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Architektonische Offensive in Düsseldorf
Neue Zürcher Zeitung

Ein neuer Bauboom dank Investorenhilfe am Niederrhein

Einst galt Düsseldorf als Stadt der Banken und der Mode. In den achtziger Jahren rückte dann zusehends die moderne und zeitgenössische Kunst in den Vordergrund; Museen und Galerien gewannen an Bedeutung. Doch inzwischen scheint die Architektur eine führende Rolle in der Selbstwahrnehmung der Stadt übernommen zu haben.

1. Oktober 2004 - Klaus Englert
Die Rivalität zwischen den beiden Rheinmetropolen Köln und Düsseldorf ist Legende. Lange stritt man sich um die Vorherrschaft auf dem Kunstsektor. Jede Stadt wollte die meisten Galerien und die wichtigsten Museen haben. Nun, nach Jahren des Streits, scheint es so, als habe man sich einen anderen Schauplatz ausgesucht. Als die Kölner mit dem «Mediapark» in die architektonische Offensive gingen, Stars wie Jean Nouvel und Herman Hertzberger präsentierten, zogen die Düsseldorfer sogleich nach: Der alte Rheinhafen wurde zur «Medienmeile» umgerüstet, und internationale Vorzeigearchitekten polierten das Image der Landeshauptstadt auf. Wenig später folgte die Antwort: Der Kölner Stadtrat entschied sich im vergangenen Jahr, gegen heftigen Widerstand in der Bevölkerung und die Ermahnungen der um das Weltkulturerbe des Doms besorgten Unesco, auf der Deutzer Rheinseite eine Hochhauslandschaft aufzustellen.

Stadtkrone

Die Antwort aus Düsseldorf liess nicht lange auf sich warten: 15 Hochhäuser seien derzeit in der Planung, brüstete sich Oberbürgermeister Joachim Erwin von der CDU und fügte selbstbewusst hinzu, Düsseldorf sei jetzt schon «die prosperierendste Region Deutschlands». Nun gelte es, die Landeshauptstadt «fit fürs 21. Jahrhundert zu machen». Seinem Ziel, einmal als grösster Erneuerer in die Annalen der Stadtgeschichte einzugehen, ist er beträchtlich nähergekommen, seit er sich selbst zum Planungsdezernenten kürte. Weil der Oberbürgermeister die unzähligen Liebhaber der historischen Stadt nicht verärgern will, bevorzugt er in der Öffentlichkeit eher moderate Töne. Wer im Gespräch mit ihm ein offenes Bekenntnis zum modernen Stadtumbau erwartet, sieht sich aber schnell enttäuscht: Joachim Erwin spricht ganz diplomatisch von «Stadtergänzung» und «Stadtreparatur». Aber so moderat geht es selbst in der Innenstadt dann doch nicht zu. Vor allem das historische Zentrum zwischen der neuen Kunstsammlung im renovierten Ständehaus und dem klassizistischen Hofgarten erlebt derzeit eine Bauwut, wie sie Düsseldorf seit den Wiederaufbau-Jahren unter dem legendären Friedrich Tamms nicht mehr erlebte.

Wer heute in die Innenstadt fährt, den umgibt ein Hauch von Zeitenwende. Das Düsseldorfer Team JSK (Joos Slapa Krüger-Heyden) baut hier, mitten auf dem Graf-Adolf-Platz, eine imposante Stadtkrone. Der 90 Meter hohe Büroturm mit vorgehängter Glasfassade wird über einem Grundriss errichtet, der zwei ineinander greifende Ellipsen nachzeichnet. Im Übrigen verwirrt das gesamte Projekt durch seine geradezu postmoderne Anmutung: Das Büro JSK, das sich in einem Gutachterverfahren gegen Dominique Perrault, Helmut Jahn und Hans Kollhoff durchgesetzt hatte, möchte nämlich die denkmalgeschützte Fassade des abgerissenen Postamts in das Bauprojekt integrieren und die nicht mehr vorhandenen Fassadenteile entsprechend dem historischen Vorbild rekonstruieren. Diese Kulissenarchitektur wollen sie mit ihrem hoch aufragenden Turmgebäude zu einem alt-neuen Ensemble vereinen, indem sie beide Baukörper durch ein gläsernes Dach verbinden, unter dem sich ein Atrium öffnet.

