Artikel

Babylonisches Manhattan
Der Standard

Für Wissenschafter sind Filme wie „Alexander“ schlicht Frechheiten, die Filmarchitekturen bleiben Fantasygebilde

15. Januar 2005 - Ute Woltron
Wenigstens an einer historischen Tatsache besteht kein Zweifel: Das Zwischenstromland, also ein Teil des heutigen Irak, ist das, was Historiker die „Wiege der Zivilisation“ nennen. In den flachen, fruchtbaren Ebenen zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris wuchsen vor rund 6000 Jahren die ersten Siedlungen zu Stadtgröße heran. Babylon war nur eine von ihnen - und wie diese legendäre Metropole des Neolithikums sicher nicht ausgesehen hat, dürfen wir seit Ende vergangenen Jahres opulent aufbereitet im Kino betrachten.

Oliver Stones Dreistundenlangeweiler Alexander projiziert ein orientalisches Phantasyland auf die Leinwände, das Archäologen und Historiker je nach Temperament in Entsetzen oder Heiterkeit stürzt. Stones Set-Architekten und Computer-Malermeister haben volle Arbeit geleistet, sie haben tief in die Mottenkiste aller Mythen und Märchen gegriffen und sie haben sich offensichtlich in keiner Weise der Mühe unterzogen, dem historisch Verbürgten zu optischer Präsenz zu verhelfen.

Der Archäologe Fritz Krinzinger konstatiert: „Dieser Film ist streckenweise schlicht eine Frechheit.“

Den Einstieg in das Geschehen unternimmt ein sinnend über eine Terrassenlandschaft Alexandrias wandelnder Ptolemäus, der den Rahmen zur Handlung gibt, indem er sich ein paar Jahrzehnte nach Alexanders Tod (323 v. Chr.) an seinen einstigen Feldherren zurückerinnert. Dass er als nunmehr ägyptischer Pharaonenkönig einen griechischen Chiton trägt, mag verschmerzbar sein. Doch der architektonische Rahmen dieser Szenerie ist tatsächlich an Lächerlichkeit kaum zu überbieten.

Zwischen adrianischen Bogenarchitekturen, wie sie erst das zweite nachchristliche Jahrhundert Roms hervorgebracht hat, stehen dekorative, gülden gepinselte Pappmacheeskulpturen herum. Sie scheinen - wie dazumal die extraterrestrischen Papiersteinkulissen in Star Trek - sanft zu schwanken, wenn Ptolemäus sie philosophierend passiert. Und in seinen Privatgemächern hängen Gemälde an den Wänden wie in einem Pariser Künstleratelier des ausklingenden 19. Jahrhunderts.

Die Erinnerungen des Diadochenkönigs mäandern sodann durch die diversen historischen Stätten des alexandrinischen Geschehens. Da wäre zum Beispiel die Stadt Pella, der Geburtsort Alexanders in Makedonien. Hier nimmt die Kinoarchitektur Elemente der minoischen Kultur auf, die sich nach unten verjüngenden Stützen zum Beispiel, was laut Krinzinger „natürlich auch nicht stimmt, aber bitte“.

Was allerdings wirklich schmerzt, ist die cineastische Misshandlung der berühmten Kieselmosaike Pellas, die sich plötzlich als gefällige Wandornamente wiederfinden: Die Dekorationswut der Setdesigner transportierte die aus runden Kieseln kunstvoll „gemalten“ Bodenbilder kurzerhand an die Wände des Palastes, in dem Alexander die Demütigungen durch seinen Vaters Philipp zu erdulden hat. Während die Kinobesucher in der Opulenz der Szenerie schwelgen mögen, entdeckt das geschulte Auge des Historikers noch so manches unpassende Detail. Warum, so fragt sich Krinzinger beispielsweise, muss Alexanders Übermutter Olympias, von deren stets und ständig herausfordernd geschürzten Lippen wir hier absehen wollen, „tarentinischen Schmuck tragen, den es damals noch gar nicht gab?“

