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Die Wunder der Ewigen Stadt
Neue Zürcher Zeitung

Nollis grandioser Rom-Plan im Zentrum einer Ausstellung

Als Symbol des aufklärerischen Ordnungswillens wird Giovanni Battista Nollis Rom- Plan bis heute gerühmt. Der grandiose Stadtplan prägte nicht nur Piranesis Sicht der Ewigen Stadt. Er wurde auch zur urbanistischen Richtschnur von L'Enfants Washington bis hin zur kontextualistischen Entwurfspraxis von heute. Eine Ausstellung in Rom würdigt nun dieses kartographische Meisterwerk in seinem künstlerischen Kontext.

10. Januar 2005 - Roman Hollenstein
Nach Jahren der baukünstlerischen Lethargie hat Rom in jüngster Zeit eine neue Lust auf zeitgenössische Architektur entwickelt. Den diskreten Auftakt machte schon vor Jahren Paolo Portoghesis Moschee. Mit ihr, der Città della Musica von Renzo Piano und Richard Meiers Chiesa del Giubileo erhielt die Stadt erstmals seit der wunderbar geschwungenen Vorhalle des Bahnhofs Termini wieder Bauten von internationalem Flair. Zu ihnen sollen sich dereinst der wolkige Kongresspalast von Massimiliano Fuksas, Roger Dieners Erweiterung der Galleria Nazionale d'Arte Moderna und Zaha Hadids Zentrum für Gegenwartskunst gesellen. In diesen Bauten und Projekten kann man die modernen Pendants zu den einst in den Veduten von Giuseppe Vasi oder Giovanni Battista Piranesi verewigten Kirchen und Palästen sehen. Nur dass sie - mit Ausnahme von Meiers vieldiskutiertem Projekt einer neuen Umhüllung des Ara Pacis genannten augusteischen Friedensmonuments - nicht innerhalb der antiken Mauern stehen oder stehen werden.
Kartographisches Kunstwerk

Das historische Zentrum Roms erscheint auf den ersten Blick denn auch bis heute wie versteinert. Dabei wurde es seit der Einigung Italiens tatkräftig umgestaltet - von den Tiberufern über den Corso Vittorio Emanuele bis hin zu den Strassenachsen, die Mussolini durch die vatikanischen Borghi und die Kaiserforen schlagen liess. Gleichwohl hat sich der Grundriss der Altstadt in den vergangenen 250 Jahren nur wenig verändert. Dies zeigt der grosse, 1748 von Giovanni Battista Nolli publizierte Stadtplan Roms. Das kartographische Meisterwerk verewigt - als Symbol des aufklärerischen Ordnungswillens - den Zustand Roms an der Schwelle zum Frühklassizismus, als die Stadt nach den urbanistischen und architektonischen Herkulestaten des Barocks ihre grösste Schönheit seit der Antike erreicht hatte.

Trotz der Verzwanzigfachung der Einwohnerzahl und der damit einhergehenden «banalizzazione estetica», welche Italiens Hauptstadt seit 1870 zu erdulden hatte, erklärt Nollis Karte in ihrer wissenschaftlichen Exaktheit, kartographischen Klarheit und künstlerischen Pracht die Wunder Roms noch immer besser als jede neue. Auf Nollis Plan sind nicht nur alle Bauten, Plätze und Strassenräume minuziös festgehalten, sondern sogar die Grundrisse der Kirchen, Paläste und antiken Monumente bis auf die einzelnen Säulen wiedergegeben. Mit diesem grossartigen Werk, das uns ebenso gut wie die Ruinen lehrt, wie Rom einst war, sicherte sich der in Lanzo d'Intelvi hoch über dem Luganersee geborene und in Mailand, dem damaligen Zentrum der italienischen Kartographie, ausgebildete Nolli (1701 bis 1756) Ruhm in der Stadt, die dank den Grand-Touristen gerade zum kulturellen Wallfahrtsort wurde. Nolli selbst war 1736 nach Rom gekommen, wo er schnell Zugang fand zum wissenschafts- und kunstfreundlichen Kreis um Kardinal Alessandro Albani, dessen frühklassizistische Villa er - nach neusten Erkenntnissen - plante. Über den an der Sapienza lehrenden Mailänder Mathematiker und Archäologen Diego Revillas erhielt er noch im selben Jahr den Auftrag zur Schaffung des Rom-Plans. Dieser sollte «äusserst exakt» sein und darüber hinaus die «antike Topographie» bestmöglich berücksichtigen.

