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Städtebauliche Ideen für Kabul
Neue Zürcher Zeitung

Ein Strategieplan für den Wiederaufbau der Altstadt

Eine deutsch-afghanische Architektin hat einen Plan für den Wiederaufbau Kabuls ausgearbeitet, der von der afghanischen Regierung akzeptiert wurde. Dennoch sind die Widerstände immens. Investoren fehlen, Gelder werden falsch verteilt, und der Streit zwischen dem Städtebauministerium und der Stadtverwaltung lähmt die Arbeit.

27. Oktober 2004 - Klaus Englert
Der Architektin Zahra Breshna ist das Leben zwischen den Welten nicht fremd. Zwar wohnt sie seit 24 Jahren in Deutschland und besitzt mittlerweile im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg ein Architektenbüro. Doch kürzlich hat sie sich wieder in ihre Heimatstadt Kabul aufgemacht, um ihre Ideen vom Wiederaufbau der Altstadt voranzubringen. Bereits der Grossvater hatte in den zwanziger Jahren in Berlin bei Max Liebermann studiert und auch dort geheiratet. Später ging auch ihr Vater, Abdullah Breshna, nach Deutschland, liess sich zum Architekten ausbilden und arbeitete bei Egon Eiermann. Als er Anfang der sechziger Jahre unter König Zahir Schah nach Afghanistan zurückkehrte, trug er massgeblich zur modernen Stadtentwicklung Kabuls bei. Doch 1980 besetzte die Sowjetarmee das Land, worauf die Breshnas das Land fluchtartig verliessen. Der Besatzung folgten die Tyrannei verfeindeter Mujahedin-Gruppen, die Schreckensherrschaft der Taliban und der Krieg.

Neue Strukturen und alte Mentalitäten

Zahra Breshnas Dokumentation der Wunden Kabuls ist bedrückend: 80 Prozent der Altstadt und 50 Prozent der gesamten Stadt sind zerstört. Gleichzeitig stieg seit dem Fall des Taliban- Regimes die Einwohnerzahl von 700 000 auf nahezu 3 Millionen an. Die Folgen sind schlechte hygienische Verhältnisse, wachsende Obdachlosigkeit, eine kaum funktionierende Infrastruktur und beschädigte öffentliche Einrichtungen. Dass leer stehende Häuser von notleidenden Menschen einfach besetzt werden, gehört zur Normalität. Als Breshna nach 20 Jahren erstmals wieder in ihre Heimat zurückkehrte, kam ihr der Flugplatz wie ein «riesiger Schrotthaufen» vor, «wo überall herausgerissene Flugzeugteile herumlagen». Und an jeder Ecke bemerkte sie eine «furchtbare Verwahrlosung». Trotzdem hat sie sich voll und ganz dem Wiederaufbau der Altstadt verschrieben.

Die Beharrlichkeit hat sich ausgezahlt. Momentan leitet Breshna das «Department for Preservation and Rehabilitation of Urban Heritage in Afghanistan», eine dem Städtebauministerium unterstellte Abteilung. Sie ist heute nicht nur für Kabul, sondern für den Wiederaufbau aller zerstörten Altstädte Afghanistans verantwortlich. Als noch niemand in Afghanistan an Wiederaufbaupläne für Kabul dachte, arbeitete die diplomierte Architektin an einer Dissertation über «Die Wiederaufbaustrategie für die zerstörte Altstadt von Kabul». Auf einer internationalen Städtebaukonferenz im Sommer 2002 erhielt sie den Auftrag, ihre Entwürfe zu verfeinern; und Ministerpräsident Hamid Karzai ermunterte sie am Rande der Gespräche auf dem Bonner Petersberg, ihre Arbeitskraft dem neuen Afghanistan zur Verfügung zu stellen. Breshna ist noch heute begeistert: «Ich habe keine Sekunde lang gezögert und bin schnellstmöglich nach Kabul gefahren.»

Probleme vor Ort waren wegen Hungerlöhnen, Bestechlichkeit und schlechter Arbeitsmoral vorherzusehen. Selbst Breshna wartet noch immer auf einen Vertrag der Regierung. Derweil hat der Aga Khan Trust ihre Bezahlung übernommen, allerdings nur für eine beschränkte Zeit. Hinderlich sind mangelnde Koordinierung vor Ort, sachunkundig getroffene Entscheidungen und daraus resultierende Fehlinvestitionen ausländischer Institutionen, aber auch die Zurückhaltung von Investoren sowie die Kompetenzstreitigkeiten zwischen Stadtverwaltung und Städtebauministerium. Die Regierung zeigte sich erfreut über die von Breshna eingereichten Pläne, die bewusst bewahrende, an der bestehenden Struktur der Kasbah ausgerichtete Elemente mit neuen urbanistischen Konzepten verbinden. Aber die Kabuler Stadtverwaltung opponiert unverdrossen gegen diese Entwürfe. Die Ursache sieht Breshna in der starren Bürokratie, die unfähig sei, die Probleme einer 3-Millionen-Metropole auch nur annähernd zu lösen. So hält der Bürgermeister Kabuls an einem Masterplan fest, den er nach Vertreiben der Taliban vor drei Jahren aus der Schublade hervorkramte. Dieser wurde zwischen 1964 und 1971 von sowjetischen Architekten ausgearbeitet und gilt noch heute vielen Beamten als Ideal eines modernen und prosperierenden Kabul. Dabei propagiert er eine nach dem Modell des stalinistischen Monumentalismus geformte Stadt mit Verkehrsschneisen, Hochhäusern und einer zugunsten von Plätzen und öffentlichen Einrichtungen radikal umgemodelten Altstadt.