Einer der optischen Höhepunkte des Streifens ist natürlich der Einzug Alexanders in das soeben eroberte Babylon. Dass die bereits von Alexanders Vater erfundene Kriegsmaschinerie, vor allem die Phalanx, die Niederlage des Dareius bei Gaugamela bewirkte, bleibt ausgeklammert, weil körperdurchdringende Speere und spritzende Blutfontänen eben besser auf der Leinwand kommen. „Die raufen wie am Kirtag“, sagt Krinzinger, doch egal, es folgt der Einzug der Eroberer in die Stadt der Städte:

Ein bläulich-nebeliges Manhattan Mesopotamiens erhebt sich hier vor dem Auge des Betrachters. Kraniche umflattern den Turm zu Babel wie Bergdohlen, darunter fehlen nicht die hängenden Gärten der Semiramis, von denen heute keiner mehr sagen kann, wie sie wirklich ausgesehen haben. Krinzinger meint: „So jedenfalls sicher nicht.“ Was aller Wahrscheinlichkeit eine terrassierte Anlage in Flussnähe war, wird hier zu einer Orgie von Blumentöpfen, an den Wänden aufgehängt.

Die Archäologieprofessorin und Mesopotamien-Spezialistin Helga Trenkwalder, die seit mehr als 30 Jahren im Irak Ausgrabungen leitet, fasst ihre Meinung zu Historienfilmen wie Alexander kurz und bündig zusammen: „Ich habe es satt. Diese Filme sind meistens komplett daneben, und das ärgert uns, weil man die Architektur und die Ausstattung auch auf seriöse Art interessant gestalten könnte.“ Krinzinger pflichtet ihr bei. So habe etwa der ebenfalls im Vorjahr angelaufene Film Troja zumindest auf die neuesten digitalen Architektur-und Stadtrekonstruktionen der Wissenschaft zurückgegriffen. Der Archäologe hat - auch in seinen Vorlesungen - immer wieder Historienfilme aus diversen Epochen analysiert und kommt zu dem Schluss, dass Regisseure und Filmarchitekten in den 60er-Jahren wesentlich sorgfältiger mit der Geschichte umgegangen sind. Er ortet im Historienkino einen „Verfall der Sitten sondergleichen“.

Der Chef des Wiener Filmmuseums, Alexander Horwath, sieht die Angelegenheit gelassener: „Wenn man wollte, könnte man sicher auch im Film ein korrektes, dem Stand der Wissenschaft entsprechendes Bild zeichnen, doch es ist nicht der Mangel an Fähigkeit, dass das nicht geschieht, sondern eine bewusste Entscheidung, die letztlich viel über Hollywood erzählt.“ Filme wie Alexander wollten im Dienste der leichten Konsumierbarkeit ganz einfach gängigen Klischees und Mythen entsprechen. „Es geht hier um alternative, eskapistische, zusammengeträumte Welten, um die Vermengung von Fantasiebildern.“ Das Antik-Kino habe sich zu einem Hybridgenre aus Antik-Action-Fantasy entwickelt.

Doch - ist nicht letztlich die Geschichte der Geschichtsschreibung ebenfalls als ein Amalgam aus Fantasy, Fiction bis hin zum Fanatismus zu betrachten? Sie bleibt jedenfalls ein Mosaik aus Überlieferungen, Fundstücken und natürlich auch Mythen, die sich jede Zeit neu aufbereitet und wieder neu schreibt.

