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Eine neue Gründerzeit
Neue Zürcher Zeitung

Architektonische und städtebauliche Visionen für Lugano

4. März 2005 - Roman Hollenstein
Die grossen Schweizer Städte erleben gegenwärtig eine neue Gründerzeit: Lausanne baut eine Metro, Zürich boomt in West und Nord, Basel wandelt sich beim Bahnhof SBB sowie auf dem Novartis-Campus, und Bern erhält mit Renzo Pianos Klee-Museum und Daniel Libeskinds Shopping Mall zwei vorstädtische Kristallisationskerne, die zusammen mit geplanten Siedlungen, Grün- und Platzanlagen jüngst in einer informativen Publikation vorgestellt wurden. Ambitionen hegt auch Lugano, das durch die Eingemeindung einiger Vorstädte von 29 000 auf 52 000 Einwohner angewachsen ist. Sein neues Selbstverständnis als nunmehr neuntgrösste Stadt der Schweiz und Zentrum einer Agglomeration von über 100 000 Einwohnern manifestiert sich im neuen Universitätscampus, einem aus Theater und Kunstmuseum bestehenden Kulturzentrum, das nach Plänen von Ivano Gianola an das zu sanierende «Palace» angedockt werden soll, oder in der geplanten Erweiterung des Kongresshauses durch Giraudi & Wettstein.

Das wichtigste Projekt allerdings ist urbanistischer Natur und betrifft ein in der dicht bebauten Stadtlandschaft rares, fast einen Quadratkilometer grosses Areal am Nordrand der Cassarate-Ebene. Dort soll das etwas chaotische Cornaredo-Quartier mit seinen Stadien, dem Multiplexkino in der ehemaligen «Termica» und dem Technikum im Park des einstigen Castello di Trevano im Hinblick auf die Eröffnung des Tunnels der neuen Nordzufahrt der Stadt zum repräsentativen «Eingangstor» werden. Aus dem Ende 2004 jurierten internationalen Wettbewerb ging der von einem grossen, an die sechziger Jahre erinnernden Geschäftszentrum dominierte Entwurf Federico Olivas und Cino Zucchis aus Mailand als Sieger hervor. Die Tessiner Architektenschaft bevorzugte indessen das Projekt von Pierino Borella und Aurelio Galfetti, das über eine von rationalistisch angeordneten Scheibenhäusern und Wohntürmen gerahmte Wasserfläche den Fernblick auf Luganos Zuckerhut, den Monte San Salvatore, freigibt. Am meisten Entwicklungspotenzial hat aber Kees Christiaanses Vision eines stark verdichteten Quartiers zwischen Trevano-Park und Cassarate- Fluss. Denn die Stadt braucht weniger monumentale Perspektiven als vielmehr einen planerischen Rahmen, der ein harmonisches Weiterbauen erlaubt. Da Borella und Galfetti gegen den Juryentscheid wegen formalen Fehlern Rekurs einlegten, ist - zumindest vorläufig - die städtebauliche Zukunft von Cornaredo noch offen.

Günstiger stehen die Vorzeichen für die neuen Messebauten mit Hotel auf dem Campo Marzio beim Cassarate-Delta, wo vor wenigen Tagen die jungen Zürcher Architekten Stefan Hauswirth, Andreas Keller und Mario Branzanti einen zweistufigen Wettbewerb, an dem auch viele renommierte Tessiner Architekten teilnahmen, für sich entscheiden konnten. Die Präsentation aller 81 Projekte vor wenigen Tagen in Lugano machte den Juryentscheid nachvollziehbar, auch wenn man zumindest den bereits in der ersten Runde ausgeschiedenen Vorschlag von Pia Durisch und Aldo Nolli gerne in der zweiten Runde gesehen hätte. Er besteht - wie die meisten eingereichten Arbeiten - aus einer Kombination von Hotelturm und flacher Messehalle, wobei Durisch & Nolli dem zeichenhaften Zwanzigstöcker einen kubistisch-topographischen Hallenbau entgegenstellten. Aus diesem Schema brachen neben dem siegreichen Team nur wenige aus: etwa Luca Bobst aus Bioggio mit einer konservativen, an Hans Kollhoff gemahnenden Komposition oder Hernandez & Garcia Casanova aus Rotterdam mit einer aus frei geformter Hülle und geometrischem Kern bestehenden Megastruktur sowie José Lluis Mateo aus Barcelona und Luca Gazzaniga aus Lugano mit ihrem drittprämierten Entwurf. Hier rahmen ein zeichenhaftes aus zwei verschränkten Z-Formen bestehendes Scheibenhaus und ein plastisch durchgeformter Hallenbau eine Piazza, während beim Siegerprojekt, das sich subtil in den Kontext einordnet, sieben bis zu achtgeschossige Volumen über trapezoiden Grundrissen eine platzartig angeordnete Halle fassen. Dieser formal zurückhaltende Entwurf dürfte sich aussagestark materialisieren lassen.

Die Ergebnisse des Cornaredo-Wettbewerbs sind publiziert in «archi» 6, 2004 (Edizioni Casagrande, Bellinzona). Fr. 20.-.

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