Zwar hätte sich Nolli auf den 1551 von Leonardo Bufalini erstellten Stadtplan (den er zeitgleich mit seiner Karte in einem Nachstich herausgab) und auf den perspektivischen Plan von G. B. Falda (1676) abstützen können. Doch der Lombarde zeichnete mit Hilfe der neusten Vermessungstechnik die Stadt völlig neu. Gleichzeitig versuchte er zusammen mit Revillas und dem jungen Piranesi die auf dem Kapitol gehüteten und teilweise schon 1673 von Giovanni Pietro Bellori publizierten Fragmente der Forma Urbis genannten Rom-Karte aus der Zeit von Septimius Severus neu zu interpretieren. Obwohl die oft unter neuzeitlichen Überbauungen verborgenen Ruinen nicht immer exakt lokalisiert und im Plan nicht vollständig wiedergegeben werden konnten, verschmelzen in ihm die antike und die moderne Stadt, wie dies die am unteren Kartenrand erscheinenden Capricci, die wohl von Pannini entworfen wurden, mit ihren Tempeln, Triumphbögen und der damals frisch vollendeten Fassade der Laterankirche veranschaulichen.

Hier setzte Piranesi an, als er sich - beflügelt von Nollis wissenschaftlichem Ansatz und der eigenen Ruinensehnsucht - daranmachte, altrömische Monumente in seiner Phantasie aus dem lebendigen Gewebe der Stadt herauszuschälen und beispielsweise das Pompejustheater als Ruine oder den Hadrianstempel als Säulenwald mit freier Sicht aufs Pantheon zu inszenieren. Piranesi kreierte aber nicht nur visionäre Ruinenbilder, sondern unter dem Eindruck der Forma Urbis und von Pirro Ligorios «Antiquae Urbis Imago» (1561) auch Rekonstruktionen des alten Rom in Plan und Bild, die er 1762 unter dem Titel «Campus Martius Antiquae Urbis» herausgab. Die spektakulären, zwischen Archäologie und Utopie oszillierenden Ansichten einer monumentalen antikischen Stadt, die bereits die Revolutionsarchitektur von Ledoux und Boullée ankündigten, bilden den exakten Gegenpol zu Vasis Romprojekt. Mittels 240 Stich-Veduten schuf dieser parallel zu Nollis historisch-wissenschaftlichen und Piranesis antiquarisch-spekulativen Plänen ein faszinierendes Bildgeflecht des modernen Rom, das seine eindrückliche Quintessenz im grossen Rom-Panorama von 1765 fand.

Panoramen und Veduten

Die spannende Gegenüberstellung dieser drei Künstler, welche die Wahrnehmung der Ewigen Stadt lange bestimmten, bietet zurzeit eine erhellende Schau im Palazzo Fontana di Trevi. Sie vereint alle erwähnten Stadtpläne, Panoramen und Traumbilder des antiken und des zeitgenössischen Rom bis hin zur Vorzeichnung und zu den Druckplatten von Nollis Rom-Plan und bereichert sie um Veduten Vasis und Piranesis sowie einige Capricci von Giovanni Paolo Pannini. Dazu kommen Porträts von Grand-Touristen und von Förderern der Wissenschaften am päpstlichen Hof, aber auch Publikationen, Vermessungsinstrumente und Belege der Rezeptionsgeschichte. Diese reicht von Giovanni Carafas riesiger «Mappa di Napoli» (1775) über Pierre-Charles L'Enfants Idealplan von Washington (1791) bis hin zur «Nollimap» von 1978, auf welcher Vordenker wie Robert Venturi oder Aldo Rossi eine kontextualistische Weiterentwicklung der «Complexity and Contradiction» von Nollis Rom wagten.

Der vorzügliche Katalog mit seinen fundierten Essays bildet nicht nur die wichtigsten Exponate ab, sondern gibt auch die zwölf Tafeln von Nollis äusserst rarem Rom-Plan einzeln im Massstab 1:3 wieder. Daneben vermitteln mehrere lesenswerte Essays - unter anderem von Mario Bevilacqua, dem Kurator der Schau - neue Forschungsergebnisse. Diese zeigen, dass die Beziehung zwischen dem fast nur noch in Fachkreisen bekannten Nolli und seinem grossen Schüler Piranesi weit intensiver und komplexer war als bisher angenommen.

[ Bis 7. Februar im Palazzo Fontana di Trevi in Rom. Katalog: Nolli Vasi Piranesi. Immagine di Roma Antica e Moderna. Hrsg. Mario Bevilacqua. Artemide Edizioni, Rom 2004. 118 S., Euro 30.- (Euro 21.- in der Ausstellung; www.artemide-edizioni.com). ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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