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Schwarzbrot statt Patisserie
Neue Zürcher Zeitung

Die Basler Architekten Diener & Diener in München

Die Bauten des international angesehenen Basler Architekturbüros Diener & Diener gelten als Inbegriff der Deutschschweizer Einfachheit. Doch an die Stelle der einstigen Betonkuben treten nun vermehrt Bauten mit immateriell erscheinenden und neu auch farbigen Fassaden. All dies zeigt eine grosse Retrospektive in München.

15. Oktober 2004 - Roman Hollenstein
In einer Zeit, da das Schrille, Laute und Exzentrische als Inbegriff des Neuen gilt, fallen Architekten, die sich bei jedem neuen Auftrag um eine exakt auf die städtebauliche, historische und gesellschaftliche Situation eingehende Lösung bemühen, kaum mehr auf. Dass man sich mit einem konsequent vorangetriebenen Werk aber dennoch stets von neuem Respekt und internationales Ansehen schaffen kann, beweist das Basler Büro Diener & Diener. Schon 1986 sorgten die Häuser im St.-Alban-Tal, die mit viel Gespür für den gewachsenen Kontext in einem modernen Idiom in das kleinteilige Altstadtviertel am Rhein eingefügt wurden, für kontroverse Diskussionen. Mit seinem kritisch-analytischen Ansatz machte der heute 54-jährige Roger Diener die Bauten des 1942 von Marcus Diener gegründeten Architekturbüros schliesslich zum Inbegriff einer neuen Deutschschweizer Einfachheit. Diese anspruchsvollen und oft auch unbequemen Werke, welche die Wahrnehmung des Ortes schärfen wollen, bedeuten eine Absage an alles Schnelllebige und Modische. Es erstaunt daher auch nicht, dass dieses architektonische Schwarzbrot gegenwärtig an der leichtfüssigen Architekturbiennale von Venedig nicht vertreten ist. Denn obwohl es sich auch durch eine hohe plastische Präsenz auszeichnet, hebt es sich deutlich ab von der Patisserie der heute aktuellen künstlerisch-zeichenhaften Architekturskulpturen, die sich nur allzu gerne als autistische Solitäre der Stadt verweigern.

Condition architecturale

Die mediale Vermarktung liegt Roger Diener nicht. So existiert zu seinem Œuvre noch immer keine repräsentative Werkmonographie. Das macht es schwierig, sein Schaffen in allen Dimensionen zu erfassen. Doch findet nun - nach der inhaltlich enger gefassten Zürcher Schau von 1998 - die erste Diener-Retrospektive statt, und zwar im Architekturmuseum der Pinakothek der Moderne in München. Dass es sich dabei nicht um ein Feuerwerk der Bilder handelt, versteht sich bei diesem Verfechter einer unaufgeregten, ethisch anspruchsvollen Architektur von selbst. Statt mit einer simplen Präsentation architektonischer Leckerbissen wartet die in enger Zusammenarbeit zwischen Winfried Nerdinger und dem Büro Diener entstandene Schau mit einer baslerisch intellektuell gefärbten Lektion zum Thema Architekturausstellung auf. Dabei geht es weniger um Augenlust, Spektakel oder Selbstinszenierung als vielmehr um das Reflektieren einer «condition architecturale».

Wie wichtig hier die Reflexion ist, macht schon der Spiegel klar, der am Eingang zur Schau den ersten Raum zunächst als Trugbild vorführt, bevor er als reale Gegebenheit in Erscheinung treten darf. Gezeigt werden hier «Stadtansichten», wie sie ähnlich schon in Zürich zu sehen waren. Bei den 24 tischgrossen Modellen von ganzen Stadtquartieren, auf denen die subtilen, erst aus den beigegebenen Lageplänen hervorgehenden Interventionen zunächst kaum wahrzunehmen sind, kommt das Verhältnis zwischen Einzelbau und Stadtraum, zwischen ereignishaftem Gebäude und statischem Städtebau zur Sprache. Riesige Fotos an den Wänden vermitteln zugleich einen Eindruck von wichtigen Werken und der von ihnen erzeugten Spannung im Stadtganzen. So gaben Diener & Diener dem Luzerner Hotel Schweizerhof die spätklassizistische Würde wieder, erweiterten den Komplex aber rückseitig zur Stadt hin um neue, dem Hier und Heute angemessene Baukuben, die mit ihren flaschengrün schimmernden Hüllen minimalistischen Skulpturen ähneln. Verglichen mit früheren Basler Arbeiten wie dem Geschäftshaus am Barfüsserplatz, dem Warteck-Areal oder dem Vogesen-Schulhaus, die sich in Sichtbeton, Ziegel oder Stein präsentierten, überraschen die Luzerner Kuben. Doch ihre städtebauliche Integration ist ebenso präzise wie die des in sich ruhenden Doppelwohnblocks im alten Amsterdamer Hafen.

