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Im Reich der 10.000 Baukräne
Der Standard

Chinas erste Architekturbiennale sucht ihr Publikum

2. Oktober 2004 - Friederike Meyer
London, Paris, New York und Berlin waren die Städte des 20. Jahrhunderts. Wird Peking die Stadt des 21. Jahrhunderts sein? Der Architekt und Theoretiker Bernard Tschumi stellte diese Frage in die „Große Halle des Volkes“ am Tiananmen-Platz, wo allerdings nicht tausende Delegierte zustimmend applaudierten, sondern nur etwa 150 Gäste verloren herumsaßen, die gekommen waren, um die Eröffnungszeremonie der ersten chinesischen Architekturbiennale zu verfolgen. Tschumi war einer von etwa 30 Prominenten, die auf dem Podium Platz genommen hatten, neben ihm einige Minister der Regierung und vor allem weitere international bekannte Architekten. Die Zeremonie erinnerte an einen Parteitag, es dominierten die Farben Gelb und Rot, chinesische Symbole für Macht und Reichtum.

Den Chinesen ist es ernst mit der baulichen Entwicklung ihres Landes. Auf dem Podium sprach man vom Austausch mit der Welt und von einer großen Chance für die Zukunft der Architektur. Anschließend eröffnete der Schweizer Pierre de Meuron die größte Architekturausstellung der chinesischen Geschichte durch Zerschneiden eines Bandes, das von rot gekleideten Damen in die Höhe gehalten wurde.

Das Programm der Biennale verspricht über 10.000 Teilnehmer, 200.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, verteilt auf sechs Standorte, Vorträge und Workshops mit internationalen Stars, neue Technologien und Umweltkonzepte, dazu einen Blick auf Chinas Großprojekte und die besten Architekten des Landes. Wer die chinesische Neigung zur maßlosen Übertreibung kennt, weiß, wie diese Zahlen zu verstehen sind. Dass die erwarteten zwei Millionen Besucher bis Anfang Oktober eintreffen, ist zu bezweifeln, weiß doch offenbar kaum jemand von diesem Event - zumindest hängen keine Plakate in der mit Werbung übersäten Stadt. Außerdem hatten die Organisatoren ein völlig überzogenes Preissystem auf ihrer Website verbreitet, wonach eine Eintrittskarte, die zum Besuch aller Veranstaltungen berechtigt, mehr als 200 US-Dollar kosten sollte.

In Peking läuft der Countdown. Bis zum Beginn der Olympischen Spiele sind es noch rund 1.500 Tage, verkündet die Anzeigetafel vor dem Nationalmuseum für Chinesische Geschichte am Tiananmen. Die Geschwindigkeit, mit der in China Städte für Millionen aus dem Nichts entstehen, lässt kaum Zweifel daran, dass auch die Sportstätten bis zum Jahr 2008 pünktlich fertig werden. Es gab jedoch in den vergangenen Wochen Gerüchte, dass zwei Prestigeprojekte gestoppt worden seien: das Olympiastadion, Spitzname „Vogelnest“, des Schweizer Büros Herzog & de Meuron und das ringförmige Hochhaus von Rem Koolhaas aus den Niederlanden für den staatlichen Fernsehsender CCTV. Es kursierte eine Petition einiger chinesischer Architekturprofessoren, in der gefordert wurde, die sinnlos teuren Bauten den internationalen Stars wegzunehmen und einheimischen Architekten zu übergeben. Aber sowohl in Rotterdam als auch in Basel wird kräftig weitergeplant, es seien lediglich Aufwand und Kosten reduziert worden, heißt es von dort. Beide Projekte sind auf der Biennale präsent, sicher auch, um noch einmal die Werbetrommel zu rühren.

In China scheint alles möglich. In westlichen Architektenkreisen löst der Gedanke an millionenschwere Bauaufträge gleichermaßen Begeisterung und Schrecken aus. Aufträge werden in letzter Sekunde abgeblasen, die Entscheidungen sind für Außenstehende völlig undurchsichtig, weswegen sich einige Büros nach der ersten Euphorie wieder zurückgezogen haben. Die Kosten für die Betreuung von Projekten in China sind so immens, dass viele nur noch aus Prestigegründen dabei sind.

Die Baulawine ist ohnehin nicht aufzuhalten. Ununterbrochen werden hinter den mit verheißungsvollen Computersimulationen bedruckten Baustellenwänden die Gruben ausgebaggert. Längst haben die Partei, Staatsführung und Investoren die Bedeutung ausländischer Architekten und Ingenieure für das Marketing erkannt. Ausländer bringen China ins Gespräch, ob sie dann zum Zug kommen oder nicht.

