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Baukünstlerische Gärungsphase im Reich der Mitte
Neue Zürcher Zeitung

Die erste Architekturbiennale in Peking

Seit einigen Jahren macht die chinesische Hauptstadt Peking mit gigantischen Architekturprojekten auf sich aufmerksam. Nun führt sie die erste, über sechs Ausstellungsorte verteilte Architekturbiennale durch. Der Gesamteindruck der Veranstaltung überzeugt nicht zuletzt als Kommentar zum zeitgenössischen Baugeschehen in China.

25. September 2004 - Hubertus Adam
Beim Blick vom Drum Tower im Zentrum Pekings weitet sich als ein faszinierendes Panorama: in der Mitte die Verbotene Stadt, dann die niedrigen Quartiere der traditionellen Hofhäuser und schliesslich im Dunst die Hochhäuser der Büro- und Wohnquartiere. Fährt man hinaus in den Central Business District, der östlich der Innenstadt entsteht, oder in die schier endlosen neuen Wohnviertel im Norden, so wird in einem Meer von Kränen eine atemberaubende Entwicklungsdynamik erkennbar. In den nächsten Jahren soll die Metropole mit ihren 14 Millionen Einwohnern einen neuen Charakter erhalten. Als Resultat eines kaum zu zügelnden Investitionsdrucks wächst die Stadt von der Horizontalen in die Vertikale. «Windsor Avenue», «Star City» oder «Soho Towers» heissen die Ballungen aus bis zu 30-stöckigen Hochhäusern, zumeist postmodern gestylt, die sich in ihrer Massstablosigkeit und ihrer Autonomie nur schlecht ins Stadtgefüge integrieren. In Form von Gated Communities organisiert, bilden sie Inseln, die allein durch Verkehrsachsen verbunden werden.

Projekte für China

In einem Klima hektischer Aktivität, das durch die Vorbereitung der Stadt auf die Olympischen Spiele 2008 geprägt ist, findet nun die erste Architekturbiennale in Peking statt. Zweifellos mangelt es dem Projekt im Vergleich zur etablierten Grossveranstaltung in Venedig noch an Professionalität und Konsistenz, doch in der Gesamtheit ergibt sich ein spannendes Bild, dessen Reiz nicht zuletzt in seiner patchworkartigen Heterogenität liegt. Man spürt die Hoffnungen, welche eine junge chinesische Architektengeneration mit der neuen Freiheit und Offenheit verbindet, man wird aber auch des ökonomischen Drucks gewahr, der Experimenten wenig Raum lässt.

Die Architekturschau besteht aus sechs an verschiedenen Orten durchgeführten Ausstellungen und mehreren Symposien. «Infinite Architecture» heisst die Hauptausstellung im National Art Museum of China, die Entwürfe einheimischer und westlicher Architekten in China sowie eine Reihe von Länderpräsentationen vereint. Der Hauptsaal ist der internationalen Prominenz vorbehalten. Im Zentrum stehen dabei Herzog & de Meuron, unter anderem mit ihrem an ein Vogelnest erinnernden Nationalstadion für die Olympischen Spiele, dessen stählerne Dachkonstruktion allerdings aufgrund von Budgetkürzungen weniger aufwendig ausgeführt werden soll. Als jüngstes chinesisches Projekt des Basler Büros wird ein «Three Partnership Tower» genanntes Geschäftshaus für Peking präsentiert, bei dem das umfangreiche Raumprogramm auf drei skulptural geformte und mit einer Fassadenhaut aus triangulären Glasscheiben versehene Volumina aufgeteilt ist. Mit ihrem Konzept bieten Herzog & de Meuron eine elegante Alternative zu den brachialen Stahl-, Beton- und Glasmonstrositäten, die entlang der Ringstrassen von Peking errichtet werden.
Umgenutzte Industrieanlagen

