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Düstere Denkmäler und lichte Paläste
Neue Zürcher Zeitung

Der italienische Architekt Giuseppe Terragni in Como

Obwohl Giuseppe Terragni nur 39 Jahre alt wurde, gilt er als der wichtigste italienische Architekt des 20. Jahrhunderts. Anlässlich seines 100. Geburtstags feiert ihn nun seine Heimatstadt Como mit einem Veranstaltungsreigen, wagt es aber nicht, Terragnis Begeisterung für einen modernistisch ausgerichteten Faschismus kritisch zu beleuchten.

9. Juli 2004 - Roman Hollenstein
Lange musste er warten, bis seine Heimatstadt sich voll zu ihm bekannte: Doch 61 Jahre nach seinem Tod steht Como ganz im Zeichen von Giuseppe Terragni, dem grössten italienischen Architekten des 20. Jahrhunderts. Zwar fand hier schon 1949 eine von Pietro Lingeri inszenierte Terragni-Retrospektive statt, die sogar Le Corbusier überzeugte, und 1989 feierte Como seinen Sohn im Kontext des europäischen Rationalismus. Gleichwohl trug man schwer am Erbe dieses Architekten, der souverän mit den Grossmeistern der internationalen Moderne wetteiferte und dennoch ein glühender Anhänger der vom Duce propagierten, anfangs durchaus noch modernistisch ausgerichteten Italianità war. Man versuchte daher lange, den faschistischen Makel, der Terragnis Bauten anhaftete, zu überspielen, und verwies auf die Begeisterung, die seine Bauten in der Kulturwelt - von Peter Eisenman bis Günther Förg - auslösten. Denn kein anderer Architekt prägte Como so sehr wie Terragni, sieht man einmal ab vom Tessiner Frühklassizisten Simone Cantoni und dessen Stadtpalästen in der Via Volta sowie der grandiosen Villa dell'Olmo am See. Terragnis Hauptwerk, die Casa del Fascio, schönten die Comasker, erfüllt von Stolz und Scham, zur «Casa Terragni», lobten aber die heitere Poesie des Kindergartens, der nach einem anderen Sohn der Stadt, dem allzu jung im Ersten Weltkrieg gefallenen Architekten Antonio Sant'Elia, benannt ist.

Heitere Jubiläumsfeierlichkeiten

Noch ganz im Zeichen Sant'Elias standen die frühen futuristischen Entwürfe Terragnis, von denen zwei - ein Gaswerk und eine Fabrikanlage - den Eingang zur Schau «Terragni, Architetto europeo» in der ehemaligen Chiesa San Francesco markieren. Diese Ausstellung bildet gleichsam das Rückgrat der Festivitäten, die seit Terragnis 100. Geburtstag am 18. April (NZZ 18. 4. 04) die Stadt beleben. So wurden eigens Schilder an dreizehn Bauten - vom grossbürgerlichen Wohnblock Novocomum bis zum Arbeiterhaus in der Via Anzani - angebracht, Vortragszyklen veranstaltet, Konzerte im Teatro Sociale gegeben und ein Informationszentrum im mittelalterlichen Broletto neben dem Dom eingerichtet. Zudem findet bis zum 26. September allabendlich im Atrium der Casa del Fascio (wie die Ikone heute wieder heisst) eine Licht- und Bildschau zu deren Genese und Wirkungsgeschichte statt.

Auch wenn Como wie kein anderer Ort das Studium Terragnis direkt vor seinen besten Bauten ermöglicht, so lohnt sich ein Besuch der Hauptausstellung in der Chiesa San Francesco am Largo Spallino doch. In ihrer Konzeption knüpft sie an die Schau von 1949 an, bei der Terragnis Freund und Mitarbeiter Lingeri mittels einer transparenten Installation nicht das Einzelwerk, sondern die Wechselbezüge zwischen Bauten und Ideen, kurz den Kosmos des Architekten in den Mittelpunkt stellte. Die gegenwärtige Ausstellung folgt Lingeris hermetischer, auf sich selbst bezogener Inszenierung, indem sie Terragnis Werk einzig anhand von Plänen, Zeichnungen, Modellen und Fotografien sowie Originalzitaten des Meisters und seiner Mitstreiter (in Italienisch und Englisch) erklärt und es dem Besucher überlässt, sich aus dem Gesamtkontext heraus sein eigenes Bild zu machen. So lassen sich peinvolle Klippen mit Anspielungen umschiffen: etwa bei dem in einem schwarz glänzenden Schrein präsentierten spätfuturistischen Selbstbildnis, auf dem sich Terragni als Kanonen befehligenden (und somit potenziell Häuser und Menschen zerstörenden) Offizier darstellt.

Während im Hauptraum auf der einen Seite die wichtigsten Arbeiten vom frühen Umbau des Hotels «Métropole Suisse» bis hin zur genialen Casa Giuliani-Frigerio von 1940 anhand von neuen Farbaufnahmen dokumentiert werden, verdeutlichen auf der gegenüberliegenden Wand faksimilierte Zeichnungen Terragnis Aneignung der Welt. Im Zentrum des Saals aber wurde eine Art Spiegelkabinett mit originalen Präsentationszeichnungen und Modellen eingerichtet. Dieses soll wohl einerseits auf Terragnis Traum vom transparenten gläsernen Haus anspielen, anderseits mittels dynamischer Sichtachsen die Gesamtschau erleichtern. Hier offenbart sich, von Sirenenklängen begleitet, der kreative Zwiespalt eines Architekten, der gleichermassen Kriegsdenkmäler, die von der romanischen Architektur Comos und vom manieristisch übersteigerten Neuklassizismus der Novecento-Bewegung beeinflusst sind, und moderne, einer dezenten Polychromie verpflichtete Wohnhäuser schuf. Die Schau kulminiert in einer visuellen Analyse der Casa del Fascio, die in ihren vier unterschiedlichen Fassaden und dem komplex geschichteten Atrium mediterrane Traditionen mit modernen Vorstellungen vereint.

Dunkles Ende mit Lichtblick

Danach führt ein mit Kriegsfotos und Terragnis Zeichnungen von der russischen Front tapezierter Korridor, in welchem wohl die mutmassliche Läuterung des politisch irregeleiteten Wunderkinds angedeutet werden soll, zu den späten Projekten, die in der verdunkelten Apsis zu sehen sind. Hier trifft man auf das zweifellos gegen Piacentinis Monumentalismus gerichtete, gleichwohl aber nicht antifaschistisch zu nennende Projekt des Palazzo Littorio in Rom (1937) sowie auf die letzte Vision des krank von der Front Zurückgekehrten. Sie stellt eine sich aus dem Korsett des strengen Rationalismus lösende Kathedrale mit einem sphärisch gewölbten Dach dar, die kurz vor Terragnis plötzlichem Tod am 19. Juli 1943 wie ein nicht mehr einzulösendes Versprechen an eine sich ihm entziehende Zukunft erscheint. Den Ausklang der Schau bilden sechs Porträts des auch künstlerisch begabten Terragni, deren schwermütige Palette mit der subtilen Farbigkeit der Bauten in Bezug gebracht wird. Hier keimt eine Melancholie auf, die Como demnächst mit einer denkmalhaften Arbeit von Dan Graham vertreiben will. Wenn dessen «Half Square - Half Crazy» genannter Pavillon aus Glas und Stahl am 16. Juli vor der Casa del Fascio installiert sein wird, dürfte ein weitgehend rehabilitierter Terragni vom «Architetto italiano» nicht nur zum «Architetto europeo», sondern endgültig zum Heros der Moderne aufgestiegen sein.

[ Die Ausstellung in der Chiesa San Francesco dauert bis zum 30. November (www.gt04.org). Begleitpublikation: Atlante Terragni. Italienisch und englisch. Hrsg. Attilio Terragni und Daniel Libeskind. Skira, Mailand 2004. 276 S., Euro 55.-. ]

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