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Die Stadt als gebaute Landschaft
Neue Zürcher Zeitung

Sauerbruch & Hutton im Lausanner Forum d'architectures

12. Juni 2002 - Roman Hollenstein
Anders als seine kleinen Nachbarn - Holland, Österreich und die Schweiz - und anders auch als Frankreich kann Deutschland nur selten mit bedeutender zeitgenössischer Architektur aufwarten. Selbst im bauwütigen Berlin, wo man in Ermangelung heimischer Stars auf Hilfe aus dem Ausland setzte, erstarrte das Gebaute, sieht man von Libeskinds Jüdischem Museum ab, im allzu engen Korsett von Steinfassaden und Traufhöhe. Wären nur die internationalen Meister an der Spree gescheitert, so könnte man leicht darüber hinwegsehen. Schwerer wiegt indes, dass sie zusammen mit einigen in Berlin ansässigen Vielbauern dem Nachwuchs Licht und Luft zum Atmen nahmen. So sind heute jüngere Talente nur mit Mühe auszumachen, da ihnen kaum mehr als bauliche Miniaturen zugestanden werden. Doch gibt es einen Bau, der mit seiner rot glühenden Glasfassade hoch in den Himmel über Kreuzberg ragt und demonstriert, dass es hier trotz allem noch Architekten gibt. Es handelt sich dabei um das GSW-Hochhaus an der Kochstrasse von Sauerbruch & Hutton, dem wohl begabtesten Team der mittleren Generation in Deutschland.

Mit seinen farbigen Fassaden beherrscht der zeichenhafte Bau nicht nur die Berliner Stadtlandschaft. Er zog auch in der ersten Werkschau von Sauerbruch & Hutton, die vor zwei Jahren in der Londoner Architectural Association stattfand, die Aufmerksamkeit auf sich. Inzwischen sind neue Projekte dazugekommen und einige Entwürfe vollendet worden, die damals erst im Bau waren: etwa die rosafarbene Welle der «Experimentellen Fabrik» auf dem Campus der Universität Magdeburg, die zwischen klassischer Strenge und beschwingter Heiterkeit oszillierenden Räume des British Council in Berlin oder das Hauptquartier von BBC Scotland in Glasgow. Deshalb entschlossen sich die Architekten, die etwas kryptisch «WYSIWYG +» (what you see is what you get) genannte und elf Projekte umfassende Londoner Schau anlässlich der Ausstellung im Forum d'architectures in Lausanne um die mit einem Pluszeichen im Titel angedeuteten «travaux en cours» zu erweitern.

Unter einer als neokonkretes Riesenbild aus grünen Farbtafeln gestalteten Decke - ein Verweis auf die «Pillbox» des GSW-Hochhauses - sind die Wände der beiden Ausstellungsräume mit Plänen, Zeichnungen und Fotos im Format A4 tapeziert. Sie vermitteln ebenso wie die unpraktischen, tischartigen Installationen zur Betrachtung stereometrischer Ansichten, welche wohl die eher konventionelle und gerade deswegen so erfrischende Präsentation aufpeppen sollen, einen Eindruck vom Schaffen des 1955 in Konstanz geborenen Matthias Sauerbruch und seiner drei Jahre jüngeren Partnerin Louisa Hutton. Nach dem Studium an der AA sowie Lehrjahren bei Peter und Alison Smithson und bei OMA, wo sie sich mit den Theorien des grossstädtischen Chaos und der urbanen Landschaft, dem kontextuellen Bauen und der architektonischen Verdichtung vertraut machten, eröffneten sie 1989 in London ihr gemeinsames Büro. Dort entstanden die ersten Hausumbauten, bei denen die Wechselwirkung von Raum, Licht und Farbe oder das Erzeugen von Stimmungen erkundet wurden. Nach der Übersiedlung nach Berlin, das mehr Aufträge zu versprechen schien, gelang ihnen der Durchbruch mit dem 1998 vollendeten Photonikzentrum in Adlershof. Das amöbenförmige Doppelhaus mit seinen farbigen, entfernt an Le Corbusiers Zürcher Pavillon erinnernden Fassaden schafft angenehm dynamische Aussenräume und stellt sich in den Dienst ökologischer Nachhaltigkeit. Diese zukunftsweisenden Aspekte werden im GSW-Hochhaus wieder aufgenommen. Nicht weniger wichtig ist hier aber auch der Dialog mit der Stadt, der Bezug zur optimistischen Berliner Bautradition der fünfziger Jahre und die Auseinandersetzung mit dem Genius loci.

Die Stadt als architektonische Landschaft spielt auch in den neusten Projekten, die dank einer Videoinstallation in der Schau zugegen sind, eine wichtige Rolle. Während in dem vor zwei Jahren preisgekrönten Wettbewerbsprojekt «TV World» für einen Vergnügungspark mit Fernsehstudios, Sportanlagen und Hotel in Hamburg Themen wie das Organische und die «Urban Landscape» weiter perfektioniert wurden, kommt in dem vor wenigen Monaten gekürten Entwurf für ein neues Museum of Contemporary Art in Sydney eine einfachere, fast schon rationalistische Form zum Tragen. Das kubische, nachts wie eine Lichtskulptur leuchtende Äussere, dem ein fliessender Innenraum antworten wird, ist letztlich wohl die Antithese zur Vielfalt baulicher Erscheinungen am Sydney Harbour und zum ikonenhaften Opernhaus. Noch ist nicht sicher, ob die beiden ehrgeizigen Visionen auch realisiert werden. Gewiss ist aber, dass in den kommenden beiden Jahren die Erweiterung einer Polizei- und Feuerwehrstation in Berlin und das schlaufenförmige, von einer gläsernen Faltwerk-Dachlandschaft überformte Umweltbundesamt in Dessau vollendet sein werden. Die Lausanner Ausstellung bietet nun einen Überblick über das Gesamtwerk dieses bedeutenden Architekturbüros, in dem sich - klischeehaft ausgedrückt - alemannisches Qualitätsbewusstsein mit englischer Empirie zu innovativen Werken verdichtet.


[ Bis 7. Juli. Begleitpublikation: WYSIWYG. Sauerbruch Hutton Architects. Hrsg. Mohsen Mostafavi. Architectural Association, London 1999. 175 S., Fr. 62.-. ]

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