Einen Eindruck davon, was Peking in den kommenden Jahren erwartet, vermittelt das zeitgleich mit der Biennale eröffnete Planungsmuseum südlich des Tiananmen. Auf vier Etagen stellen sich die einzelnen Distrikte vor - untermalt von amerikanischer Filmmusik flimmern Videos über die Bildschirme. Der Höhepunkt des Museums ist das 400 Quadratmeter große Stadtmodell. Eine Multimediashow läuft im Dauerbetrieb, über die Stadtgebiete huschen farbige Lichter. Weniger glitzernd geht es im nordöstlich des Zentrums gelegenen Ausstellungsbereich im Wohnkomplex UHN zu. Der Rohbau des zukünftigen Schwimmbades und einige Pavillons sind Schauplatz der so genannten „Brain Cells“. Architekturschulen wie die Harvard Design School, die Londoner Architectural Association und das Bauhaus Dessau sowie sich zur Avantgarde zählende Büros wie etwa NOX Architekten aus den Niederlanden, FOA und Future Systems aus London und Gregg Lynn aus den USA (und in Wien lehrend) stellen sich hier mit teilweise Altbekanntem, aber auch mit aktuellen Arbeiten vor. Die Zeichnungen und Modelle sind von einer dünnen Staubschicht überzogen, den Takt bestimmen hier eindeutig die Baumaschinen.
Auch die zehn Architekten und Interiordesigner, die der Projektentwickler der Phoenix City wenige hundert Meter davon entfernt für die Ausgestaltung eines Apartmentturms eingeladen hatte, finden sich auf einer Baustelle. Die von ihnen entworfenen Varianten reichen vom Gitterrostkäfig des Portugiesen Didier Faustino über das durch vertikale Holzleisten strukturierte Flursystem des Chinesen Wanghui bis zu den blendend weißen, fließenden Räumen von DeluganMeissl, die Österreich als einziges Büro in Peking vertreten. Ihre Arbeit sticht heraus, ist sie doch mehr künstlerische Skulptur als nutzbare Wohnungseinrichtung. Etwas anderes wäre in der Kürze der Zeit und unter den extrem schwierigen Planungsbedingungen ohnehin nicht möglich gewesen. DeluganMeissl bekamen als einzige Entwurfsunterlagen einen Satz Pläne und die Aufforderung, ein Apartment auszubauen. Budget gab es keines, nur die Zusicherung, dass alles Gezeichnete auch gebaut würde. Unter diesen Umständen eine anspruchsvolle Detailplanung für eine funktionierende Wohnung abzugeben schied also aus. Stattdessen wurde der Raum in eine kristalline Höhle verwandelt, kompliziert aussehend, aber nach einem ausgeklügelten System relativ einfach zu bauen. Wahrscheinlich die beste Lösung, den Blindflug nach China irgendwie zu bewältigen.

Der spätere Verkauf jedoch, so wie es der Investor ursprünglich geplant hatte, wird wohl bei kaum einem der Apartments möglich sein. Eine der Auswirkungen des Baubooms in China erkennt man hier besonders deutlich. Da jede Arbeitskraft gebraucht wird, werden oft Wanderarbeiter mit handwerklichen Aufgaben betraut, für die sie keinerlei Erfahrung mitbringen.

Auch in dem Apartment herrscht keinerlei Andrang. Das uniformierte Personal langweilt sich und muss nur selten einen chinesischen Studenten bitten, doch die Digitalkamera auszuschalten. Während der Architektenvorträge im Capital Theater, die spontan stattfanden und deshalb für einen Besucher, der sich in der riesigen Stadt erst zurechtfinden muss, schwer wahrzunehmen waren, saßen selbst beim New Yorker Stararchitekten Steven Holl kaum mehr als 100 Zuhörer im Raum.

Die Pekinger Biennale hätte Venedig Konkurrenz machen können, wären den Organisatoren im Vorfeld nicht zwei Steine in den Weg gerollt: erstens ein Streit innerhalb des Organisationsteams, der viele Architekten zur kurzfristigen Absage bewogen hatte. Die für die Kontakte mit den ausländischen Büros zuständige Mitarbeiterin hatte sich vier Wochen vor Beginn der Biennale aus Ärger über die chaotische Organisation mit allen Daten ihres Computers aus dem Staub gemacht. Zweitens die Skepsis vieler Eingeladener gegenüber einem Event, der sich noch nicht etabliert hat und ihnen die Finanzierung der jeweiligen Präsentation überlässt. Deutlich wird dies besonders in der Hauptausstellung „Infinite Architects“ im Museum für chinesische Kunst. Den Ländern, deren Architekten an den großen, nationalen Projekten planen, ist jeweils ein riesiger Raum gewidmet. Der Franzose Paul Andreu, dessen außerirdisch anmutendes Nationaltheater südwestlich der Verbotenen Stadt derzeit im Inneren ausgebaut wird, durfte sich in einer Halle ausbreiten, die so groß ist wie das gesamte Wiener Architekturzentrum.

Unter Großprojekten wie Steven Holls Wohnkomplex „Beijing Looped Hybrid“ oder Zaha Hadids „Fluid City“ finden sich zahlreiche chinesische Büros. Deren dicht gehängte Tafeln, die bis auf wenige Ausnahmen wie aus Immobilienkatalogen vergrößert wirken, verleihen der Ausstellung den Charakter einer Immobilienmesse. Eines leistet diese Biennale ganz sicher nicht: Sie ist kein Forum, um über die Architekturentwicklung in China zu diskutieren. Aber das ist der Besucher ja auch von anderen Ausstellungen wie der Biennale in Venedig gewohnt. Dabei sein ist eben doch nicht alles.

Bis 9. Oktober 2004, Infos unter www.abbeijing.com

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