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Es brennt
Der Standard

Günther Domenig wird 70 und ist immer noch beste Architekturavantgarde. Sein hierzulande kaum bekanntes Dokumentationszentrum in Nürnberg ist neben dem Steinhaus sein wahrscheinlich stärkstes Werk.

3. Juli 2004 - Ute Woltron
Als der jugendliche Egon Erwin Kisch ausgeschickt ward, seine erste Reportage zu schreiben, wandelte er noch in Finsternissen. Es war Nacht, es brannte eine Mühle - und er wusste nicht, wo beginnen. Da erblickte er den Starreporter der damaligen Zeit. Der saß oben auf einem Feuerwehrwagen, und alle Brandlöscher, die Mühlenbesitzer, das Volk rundum kamen von der Feuersbrunst zu ihm geeilt, um ihm zu berichten. Und er saß da oben, nahm die Nachrichten entgegen und schrieb und schrieb. Kisch näherte sich ihm verschämt und frug, was denn hier so abgehe. Der Ältere beugte sich langsam zu dem noch gar nicht rasenden Reporter hinunter und flüsterte ihm ins Ohr: „Es brennt!“.

Als die noch jugendlichen Coop Himmelb(l)au bei Günther Domenig in die Lehre gingen, frugen sie ihn, was das denn sei, die Architektur. Da beugte sich der Ältere zu den Jüngeren hinab und flüsterte ihnen zu: „Architektur muss brennen!“. Und sie bauten ein kühnes Konstrukt und ließen es in Flammen aufgehen.

Heute ist die Aktion „Flammenflügel“ im Hof der TU Graz Teil des Mythos, der die Himmelblauen umgibt, und auch Günther Domenig, damals Vorstand der Grazer Architekturfakultät, blieb Zündler, Lehrender, Raubein, beste Architekturavantgarde. Ein Künstler, der Architekt sein kann. Ein Architekt, der den schwierigsten, weil den ganz eigenen Weg gegangen ist.

Am 6. Juli wird der Grazer, der in Klagenfurt geboren wurde, 70 Jahre alt. Seine Architektur zeigte und zeigt stets vor, dass es auch ganz anders geht im Baugeschäft, dass das Haus zur Skulptur werden kann, zur Landmark, und dass räumliche Qualitäten die funktionalen keineswegs aufheben.

Domenig hat ein paar Meilensteine in die Landschaft gesetzt, den Pavillon der Schwimmhalle für die Olympischen Spiele in München 1972 oder die wüste Z-Bank in der Favoritenstraße mit ihrer aufgeworfenen Metallfassade und den bloß liegenden Installationsgedärmen. Zuletzt klotzte er eine „liegende Skulptur“ in Form des mächtigen T-Centers an die Flanke der Wiener Südosttangente.

Doch die neben seinem eigenen, dem Steinhaus am Ossiacher See, wahrscheinlich persönlichste Arbeit des Architekten ist hierzulande kaum bekannt. Zum 70er stellt das Album Domenigs Dokumentationszentrum des Nationalsozialismus in Nürnberg vor, das vor knapp zwei Jahren eröffnet wurde und das, wie er selbst meint, neben dem Steinhaus sein wichtigstes Werk ist. Unter anderem, weil Domenig mit diesem Bau seine eigene Vergangenheit als Kind des Nationalsozialismus endgültig abfackelte.

Um das Haus zu beschreiben, muss man erst einen Spaziergang durch Nürnberg tun, das ein mittelalterliches Prachtstädtchen war, bevor Hitler es 1936 zur Stadt der Reichsparteitage erklärte. Heute ist der Schmerz der jüngeren Vergangenheit in jeder Hausecke, in jedem Fachwerk der einstmals wunderschönen Altstadt spürbar - gerade weil man ihn loswerden, wegschminken, wegbauen will.

Nürnberg ging in den letzten Kriegstagen im Bombenhagel der Alliierten unter, und die Nürnberger sind immer noch krampfhaft bemüht, ihre ältere Vergangenheit mittels der Architektur wieder auferstehen zu lassen: Sie schließen die großen Baulücken zwischen den wenigen wirklich alten Häusern mit Imitationen der Vorgestrigkeit: auf historisch getrimmtes Fachwerk zwischen Stahlbetonbauten. Nachgeschmiedete Innungszeichen längst untergegangener Handwerksbetriebe in den engen Gässchen.