Zu den Düsseldorfer Grossprojekten von JSK gehört auch die Errichtung einer Multifunktionsarena, die eigentlich als Austragungsort für die Olympischen Spiele vorgesehen war. Doch führten der Abstieg des Fussballvereins Fortuna Düsseldorf und mangelndes öffentliches Interesse mitten im Kommunalwahlkampf schliesslich gar zur Absetzung der geplanten inoffiziellen Eröffnungsfeier. So verflogen Erwins Tagträume, aber zum Aufpolieren des städtischen Ruhms, so dachte er sich, blieb immerhin noch der Medienhafen, der durch die «einstürzenden Neubauten» des Kaliforniers Frank O. Gehry auf die Titelseiten internationaler Gazetten gelangte. Nachdem im neuen Düsseldorfer Luxusviertel bereits Grössen wie David Chipperfield, Steven Holl, Jo Coenen und Christoph Ingenhoven ihre Landmarken errichtet hatten, entwarf JSK für die benachbarte Halbinsel einen krönenden Abschluss. Die Hafeninsel, auf der sich bereits der Japaner Fumihiko Maki mit einem zurückhaltenden, aber exzellenten Bürokubus und der englische Poparchitekt William Alsop mit der schrillen Hochhausscheibe «Colorium» ein Stelldichein geben, soll durch zwei L-förmig auskragende Kunst-Hotels bereichert werden. Allerdings haben sich bisher weder Investoren noch Hotelbetreiber für das ambitiöse Projekt erwärmen können. Derweil sehen viele Düsseldorfer mit Missbehagen den künftigen Bauarbeiten entgegen. Denn in den heissen Sommermonaten verlustieren sich hier viele Einheimische auf dem Sand von «Monkey Island» mit kühlem Bier und Falafel.

Eldorado für Investoren

Aber die Planer lassen sich von derlei Sehnsüchten nicht aufhalten und bauen die alten Speichergebäude und Mälzereien in renditeträchtige Büroadressen um. Auch an der Einfahrt zur Halbinsel wird demnächst ein strahlender Hochhausturm emporwachsen. Nachdem die Kölner dem Deutschamerikaner Helmut Jahn einen lukrativen Auftrag für ein Hochhausprojekt in Deutz erteilt hatten, durften die Düsseldorfer nicht zurückstehen. So wird demnächst auch am Medienhafen, direkt neben der stahlverkleideten Maki- Box, die übliche High-Tech-Architektur amerikanischer Provenienz entstehen, deren Einfallslosigkeit sich mit so manchem innerstädtischen Kommerztempel messen kann. Joachim Erwin fällt dazu nur ein: «Ein Jahn steht uns doch gut an.»

Den Kuchen der lukrativen Grossaufträge in der Altstadt haben die Düsseldorfer Grossbüros JSK, Hentrich Petschnigg und Partner (HPP) sowie Rhode Kellermann Wawrowsky (RKW) weitgehend unter sich aufgeteilt. Sie profitieren davon, dass einige historische Gebäude, wie etwa Emil Fahrenkamps Hotel «Breidenbacher Hof», der Abrissbirne zum Opfer gefallen sind. An ihrer Stelle sollen renditeträchtige Bürobauten (besonders klangvoll: «Broadway Office») und Luxushotels errichtet werden. Zurückhaltender zeigt man sich bei einem wichtigen Kulturprojekt: Dort, wo der städtische «Bürgersaal» und die neuen Ausstellungsflächen der Kunstsammlung NRW geplant sind, klafft seit vielen Jahren eine hässliche Baulücke, die naturgemäss als Stellplatz benutzt wird. Obwohl der hiesige Kulturdezernent und Stadtdirektor erst kürzlich vom NRW- Ministerpräsidenten eine «kulturpolitische Vision» für das Land gefordert hat, ist davon in Düsseldorf nichts zu spüren. Im Gegenteil. Die Bau- und Kulturpolitik zieht sich zusehends aus ihren öffentlichen Aufgaben zurück und überlässt das Spielfeld privaten Investorengruppen. Das vielleicht beste Beispiel derzeit ist Karl Friedrich Schinkels «Altes Stadthaus», das einzige Bauwerk des grossen preussischen Baukünstlers in der Landeshauptstadt. Es soll privaten Investoren angeboten werden, während die dahinter liegenden Gebäude zum Abriss freigegeben werden.

Grossprojekte

In Düsseldorf spricht man derweil lieber über Grossprojekte, die den Symbolwert der Stadt steigern. Zunächst war es der Medienhafen, nun sind es Airport City und das neue Regierungsviertel am Rhein. Dieses Stadttor, das den Abschluss der allseits gelobten Rheinufer-Untertunnelung markiert, wurde vor einigen Jahren vom Düsseldorfer Büro Petzinka, Pink & Partner als Topadresse für Büros und die neue Staatskanzlei gebaut. Das gläserne Trapezoid, für welches Bernhard Pfaus Studienhaus geopfert wurde, und der Hochhausturm von JSK betonen die Sichtachse des zukünftigen Viertels, in dem nach Meinung etlicher Planer und Investoren nur noch das alte Polizeipräsidium stört. Der in den frühen dreissiger Jahren, im Zeichen der erschlaffenden Moderne, errichtete Monumentalbau steht derzeit zur Disposition. Es ist zwar noch nicht entschieden, ob der auf kammförmigem Grundriss errichtete Ziegelbau tatsächlich abgerissen wird, aber dem sich in Düsseldorf etablierenden «Urban Managerialism» ist das Gebäude offensichtlich ein Hindernis für ein im High-Tech-Glanz erstrahlendes Regierungsviertel.