Kernstück der Ausstellung bildet im nächsten Raum das «Archiv der Konzepte», das auf acht Tischen 67 von insgesamt rund 150 Projekten der letzten 25 Jahre präsentiert. Hier verweigern sich Diener & Diener der seit Jahrhunderten von den Architekten mit rhetorischem Geschick eingesetzten Macht der Bilder und fordern die Besucher auf, die in Mappen vorgelegten Werkdokumentationen zu studieren. Wer die Mühe auf sich nimmt, wird feststellen, dass für Roger Diener nicht nur das städtebauliche Umfeld, sondern auch die Reibung an der Geschichte wichtig ist. Sie prägte schon das Aachener Synagogenprojekt von 1991 und führte bei der Schweizer Botschaft in Berlin zu einem harten Anbau, der in Deutschland eine heftige Debatte auslöste. In Form einer Zeitungstapete präsent, veranschaulicht sie, dass die meisterhafte Strenge von Dieners Bauten oft kaum verstanden und ihre vorbildliche Einbindung in den urbanistischen Kontext nicht leicht erkannt wird.

Immaterielle Fassaden

Die Schweizer Botschaft macht auch den Auftakt zur abschliessenden Präsentation von drei Schlüsselwerken, die anhand von Ausführungsplänen, detaillierten Modellen und originalen Bauteilen einen Einblick in den Realisierungsprozess geben. Bei der bevorstehenden Erweiterung des opulenten Belle-Epoque-Monuments der Galleria d'Arte Moderna in Rom um einen ebenso sachlichen wie zeichenhaften Anbau erhält Dieners rigorose Haltung, wie sie noch bei der Schweizer Botschaft zum Ausdruck kam, einen heiteren, erfrischenden Akzent: Mit einer Vitrinen-Fassade, in welcher dereinst die aus den Depots erlösten Marmorskulpturen des 19. Jahrhunderts zu neuem Leben erwachen sollen, wird dem Musentempel ein Signet von zeitgenössischer Frische verliehen. Diese neue Architektursprache bedeutet eine Abwendung von den einst kubisch geschlossenen, nur durch unregelmässige Fensteröffnungen beseelten Bauten hin zu einer abstrakten, immateriellen Gebäudehülle. Sie kam schon in Luzern zum Zug und wird sich in dem derzeit im Bau befindlichen Novartis-Hauptsitz als farbiger, von Helmut Federle künstlerisch überhöhter Fassadenschleier manifestieren.

Bei dieser bildhaften Klimahülle handelt es sich weniger um eine verspielte Phantasie als um den Versuch, Architektur und Kunst zu einer Einheit zu verschmelzen. Dieses wichtige Bauwerk, das von der Gestaltung der Grossraumbüros bis hin zum künstlerischen Überbau auf einem dichten Ideengewebe basiert, wird auf dem neuen Basler Novartis-Campus ein Firmenzeichen setzten und gleichzeitig an die Geschichte der hier einst ansässigen Farbenindustrie erinnern. Um Erinnerung geht es aber auch bei der Transformation einer Kriegsruine in das Naturkundemuseum der Humboldt-Universität in Berlin. Über diese seit 1997 nur langsam voranschreitende Arbeit und über das Universitätsprojekt in Malmö hätte man gerne mehr erfahren. So aber bleibt die Botschaft dieser Schau, dass Roger Diener seine Architektursprache in jüngster Zeit geöffnet hat, ohne dabei den Hang zur einfachen, prägnanten Form aufzugeben. Seine Bauten dürften demnach auch in Zukunft zeigen, wie sich unspektakuläre Architektur zur starken, die Stadt bestimmenden Aussage verdichten kann.

Bis 9. Januar 2005 im Architekturmuseum der Pinakothek der Moderne in München. Katalog: Diener & Diener. Von innen und aussen bewegt. Hrsg. Winfried Nerdinger. Architekturmuseum der TU München, 2004. 87 S., Euro 14.-.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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