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Weisse Segel und Säulenhallen
Neue Zürcher Zeitung

Der dänische Architekt Jørn Utzon im Louisiana Museum in Humlebæk

Das Jahrhundertwerk des Opernhauses von Sydney machte Jørn Utzon früh berühmt. Bald danach wurde es jedoch stiller um den Architekten, obwohl er in Kuwait und in Dänemark weitere Meisterleistungen realisierte und für Zürich eine Theater-Akropolis entwarf. Nun widmet ihm das Louisiana Museum in Humlebæk eine Retrospektive.

5. Juli 2004 - Roman Hollenstein
Sein grösster Triumph wurde auch zu seiner schwersten Bürde. Nachdem der 1918 in Kopenhagen geborene Jørn Utzon als 38-jähriger Architekt im Wettbewerb für ein Opernhaus in Sydney mit einem spektakulären Entwurf und dank der Weitsicht des Jurymitglieds Eero Saarinen gesiegt hatte, schien einer gloriosen Karriere nichts mehr im Weg zu stehen. Er wurde eingeladen, Projekte für ein neues Opernhaus in Madrid (1962), ein Schauspielhaus in Zürich (1964) oder ein Theater in Wolfsburg (1965) einzureichen. Diese Entwürfe blieben Makulatur, obwohl er in Zürich mit einem aufsehenerregenden, vom Pfauen zur Kantonsschule hin ansteigenden Podiumsbau den ersten Preis erzielte. Auch in Sydney lief wegen politischer und bürokratischer Intrigen bald nichts mehr wie erhofft, so dass Utzon 1966 im Zorn die Stadt und sein Projekt verliess. Nicht einmal zur Einweihung des 1973 vollendeten Meisterwerks, das schnell zum Wahrzeichen eines Kontinents und zum Kronjuwel der Baukunst des 20. Jahrhunderts avancieren sollte, kehrte er nach Australien zurück. Da half auch die ihm vom Royal Australian Institute of Architects dargereichte Goldmedaille nichts. Utzon hatte sich zu jener Zeit bereits nach Mallorca zurückgezogen, von wo aus er fortan im Stillen wirkte. Dies erklärt auch, warum bis zum Erscheinen von Richard Westons monumentaler Monographie vor zwei Jahren keine fundierte Publikation über sein Werk existierte. Selbst die zeitgenössische Architekturgeschichte klammerte sein Schaffen bis auf das Opernhaus weitgehend aus. Erst unsere für Brüche offenere Zeit machte es möglich, dass Utzon im vergangenen Jahr den begehrten Pritzker-Preis erhielt. Mit dem Alter milde geworden, liess Utzon sich nun sogar dazu bewegen, an der Restaurierung und am Umbau des innen nicht nach seinen Plänen verwirklichten Opernhauses von Sydney mitzuwirken.
Klassisch und organisch

In diesem Denkmal einer organischen Moderne, das im Zeichen der heutigen Blob-Architektur ganz neue Aktualität erhält, erwies sich Utzon als virtuoser Eklektiker, der die Kunst des Schiffbaus mit der Betonarchitektur von Maillart und Nervi zu verbinden und die Theorien Le Corbusiers mit den fliessenden Bauformen Frank Lloyd Wrights und Saarinens zusammenzubringen wusste. Der eigentliche Clou des Opernhausprojektes war das für die Infrastruktur und die Eingangsfoyers des Musikpalastes genutzte Podium, auf dem Utzon hoch über Sydneys Hafen die geblähten Segel, in denen sich Opern- und Konzertsaal befinden, hissen konnte. Dieses über steile Treppen erreichbare Podest wird gemeinhin mit Utzons Studium der Maya-Tempel im Jahre 1949 in Mexiko zusammengebracht. Dabei wird übersehen, dass der stark vom Klassizismus Kopenhagens geprägte Architekt 1945 kurz in Helsinki bei Alvar Aalto gearbeitet hatte. Damals muss ihn auch die Kathedrale von Carl Ludwig Engel beeindruckt haben, die auf einem Sockel, zu welchem eine steile Treppenwand hinaufführt, hoch über der Innenstadt thront. Die weissen Säulenhallen dieses Tempels haben sich in Sydney dann ganz offensichtlich in segelartige Formen verwandelt.

