Artikel

Banal? Einfach? Einfach banal?
Spectrum

In das alltägliche Bauen hat eine Architektur der neuen Einfachheit Einzug gehalten. Doch Einfachheit will gekonnt sein. Wer nur an die Kosten denkt, wird an ihr scheitern.

30. Oktober 2004 - Karin Tschavgova
Von Caracas bis Pudong: Das Bauen ist ein Thema. Aber obwohl die neuen Wolkenkratzer in Shanghai denen in New York City aufs Haar gleichen, ist Architektur nicht ein Thema. Das liegt weniger an den unterschiedlichen, länderspezifischen Rahmenbedingungen für das Bauen, sondern daran, dass auch die Architektur sich in mehrere Welten aufspaltet.

Die der Schönen und Reichen war heuer auf der Architekturbiennale vertreten. Was man in den Hallen des Arsenale zu sehen bekam, ließ einen daran zweifeln, dass für das Bauen gilt, was - zumindest in den westlichen Industrieländern - angesagt ist: Rezession und daraus folgender Sparkurs. Unter dem Titel „Metamorphosen“ versammeln sich in Venedig große Namen und noch größere Projekte.

Was im Einzelnen durchaus spannend und interessant ist, bläht sich in Summe auf zum Gesamtbild eines global agierenden, selbstverliebten Architekturzirkus, der ziemlich abgehoben und formalistisch Architekturskulpturen produziert und sich gesellschaftlich relevante Zeitfragen erst gar nicht stellt. Ökonomie der Mittel, die Ökologie, Verslumung und das unkontrollierte Anwachsen vieler Städte sind kein Thema für eine Architektur, die der Machtdemonstration von Konzernen dient oder als touristischer Turbo-Attraktor fungieren soll. So bleibt es bei der aufwendigen Präsentation aller erdenklichen Varianten amorpher oder dekonstruktivistischer Formen. Der Fantasie der Planer und dem Zeichenprogramm scheinen keine Grenzen gesetzt, und genau deshalb wäre interessant, später einmal nachzuprüfen, wie nahe diese Projekte, sofern sie „auf den Boden kommen“, am computergenerierten Vorbild geblieben sind. Im starren Korsett von Sachzwängen - Bauvorschriften, Sparauflagen, Effizienz und kurze Planungszeit - verlieren experimentelle Entwürfe oftmals ihre Schlüssigkeit und Ästhetik. Das muss man, nicht zuletzt an der Umsetzung des Grazer Kunsthausentwurfs von Peter Cook und Colin Fournier zur Kenntnis nehmen.

Sind diese Luxusschlitten der Architektur Trendsetter, fragt man sich, wenn man die Schau der Blobs, Schleifen und Faltungen übersättigt verlässt? Und: Was wäre die Alternative?

Die Realität schaut sowieso anders aus, hierzulande jedenfalls. In das alltägliche Bauen hat eine Architektur der Einfachheit Einzug gehalten, die sich am Markt orientiert, weil sie mehrheitsfähig sein will, um den Markt zu bedienen. Das gilt für den Großteil des Wohnbaus und auch für öffentliche Bauten, die mit der neuen Einfachheit auf eine einzige gesellschaftliche Entwicklung reagieren: die der Verknappung der Mittel. Gegen solch einleuchtende Pragmatik lässt sich vorerst nur anführen, dass sie zur Vereinheitlichung und gestalterischen Verarmung führt.

2003 machte Graz als Kulturhauptstadt seine spektakuläre Architektur zum Aushängeschild touristischer Marketingaktivitäten. Geworben wurde unter anderem mit dem außergewöhnlichen Kunsthaus und der Murinsel von Vito Acconci.

2004 wurden in Graz einige öffentliche Gebäude fertig gestellt und feierlich eröffnet, die von Architekten mit einem guten Ruf in der Fachwelt geplant worden sind. Es sind Bauten der Bildung, die allesamt die Sprache einer neuen Einfachheit sprechen und dabei auffallende Ähnlichkeiten aufweisen. Der hohe Gebrauchswert dieser Schul-, Fachhochschul- und Universitätsbauten ist unbestritten. Dennoch unterscheiden sie sich auf den ersten Blick nicht wesentlich von anonymer Investorenarchitektur. Daran ändern alle Versuche der Kritiker nichts, diese Bauten mit nobilitierenden Attributen wie „einfach“, „schlicht“, „stille Einfachheit“, „Minimalismus“ und „fern jeder pathetischen Aufgeregtheit“ zu versehen. Wenn einem Bau nur „eine Schokoladenseite vergönnt“ ist und deswegen überall nur diese abgebildet wird, ist dies problematisch.

Der neue Trend im öffentlichen Bau geht also zu aus Kostengründen abgemagerten Funktionsbauten. Woran es diesen mangelt, ist in jedem Fall Originalität, auch Frische und Sinnlichkeit. Bar jeder Überraschung huscht das Auge über die meist glatten Fassaden und bleibt daran genauso wenig hängen wie die Erinnerung an das Bauwerk im Gedächtnis.

Um originell zu sein, braucht ein Entwurf eine Idee. Ideenfindung bedeutet immer, aus vielen potenziellen Möglichkeiten jene herauszufiltern, die auf eine Aufgabenstellung und einen Ort schlüssig reagieren. Eine Idee muss nicht aufwendig sein, aber so komplex, dass sie möglichst viele Ansprüche an die Bauaufgabe erfüllt. Versteht man die Kategorie der Einfachheit im Sinne von Stringenz, so setzt sie einen Reduktionsprozess voraus, bei dem Überflüssiges erkannt und weggenommen wurde. Von der Fülle der Möglichkeiten - in Form, Konstruktion und Material - durch Selbstbeschränkung zu Einfachheit zu gelangen kann gelingen.

Die ersten der sogenannten „Kisten“ in der Schweizer Architektur waren auch alles andere als banal. Ein schlichtes Einfamilienhaus des Schweizer Architekten Andrea Deplazes erweist sich bei genauem Hinsehen als höchst subtil. Es ist von größter struktureller Klarheit und räumlicher Qualität, bis ins Detail ausgefeilt und im Materialeinsatz gekonnt.

Und doch scheint Gesetzmäßigkeit zu sein, dass jeder Stil, jede angewandte Theorie mit der Zeit verflacht. Je einfacher oder minimalistischer eine Architekturrichtung ist, desto größer ist die Gefahr, dass sie durch epigonale Nachahmung zur Banalität verkommt. Das kann man in Vorarlberg genauso beobachten wie bei den Einreichungen für die Holzbaupreise, von denen viele nicht mehr als indifferent in die Landschaft gestellte Kisten sind.

Einfachheit will gekonnt sein. Wer davon nichts versteht oder seinen Gestaltungsanspruch schon zu niedrig ansetzt, weil er nur den restriktiven Kostenrahmen im Auge hat, wird auch an der Einfachheit scheitern. Wer die Verpflichtung zu Baukultur ernst nimmt, wird Lösungen finden und ermöglichen müssen, die weder abgehobene Architekturplastik noch pragmatische Kiste sind - frisch, überraschend, undogmatisch.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: