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Art déco in den Niederlanden
Neue Zürcher Zeitung

Eine Ausstellung über «De Haagse Stijl» in Den Haag

14. Dezember 2004 - Hubertus Adam
Architektur und Design in den Niederlanden waren um 1920 von einer Polarisierung geprägt: Die Amsterdamer Schule gab sich individualistisch, träumerisch, utopisch. In Rotterdam hingegen versammelten sich die Protagonisten von De Stijl, die eine klare, geometrisch rigide Ästhetik postulierten. Beide Lager wurzelten weltanschaulich in der Gärungsphase der Jahrhundertwende, bezogen sich aber auf je eigene Weise auf Hendrik Petrus Berlage, den Gründerheros der holländischen Moderne. Schon den distanzierteren Zeitgenossen, etwa dem deutschen Kunstkritiker Adolf Behne, schienen die Gegensätze nahezu unüberwindlich. Dass es gleichwohl eine moderate Mittelposition gab, die sich wahlweise von Amsterdamer Schule oder De Stijl anregen liess, zeigt die materialreiche Schau «De Haagse Stijl» im Gemeentemuseum Den Haag.

Moderne Interieurs

Anders als die durch Industrie und Handelsschifffahrt bestimmten Städte Amsterdam und Rotterdam galt der Regierungssitz Den Haag als favorisiertes Domizil eines wohlhabenden, Neuerungen durchaus aufgeschlossenen Bürgertums, das seine Villen im mondänen Scheveningen oder in den idyllischen Dünenlandschaften von Kijkduin und Wassenaar errichten liess. Daher erstaunt es nicht, dass sich die niederländische Möbelindustrie schon früh in der Hauptstadt etabliert hatte. Pander & Zonen hiess um 1900 der bedeutendste Betrieb, der schon 1895 damit begonnen hatte, Produkte nach dem Vorbild des französischen Art nouveau herzustellen. Als während des Ersten Weltkriegs der Import aus Deutschland und Belgien unterbrochen wurde, baute Pander 1917 eine eigene Entwurfsabteilung für modernes Interieur auf, deren Leitung der Architekt Henk Wouda übernahm. Als ein frühes Meisterwerk des Haagse Stijl kann die Innenausstattung gelten, die Wouda für Willem Dudoks Villa Sevensteijn (1920/21) realisierte: Die fliessende Raumeinteilung, die Betonung von Horizontalen und Vertikalen sowie nicht zuletzt die Stühle mit ihren hochgezogenen Rückenlehnen sind unzweideutig von Frank Lloyd Wright inspiriert; die Bauten und Projekte des Amerikaners waren durch die 1911 im deutschen Verlag Wasmuth erschienene Mappenpublikation bekannt, aber auch durch die Amerikareise, die Berlage im gleichen Jahr unternommen hatte.

Mit einer Musterwohnung, die Wouda 1924 in der von Jan Wils entworfenen Siedlung Papaverhof eingerichtet hatte, wollte Pander einkommensschwächere Schichten als Käufer erschliessen. Weil man indes - ähnlich wie das englische Arts and Crafts Movement - niemals zu einer klaren Entscheidung kam, ob man dem handwerklich hochwertigen Einzelprodukt oder der industriellen Massenproduktion den Vorzug geben wollte, blieb der Versuch folgenlos.

Exzellenter Katalog

Der Haagse Stijl von Henk Wouda, dem eher an De Stijl orientierten Cor Alons und einer Reihe anderer Designer blieb ein auf wohlhabende Kreise beschränktes Phänomen. Im niederländischen Pavillon auf der Art-déco-Ausstellung von 1925 in Paris war Pander gut vertreten. Die Möbel, die Fer Semey in den Folgejahren realisierte, zeigen deutlich den Einfluss der zeitgenössischen französischen Gestalter. Zu Recht gilt der Haagse Stijl heute als niederländische Variante des Art déco, auch wenn er sich aus deutlich anderen Quellen speiste als Parallelphänomene in Frankreich oder den USA. Die Ausstellung in Den Haag, die von einem exzellenten Katalog begleitet wird, schliesst eine Forschungslücke in der Historiographie der niederländischen Moderne.


[Bis 6. März 2005. Katalog: De Haagse Stijl. Art déco in Nederland. Hrsg. Timo de Rijk. 010 Publishers, Rotterdam 2004. 192 S., Euro 39.95.]

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