Filme wie Alexander sind da nur ein kleines Steinchen im großen Bild der kollektiven Wahrnehmung. Doch populär-unwissenschaftliche Kinobilder wie diese bleiben im Hirn irgendwie hängen. „Es gibt keine Königsregeln“, schrieb Egon Friedell 1938 in seiner Kulturgeschichte Griechenlands im Kapitel über Alexander den Großen, „sondern nur Könige, die Regeln geben.“ Auch das scheint eine historisch verbürgte Wahrheit zu sein - bis heute. []
architektur@derStandard.at

Wenigstens an einer historischen Tatsache besteht kein Zweifel: Das Zwischenstromland, also ein Teil des heutigen Irak, ist das, was Historiker die „Wiege der Zivilisation“ nennen. In den flachen, fruchtbaren Ebenen zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris wuchsen vor rund 6000 Jahren die ersten Siedlungen zu Stadtgröße heran. Babylon war nur eine von ihnen - und wie diese legendäre Metropole des Neolithikums sicher nicht ausgesehen hat, dürfen wir seit Ende vergangenen Jahres opulent aufbereitet im Kino betrachten.

Oliver Stones Dreistundenlangeweiler Alexander projiziert ein orientalisches Phantasyland auf die Leinwände, das Archäologen und Historiker je nach Temperament in Entsetzen oder Heiterkeit stürzt. Stones Set-Architekten und Computer-Malermeister haben volle Arbeit geleistet, sie haben tief in die Mottenkiste aller Mythen und Märchen gegriffen und sie haben sich offensichtlich in keiner Weise der Mühe unterzogen, dem historisch Verbürgten zu optischer Präsenz zu verhelfen.

Der Archäologe Fritz Krinzinger konstatiert: „Dieser Film ist streckenweise schlicht eine Frechheit.“

Den Einstieg in das Geschehen unternimmt ein sinnend über eine Terrassenlandschaft Alexandrias wandelnder Ptolemäus, der den Rahmen zur Handlung gibt, indem er sich ein paar Jahrzehnte nach Alexanders Tod (323 v. Chr.) an seinen einstigen Feldherren zurückerinnert. Dass er als nunmehr ägyptischer Pharaonenkönig einen griechischen Chiton trägt, mag verschmerzbar sein. Doch der architektonische Rahmen dieser Szenerie ist tatsächlich an Lächerlichkeit kaum zu überbieten.

Zwischen adrianischen Bogenarchitekturen, wie sie erst das zweite nachchristliche Jahrhundert Roms hervorgebracht hat, stehen dekorative, gülden gepinselte Pappmacheeskulpturen herum. Sie scheinen - wie dazumal die extraterrestrischen Papiersteinkulissen in Star Trek - sanft zu schwanken, wenn Ptolemäus sie philosophierend passiert. Und in seinen Privatgemächern hängen Gemälde an den Wänden wie in einem Pariser Künstleratelier des ausklingenden 19. Jahrhunderts.

Die Erinnerungen des Diadochenkönigs mäandern sodann durch die diversen historischen Stätten des alexandrinischen Geschehens. Da wäre zum Beispiel die Stadt Pella, der Geburtsort Alexanders in Makedonien. Hier nimmt die Kinoarchitektur Elemente der minoischen Kultur auf, die sich nach unten verjüngenden Stützen zum Beispiel, was laut Krinzinger „natürlich auch nicht stimmt, aber bitte“.

Was allerdings wirklich schmerzt, ist die cineastische Misshandlung der berühmten Kieselmosaike Pellas, die sich plötzlich als gefällige Wandornamente wiederfinden: Die Dekorationswut der Setdesigner transportierte die aus runden Kieseln kunstvoll „gemalten“ Bodenbilder kurzerhand an die Wände des Palastes, in dem Alexander die Demütigungen durch seinen Vaters Philipp zu erdulden hat. Während die Kinobesucher in der Opulenz der Szenerie schwelgen mögen, entdeckt das geschulte Auge des Historikers noch so manches unpassende Detail. Warum, so fragt sich Krinzinger beispielsweise, muss Alexanders Übermutter Olympias, von deren stets und ständig herausfordernd geschürzten Lippen wir hier absehen wollen, „tarentinischen Schmuck tragen, den es damals noch gar nicht gab?“

