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Kannibalisches Bauen?
Neue Zürcher Zeitung

Ein Dialog zwischen Architektur und Kunst in Genua

Die grosse Abschlussausstellung im Programm der diesjährigen europäischen Kulturhauptstadt Genua ist dem Dialog zwischen Architektur und Kunst gewidmet. Die materialreiche Schau im Palazzo Ducale und im Aussenraum der Altstadt versteht sich als eine mögliche Neuschreibung der Architekturgeschichte der letzten hundert Jahre.

25. November 2004 - Roman Hollenstein
Seit der diesjährigen Architekturbiennale von Venedig, die unter dem Titel «Metamorph» skulpturales Bauen ins Zentrum rückte, verspürt die in den neunziger Jahren propagierte Idee der Baukunst als kulturelles Leitmedium wieder Aufwind. Doch während das breite Publikum noch immer von den spektakulären Musentempeln Zaha Hadids, Libeskinds oder Nouvels schwärmt, signalisiert in diesen Tagen das MoMA in New York mit Yoshio Taniguchis diskretem Neubau, dass die Ära der exzentrischen Solitäre möglicherweise ihren Zenit schon überschritten hat. Dabei wollte uns Venedig doch davon überzeugen, dass nur noch die zwischen neokubistischer und biomorpher Plastik oszillierenden und sich gegenseitig übertrumpfenden Bauvisionen unseren Hunger nach jenen skulpturalen Ereignissen stillen können, um die sich die Kunst schon lange nicht mehr kümmert.

Der Traum vom skulpturalen Bauen

Jedenfalls ist der Glaube an den weltweiten Triumph einer skulpturalen Architektur ungebrochen, auch wenn mitunter behauptet wird, sie falle auf ihrem Höhenflug wie eine Kannibalin über ihre Schwester, die Bildnerei, her und verschlinge sie zum eigenen Vorteil. Gleichsam als historisch-theoretische Vertiefung dieses Vorgangs finden derzeit zwei gewichtige Ausstellungen statt, die sich mit den Wechselwirkungen von «freier» Kunst und «zweckgebundener» Architektur befassen. In der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel wird unter dem an ein monströses Zwitterwesen gemahnenden Titel «ArchiSkulptur» eine zwischen klassischer Rationalität und barocker Expressivität pendelnde Zusammenschau von Baukunst und Plastik seit Borromini und Boullée gegeben (NZZ 6. 10. 04). Diese argumentiert mit suggestiven Rückblenden, Assoziationen und Gegenüberstellungen des Ungleichzeitigen und versucht so eine Theorie der skulpturalen Architektur anzudeuten. Gleichzeitig findet in Genua, das dieses Jahr mit Lille die Würde der europäischen Kulturhauptstadt teilt, die von Germano Celant im Palazzo Ducale inszenierte Ausstellung «Arti e Architettura» statt. Mit weit über 1000 Originalwerken soll die These, «dass heute Architektur mehr denn je in allen Künsten präsent ist und umgekehrt», illustriert und darüber hinaus eine Neuschreibung der Architekturgeschichte der letzten hundert Jahre aus dem Geist der Kunst gewagt werden.

Begeistert von der Idee der «Fusion», der Verschmelzung aller Kunstformen, träumte Celant bei der Zusammenstellung seiner Megaschau von einer künstlerisch-architektonischen Jam-Session. Entstanden ist aber nicht die geniale Improvisation, welche darlegt, wie «die Architektur ihr künstlerisches Territorium erweitert, indem sie zur Performance wird», sondern vielmehr eine streng chronologische Präsentation. Diese spürt mittels eines erschlagenden Aufgebots an Exponaten den Überschneidungen von Kunst und Architektur im 20. Jahrhundert nach. Trotz kostbaren Arbeiten von Sant'Elia, Finsterlin und Feininger über Malewitsch, Le Corbusier, Kiesler, Oldenburg und Gehry bis hin zu Dan Graham, Herzog & de Meuron, Pipilotti Rist und Greg Lynn bleibt am Schluss nicht viel mehr als ein reiches Sammelsurium. Dieses verdichtet sich leider weder zu einem kohärenten Bild noch zu einer Theorie des Künstlerischen in der Architektur oder des Architektonischen in der Kunst.

