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Das Bild der Stadt - Die Obszönität der Architektur
Der Standard

Die Architektur - Gespräche in Alpbach legten die Verständnis - grenzen zwischen Politik, Investorentum und Architektur offen. Was bleibt, ist die Suche nach zeitgenössischer Identität der Baukunst.

23. August 2004 - Ute Woltron
Alpbach - Der Titel der 4. Alpbacher Architekturgespräche lautete „Verständnisgrenzen. Architektur und Öffentlichkeit“. Die Positionen der Referenten hätten unterschiedlicher nicht sein können, was zeigt, dass das Thema gut gewählt war.

Die Architektur, behauptet der Schweizer Architekt Markus Schäfer etwa, befinde sich gerade jetzt im Umbruch. Er ortet eine neue „Gründerzeit“, und die oszilliert offensichtlich zwischen dem hilflosen Rückzug von Kommunen und öffentlichen Auftraggebern und den Protz- und Machtarchitekturen, die - von multinationalen Konzernen als Marketingmittel weltweit eingesetzt - die Städte verstärkt zu prägen beginnen.

Ohnmächtiges Ringen

Dazwischen: Denkmalschutz, Politik, Ökologie, Ökonomie in ohnmächtigem Ringen - die „Verständnisgrenzen“ wurden in Alpbach mehr als deutlich herausgearbeitet und veranschaulichten unter anderem, wie die Architektur selbst - von öffentlichen Auftraggebern allerorten im Stich gelassen - momentan verzweifelt um Identität bemüht ist.

Während der ehemalige finnische Ministerpräsident Paavo Lipponen eindringlich nationale und nationenübergreifende Architektur- und Städtebauprogramme einforderte und auf die elementaren sozialen und demokratischen Aspekte des Bauens verwies, veranschaulichte die Architekturmarketingexpertin Anna Klingmann recht affirmativ die geradezu obszöne Anmaßung, mit der die Großindustrie die Architektur weltweit als Machtmittel einzusetzen imstande ist. Wenn Marken wie Coca-Cola, Volkswagen und BMW dazu aufgerufen sind, ganzen Landstrichen in Sachen Identitätsfindung auf die Sprünge zu helfen, wenn die Architektur, wie Klingmann predigt, „auf das internationale Branding reagieren muss“, stellt sich schon die Frage, wo eigentlich der Mensch zwischen all diesen Logos und Marketingschlagworten bleibt.

Slums und Paläste

Der Grüne Christoph Chorherr formulierte diese Frage denn auch, indem er nach den beliebig addierbaren Bildern milliardenschwerer Konzernpaläste unter anderem ein einziges Foto eines Slums einblendete und auf dessen ebenfalls beliebige Addierbarkeit hinwies. Mittlerweile lebt immerhin fast die Hälfte der Menschheit in minderwertigen Quartieren.

Um die Verbesserung solcher Lebensumstände kümmern sich vor allem von engagierten Professoren dazu aufgerufene Architekturstudenten. Einflussreiche Architekturgrößen wie Rem Koolhaas und Herzog & de Meuron bauen unterdessen im Dienste der eigenen Publicity luxuriöse, hochtechnologisierte Verkaufsmaschinerien für Markenartikler wie Prada & Co.

Architektur-Branding

Das Branding in der Architekturszene ist längst erfolgt, die großen Namen sind selbst zu Architekturmarkenartikeln geworden, die Architektur hat sich von sozialer Kompetenz weitestgehend verabschiedet, und dass es ein bisschen unappetitlich wird, wenn die Kunden in der klimatisierten LCD-Umkleidekabine des Prada-Shops am Rodeo Drive in LA via Bildschirm ihre Rückenansicht realtime präsentiert bekommen, während es in den Wellblechhütten der Slums sommers auf die 70 Grad Celsius zugeht, versteht sich eigentlich von selbst.

Doch auch das „alte Europa“ muss aufpassen, will es nicht seines traditionellen Architektur-Wertekanons völlig verlustig gehen. Wenn der Denkmalschützer Wilfried Lipp das Bild der alten, gewachsenen Stadt gewahrt und vor schlechter Investorenarchitektur geschützt sehen will, dann ist er mit dieser „Suche nach dem verlorenen Bild“ nicht allein. Der Welt-Redakteur Rainer Haubrich verwies in seinem Referat ebenfalls auf den „Aspekt der Schönheit“ der Stadt, der etwa am Potsdamer Platz in Berlin dem Großinvestorentum geopfert worden sei.

Die Wege aus diesem Dilemma versuchte Paavo Lipponen aufzuzeichnen: 1998 formulierte die finnische Regierung als weltweit erste ein Programm ihrer Architekturpolitik, das „Architektur und Lebensqualität“ ins Zentrum rückt. Lipponen beschwor die politische Verantwortung der Regierungen: „Städteplaner müssen sowohl das öffentliche als auch das wirtschaftliche Interesse im Auge behalten, doch sie dürfen sich dem Druck des schlechten Geschmacks und der Habgier nicht beugen.“ Und: Auch auf die Unterprivilegierten sei Bedacht zu nehmen: „Sie brauchen dringend bessere Lebensumstände und damit eine bessere Architektur.“

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