Einer der optischen Höhepunkte des Streifens ist natürlich der Einzug Alexanders in das soeben eroberte Babylon. Dass die bereits von Alexanders Vater erfundene Kriegsmaschinerie, vor allem die Phalanx, die Niederlage des Dareius bei Gaugamela bewirkte, bleibt ausgeklammert, weil körperdurchdringende Speere und spritzende Blutfontänen eben besser auf der Leinwand kommen. „Die raufen wie am Kirtag“, sagt Krinzinger, doch egal, es folgt der Einzug der Eroberer in die Stadt der Städte:

Ein bläulich-nebeliges Manhattan Mesopotamiens erhebt sich hier vor dem Auge des Betrachters. Kraniche umflattern den Turm zu Babel wie Bergdohlen, darunter fehlen nicht die hängenden Gärten der Semiramis, von denen heute keiner mehr sagen kann, wie sie wirklich ausgesehen haben. Krinzinger meint: „So jedenfalls sicher nicht.“ Was aller Wahrscheinlichkeit eine terrassierte Anlage in Flussnähe war, wird hier zu einer Orgie von Blumentöpfen, an den Wänden aufgehängt.

Die Archäologieprofessorin und Mesopotamien-Spezialistin Helga Trenkwalder, die seit mehr als 30 Jahren im Irak Ausgrabungen leitet, fasst ihre Meinung zu Historienfilmen wie Alexander kurz und bündig zusammen: „Ich habe es satt. Diese Filme sind meistens komplett daneben, und das ärgert uns, weil man die Architektur und die Ausstattung auch auf seriöse Art interessant gestalten könnte.“ Krinzinger pflichtet ihr bei. So habe etwa der ebenfalls im Vorjahr angelaufene Film Troja zumindest auf die neuesten digitalen Architektur-und Stadtrekonstruktionen der Wissenschaft zurückgegriffen. Der Archäologe hat - auch in seinen Vorlesungen - immer wieder Historienfilme aus diversen Epochen analysiert und kommt zu dem Schluss, dass Regisseure und Filmarchitekten in den 60er-Jahren wesentlich sorgfältiger mit der Geschichte umgegangen sind. Er ortet im Historienkino einen „Verfall der Sitten sondergleichen“.

Der Chef des Wiener Filmmuseums, Alexander Horwath, sieht die Angelegenheit gelassener: „Wenn man wollte, könnte man sicher auch im Film ein korrektes, dem Stand der Wissenschaft entsprechendes Bild zeichnen, doch es ist nicht der Mangel an Fähigkeit, dass das nicht geschieht, sondern eine bewusste Entscheidung, die letztlich viel über Hollywood erzählt.“ Filme wie Alexander wollten im Dienste der leichten Konsumierbarkeit ganz einfach gängigen Klischees und Mythen entsprechen. „Es geht hier um alternative, eskapistische, zusammengeträumte Welten, um die Vermengung von Fantasiebildern.“ Das Antik-Kino habe sich zu einem Hybridgenre aus Antik-Action-Fantasy entwickelt.

Doch - ist nicht letztlich die Geschichte der Geschichtsschreibung ebenfalls als ein Amalgam aus Fantasy, Fiction bis hin zum Fanatismus zu betrachten? Sie bleibt jedenfalls ein Mosaik aus Überlieferungen, Fundstücken und natürlich auch Mythen, die sich jede Zeit neu aufbereitet und wieder neu schreibt.

Filme wie Alexander sind da nur ein kleines Steinchen im großen Bild der kollektiven Wahrnehmung. Doch populär-unwissenschaftliche Kinobilder wie diese bleiben im Hirn irgendwie hängen. „Es gibt keine Königsregeln“, schrieb Egon Friedell 1938 in seiner Kulturgeschichte Griechenlands im Kapitel über Alexander den Großen, „sondern nur Könige, die Regeln geben.“ Auch das scheint eine historisch verbürgte Wahrheit zu sein - bis heute.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: