte daraufhin einen oft wohltuenden Pragmatismus und pfeift nun darauf, erst jahrzehntelang als Visionäre und Künstler durchgehätschelt zu
werden, um dann im Alter an die millionenschweren Aufträge heranzukommen. Die Immobilienindustrie ist ja noch immer höchst
konservativ und gibt nur gut abgehangenen Avantgardisten den Zuschlag.

Pragmatisch zu sein kann heute allerdings auch bedeuten, am Rockzipfel weltweit bewunderter Formjongleure klebend, kleine Blasengebilde und berstende Fassaden mit minimalem Aufwand aus dem heimischen Computer zu zaubern. So wird das edle Vorrecht der Jugend, radikal und dabei sogar akzeptiert zu sein, im sinnlosen Aufschäumen von Ideen verpulvert, auf die längst eine andere Generation die gestalterischen Patente erworben hat.

Bei der Ausstellung Wonderland, die gegenwärtig in Bratislava angekommen ist, bevor sie dann zu sieben anderen europäischen Stationen weiterzieht und bei jedem Stopp immer mehr Jungarchitektenteilnehmer zusammenbringt, wird viel in diesem Sinne Visionäres präsentiert. In einer für sich schon sehenswerten Industriehalle sind die Projekte von jeweils elf österreichischen und slowakischen Teams versammelt. Jedem stand eine Anzahl von „Pixeln“ zur Verfügung, auf dünnen Stäben schwankende Schautafeln, die etwa so groß sind wie die Hülle einer Langspielplatte. Die Gruppe nan hat ihre Pixel ganz in satte
Rosa getaucht und darauf verzichtet, sich mit Resultaten aus der täglichen Praxis zu präsentieren.

Bei den anderen pixelt es gewaltig, denn es werden abgelehnte Wettbewerbe und erste kleinere Realisierungen auf kleines Format gebracht, was in der Fülle der Arbeiten oft ein
heilloses Flimmern hervorruft. nan, das sind Nina Lorber, Amir Aman und Norbert Trolf, durchschnittlich circa 32 Jahre alt, zeigen hingegen
ganz schlicht Architektur, die zum Greifen nah zu sein scheint, aber ohne Auftrag entworfen wurde und bei näherem Hinsehen wohl
selten eine Chance auf Realisierung hätte. Ein Projekt pro Pixel, eine Idee pro Projekt, in einer Form, für die man nicht sehr tief in die Denkmuster eines Architekten eingedrungen sein muss, um sie zu verstehen. Es sind Einfälle, die bei anderen Projekten entstanden sind, dann aber zur Seite gelegt wurden und nun als kleine
Sammlung handfester Visionen in die Welt entlassen werden.

Bei den Gedankenspielereien kommt es weniger auf die architektonische Form an, sondern darauf, immer wieder „Was wäre wenn?“ zu fragen. Was würde passieren, wenn Israelis und Palästinenser in Terrassenhäusern entlang der Grenze wohnen würden? Wäre das eine besonders perfide Form von Kontrollarchitektur oder würde man irgendwann aufhören, auf den
Nachbarn zu schießen? Wieso könnte ein Hochhaus nicht für Extremsportarten genutzt werden? Warum baut man nicht Wohnblöcke um ein Fußballstadion herum oder begräbt die
Infrastruktur, die der Alpentourismus verlangt, unter einer dicken Abraumschicht aus dem Brennerbasistunnel und züchtet darauf
eine heile Instant-Natur? Und viele Fragen mehr, die keineswegs so rosarot-naiv sind, wie es einem die charmanten Zeichnungen auf den
ersten Blick nahe legen, denen anzusehen ist, dass die jungen Architekten Erfahrungen in den Niederlanden gesammelt haben.

Natürlich sind die Ideenskizzen auch aus der Not geboren, noch kein realisiertes Projekt im Portfolio zu haben. Bei zwei Wettbewerben, für
ein Hotel und ein Altenheim, gewannen nan den ersten Preis, warten jetzt auf ihre Beauftragung, machen weiter Wettbewerbe und lehren
zum Gelderwerb als Assistenten an der TU Wien und der Angewandten. Kurz: Sie teilen das Schicksal vieler anderer junger Büros, inklusive der prekären Situation, dass die Mitgliedschaft
in der Architektenkammer momentan zu teuer ist. Der kulturelle Nutzen einer vitalen Szene junger Architekten ist immens, aber der Schritt in die Professionalisierung wird von denen erschwert, die bereits oben angekommen sind.

Vielleicht entstehen Zeichnungsserien wie diese nur in den Warteschleifen der Berufsanfängerjahre. Später wird jede Gelegenheit genutzt, Gebautes auch zu zeigen. Andererseits
positionieren sich immer mehr Architekten als Regisseure urbaner Szenarien. An denen herrscht bei nan kein Mangel, und wie wenige
schaffen sie es, diese auch darzustellen. So können sich die Ideen von ihren Verfassern ablösen und Teil eines allgemeinen Architekturdiskurses werden.

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