Einen wegweisenden Wohnkomplex stellt Steven Holl mit dem «Beijing Looped Hybrid» vor: Verschiedene Wohntürme und gestaffelte brückenartige Übergänge bilden ein expressives Ensemble, das auch durch die Vielzahl verschiedener Grundrisse überzeugt. Unter den internationalen Architekten vertreten sind des Weiteren Rem Koolhaas mit seinem (eher bescheidenen) Umbauprojekt für das National Museum of China, Zaha Hadid mit einem als «Fluid City» konzipierten Stadtquartier und Bernard Tschumi mit dem auch in Venedig präsentierten «Factory 798 Housing», einer über umgenutzten Industrieanlagen aufgestelzten Wohnstruktur in Form miteinander verbundener Wolkenbügel. - Im Bereich der Länderpräsentationen zeigt Deutschland das mit dem Bau der neuen Nationalbibliothek in Peking betraute Büro KSP Engel Zimmermann, Frankreich rückt Paul Andreu ins Zentrum, dessen neues Nationaltheater in Peking gerade fertig gestellt wird, und die Niederlande präsentieren Neulings Riedijk und MVRDV. Auf einen bereits im Jahr 2001 in Paris präsentierten, nun allerdings aktualisierten Überblick über das helvetische Baugeschehen griff die Schweiz zurück. Neu hinzugekommen sind dabei vor allem chinesische Projekte - neben denjenigen von Herzog & de Meuron das olympische Wukesong-Stadion von Moser Nussbaumer, ein Kunstmuseum für die Tsing-hua-Universität in Peking von Mario Botta, der Tianyin Campus von Peter Boelsterli und eine aus 28 würfelförmigen Villen bestehende Siedlung von Burkhalter Sumi.

Besonders instruktiv ist der chinesische Teil der Ausstellung. Das Baugeschehen wird beherrscht von Grossfirmen, die einen Businesskomplex nach dem anderen realisieren. Doch es gibt auch eine wachsende Zahl junger, oft im Ausland ausgebildeter Architekten, die durch ambitionierte Projekte auffallen. Einer von ihnen ist Yong Ho Chang, der an der Universität Peking einen Studiengang Architektur aufgebaut hat. Im vergangenen Jahr hat Chang das Gelände einer ehemaligen Brauerei zu einem funktionalen Hybriden umgebaut, der als Ausstellungshalle sowie als Sitz des Immobilienunternehmens Pingol dient. Hinter dem Gebäude, das unter dem Titel «Community Culture» eine kleine Ausstellung der Biennale aufnimmt, entsteht «Pingol City» mit drei Wohn- und Büroriegeln. Für den Parkbereich zwischen zwei Zeilen hat Chang eine niedriggeschossige Bebauung entworfen, welche die Tradition der chinesischen Hofhäuser neu interpretiert. Dass chinesische Developer an einer Zusammenarbeit mit der Architekturbiennale interessiert sind, zeigt sich auch an anderen Orten. Im Showroom der Phoenix City im Nordwesten der Stadt ist die «Infinite Inferior»-Schau zu sehen, die Projekte des flexiblen Wohnens dokumentiert.

In der Nähe von Phoenix City baut die Modern Architecture Group of China das VHN International Village. Auch hier erhofft man sich von der Biennale eine Nobilitierung. Wirken die Wohnscheiben eher monoton, so gibt sich die Gartenanlage ambitioniert. Sieben Pavillons sind hier Austragungsort des «Avantgarde»-Teils der Biennale. Der Architekturtheoretiker Neil Leach bietet gemeinsam mit dem chinesischen Architekten Xu Wei-Guo einen überaus anregenden Blick auf die neuste Architektur: «Hot Spots» vermittelt Einblicke in die Architekturszene von zehn Metropolen. London überrascht mit strukturellen Entwürfen von Ciro Najle, Melbourne stellt die skulpturale, auf mathematischen Berechnungen basierende Fassade des Victoria College of the Arts von Minifie.Nixon vor, und aus Tokio stammt das Projekt von Ryue Nishizawa (dem Partner von Kazuyo Sejima) für zwei Wohnhäuser, die aus einer variablen Anordnung von Kuben bestehen. Arbeiten wie diese hätte man auch gerne in Venedig gesehen.

Neuste Architektur

Der zweite Teil der Schau stellt 13 Architekten vor, welche die Formenwelt in den vergangenen Jahren mit ihren computergenerierten Entwürfen bereichert haben, so Asymptote, Diller & Scofidio, Future Systems, Greg Lynn, Kolatan/McDonald, Nox und UN Studio. Auch wenn nicht jedes Projekt überzeugt, so ist die Auswahl insgesamt doch sehr stringent. Abgeschlossen wird die «Avantgarde»-Schau durch eine Präsentation von Studentenarbeiten prominenter Architekturfakultäten aus aller Welt, bei denen kaum noch grosse Unterschiede hinsichtlich Darstellungsart und Entwurfsqualität zwischen China und dem Westen auszumachen sind. Es bleibt zu hoffen, dass auch China nach dem jüngsten Bauboom zu sensibleren Strategien im Umgang mit der Umwelt findet. Die Architekturbiennale jedenfalls wagt diesbezüglich auch einige kritische Kommentare.

[ Ausstellungen bis zum 2., 6. und 10. Oktober. Katalog zur «Avantgarde»-Schau: Fast Forward. Hrsg. Neil Leach und Xu Wei-Guo. Map Book Publishers, Peking 2004. 168 S., 120 Yen. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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