Urbane Besonderheiten

Diesen Plan verwirft Breshna, da er die gewachsenen urbanen und kulturellen Besonderheiten Kabuls missachtet. Ihr «Strategieplan» geht dagegen von den Veränderungen aus, die das Stadtbild seit vorislamischer Zeit durchmachte. Zur ersten Entwicklungsphase zählt sie die typische Morphologie islamischer Städte: eine Kasbah, bestehend aus ummauerten Quartieren, die ihrerseits Cluster von zentrierten Raumzellen bilden. Von diesen nichthierarchisch angelegten Quartieren, die ursprünglich von unterschiedlichen Ethnien und Berufsgruppen selbständig organisiert wurden, ist in der heutigen Altstadt nur wenig übrig geblieben, ebenso wenig von den Konstruktionsprinzipien der Privathäuser mit ihren homogenen Fassaden, den abgeschirmten Wohnbereichen und den zentral gelegenen Höfen. Ganz zu schweigen von den schattigen Gassen, quirligen Basaren, reich ornamentierten Moscheen und üppigen Gärten. Doch für Breshna gehört all dies zum Gedächtnis einer Stadt, das es unbedingt wiederzubeleben gilt - ohne aber einen nostalgisch verklärten Zustand wiederherzustellen, den es seit Mitte des 20. Jahrhunderts nicht mehr gibt. Sie weist darauf hin, dass die seit 1878 vorgenommene Errichtung einer Neustadt mit Achsen und Sichtbeziehungen zwangsläufig auch die Altstadt verändern musste. Der einschneidendste Eingriff ins Altstadtgefüge erfolgte 1949, als man die breite Jade-Maiwand- Achse durch das Gewirr der Kasbah schlug.

Die Architektin möchte einerseits die Modernisierung weitertreiben, anderseits die heute als schäbig empfundene Altstadt restaurieren und die traditionellen regionalen Bauweisen wieder fördern. Deshalb befürwortet sie die Idee, Kabul II, eine Neustadt auf einer Hochebene jenseits des Flughafens, von den zukünftigen Bewohnern mit traditionellem Baumaterial selbst errichten zu lassen. Sie möchte mit Lehmarchitektur die alten Konstruktionsweisen und Handwerkstechniken reaktivieren und so ein ökonomisches, ökologisches und kulturell angemessenes Bauen fördern. Dabei hofft sie, dass sich langfristig auch Architekten, Stadtplaner und Ingenieure aus dem Exil an dieser Selbstorganisation der Menschen beteiligen werden.

Breshnas Leitgedanke betrifft die historisch gewachsenen Strukturen, aber auch den Ausbau eines modernen Stadtzentrums mit Repräsentations-, Geschäfts- und Wohnbereichen. Besonders wichtig ist ihr ein dezidiert modernes städtebauliches Konzept, das sich an Ringen, Zwischenzonen und Bändern orientiert. Vorgesehen ist die Begrenzung des Altstadtkerns durch einen inneren Ring, in dessen Mitte die historische Struktur mit den Basaren partiell rekonstruiert wird. Es folgt eine zwischen Altstadt und Stadterweiterungen angelegte Zwischenzone mit überdurchschnittlichem Entwicklungspotenzial. Hier, entlang des Kabul-Flusses, möchte Breshna unterschiedliche städtebauliche und architektonische Strukturen und Typologien überlagern und markante Hochhäuser errichten. Westliche urbanistische Konzepte sollen vornehmlich in den äusseren Bereichen berücksichtigt werden: in einem die Altstadt umschliessenden Band, das durch Flüsse, Kanäle und Seen bestimmt wird, und einem Grüngürtel, der wichtige kulturelle Orte verbindet. Breshna hofft, dass Kabul die positiven Eigenschaften von einst wiedererlangen wird, als in ihr Paschtunen, Tadschiken, Hindus, Sikhs, Juden, Usbeken und Turkmenen zusammenlebten und sie unter Zahir Schah von aufgeklärtem und säkularem Denken geprägt war. Daran gelte es anzuknüpfen. Um - nach der Verteufelung der «sündigen» Stadt durch die Taliban - eine lebendige städtische Gesellschaft zu fördern.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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