Die jüngere Vergangenheit liegt nur wenige Kilometer vor den ehemaligen Stadttoren des Mittelalters, und sie liegt hinter einem dichten Kranz von Bäumen verborgen wie Dornröschens Schloss. Vogelgezwitscher. Menschenleere. Das Tausendjährige Reich - hier hat es Wurzeln geschlagen, und hier ist es, in Architektur geronnen, als schauerliches Mahnmal stehen geblieben - Hitlers Kongresshalle, in deren Hof Hunderttausende dem „Führer“ hätten huldigen sollen, liegt als gewaltiges Hufeisen in einer menschenleeren Parklandschaft: 60 Meter hoch, 275 Meter lang, 265 Meter breit. Ungeliebt von den Nürnbergern, besucht fast ausschließlich von Touristen und Schülern, die hier Geschichte hautnah studieren wollen.

Mit Domenig gewann 1998 der ideale Planer den internationalen Gestaltungswettbewerb für die schwierige Aufgabe, dieser übermächtigen Naziarchitektur mit einer eigenen, nicht minder selbstbewussten Formensprache entgegenzutreten. Denn einerseits brachte der Architekt sein außergewöhnliches Formgefühl und Raumtalent mit, und andererseits stand er mit einer zwar vergangenen, doch vielleicht noch nicht ganz bewältigten Kindheit vor den strengen Achsen und Symmetrien der Hitlermacht.

Domenigs eigene Kindervergangenheit, die vom Nationalsozialismus geprägt war und die er nicht zuletzt über seine aufmüpfige Architektur und seine Ehrerbietung den großen, oft jüdischen Architekten des 20. Jahrhunderts gegenüber abgeschüttelt hatte: Da stand sie plötzlich wieder. Er begegnete ihr in seinem ureigenen Metier - der Architektur. Und jetzt zerfetzte er sie endgültig.

Die Formensprache des Totalitären, Absoluten ist die Symmetrie, die Achsialität, die Masse: Domenig riss das Haus an einer Kante auf und schoss einen schrägen, eleganten Pfahl aus Stahl mit Leichtigkeit und Eleganz durch dieses gleichgeschaltete Heer aus Stein und Materie. Er erlegte das Haus gewissermaßen, denn von außen sieht man lediglich den Einschuss, doch der zieht sich innen quer durch und macht den Besuchern die einzelnen Räume, die er durchschneidet, über Ein- und Durchblicke gewissermaßen untertan.

Wie raffiniert Domenig mit relativ geringem Aufwand der Naziarchitektur die Nase zeigt, veranschaulicht der Umgang mit der Substanz, die weitestgehend unberührt blieb. Die Außenfassaden der Kongresshalle etwa suggerieren, dass hier mit Stein für die Ewigkeit gebaut wurde. Domenigs fein polierte, schräge Schnitte quer durch die Wände offenbaren kommentarlos, dass die steinerne Schminke tatsächlich nur wenige Zentimeter dünn ist und sich schlichter Ziegel dahinter verbirgt.

Domenig riss eine Wunde in die Substanz, die sich nicht mehr schließen wird. Die Besucher steigen heute durch diesen klaffenden Riss in das Haus ein - nicht mehr durch Hitlers Prachtportale. Der Bestand wird durch den stählernen Pfahl neu interpretiert und so zum wichtigsten Exponat. Die Videos marschierender Soldaten bleiben letztlich Staffage.

Architektur, die einmal „gebrannt“ hat, flackert heute in einem neuen Licht. Domenig hat mit seiner eigenen eine andere Architektur durchdrungen und neu interpretierbar gemacht.

Das ist die andere Art, mit der Vergangenheit umzugehen. Architektur kann brennen, ohne zu zerstören. Und sie kann leuchten, wenn einer sie baut, der selbst brennt.

[ Ö1 „Diagonal“ zur Person Günther Domenig:
CD, MC erhältlich unter 01/50170-374 oder audioservice@orf.at ]

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