Derweil setzt sich die marktorientierte Stadtentwicklung nahezu ungehindert in der neuen Airport City durch. Nach dem Flughafenbrand vor sechs Jahren schrieb die zuständige Entwicklungsgesellschaft einen Wettbewerb aus, der die architektonische Umwandlung eines 23 Hektaren grossen Kasernengeländes vorsieht. Mit zusätzlichen Flächen sind insgesamt über 20 Hektaren für Gewerbebauten und hochwertige Büronutzungen vorgesehen. Die Airport City soll einmal als luxuriöser Büropark samt Kongresshotel und Entertainment-Center erstrahlen. Von planenden Eingriffen der Stadt ist hier nichts zu sehen, selbst die Entwicklungsgesellschaft hält sich zurück und überlässt das Terrain den Investoren und Architekten. Natürlich hält diese Entwicklung den Oberbürgermeister nicht davon zurück, allseits Optimismus zu verbreiten und die «neue Visitenkarte am Flughafen» zu rühmen. Doch momentan sieht es so aus, als würde man mit viel Gottvertrauen auf ein hehres Ziel zusteuern, von dem sich die Stadt grossen wirtschaftlichen Reichtum verspricht. Im Klartext: Düsseldorf will sich weltweit als Global City positionieren. Unbeirrt geht die Planung der Airport City voran, und man lässt sich keineswegs durch den fast kompletten Leerstand von Alsops «Colorium»-Tower und anderer hochwertiger Bürobauten abschrecken.

Für die Düsseldorfer liegt die Airport City allerdings in weiter Ferne. Lieber diskutiert man Christoph Ingenhovens Entwurf für den «Kö- Bogen». Die meisten Interessengruppen loben die Vorzüge des Projekts, das darauf abzielt, im neuralgischen Innenstadtbereich zwischen Königsallee, Hofgarten und Jan-Wellem-Platz eine störende Verkehrssituation zu beseitigen, den Übergang zwischen historischer Bebauung und Park zu erleichtern und den alten Stadtgrundriss wiederherzustellen - kurz, die stadträumliche Qualität durch mehr Übersichtlichkeit zu verbessern. Doch in der öffentlichen Debatte ging es kaum um die Vor- und Nachteile des Entwurfs. Im Mittelpunkt stand vielmehr ein dubioses Planungsverfahren, das jahrelang unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagte. Es entfachte sich sogar eine hitzige Debatte, in deren Verlauf Architektenkammer und Bund Deutscher Architekten (BDA) das einseitige Vorgehen von Ingenhoven und Stadt kritisierten. Als man dann hörte, immerhin habe es eine Präsentation des Entwurfs auf der Immobilienmesse in Cannes gegeben, war dies nicht gerade zur Besänftigung der aufgebrachten Gemüter geeignet. Mittlerweile ist Ingenhovens Plan zwar publik, aber die Architektenkammer beharrt verständlicherweise auf einem öffentlichen Wettbewerb.

Gleichwohl vertraut der Oberbürgermeister auf seinen «Düsseldorfer Weg», dessen erschreckende Wirtschaftsgläubigkeit in dem Motto «Investor, suche deinen Architekten» gipfelt. «Bringe einen Weltklasse-Architekten mit, und du bekommst das Grundstück veräussert», verkündete er den Investoren, als ob nur Stars und potente Geldgeber das Stadtbild prägen dürften. Nachdem Frank O. Gehry das geeignete Signet für den Medienhafen geliefert hatte, würde Joachim Erwin das umstrittene «Filetstück» in der Innenstadt am liebsten direkt an Christoph Ingenhoven und die mitgebrachte Investorengruppe übergeben. Noch sträubt sich Hartmut Miksch, Präsident der Architektenkammer NRW: «Es darf nicht sein, dass Investoren die Stadtplanung bestimmen. Denn sie ist das hoheitliche Recht der Stadt, der Politik, die hier den Rahmen setzen muss.» Doch es ist kaum zu erwarten, dass man sich in Düsseldorf von diesen Argumenten beeindrucken lassen wird. Eher sieht es so aus, als wäre die Landeshauptstadt auf dem besten Weg, nur noch als Wirtschaftsstandort für Investorengruppen interessant zu sein.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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