Um die damals (ohne heutige Computertechnik) höchst aufwendige Umsetzung dieser Riesensegel, die er schliesslich mit weissen Fliesen verkleiden liess, bemühte sich Utzon seit den späten fünfziger Jahren zusammen mit dem Ingenieur Ove Arup. Gleichzeitig realisierte er in Elsinore und Fredensborg zwei Wohnsiedlungen, bei denen ihm das griechisch-römische Atrium- und das chinesische Hofhaus als Vorbilder dienten. Diese Spannung zwischen klassischer und organischer Formgebung, zwischen Miniaturstadt und skulpturalem Solitär, dominiert auch die vom Meister selbst mitkonzipierte Ausstellung im Louisiana Museum in Humlebæk. Sie setzt - erwartungsgemäss - mit einer fulminanten Präsentation des Opernhauses von Sydney ein und veranschaulicht die komplexe künstlerische, technische und politische Genese dieses Jahrhundertwerks mit Filmen, Fotos, Modellen, Plänen und Dokumenten. Daneben müssen die anderen Arbeiten gezwungenermassen etwas zurücktreten. Gleichwohl erfährt man, dass Utzon schon 1953 beim Entwurf des zwischen Wright-Hochhaus und Pagode oszillierenden Langelinie-Pavillons in Kopenhagen sich mit organischer Architektur befasste. Dieser magische, wie ein riesiger Brunnen wirkende Turm aus Beton und Glas wurde jedoch nicht gebaut. So vergab die Stadt die Chance, ein Meisterwerk von Utzon ihr eigen nennen zu können. Verwirklicht wurde zwischen 1968 und 1976 hingegen im nahen Bagsværd eine grandiose Kirche, die in ihrem leisen Äusseren dem dänischen Klassizismus ebenso verpflichtet ist wie der einfachen Industriearchitektur, während das Innere von einer wogenden, das Licht modellierenden Betondecke beherrscht wird.
Vision und Intuition

Der erste Grossbau, bei dem klassische Geometrien und gezielte Lichtführung im Zentrum standen, war aber die 1960 vollendete Bank Melli in Teheran, bei der Utzon seine Analysen orientalischer Basare einfliessen liess. Dennoch ist Utzon weniger ein Theoretiker als vielmehr ein Visionär, der in seinen architektonischen Kompositionen intuitiv nach gezielten Lösungen für neue Orte, Aufgaben und Menschen sucht. Dies zeigt etwa der im Ersten Golfkrieg beschädigte Palast der Nationalversammlung in Kuwait (1972-82), bei dem er vom Zelt über den Hofgarten bis hin zur überdachten Strasse arabische Bautraditionen aufnahm und sie in eine moderne Form aus vorgefertigten Betonelementen giessen liess. Das sich hier, aber auch in anderen Bauten manifestierende seriell-additive Vorgehen führte ihn zur Erfindung des intelligenten Fertighaus-Systems «Espansiva». Additiv gedacht sind aber auch seine beiden Villen auf Mallorca, die Can Lis von 1974 und die Can Feliz von 1995, die sich mit Säulen, Ziegeldächern und Peristylen fast wie pompejanische Herrensitze bald hoch über der Felsenküste, bald verborgen im Pinienhain erheben. Ihr Neoklassizismus findet ein Echo im wenig geglückten postmodernen Möbelhaus «Pausistan» (1987), welches er zusammen mit seinen Söhnen konzipierte. Die Zweifel an Utzons Meisterschaft, die hier aufkeimen, werden am Ende der Schau dann mit dem Entwurf für eine 1963 von Asger Jorn initiierte, leider aber nicht ausgeführte Erweiterung des Kunstmuseums von Silkeborg völlig ausgeräumt. Dieses weitgehend unter der Erde sich ereignende, ebenso musikalisch wie skulptural gedachte Raumwunder beweist, dass Utzon weit über das rein Architektonische hinaus ein Künstler ist.

[ Bis 29. August. Katalog: Jørn Utzon. The Architect's Universe. Louisiana Museum, Humlebæk 2004. 95 S., dKr. 148.- (ISBN 87-90029-93-3). - Ausserdem: Richard Weston: Utzon. Edition Bløndal, Hellerup 2002. 432 S., Fr. 250.-. ]

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