Gleichförmiger Erzählfluss

Den Auftakt zur dreiteiligen Veranstaltung, die neben einem historischen und einem zeitgenössischen Parcours im altehrwürdigen Palazzo Ducale auch eine Freiluftausstellung in der Genueser Altstadt umfasst, machen Légers «Constructeurs» von 1950. Dieses Riesenformat markiert geschickt die zeitliche Mitte der Schau sowie eine mögliche Verschwisterung von Architektur und Malerei. Danach aber entwickelt sich Celants Geschichte im engen Korsett der Stile und der Ismen: Ausgehend vom deutschen Werkbund (und nicht vom kurzerhand ausgeblendeten Jugendstil eines Gaudí oder Horta), werden architektonische Pläne und Modelle sowie Gemälde, Skulpturen, Fotos und Filme des Futurismus, Kubismus, Expressionismus, Purismus, Konstruktivismus und Rationalismus, der Nachkriegskunst, des Metabolismus, der Pop- und der Minimal Art sowie der aktuellsten Strömungen gezeigt. Da nichts hervorgehoben wird, geht Le Corbusiers Wallfahrtskirche in Ronchamp als seither nie wieder erreichter Höhepunkt einer Legierung von Architektur und Kunst im gleichförmigen Erzählfluss ebenso unter wie Tatlins unrealisiertes Internationale-Denkmal von 1919, in welchem El Lissitzky immerhin «einen der ersten Versuche einer Synthese des Technischen und Künstlerischen» sah.

Doch die oft etwas monoton wirkende Chronologie verunmöglicht nicht nur die gebührende Inszenierung von Sternstunden des raumkünstlerischen Erfindungsgeistes, sondern auch das Hervorheben der erstaunlichen Verwandtschaft zwischen den organisch-amorphen Blob-Entwürfen heutiger Architekten mit Werken von Arp oder Henry Moore. Überhaupt wird die Schau, je mehr sie sich im Piano Nobile des Palazzo Ducale der Gegenwart nähert, immer schriller und zusammenhangsloser. Dadurch kommt die Ausstrahlung der architektonisch konzipierten «Useful Sculpture» eines Dan Graham oder Siah Armajani ebenso wenig zur Geltung wie die Bedeutung der architekturkritischen Phantasien von Archigram, Superstudio, Site und der Metabolisten, die der Architektur in den sechziger Jahren den nicht unproblematischen Weg hin zur freien, die Stadt und den Kontext ignorierenden Kunst ebneten. In Simone Cantonis grandioser Sala del Minor Consiglio argumentiert Celant dann fast nur noch mit skulpturalen Modellen. Doch die Maquetten des Pekinger Nationalstadions von Herzog & de Meuron oder des Karlsruher ZKM-Entwurfs von Koolhaas stehen hier beziehungslos auf derselben Ebene wie James Turrells Ufo-Bauten oder Louise Bourgeois' weisse Puppenhäuser.

Konversation statt Kritik

In der Einführung zur opulenten Materialsammlung des zweibändigen Katalogs stellt Celant durchaus überzeugend fest, dass die heutige Architektur in gewissen modischen Bereichen zum Monument und zum Narzissmus neige, dass sie eine Weiterentwicklung der modernen Skulptur in neuem Massstab und Wirkungsfeld sei, dass ihr Interesse dem Äusseren statt dem Inneren, der Oberfläche statt der Struktur gelte und dass es ihr immer mehr um die Realisierung von medial verwertbaren, global zu konsumierenden Erscheinungsbildern gehe. Doch statt diese Einsichten kritisch und pointiert zu veranschaulichen, verharrt die Schau auf dem Niveau einer netten Konversation der Künste. Dabei verselbständigt sich der Flirt der Architekten mit dem Skulpturalen und jener der Künstler mit dem Architektonischen zusehends. Dies belegt jener Teil der Schau, in welchem grossformatige Arbeiten den Aussenraum Genuas besetzen dürfen. Während das rekonstruierte «Teatro del Mondo» von Aldo Rossi den alten Hafen von Genua im Geist de Chiricos zu verzaubern sucht und Anselm Kiefers weisses, für die tugendhafte Römerin Cornelia auf der Piazza San Matteo erbautes Steinhaus dem gotischen Herzen der Stadt einen noch morbideren Zug verleiht, inszeniert Renzo Piano im Corvetto-Park Originalbauteile seines Kulturzentrums in Nouméa auf Neukaledonien wie ein Kunstwerk. Hans Hollein hingegen verweigert sich mit seinem «Goldenen Kalb», welches die Piazza Fontane Marose in surrealistische Schieflage bringt, dem Dialog von Architektur und Kunst. Schliesslich prophezeit Rem Koolhaas mit seiner im Hof des Palazzo Lomellino präsentierten Skulptur der Togok Towers nicht ohne Ironie, dass die Architektur nach der Kunst wohl bald auch die Natur auffressen wird.

[Bis 13. Februar im Palazzo Ducale und in der Altstadt von Genua. Katalog: Arti e Architettura. Hrsg. Germano Celant. Skira, Genf und Mailand 2004. 2 Bände mit 784 S., Euro 49.-.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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